BT-Drucksache 17/3268

Auswirkungen der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug insbesondere in Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/2816

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3268
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau,
Jens Petermann, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug insbesondere
in Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs –
Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 17/2816

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 1. Juli 2009 (2 BvE 5/
06) den besonderen Stellenwert des Frage- und Informationsrechts des
Deutschen Bundestages betont und auf die entsprechende Antwortpflicht der
Bundesregierung hingewiesen. Die Antwort der Bundesregierung auf Bundes-
tagsdrucksache 17/2816 wird nach Ansicht der Fragestellerin diesen Anfor-
derungen nicht gerecht.

So wird behauptet, die Bundesregierung habe bereits „eine Vielzahl von zum
Teil inhaltsgleichen Kleinen Anfragen zu diesem Thema beantwortet“. Aller-
dings war aus Sicht der Fragestellerin der Grund für viele präzisierende Nach-
fragen in erster Linie das ausweichende und unkonkrete Antwortverhalten der
Bundesregierung. Wenn auf die Fragen 9 bis 11 auf Bundestagsdrucksache 17/
2816 pauschal auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen wird, so
ist es angesichts des dortigen Verweises auf elf weitere Bundestagsdrucksachen
unmöglich nachzuvollziehen, welche der Fragen in welcher Bundestagsdruck-
sache womöglich schon einmal (ausreichend) beantwortet worden sein soll.

Die Bundesregierung hat nach Ansicht der Fragestellerin insbesondere detail-
lierte Fragen zu einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)
vom 4. März 2010 zur Familienzusammenführungsrichtlinie der Europäischen
Union („Chakroun“-Urteil) nicht ausreichend beantwortet (Bundestagsdruck-
sache 17/2816, zusammengezogene Antwort zu den Fragen 24 bis 30). Die
Bundesregierung behauptet ganz allgemein, dass sich aus dieser Entscheidung
„keine unmittelbaren Auswirkungen auf die deutsche Regelung zum
Sprachnachweiserfordernis“ ergäben und stützt sich dabei zur Begründung auf
ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2010 – dieses Urteil
geht auf die besagte Entscheidung des EuGH jedoch überhaupt nicht ein! Das
Versäumnis des Bundesverwaltungsgerichts erspart der Bundesregierung nicht
die eigenständige Auseinandersetzung mit den notwendigen Konsequenzen aus
dem Chakroun-Urteil bzw. mit Fragen zu einzelnen Aspekten des Urteils, ins-

besondere solchen, die allgemeingültiger Natur sind und sich gerade nicht (nur)
auf die strittige niederländische Regelung beziehen. Der EuGH legt das Recht
der Europäischen Union gemäß Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise
der Europäischen Union für alle Mitgliedstaaten verbindlich aus, d. h. die in
seinen Entscheidungen getroffenen Ausführungen grundsätzlicher Natur müs-
sen in Deutschland berücksichtigt werden, auch wenn die Bundesrepublik
Deutschland nicht direkt Prozessbeteiligte ist.

Drucksache 17/3268 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Schließlich ist nach Ansicht der Fragestellerin auch die Auskunft der Bundes-
regierung unglaubwürdig, wonach der Grund für die verzögerte Veröffent-
lichung des Evaluationsberichts zum Ehegattennachzug angeblich sein soll,
dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2010 noch habe
eingearbeitet werden müssen (vgl. Bundestagsdrucksache 17/2816, zusammen-
gezogene Antwort zu den Fragen 5 bis 7). Denn nach Auskunft der Bundes-
regierung war dieser Bericht im Entwurf Ende 2009 fertiggestellt und befand
sich damals in der Ressortabstimmung, die „zügig abgeschlossen“ werden
sollte (vgl. Bundestagsdrucksache 17/194, Frage 7c). Zudem war Gegenstand
der Evaluierung „die praktische Umsetzung der gesetzlichen Bestimmungen
über den Nachweis einfacher Deutschkenntnisse beim Ehegattennachzug“
(ebd., 7b) – und nicht deren verfassungs- oder europarechtliche Bewertung.
Nach Auffassung der Fragestellerin kann die mehrmals verzögerte Veröffent-
lichung des Evaluationsberichts nur mit anhaltenden politischen Differenzen
innerhalb der Regierungskoalition vor allem zur Frage der Notwendigkeit einer
Härtefallregelung erklärt werden. Dies bestätigt sich angesichts des nunmehr
vorliegenden Berichts, in dem nicht etwa eine rechtliche Problematisierung der
Neuregelung vorgenommen wird, in dessen Zusammenhang das Bundesver-
waltungsgerichtsurteil hätte berücksichtigt werden müssen. Vielmehr wird der
Urteilsspruch nur zitiert, um die Notwendigkeit einer allgemeinen Härtefallre-
gelung zu bestreiten.

