BT-Drucksache 17/3210

Verbraucherschutz auf Finanzmärkten nachholen

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3210
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr. Gerhard Schick, Cornelia Behm, Ulrike
Höfken, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Friedrich Ostendorff, Markus
Tressel, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter,
Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Ingrid Nestle, Dr. Hermann Ott, Dorothea
Steiner, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Verbraucherschutz auf Finanzmärkten nachholen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Finanzmarktkrise hat Verbraucherinnen und Verbraucher, die ihr Geld dem
Markt anvertraut haben, erheblich geschädigt. Zu den laut einer Studie des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ge-
schätzten jährlichen Verlusten von 20 bis 30 Mrd. Euro durch Falschberatung bei
Finanzen und den 50 Mrd. Euro Schäden durch den sogenannten Grauen Kapi-
talmarkt, kommen bankvermittelte Ausfälle von Hochrisikopapieren. Allein bei
der insolventen US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers Inc.
macht die deutsche Finanzindustrie Forderungen in Höhe von über 50 Mrd. US-
Dollar geltend. Bei der Anlageklasse der offenen Immobilienfonds standen die
Aussetzung der Anteilsrücknahme und nunmehr die regelmäßig anstehenden
Neubewertungen des Immobilienbestands auf der Tagesordnung. Hier waren im
September 2010 außerdem 25 Mrd. Euro, rund ein Drittel des Geldes, das Anle-
ger in offene Immobilienfonds gesteckt haben, eingefroren und damit unzugäng-
lich.

Es ist bedauerlich, dass aus der Krise bisher kaum Verbraucherschutzmaßnahmen
abgeleitet wurden. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass im ersten Halbjahr 2009
die EU-Richtlinie zur Einlagensicherung zügig umgesetzt und mit dem novel-
lierten Schuldverschreibungsgesetz ein Beratungsprotokoll eingeführt und die
unangemessen kurze Sonderverjährungsfrist bei Schadenersatzansprüchen wegen
Falschberatung bei Wertpapieranlagen gestrichen wurde.

Eine Überprüfung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
stellte erhebliche Mängel in der Anwendung der neuen Beratungsprotokolle
fest. Und auch bei den Verjährungsfristen kommen Änderungen nicht denjeni-
gen zugute, die Hilfe dringend benötigen. Anlegerinnen und Anleger, die vor
dem Stichtag falsch beraten wurden und gegenüber deren Schadenersatzan-
sprüchen nun die Einrede der Verjährung erhoben wird, profitieren davon nicht.
Davon betroffen sind insbesondere Tausende von Lehmann-Geschädigten.
Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus allem nicht. Indes werden wei-
tere, u. a. mit Antrag auf Bundestagsdrucksache 16/13612 angekündigte bzw.

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mit Antrag auf Bundestagsdrucksache 16/11205 geforderte, überfällige Gesetz-
gebungsinitiativen auf die lange Bank geschoben.

Die Lehre aus der Finanzkrise kann nicht allein darin bestehen, dass Verbrau-
cherinnen und Verbraucher etwas verändern müssen. Es bedarf dringend einer
kundenfreundlichen Marktordnung. Dazu gehört eine effektivere Regulierung
und eine strengere Aufsicht auf dem Finanzmarkt. Unzureichende nationale
und internationale Regeln auf den Finanzmärkten, versäumte Befugnisse der
Aufsichtsbehörden und ihre personelle und finanzielle Unterausstattung haben
die Krise erst zugelassen.

Der Deutsche Bundestag erwartet ein ehrgeiziges Gesetzespaket zum Verbrau-
cherschutz auf den Finanzmärkten. Es sind Lehren aus den Fehlentwicklungen
im Investmentbereich zu ziehen und der gebotene Schutzrahmen zu errichten,
damit angelegte Gelder in Zukunft wieder sicher sind. Das zunehmende Miss-
trauen in den Finanzsektor untergräbt das Vertrauen in einen wichtigen Wirt-
schaftszweig und in die staatlichen Sicherungssysteme. Nur mit einem umfang-
reichen Schutz des einzelnen Verbrauchers kann sich die soziale Marktwirtschaft
zum Wohle aller entwickeln. Die EU-Kommission ist in ihren Bemühungen um
eine verbraucherfreundliche Einlagensicherung und Anlegerentschädigung zu
unterstützen.

