BT-Drucksache 17/3164

Sachstand "Löschen statt Sperren"

Vom 4. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3164
17. Wahlperiode 04. 10. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Herbert Behrens, Ulla Jelpke, Jan Korte, Kathrin
Senger-Schäfer, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Sachstand „Löschen statt Sperren“

Die Fraktionen der CDU, CSU und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag fest-
gehalten, die im Zugangserschwerungsgesetz vorgesehenen Internetsperren zu
kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen nicht anzuwenden
und stattdessen zunächst für ein Jahr den Grundsatz „Löschen statt Sperren“ zu
praktizieren. Es heißt dort:

„Wir sind uns darüber einig, dass es notwendig ist, derartige kriminelle Ange-
bote schnellstmöglich zu löschen statt diese zu sperren. Wir werden daher
zunächst für ein Jahr kinderpornographische Inhalte auf der Grundlage des
Zugangserschwerungsgesetzes nicht sperren. Stattdessen werden die Polizei-
behörden in enger Zusammenarbeit mit den Selbstregulierungskräften der Inter-
netwirtschaft wie der deutschen Internetbeschwerdestelle sowie dem Provider-
netzwerk INHOPE die Löschung kinderpornographischer Seiten betreiben.

Nach einem Jahr werden wir dies im Hinblick auf Erfolg und Wirksamkeit eva-
luieren und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse ergebnisoffen eine Neube-
wertung vornehmen. Vor Abschluss der Neubewertung werden weder nach dem
Zugangserschwerungsgesetz noch auf Grundlage der zwischen den Providern
und [dem Bundeskriminalamt] BKA abgeschlossenen Verträgen über Internet-
sperren Sperrlisten des BKA geführt oder Providern übermittelt.“

Die Vereinbarung im Koalitionsvertrag folgte der Maßgabe, dass es sinnvoller
ist, kinderpornographische Inhalte auch im Internet am Ursprungsort zu entfer-
nen, statt diese dort zu belassen und lediglich den Zugang mittels einer Sperr-
infrastruktur zu erschweren. Inzwischen jedoch werden immer öfter Stimmen
laut, die noch vor Abschluss der vereinbarten Evaluierung der Benachrich-
tigungs- und Löschmaßnahmen (Notice and Takedown) beides fordern und für
„Löschen und Sperren“ plädieren. Unter Verweis auf eine vermeintlich unzu-
reichende Wirksamkeit der Löschmaßnahmen haben in Interviews sowohl der
Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière (taz, 27. April 2010) als
auch der Präsident des BKA, Jörg Ziercke (WELT ONLINE, 1. September
2010), „Löschen und Sperren“ eingefordert. Umgekehrt hat die Bundesministe-
rin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, solche erneuten Sperrforde-
rungen kritisiert und auf Missstände in der Umsetzung von Löschmaßnahmen

auf Seiten des BKA hingewiesen (SPIEGEL ONLINE, 15. Juli 2010).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BKA sind im Referat „Aus-
wertung Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“ tätig
(Angaben bitte in Vollzeitäquivalenten)?

Drucksache 17/3164 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BKA sind in welchen Refe-
raten ausschließlich mit der Bekämpfung von kinderpornographischen
Inhalten im Internet befasst (Angaben bitte in Vollzeitäquivalenten)?

3. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ausschließlich innerhalb
des „neuen BKA-Arbeitsschwerpunktes Löschen statt Sperren“ – so die
Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (zitiert
nach SPIEGEL ONLINE, 15. Juli 2010) – tätig (Angaben bitte in Vollzeit-
äquivalenten)?

4. Welche empirischen Ergebnisse hat das BKA aus den Benachrichtigungs-
und Löschmaßnahmen seit Januar 2010 bis zum jetzigen Zeitpunkt gewon-
nen (bitte tabellarisch auflisten nach Monaten sowie Anzahl der Mitteilungen
ins Ausland, Hosting nach Herkunftsland in Prozent, Anzahl der Verfügbar-
keit nach einer Woche, Verfügbarkeit nach einer Woche nach Herkunftsland
in Prozent)?

5. Wie viele der nach einer Woche weiterhin verfügbaren Webseiten mit kin-
derpornographischen Inhalten sind nach jeweils zwei, drei und vier Wochen
nicht mehr verfügbar (bitte tabellarisch auflisten nach Monaten sowie An-
zahl der Verfügbarkeit nach zwei, drei und vier Wochen)?

6. Wie viele Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten wurden von
Januar 2010 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch das BKA selbsttätig, anlass-
unabhängig ermittelt?

7. Erfolgt die Überprüfung der Löschergebnisse nach Benachrichtigung
durchgehend werktäglich?

Wenn nein, warum nicht?

8. Erfolgt die Weiterleitung von Benachrichtigungen über den Interpol-Weg
automatisiert oder kommt es auf Interpol-Ebene zu Zeitverzögerungen aus
Erfassungs- und Bearbeitungsgründen?