Die Fragestellerin wiederholt vor diesem Hintergrund etliche der bereits auf
Bundestagsdrucksache 17/2816 formulierten Fragen – in der Erwartung, dass
die Bundesregierung diese nunmehr umfassend, konkret und nicht ausweichend
beantwortet.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch war der Anteil der externen Prüfungsteilnehmenden bei Sprach-
prüfungen der Goethe-Institute „Start Deutsch 1“ im ersten Halbjahr 2010,
gemessen an der Gesamtzahl der Prüflinge weltweit (bitte zusätzlich die je-
weiligen Quoten der 15 wichtigsten Herkunftsländer und der jeweils zehn
Länder mit den höchsten und niedrigsten Quoten mit einer Teilnehmenden-
zahl von über 100 einzeln angeben)?

2. Wie hoch waren die Bestehensquoten bei Sprachprüfungen „Start
Deutsch 1“ der Goethe-Institute im Ausland im ersten Halbjahr 2010 (bitte
nach externen und internen Prüfungsteilnehmenden und der Gesamtzahl
differenziert angeben sowie absolute und relative Zahlen nennen, und diese
Quoten bitte zusätzlich noch einmal für die 15 Hauptherkunftsländer und die
jeweils zehn Länder mit höchsten und niedrigsten Quoten mit einer Teilneh-
mendenzahl von über 100 angeben)?

3. Inwieweit stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass die Steige-
rung der Gesamtbestehensquote von 59 Prozent im Jahr 2008 auf 64 Prozent
im Jahr 2009 auch damit erklärt werden kann, dass in der Quote auch dieje-
nigen erfasst sind, die erst nach mehrmaligem Test bestanden haben?

4. Was sind die genauen Gründe dafür, dass der bereits Ende 2009 fertigge-
stellte und in die zügig abzuschließende Ressortabstimmung gegangene
Entwurf des Evaluierungsberichts zu der Neuregelung der Sprachanforde-
rungen beim Ehegattennachzug erst im September 2010 veröffentlich wurde
(sinngemäße Wiederholung der Frage 5 auf Bundestagsdrucksache 17/2816,
siehe Vorbemerkung der Fragesteller)?

a) War ein Grund für die Verzögerung eine von der Auffassung des Bundes-
ministeriums des Innern abweichende Beurteilung des Auswärtigen

Amts, etwa zu der Frage der Notwendigkeit einer allgemeinen Härtefall-
regelung?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3268

b) War ein Grund für die Verzögerung eine von der Auffassung des Bun-
desministeriums des Innern abweichende Beurteilung des Bundesminis-
teriums der Justiz, etwa zu der Frage der Notwendigkeit einer allgemei-
nen Härtefallregelung?

c) Ist die Vermutung zutreffend, dass die verzögerte Veröffentlichung damit
zusammenhängt, dass innerhalb der Koalition unterschiedliche Auf-
fassungen zu der Frage der Notwendigkeit einer allgemeinen Härtefall-
regelung bestanden, die offenkundig erst infolge des Bundesverwaltungs-
gerichtsurteils vom 30. März 2010 (dessen schriftliche Begründung erst
im Juni 2010 vorlag) entschieden wurde (bitte erläutern)?

