BT-Drucksache 17/3313

Einbindung deutscher Sicherheitsbehörden in Planung und Durchführung des NATO-Gipfels 2010 in Lissabon

Vom 14. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3313
17. Wahlperiode 14. 10. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Christine Buchholz, Annette Groth,
Andrej Hunko, Petra Pau, Jens Petermann, Alexander Ulrich und der Fraktion
DIE LINKE.

Einbindung deutscher Sicherheitsbehörden in Planung und Durchführung des
NATO-Gipfels 2010 in Lissabon

Der Mitte November 2010 bevorstehende NATO-Gipfel in Portugal wird
größere Demonstrationen gegen das Militärbündnis hervorrufen.

Die portugiesische Antikriegs- und Anti-NATO-Plattform (PAGAN, Plataforma
Anti-Guerra Anti-NATO) und andere antimilitaristische Bündnisse werfen der
NATO vor, sich zunehmend zum Hindernis für den Frieden zu entwickeln. Die
neue NATO-Strategie, die auf dem Gipfel behandelt werden soll, beinhalte „die
Fortdauer des Krieges in Afghanistan, Interventionen gegen andere Länder, die
Ausweitung nach Osten und Norden, und das Festhalten an Nuklearwaffen.“
(http://antinatoportugal.wordpress.com).

Anlässlich der angekündigten Proteste sind erhebliche Einschränkungen der
Grundrechte von Demonstrantinnen und Demonstranten zu befürchten.

In der Vergangenheit war es bei solchen internationalen Gipfeltreffen häufig zu
schwerwiegenden Verletzungen demokratischer Grundrechte durch Polizei- und
Staatsorgane der austragenden Länder gekommen. Erinnert sei insbesondere an
den G8-Gipfel 2007 in der Bundesrepublik Deutschland, bei dem Hunderte von
Demonstrantinnen und Demonstranten zum Teil in „Käfigen“ gehalten wurden,
sowie an den NATO-Gipfel 2009 in Strasbourg/Baden-Baden, bei dem die fran-
zösische Polizei brutal gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vorging
(lange bevor Unbekannte Gebäude anzündeten). Auch der Klima-Gipfel 2009 in
Kopenhagen war davon gekennzeichnet, dass die dänische Polizei erhebliche
Grundrechtseinschränkungen vornahm. Die deutschen Sicherheitsbehörden
leisten solcher Repression regelmäßig aktive Beihilfe, indem sie ausländische
Sicherheitsorgane mit Datensätzen über politische Aktivisten versorgen oder
selbst Geräte und Personal bereitstellen.

In einer Stellungnahme der War Resisters’ International heißt es: „Die portugie-
sische Regierung verunglimpft alle, die die NATO, ihre Aktivitäten und ihre
Existenz, in Frage stellen, als Kriminelle, und bereitet einen Belagerungszustand
sowie die Aussetzung von Bürgerrechten und Garantien, die in demokratischen
Gesellschaften existieren, vor.“
Vor diesem Hintergrund muss eine etwaige Zusammenarbeit deutscher Sicher-
heitsbehörden mit portugiesischen Behörden, unter Einbeziehung anderer In-
stanzen wie Europol und Interpol, darauf achten, nicht Teil antidemokratischer
Maßnahmen zu werden.

Drucksache 17/3313 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Sicherheitsarchitektur in Zu-
sammenhang mit dem NATO-Gipfel ausgestaltet (erbetene Angaben: Gre-
mien und Strukturen sowie ihre Aufgaben; Daten, zu denen diese ihre Arbeit
aufgenommen haben/noch aufnehmen werden und beenden)?

2. Welche Aspekte vergangener Gipfel/Großveranstaltungen in Deutschland
haben nach dem Eindruck der Bundesregierung bei den portugiesischen Si-
cherheitsbehörden besonderes Interesse ausgelöst?

Wie wurden entsprechende Erfahrungen deutscher Sicherheitsbehörden mit
vergangenen Großereignissen an portugiesische Behörden kommuniziert?

3. Welche EU-Agenturen, -Behörden oder -Arbeitsgruppen sind in Zusammen-
hang mit dem NATO-Gipfel tätig (bitte die jeweilige Tätigkeit kurz erörtern)?