Wenn Letzteres der Fall ist, wie groß sind diese Zeitdifferenzen durch-
schnittlich?

9. Wie erklärt die Bundesregierung die Diskrepanz, dass Webseiten mit kin-
derpornographischen Inhalten nach Erkenntnissen des BKA vom Juni 2009
bevorzugt auf Servern in Staaten mit geringer Kontrollintensität und feh-
lender Gesetzgebung gegen Kinderpornographie – so die Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP (Bundes-
tagsdrucksache 16/13347) – bereitgestellt wurden, nun aber (nach den vom
Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz
Dr. Max Stadler im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
sowie im Unterausschuss Neue Medien bekannt gegebenen ersten Auswer-
tungsergebnissen des BKA für Januar bis Juni 2010) die Hauptstandorte
von Servern mit entsprechenden Angeboten gerade nicht dort, sondern in
Staaten mit einschlägiger Gesetzgebung und Kontrollintensität wie in den
USA, der Russischen Föderation sowie in den EU-Mitgliedsländern
Niederlande, Großbritannien, Schweden und Zypern aufzufinden sind?

10. Worin bestehen die Schwierigkeiten in der Umsetzung von Benachrich-
tigungs- und Löschmaßnahmen durch das BKA in den USA konkret und im
Einzelnen?

11. Aus welchen Gründen erwiesen sich die zwischen dem BKA und den Straf-
verfolgungsbehörden in den USA im Deliktsbereich Kinderpornographie
bestehende enge Kooperation auf polizeilicher Ebene und das in Abstim-
mung mit den dortigen Strafverfolgungsbehörden eingeführte spezielle

Verfahren der Hinweisweitergabe, das auch von den US-amerikanischen
Strafverfolgungsbehörden selbst genutzt wird und im Juni 2009 keinen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3164

zusätzlichen Gesprächsbedarf mit der US-Administration erforderlich
machte – so die Bundesregierung in ihrer seinerzeitigen Antwort auf die o. g.
Kleine Anfrage der Fraktion der FDP (Bundestagsdrucksache 16/13347) –,
in der ersten Jahreshälfte 2010 als nicht effektiv?

12. Welche Möglichkeiten und Vereinbarungen zu einem verbesserten grenz-
übergreifenden Vorgehen gegen Kinderpornographie wurden in Gesprächen
des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière mit US-Regie-
rungsvertretern Ende April 2010 in den USA konkret erörtert bzw. getroffen?

13. Welche Möglichkeiten und Vereinbarungen zu einem verbesserten grenz-
übergreifenden Vorgehen gegen Kinderpornographie wurden in Gesprächen
von BKA-Präsident Jörg Ziercke mit dem FBI und Vertretern der zentralen
Internetbeschwerdestelle National Center for Missing & Exploited Children
(NCMEC) Anfang Mai 2010 in den USA konkret erörtert bzw. getroffen?

14. Worin bestehen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Benachrichti-
gungs- und Löschmaßnahmen durch das BKA in der Russischen Föderation
konkret und im Einzelnen?

15. Welche Maßnahmen zu einem verbesserten grenzübergreifenden Vorgehen
gegen Kinderpornographie mit der Russischen Föderation haben die Bun-
desregierung und das BKA ergriffen oder planen sie zu ergreifen?

16. Worin bestehen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Benachrich-
tigungs- und Löschmaßnahmen durch das BKA im EU-Mitgliedstaat Nie-
derlande konkret und im Einzelnen?

17. Welche Maßnahmen zu einem verbesserten grenzübergreifenden Vorgehen
gegen Kinderpornographie mit den Niederlanden haben die Bundesregie-
rung und das BKA ergriffen oder planen sie zu ergreifen?

18. Worin bestehen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Benachrich-
tigungs- und Löschmaßnahmen durch das BKA im EU-Mitgliedstaat Groß-
britannien konkret und im Einzelnen?

19. Welche Maßnahmen zu einem verbesserten grenzübergreifenden Vorgehen
gegen Kinderpornographie mit Großbritannien haben die Bundesregierung
und das BKA ergriffen oder planen sie zu ergreifen?

20. Worin bestehen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Benachrich-
tigungs- und Löschmaßnahmen durch das BKA im EU-Mitgliedstaat
Schweden konkret und im Einzelnen?

21. Welche Maßnahmen zu einem verbesserten grenzübergreifenden Vorgehen
gegen Kinderpornographie mit Schweden haben die Bundesregierung und
das BKA ergriffen oder planen sie zu ergreifen?

22. Worin bestehen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Benachrich-
tigungs- und Löschmaßnahmen durch das BKA im EU-Mitgliedstaat
Zypern konkret und im Einzelnen?

23. Welche Maßnahmen zu einem verbesserten grenzübergreifenden Vorgehen
gegen Kinderpornographie mit Zypern haben die Bundesregierung und das
BKA ergriffen oder planen sie zu ergreifen?