5. In welchen bestimmten Fallkonstellationen hält die Bundesregierung die Er-
teilung einer vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis zum Spracherwerb
nach § 16 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes zur Vermeidung von Härtefällen
beim Ehegattennachzug für möglich, wenn sie in diesem Zusammenhang im
Evaluierungsbericht auf S. 54 auf diesen vom Bundesverwaltungsgericht ins
Spiel gebrachten möglichen „verfassungsrechtlich gebotenen Interessenaus-
gleich“ Bezug nimmt?

a) Hält sie insbesondere die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum
Spracherwerb erst nach zwei- bis dreijährigem vergeblichem Sprach-
erwerb für möglich, wie es der Evaluierungsbericht auf S. 55 nahelegt
(bitte ausführen)?

b) Was könnten „besonders schutzwürdige Umstände“ sein, die eine schnel-
lere Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Spracherwerb möglich
machen würden, wenn solche Umstände nicht einmal in dem vom Bun-
desverwaltungsgericht zu entscheidenden Fall vorlagen, d. h. dass einem
Ehegatten mit einem unbefristeten Aufenthaltsrecht und festem Einkom-
men selbst dann zugemutet wird, die gesamte soziale und wirtschaftliche
Existenz in Deutschland und alle erworbenen Rechtsansprüche aufzuge-
ben, um die familiäre Einheit im Ausland herzustellen, wenn es dem
nachzugswilligen Ehegatten aus nicht zu vertretenden Gründen nur
schwer oder gar nicht möglich ist, die geforderte Sprachkenntnisse zu er-
werben, ansonsten aber alle Nachzugsbedingungen der Richtlinie erfüllt
sind (bitte ausführlich begründen)?

6. Inwieweit sieht die Bundesregierung „Erkenntnisse über die Erreichung der
Ziele der Regelung“ in Bezug auf „die Förderung der Integration“ darin,
dass „Mitarbeiter des Goethe-Instituts in der Türkei den Eindruck“ gewon-
nen haben, dass viele Betroffene den „Sprachunterricht häufig als ‚erstes
Bildungserlebnis‘ seit langer Zeit“ wahrgenommen und sich „hochmoti-
viert“ gezeigt hätten, „in dieser Richtung weiter zu schreiten“ (Evaluations-
bericht, S. 2)

a) in Anbetracht dessen, dass dasselbe „Bildungserlebnis“ sich auch in
einem Sprachkurs in Deutschland einstellen würde, so dass die geschil-
derte Beobachtung gerade nichts darüber aussagt, warum der Sprach-
erwerb zwingend bereits im Ausland begonnen werden sollte bzw.
warum der Spracherwerb im Ausland leichter sein soll als in einem Inte-
grationskurs in Deutschland?

b) in Anbetracht des Umstands, dass die genannten Wahrnehmungen der
Mitarbeiter des Goethe-Instituts sich auf die – gemessen an der Gesamt-
zahl – sehr kleine Gruppe derjenigen beziehen, die in der Lage waren und
es sich leisten konnten, einen Sprachkurs des Goethe-Instituts zu besu-
chen, der das Bestehen des Sprachtests mit höherer Wahrscheinlichkeit in
einem überschaubaren Zeitraum ermöglicht, während zugleich die Mitar-

beiter des Goethe-Instituts eher weniger über die Empfindungen, Erleb-
nisse und Gefühle der weitaus größeren Gruppe aussagen können, die die

Drucksache 17/3268 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

deutsche Sprache unter weitaus schwierigeren Umständen, in einem län-
geren Zeitraum und mit deutlich niedrigerer Erfolgsquote beim Ab-
schlusstest erlernen müssen (externe Prüfungsteilnehmende – d. h. ohne
vorherigen Besuch eines Sprachkurses am Goethe-Institut machten in
der Türkei im Jahr 2009 87 Prozent aus, sie bestanden die Prüfung nur
zu 64 Prozent, während die „interne“ Quote 91 Prozent betrug)?