4. Welche Formen der Unterstützung will die Bundesregierung den portugiesi-
schen Behörden sowie der NATO gewähren, und wie wird sich die Integra-
tion deutscher Sicherheitsbehörden in die Sicherheitsmaßnahmen voraus-
sichtlich gestalten?

5. Wann haben portugiesische Behörden erstmals Kontakt mit deutschen Si-
cherheitsbehörden hinsichtlich einer Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen
aufgenommen (bitte jeweils die konkreten Dienststellen/Referate/Abteilun-
gen beider Seiten nennen)?

6. Welche Erwartungen/Bitten/Vorschläge sind den deutschen Behörden gegen-
über dabei geäußert worden, und wie haben diese darauf reagiert?

7. Wie viele Besprechungen erfolgten bislang zur Erörterung der Sicherheitszu-
sammenarbeit (erbetene Angaben: einladende Seite; Teilnehmerzahl; entsen-
dende Sicherheitsbehörden; Besprechungsort; Themen), und welche weite-
ren Erwartungen bzw. Vorschläge sind hierbei von welcher anderen Behörde
an die deutschen Sicherheitsbehörden herangetragen worden?

8. Welche Zusagen sind von deutschen Sicherheitsbehörden hinsichtlich der
Sicherheitszusammenarbeit gemacht worden, und welche Maßnahmen wer-
den noch geprüft (bitte detailliert angeben)?

9. Sind deutsche Sicherheitsorgane in eine Struktur eingebunden, die ähnliche
Aufgaben hat wie im Jahr 2009 während des NATO-Gipfels in Strasbourg die
Informationssammelstelle, als deren Teil ein Internationales Verbindungs-
kräftezentrum des Bundeskriminalamtes (BKA) eingerichtet worden war,
und wenn ja,

a) welche Bezeichnungen tragen die hierfür in Portugal vorgesehenen Stel-
len,

b) wo sind diese angesiedelt, und wer leitet sie,

c) was genau sind ihre Aufgaben und Ziele,

d) welche Sicherheitsorgane welcher Staaten sind in ihre Arbeit mit jeweils
wie vielen Verbindungskräften eingebunden,

e) inwiefern werden ihre Erkenntnisse bzw. Ergebnisse deutschen Sicher-
heitsorganen (welchen) zugänglich gemacht, und zu welchem Zweck,

f) was genau sind die Aufgaben und Kompetenzen der deutschen Verbin-
dungskräfte?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3313

10. Sind deutsche Geheimdienste in die Arbeit einer Struktur eingebunden, die
mit der International Intelligence Cell (IIC) des NATO-Gipfels 2009 ver-
gleichbar ist, und wenn ja,

a) welche Bezeichnung trägt diese Struktur,

b) wer hat sie eingerichtet, wo ist sie angesiedelt, und wer leitet sie,

c) was genau sind ihre Aufgaben und Ziele,

d) welche deutschen Geheimdienste beteiligen sich daran, und was sind
dort ihre Aufgaben,

e) welcher Geheimdienst wird federführend Lagebilder über die Sicher-
heitslage erstellen, und inwiefern erhalten die Vertreter deutscher Ge-
heimdienste darauf Zugriff bzw. Kenntnis,

f) was genau sind Aufgaben und Kompetenzen der deutschen Verbindungs-
kräfte?

11. Welche weiteren Absprachen (multi-, bilateraler Art) in Zusammenhang mit
dem Gipfel gibt es zwischen deutschen Sicherheitsbehörden (welchen?) und
anderen Behörden (welchen)?

12. Wie wird gewährleistet, dass die deutschen Sicherheitskräfte in Portugal
zeitnah über die Entwicklung der Einsatzlage unterrichtet werden?

13. In welchen weiteren Planungs-, Lage-, Analyse-, Entscheidungs- und ande-
ren Stäben (soweit nicht durch die vorherigen Fragen erfasst) werden deut-
sche Sicherheitsbehörden vertreten sein (bitte hierbei Bezeichnung der
Stäbe, deren Aufgaben sowie die Aufgaben und Kompetenzen der deut-
schen Kräfte, deren Zahl sowie die entsendende Dienststelle angeben) bzw.
sind sie derzeit vertreten?