Der Deutsche Bundestag würdigt ausdrücklich die engagierte Beratungstätig-
keit der Verbraucherzentralen und unterstützt einen Ausbau der unabhängigen
Finanzberatung in finanzieller und personeller Hinsicht. Denn nur ausreichende
Information und Transparenz geben den Verbraucherinnen und Verbraucher die
Sicherheit, dass ihr Vermögen sicher und mit kalkulierbarem Risiko in der von
ihnen gewünschten Weise angelegt und nicht durch unseriöse und riskante An-
lagen in Gefahr gebracht wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die Rechte der Anlegerinnen und Anleger zu stärken, indem im Gesetzent-
wurf zur Stärkung des Anlegerschutzes

– die Möglichkeiten zur Sammelklage (kollektiven Rechtsdurchsetzung)
im deutschen Recht erleichtert werden;

– die Beweislast bei der Durchsetzung von Schadenersatzforderungen auf-
grund von Falschberatungen so verlagert wird, dass zukünftig die Finanz-
dienstleister beweisen müssen, dass sie eine umfassende Beratung hin-
sichtlich Kosten, Risiken und Eigenschaften des Produktes erbracht haben;

– die wesentlichen Vorgaben für ein jederzeit und allgemein zugängliches
Produktinformationsblatt durch den Gesetzgeber vorzuschreiben, ins-
besondere zu Verlustrisiken, Kostenkennzahlen und sozialökologischen
Daten, in einer festen Reihenfolge und einem lesefreundlichen Aufbau;

– eine umfassende Regulierung des Grauen Kapitalmarktes, wie im Antrag
auf Bundestagsdrucksache 17/284 vorgeschlagen, vorgenommen und das
Wertpapierdienstleistungsrecht zu einem ganzheitlichen Kapitalanlage-
recht weiterentwickelt wird, damit künftig ein einheitliches Schutzniveau,
unabhängig vom Anlageprodukt oder Vertriebsweg, gewährleistet ist;

– die Finanzaufsicht zu modernisieren und auf Verbraucherschutzaufgaben
auszurichten und dabei

– die BaFin umzustrukturieren und den Verbraucherschutz als Kernaufgabe
der BaFin gesetzlich zu verankern;

– die BaFin finanziell und personell zu stärken, indem der Verwaltungsrat
verkleinert und mit mehr unabhängigen Expertinnen und Experten sowie
Verbraucherschützern besetzt wird;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3210

– darauf hinzuwirken, dass in jedem Bundesland ausreichend Spezialkam-
mern bei den Landgerichten angesiedelt sind, deren Richter mit der kom-
plexen Materie des Kapitalanlagerechts hinreichend vertraut sind und
dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet sind, die sich mit
Ermittlungen im Bereich Kapitalmarkt befassen;

– einen Finanzmarktwächter bei den Verbraucherzentralen einzuführen, der
die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber Finanz-
wirtschaft, Aufsichtsbehörden und Gesetzgeber wahrnimmt und dabei die
Finanzmärkte effektiv beobachtet, Fehlentwicklungen anzeigt und davor
warnt, ein kollektives Beschwerderecht gegenüber den Aufsichtbehörden
wahrnimmt und Instrumente zur Verbraucheraufklärung und -vertretung
entwickelt;

– einen neuen gesetzlichen Rahmen für die Beratung und Vermittlung von Fi-
nanzprodukten zu errichten und dabei

– dafür Sorge zu tragen, dass die neuen Regeln für Anlageberater und -ver-
mittler von Graumarktprodukten durch eine Bündelung der Kontrollfunk-
tion bei der Finanzaufsicht konsequent durchgesetzt werden;

– das derzeitige System der Anlageberatung durch strengere Pflichten für
Finanzberater hinsichtlich der Transparenz über Preis, Produkt und Ri-
siko zu verbessern. Dazu zählen eine ausreichende Qualifikation sowie
die Verpflichtung zu einer objektiven und neutralen Beratung;

– einen rechtlichen Rahmen für einen Finanzberater zu schaffen, der von
den Produktemittenten unabhängig und unbeeinflusst Beratungsleistun-
gen anbietet und damit ausschließlich im Kundeninteresse tätig ist;

– die Bedingungen für das derzeitige Provisionssystem im Produktvertrieb
neu zu regeln, um aus verbraucherpolitischer Sicht falsche Anreize durch
hohe Boni und hohe Abschlussprovisionen künftig zu vermeiden;

– einen finanziellen Vorsorgecheck (Beratung) für Verbraucherinnen und
Verbraucher auf den Weg zu bringen, mit dem sie ihre Anlagen von einer
unabhängigen Beratungseinrichtung wie z. B. den Verbraucherzentralen
prüfen lassen können;

– dafür zu sorgen, dass Banken die Warnhinweise bei riskanten Anlagen er-
höhen durch einfachere, verständlichere und zugleich rechtlich verbind-
liche Verkaufsprospekte, die das Risiko deutlich machen.

Berlin, den 5. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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