7. Inwieweit sieht die Bundesregierung „Erkenntnisse über die Erreichung
der Ziele der Regelung“ in Bezug auf die „Vermeidung von Zwangsehen“
darin, dass Lehrer von Einzelfällen berichtet hätten, „in denen Frauen of-
fensichtlich absichtlich durch die Prüfung fallen, um eine ungewollte Ehe
in Deutschland zu vermeiden“ (Evaluationsbericht, S. 2)?

a) Geht die Bundesregierung davon aus, dass es sich bei diesen Einzel-
fällen um Zwangsehen oder arrangierte Ehen handelte, und was kann sie
hierzu ausführen?

b) Haben die besagten Lehrer davon berichtet, wie es diesen Frauen nach
der gescheiterten Prüfung ergangen ist (wenn ja, was ist dazu bekannt,
wenn nein, was vermutet die Bundesregierung hierzu)?

c) Was ist der Bundesregierung dazu bekannt, an welche Hilfsorganisa-
tionen und Beratungsstellen sich die genannten Frauen in der Türkei
wenden konnten, um Hilfe zu erhalten?

d) Geht die Bundesregierung davon aus, dass Familien, die ihre Töchter
zwangsverheiraten, von diesem Plan ablassen, wenn diese den Sprach-
test nicht bestehen (bitte ausführen)?

e) Welche Erkenntnisse haben die Bundesregierung bzw. die besagten
Lehrer dazu, ob die vermutete Zwangssituation der Betroffenen in den
genannten Einzelfällen mit dem gescheiterten Sprachtest beendet war
oder ob die Betroffenen daraufhin womöglich an eine türkische Person
(zwangs-)verheiratet werden sollten?

f) Hält die Bundesregierung die genannten Einzelfälle für eine hinrei-
chende Begründung, um den Ehegattennachzug weltweit durch
Sprachanforderungen vor der Einreise zu erschweren (bitte begründen)?

8. Welches weitere Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erwartet die Bun-
desregierung „für die nähere Zukunft“ (Evaluierungsbericht, S. 2 und
S. 55), und um welche konkrete Fallkonstellation geht es dabei?

9. Warum beabsichtigt die Bundesregierung keine unabhängige, externe Eva-
luation der Neuregelung der Sprachanforderungen im Rahmen des Ehe-
gattennachzugs (Wiederholung der insofern unbeantwortet gebliebenen
Frage 8 auf Bundestagsdrucksache 17/2816)?

10. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der objektiv fest-
stellbare Rückgang der Visa zum Ehegattennachzug infolge der Einführung
der Sprachanforderungen ein Indiz dafür ist, dass es sich in diesen Fällen
um Zwangsehen gehandelt haben muss (bitte begründen und gegebenen-
falls belegen)?

a) Wenn Zwangsverheirateten der zum Ehegattennachzug erforderliche
Sprachnachweis nicht gelingt, ist nach Auffassung der Bundesregierung
deren Zwangssituation dann damit beendet oder abgemildert oder dauert
sie an (bitte begründen)?

b) Wenn Zwangsverheirateten der zum Ehegattennachzug erforderliche
Sprachnachweis nicht gelingt, inwieweit können sich diese dann gege-
benenfalls aus ihrer Zwangslage im Herkunftsland besser befreien als in

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3268

Deutschland, wo es zumindest im Ansatz entsprechende Hilfsangebote
und Beratungsstellen gibt (bitte begründen)?

(Wiederholung der Frage 9 auf Bundestagsdrucksache 17/2816, da
durch den Verweis der Bundesregierung auf die Vorbemerkung und den
dortigen Verweis auf elf weitere Bundestagsdrucksachen nicht nachzu-
vollziehen ist, wo und wie die Bundesregierung diese Fragen bereits be-
antwortet hat.)