14. Inwiefern dürfen die deutschen Verbindungsbeamten auf welche Daten-
sammlungen deutscher Sicherheitsbehörden zugreifen und Inhalte im Rah-
men der Gremien, in denen sie wirken, weitergeben?

15. Welche anderen internationalen Institutionen oder Forschungsprogramme
sind an der Sicherheitsarchitektur des NATO-Gipfels beteiligt?

a) Welche Zusammenarbeit ist mit dem International Permanent Obser-
vatory on Security during Major Events (IPO) und dem Internationales
Forschungsinstitut der Vereinten Nationen für Kriminalität und Rechts-
pflege (UNICRI) vorgesehen?

b) Wie war das IPO bzw. das UNICRI an der Sicherheitszusammenarbeit
anlässlich des NATO-Gipfels 2009 in Baden-Baden und Strasbourg oder
anderer deutscher Großereignisse beteiligt?

16. Wann hat es die ersten Kontakte seitens Europol, Interpol sowie NATO zu
deutschen Sicherheitsbehörden hinsichtlich einer Zusammenarbeit in Si-
cherheitsfragen gegeben (bitte jeweils die konkreten Dienststellen/Referate/
Abteilungen beider Seiten nennen)?

a) Welche Erwartungen/Hoffnungen/Bitten/Vorschläge sind den deutschen
Behörden gegenüber dabei oder im späteren Verlauf geäußert worden?

b) Welche Zusagen sind von deutschen Sicherheitsbehörden hinsichtlich
der Sicherheitszusammenarbeit gemacht worden, und welche Maßnah-
men bzw. Zusagen werden noch geprüft?

17. Auf welche Art und Weise ist Europol in die Sicherheitszusammenarbeit
eingebunden?
a) Wurden seitens Europol Fragebogen an Polizeibehörden der Mitglied-
staaten versandt?

Drucksache 17/3313 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) Falls ja, worauf bezogen sich die Fragen?

c) Hat Europol eine Risikoanalyse erstellt bzw. ist eine solche Erstellung
beabsichtigt?

d) Welche Arbeitsbereiche/Kriminalitätsphänomene Europols sind invol-
viert?

e) Welche Datensätze, beispielsweise aus Analysedateien (AWF) werden
seitens Europol zur Verfügung gestellt bzw. können im Rahmen der Zu-
sammenarbeit abgefragt werden?

f) Welche deutschen Mitarbeiter bei Europol sind in die Sicherheitszusam-
menarbeit anlässlich des NATO-Gipfels eingebunden?

18. Auf welche Art und Weise ist Interpol in die Sicherheitszusammenarbeit an-
lässlich des NATO-Gipfels eingebunden?

a) Wurden seitens Interpol Fragebogen an Polizeibehörden der Mitglied-
staaten versandt?

b) Falls ja, worauf bezogen sich die Fragen?

c) Hat Interpol eine Risikoanalyse erstellt bzw. ist eine solche Erstellung
beabsichtigt?

d) Welche Arbeitsbereiche Interpols sind involviert?

e) Welche Datensätze werden seitens Interpol zur Verfügung gestellt bzw.
können im Rahmen der Zusammenarbeit abgefragt werden?

19. Auf welche Art und Weise ist das EU-Forschungsprogramm EU-SEC bzw.
EU-SEC-II in die Sicherheitszusammenarbeit anlässlich des NATO-Gipfels
eingebunden?

a) Wurden Fragebogen des EU-SEC verwandt?

b) Welche Angehörigen des Forschungsprogramms sind auf welche Weise
in die Sicherheitszusammenarbeit eingebunden?

c) Welche Informationen des vom EU-SEC erstellten Handbuchs spielen
beim NATO-Gipfel eine herausragende Rolle?

d) Wie ist der Stand der Umsetzung des „European Major Events Register“
(EMER) und des „Specialist Technical Equipment Pool“ (STEP), und
wie sind sie in die Sicherheitszusammenarbeit beim NATO-Gipfel einge-
bunden?