11. In welchen Ländern sind Zwangsverheiratungen nach Kenntnis der Bun-
desregierung besonders verbreitet (bitte einzeln benennen), und wie stark
war in diesen Ländern jeweils der prozentuale Rückgang der erteilten Visa
zum Ehegattennachzug im Vergleich der Jahre 2006 bzw. 2008, wie stark
war der entsprechende Rückgang im Durchschnitt aller Länder, und welche
Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung hieraus?

(Wiederholung der Frage 10 auf Bundestagsdrucksache 17/2816, da durch
den Verweis der Bundesregierung auf die Vorbemerkung und den dortigen
Verweis auf elf weitere Bundestagsdrucksachen nicht nachzuvollziehen ist,
wo und wie die Bundesregierung diese Fragen bereits beantwortet hat.)

12. Wie bewertet die Bundesregierung den Erfolg des bundesdeutschen Inte-
grationskurssystems, wenn zur Begründung der Notwendigkeit von
Sprachnachweisen im Ausland unterstellt wird, dass der Besuch eines min-
destens 600-stündigen Sprachkurses in Deutschland, der mit Mitteln des
Verwaltungszwangs durchgesetzt werden kann bzw. im Falle einer Verwei-
gerung zu aufenthalts- und sozialrechtlichen Sanktionen führt, nicht sicher-
stelle, dass Grundkenntnisse der deutschen Sprache erworben werden (vgl.
Bundestagsdrucksache 16/7288, Frage 23b; Wiederholung von Frage 22
auf Bundestagsdrucksache 17/2816, weil die in der Antwort der Bundes-
regierung in Bezug genommenen Bundestagsdrucksachen keine Antwort
auf die gestellte Frage bieten: das eine Mal – Bundestagsdrucksache 17/1112,
Frage 8 – wird eine Antwort auf eine ähnliche, jedoch nicht identische
Frage verweigert, weil keine Aussage zur Zahl derjenigen, die das Niveau
A1 nicht erreichen, gemacht werden könne, das andere Mal – Bundestags-
drucksache 17/194, Frage 16 – wird argumentiert, ein Sprachkurs in
Deutschland könne verzögert beginnen und stelle keinen erfolgreichen
Abschluss sicher, was sich aber auf ein viel höheres Sprachniveau (B1, A2)
und nicht auf „Grundkenntnisse der deutschen Sprache“ bezieht)?

13. Da die Bundesregierung als Begründung der Sprachanforderungen im Aus-
land vorbringt, dass zwischen Nachzug des Ehegatten und Beginn des
Sprachkurses in Deutschland „einige Zeit vergehen“ könne (Bundestags-
drucksache 17/194, Frage 16),

a) inwieweit erwägt die Bundesregierung gesetzliche oder praktische
Änderungen zur Verkürzung dieses Zeitraums, was für die Betroffenen
weitaus weniger belastend wäre als die Anforderung des Spracherwerbs
und Nachweises im Ausland?

b) inwieweit ist dieses Argument damit vereinbar, dass es aufgrund der
erschwerten Umstände und Belastungen des Spracherwerbs im Ausland
häufig länger dauern dürfte, das geforderte Sprachniveau zu erreichen,
als wenn es nach einer direkten Einreise zu einem verzögerten Sprach-
kursbeginn in Deutschland käme?

(Wiederholung der beiden noch unbeantwortet gebliebenen Unterfragen
23b und 23c auf Bundestagsdrucksache 17/2816.)

14. Wird die Bundesregierung Untersuchungen zu der Frage anstellen, welche

Zeiträume zwischen Einreise und Beginn eines Sprachkurses liegen und

Drucksache 17/3268 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

welche Gründe für einen möglicherweise verzögerten Beginn verantwort-
lich sind, und wenn nein, warum nicht?

15. Was folgt nach Auffassung der Bundesregierung aus der Feststellung im
„Chakroun“-Urteil des EuGH vom 4. März 2010 (C-578/08), dass die Ge-
nehmigung der Familienzusammenführung die Grundregel darstellt, wäh-
rend die den Mitgliedstaaten eröffneten Handlungsspielräume eng ausge-
legt werden müssen und nicht in einer Weise genutzt werden dürfen, die
das Richtlinienziel der Begünstigung der Familienzusammenführung und
die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt, bezogen auf die
Vereinbarkeit der deutschen Regelung der Sprachnachweise im Ausland
mit der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie (bitte ausführen)?

16. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die oben genann-
ten Ausführungen des EuGH zu Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe c der Richt-
linie übertragbar sind auf Artikel 7 Absatz 2 Satz 1 der Richtlinie (bitte
ausführen)?

17. Wie bewertet die Bundesregierung in Kenntnis des oben genannten „Cha-
kroun“-Urteils des EuGH vom 4. März 2010, in dem überdies die Pflicht
zu einer individualisierten Prüfung der Situation der einzelnen Antragstel-
ler betont wird (Artikel 17 der Richtlinie), die Notwendigkeit zumindest
einer allgemeinen Härtefallregelung im Rahmen der Sprachanforderungen
beim Ehegattennachzug (bitte ausführlich in Auseinandersetzung mit dem
Urteil begründen)?

18. Inwieweit folgt nach Auffassung der Bundesregierung aus der Feststellung
des EuGH, aus Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie folge nicht,
dass ein bestimmtes Niveau (eines Mindesteinkommens) vorgegeben wer-
den dürfe, unterhalb dessen jede Familienzusammenführung ohne weitere
Einzelfallprüfung abgelehnt würde, dass entsprechend auch bezüglich
Artikel 7 Absatz 2 Satz 1 der Richtlinie kein bestimmtes Niveau (von
Sprachkenntnissen) vorgegeben werden darf, unterhalb dessen jede Fami-
lienzusammenführung ohne weitere Einzelfallprüfung abgelehnt würde,
und was folgt daraus für die Frage der Notwendigkeit einer allgemeinen
Härtefallregelung (bitte genau begründen)?

19. Inwieweit ist mit den Grundsätzen des Chakroun-Urteils vereinbar, Ehegat-
ten mit einem unbefristeten Aufenthaltsrecht und festem Einkommen auf-
zuerlegen, ihre gesamte soziale und wirtschaftliche Existenz in Deutsch-
land und alle erworbenen Rechtsansprüche aufzugeben, um die familiäre
Einheit im Ausland herzustellen, wenn es dem nachzugswilligen Ehegatten
aus nicht zu vertretenden Gründen nur schwer oder gar nicht möglich ist,
die geforderte Sprachkenntnisse zu erwerben, ansonsten aber alle Nach-
zugsbedingungen der Richtlinie erfüllt sind (bitte ausführlich begründen)?

20. Inwieweit ist es mit der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie verein-
bar, den Ehegattennachzug von Sprachnachweisen im Ausland abhängig zu
machen mit der Begründung, dies solle der Bekämpfung von Zwangsver-
heiratungen dienen können, wenn nach dem Chakroun-Urteil eine positive
Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Ermöglichung des Familiennachzugs
in den in der Richtlinie festgelegten Fällen besteht (Nummer 41 des Ur-
teils) und eröffnete Handlungsspielräume zur Abweichung von dieser
Grundregel eng und nicht in einer Weise auszulegen sind, die das Richt-
linienziel der Begünstigung der Familienzusammenführung beeinträchtigt
(Nummer 43), und angesichts des Umstands, dass mit Artikel 4 Absatz 5
der Richtlinie zur „Vermeidung von Zwangsehen“ lediglich die Möglich-
keit eröffnet wurde, ein Mindestalter der Ehegatten vorzusehen, im Übri-
gen die Richtlinie aber explizit nicht die Möglichkeit vorsieht, zur Be-

kämpfung von Zwangsverheiratungen Sprachnachweise zu verlangen, so

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/3268

dass ein subjektiver Anspruch auf Familienzusammenführung besteht,
wenn alle übrigen Voraussetzungen erfüllt sind (bitte begründen)?