20. Werden deutsche Bundespolizisten während des Gipfels in Portugal einge-
setzt, und wenn ja,

a) wie viele Beamtinnen und Beamte an welchen Orten,

b) welche Behörden sollen von ihnen unterstützt werden,

c) welche Aufgaben haben sie hierbei,

d) kann die Bundesregierung ausschließen, dass Bundespolizisten anläss-
lich von Demonstrationen in Portugal eingesetzt werden?

21. Welches Polizeigerät und welche Polizeifahrzeuge aus deutschen Beständen
werden in Portugal

a) von der Bundespolizei zwecks eigener Verwendung mitgeführt, und in-
wiefern gehören Reizgasstoffe dazu,

b) den portugiesischen Behörden (welchen) zur Verfügung gestellt?
22. Wird die Bundeswehr Unterstützungsleistungen in Zusammenhang mit dem
NATO-Gipfel leisten, und wenn ja, welcher Art?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3313

23. Werden andere deutsche Behörden in Zusammenhang mit dem NATO-Gip-
fel Unterstützungsleistungen erbringen, und wenn ja, welcher Art?

24. Wie viele Mitarbeiter des BKA werden voraussichtlich in Portugal einge-
setzt werden, und mit welchen Aufgaben an welchen Dienststellen für wel-
che Dauer?

25. Haben portugiesische Behörden gegenüber deutschen Sicherheitsbehörden
Angaben darüber gemacht, wie viele portugiesische Sicherheitskräfte in Zu-
sammenhang mit dem Gipfel eingesetzt werden sollen (wenn ja, bitte aus-
führen)?

26. Ist der Bundesregierung bekannt, ob in der Bundesrepublik Deutschland
Ausreiseverbote bereits ausgesprochen sind oder erwogen werden, um Per-
sonen an der Teilnahme an Protesten gegen den Gipfel abzuhalten (bitte
gegebenenfalls ausführen)?

27. Ist beabsichtigt, das Schengener Abkommen zu suspendieren und Grenz-
kontrollen an den Außengrenzen und Flughäfen vorzunehmen, und wenn ja,
für welchen Zeitraum?

28. Über wie viele von deutschen Sicherheitsbehörden gespeicherte Personen
sind anderen Sicherheitsbehörden in Zusammenhang mit dem NATO-Gip-
fel Angaben übermittelt worden?

a) Aus welchen Dateien stammen diese jeweils?

b) Wer hat die Daten erhalten?

c) Sind hiervon auch Daten betroffen, die in früheren Akkreditierungsver-
fahren gewonnen wurden?

d) Was war der Grund für die Datenübermittlung, und auf welcher Rechts-
grundlage erfolgte diese?

29. Inwiefern sind Angaben über Personen aus anderen, nicht von deutschen
Behörden geführten Dateien an die portugiesischen Behörden übermittelt
worden?

a) Aus welchen Dateien stammten diese, und wie lauten die Dateibezeich-
nungen?

b) Über wie viele Personen waren dabei Angaben enthalten?

30. Haben deutsche Sicherheitsbehörden personengebundene Informationen
über mutmaßliche „Störer“ von portugiesischen oder anderen Behörden er-
halten (bitte gegebenenfalls ausführen)?

31. Welche Sachdaten wurden seitens deutscher Sicherheitsbehörden an portu-
giesische oder andere Stellen übermittelt, und auf welcher Rechtsgrund-
lage?

32. Ist der Bundesregierung bekannt, ob während des NATO-Gipfels Bilder aus
Satellitenaufklärung eingesetzt werden, und wenn ja,

a) welche EU-Sicherheitsforschungsprogramme sind hierfür integriert,

b) sind auch kommerzielle Anbieter wie Infoterra GmbH oder RapidEye AG
eingebunden,

c) welche portugiesischen und andere Behörden erhalten Zugriff auf die Sa-
tellitendaten,

d) wie ist das spanische Satellitenzentrum SATCEN in Torrejón in die Si-
cherheitsarchitektur des Gipfels eingebunden,
e) wird anlässlich des NATO-Gipfels das Brüsseler Joint Situation Centre
(SitCen) mit Aufklärungsdaten aus dem All beliefert?

Drucksache 17/3313 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

33. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die European Defence Agency
(EDA) in die Sicherheitsarchitektur des NATO-Gipfels integriert?

Berlin, den 15. Oktober 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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