21. Geht die Bundesregierung bei ihrer Antwort auf Bundestagsdrucksache 17/
2816 zu den Fragen 24 bis 30, sie sehe ihre Einschätzung zu den (fehlen-
den) Auswirkungen des Chakroun-Urteils in Bezug auf Sprachanforderun-
gen beim Ehegattennachzug durch das danach ergangene Bundesverwal-
tungsgerichtsurteil bestätigt, davon aus, dass das Bundesverwaltungs-
gericht das Chakroun-Urteil bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat,
und wenn ja, warum enthält die Begründung des Bundesverwaltungs-
gerichtsurteils dann keinerlei Auseinandersetzung mit dem besagten
EuGH-Urteil?

Wenn nein, wie begründet sie ihre Auffassung, wenn sie sich nicht auf die
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts berufen kann?

22. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem Urteil des EuGH vom 29. April 2010 (C-92/07), das nach Auffas-
sung z. B. von Dr. Klaus Dienelt (siehe Vorbemerkung auf Bundestags-
drucksache 17/2816) bedeutet, dass die Sprachanforderungen beim Ehegat-
tennachzug bei Ehegatten, die sich auf die Stillhalteklausel des Artikels 13
ARB 1/80 berufen können, unzulässig sind, weil die assoziationsrechtli-
chen Stillhalteklauseln auch auf den erstmaligen Zuzug von türkischen Ar-
beitnehmern und ihren Familienangehörigen anzuwenden sind?

Wie begründet die Bundesregierung gegebenenfalls eine hiervon abwei-
chende Interpretation des Urteils, und wie bewertet sie dieses Urteil im All-
gemeinen?

(Wiederholung der Frage 32 auf Bundestagsdrucksache 17/2816, weil die
Antwort der Bundesregierung nicht nachvollziehbar begründet wurde und
insbesondere ihr dortiger Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 30. März 2010 zur Begründung untauglich ist, da das Urteil
des EuGH vom 29. April 2010 ersichtlich nach diesem Urteil ergangen ist
und deshalb vom BVerwG am 30. März 2010 noch gar nicht berücksichtigt
werden konnte.)

23. Ist nach Auffassung der Bundesregierung in Kenntnis des Chakroun-Ur-
teils des EuGH vom 4. März 2010 und des EuGH-Urteils vom 29. April
2010 (C-92/07) die Frage, ob die deutsche Regelung der Sprachnachweise
im Ausland im Rahmen des Ehegattennachzugs mit EU-Recht und insbe-
sondere mit der Familienzusammenführungsrichtlinie vereinbar ist, durch
den EuGH bereits eindeutig entschieden oder ist ihrer Auffassung nach
offenkundig, dass der EuGH diese Frage bejahen wird, obwohl es z. B. in
der Kommentarliteratur und bei der Anhörung zum EU-Richtlinienumset-
zungsgesetz zahlreiche Stimmen gab, die von einer Unvereinbarkeit der
Sprachanforderungen mit EU-Recht ausgehen bzw. diese Frage zumindest
als offen ansehen (bitte ausführlich begründen)?

(Wiederholung der Frage 37 auf Bundestagsdrucksache 17/2816, weil der
dortige pauschale Verweis auf die Vorbemerkung bzw. die Antworten zu
den Fragen 24 bis 30 keine Antwort auf die gestellte Frage enthält, zumal
das Bundesverwaltungsgericht sich in seiner Entscheidung vom 30. März
2010 mit beiden genannten EuGH-Urteilen nicht auseinandersetzt.)

24. Hält die Bundesregierung an ihrer Antwort zu Frage 31 auf Bundestags-
drucksache 17/2816 fest (und wenn ja, mit welcher Begründung), obwohl
selbst die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Anne-Kathrin Fricke
von einer erforderlichen Überprüfung der Rechtsprechung des BVerwG zur
Lebensunterhaltssicherung infolge des Chakroun-Urteils spricht (vgl. ZAR

8/2010, S. 257, und wenn ja, bitte begründen)?

Drucksache 17/3268 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
25. Räumt die Bundesregierung ein, dass es schwer ist, die deutsche Sprache
im Ausland zu erlernen, wenn man die Sprache nicht zu Hause und nur in
der Schule sprechen kann, wie auch Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
im Rahmen ihrer Türkei-Reise Ende März 2010 erklärte?

(Sinngemäße Wiederholung der Frage 38 auf Bundestagsdrucksache 17/
2816, da der dortige Verweis der Bundesregierung auf die Vorbemerkung
ersichtlich keine Antwort auf die konkrete Frage enthält.)

26. Hält die Bundesregierung auch angesichts der aktuellen Debatte zur
Frage verstärkter Sanktionen bei (angeblicher) Integrationskursverweige-
rung an ihrer Position fest (vgl. Antwort zu Frage 12 auf Bundestagsdruck-
sache 17/2816), keine wissenschaftliche oder empirische Untersuchung
vorzunehmen zu der Frage, wie hoch der Anteil derjenigen neu eingereis-
ten Ehegatten ist, die einer Verpflichtung zur Sprachkursteilnahme aus
ihnen vorwerfbaren Gründen nicht nachkommen (bitte begründen)?

a) Warum hält sie es für erforderlich, dass eine Untersuchung zu den Grün-
den einer Nichtteilnahme am Integrationskurs einen „naturwissenschaft-
lichen Präzisionsansprüchen genügenden Kausalnachweis“ erbringen
müsste, wie ihr Verweis auf die Vorbemerkung in der Antwort zu
Frage 12 nahelegt (bitte nachvollziehbar ausführen)?

b) Wieso verwendet der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Mai-
zière, Zahlen zur angeblichen Integrationsverweigerer-Quote in Höhe
von 10 bis 15 Prozent bzw. zum Anteil derjenigen, die einer Verpflich-
tung zur Integrationskursteilnahme nicht nachkommen („etwa 30 Pro-
zent“; Plenarprotokoll 17/59, S. 6244), wenn auch solche Zahlen nicht
auf einem „naturwissenschaftlichen Präzisionsansprüchen genügenden
Kausalnachweis“ beruhen?

c) Wie will der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, ver-
suchen, die Frage zu beantworten, „ob, in welchem Umfang und warum
nicht von solchen Sanktionsmöglichkeiten (bei Integrationskursverwei-
gerung) Gebrauch gemacht worden ist“ (Plenarprotokoll 17/59, S. 6244),
wenn die Bundesregierung entsprechend der genannten Antwort zu
Frage 12 eine solche Untersuchung nicht beabsichtigt bzw. wenn eine
Antwort nach Auffassung der Bundesregierung ohnehin nicht mit „na-
turwissenschaftlichen Präzisionsansprüchen genügende[m] Kausalnach-
weis“ gegeben werden kann, was sie aber zu verlangen scheint?

d) Wie verträgt sich die Einschätzung des Bundesinnenministers einer
„Integrationsverweigerer“-Quote in Höhe von 10 bis 15 Prozent damit,
dass nach Aussage des Präsidenten des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge, Albert Schmid, „Studien zeigen, dass letztlich nur ein An-
teil von etwa einem Prozent überhaupt nicht erreichbar ist“ in Bezug auf
Angebote und Verpflichtungsmöglichkeiten (WirtschaftsWoche vom
20. September 2010)?

Berlin, den 5. Oktober 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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