24. Worin bestehen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Benachrich-
tigungs- und Löschmaßnahmen durch das BKA in Kanada konkret und im
Einzelnen?

25. Welche Maßnahmen zu einem verbesserten grenzübergreifenden Vorgehen
gegen Kinderpornographie mit Kanada haben die Bundesregierung und das
BKA ergriffen oder planen sie zu ergreifen?

Drucksache 17/3164 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

26. Worin bestehen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Benachrich-
tigungs- und Löschmaßnahmen durch das BKA in der Ukraine konkret und
im Einzelnen?

27. Welche Maßnahmen zu einem verbesserten grenzübergreifenden Vorgehen
gegen Kinderpornographie mit der Ukraine haben die Bundesregierung und
das BKA ergriffen oder planen sie zu ergreifen?

28. Welche Gründe waren dafür maßgebend, dass der am 17. Februar 2010 im
Erlass des Bundesministeriums des Innern zur Umsetzung des Zugangs-
erschwerungsgesetzes vorgesehene zusätzliche Benachrichtigungsweg über
die von den Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft betriebenen In-
ternetbeschwerdestellen vom BKA erst seit Juni 2010 auch über INHOPE
beschritten wird?

29. Wie bewertet die Bundesregierung die Erfolgsmeldung des Verbands der
deutschen Internetwirtschaft eco vom 1. September 2010, nach der im ers-
ten Halbjahr 2010 von den auf in- und ausländischen Servern gehosteten
kinderpornographischen Inhalten über Benachrichtigungs- und Löschmaß-
nahmen der Internetbeschwerdestellen 98 Prozent innerhalb einer Woche
gelöscht werden konnten, vor dem Hintergrund der gegenläufigen Aussage
von BKA-Präsident Jörg Ziercke (WELT ONLINE, 1. September 2010),
dass es auch INHOPE nicht gelinge, durch eine direkte Kontaktaufnahme
mit den Providern eine höhere Löschquote als das BKA zu erreichen?

30. Hält die Bundesregierung die Zusammenarbeit zwischen dem BKA und den
von den Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft betriebenen Inter-
netbeschwerdestellen generell für ausreichend oder sieht sie weiteren
Harmonisierungsbedarf?

31. Bestehen nach Auffassung der Bundesregierung grundlegende Unter-
schiede in der Bekämpfung gehosteter kinderpornographischer Inhalte und
der Bekämpfung betrügerischer Phishing Websites im Falle von Banken,
denen es nach einer Studie der Universität Cambridge (Tyler Moore/
Richard Clayton, The Impact of Incentives on Notice and Take-down, 2008)
durchschnittlich binnen weniger Stunden gelingt, diese weltweit löschen zu
lassen?

32. Welche Technologien im Einzelnen sind gemeint, wenn BKA-Präsident
Jörg Ziercke davon spricht, es gebe die „Möglichkeit, den tatsächlichen
Speicherort [von gehosteten kinderpornographischen Inhalten] informa-
tionstechnisch abzuschotten“ (WELT ONLINE, 1. September 2010)?

33. Welche Erkenntnisse über das Ausmaß und die Verbreitung kinderporno-
graphischer Inhalte mittels informationstechnisch abgeschotteter Speicher-
orte besitzt die Bundesregierung?

34. Welche Erkenntnisse über das Ausmaß und die Verbreitung solcher Inhalte
via Fast Flux Hosting über Botnetze besitzt die Bundesregierung?

35. Welche Folgen für kompromittierte Clients hätte die Anwendung von auf
dem Domain Name System aufsetzenden Internetsperren (DNS-Sperren),
wie sie das Zugangserschwerungsgesetz vorsieht, im Falle von über Fast-
Flux-Netze gehosteten kinderpornographischen Inhalten?

36. Welche Maßnahmen betrachtet die Bundesregierung im Falle von über Fast-
Flux-Netze sowie von über weitere informationstechnisch abgeschottete
Speicherorte gehosteten kinderpornographischen Inhalten als praktikabel,
und wie begründet sie dies?

37. Welche Position vertritt die Bundesregierung in Bezug auf den im Vor-

schlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur
Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3164

Kindern sowie der Kinderpornografie (KOM(2010) 94 endg.) angelegten
Vorschlag einer europaweiten Einführung von Internetsperren?

38. Welche Position vertritt die Bundesregierung in Bezug auf den von der Mul-
tidisziplinären Gruppe „Organisierte Kriminalität“ (MDG) vorgelegten Ak-
tionsplan für die Umsetzung der konzertierten Strategie zur Bekämpfung
der Cyberkriminalität (Dok. 5957/1/10/REV 1 ENFOPOL 32 CRIMORG
22 Anlage) zur Entwicklung und Fortführung eines Filtersystems gegen
kinderpornographische Inhalte im Rahmen des CIRCAMP (Cospol Internet
Related Child Abuse Material Project)?

39. Inwieweit ist das BKA organisatorisch und personell in das von EUROPOL
und Interpol unterstützte CIRCAMP-Netzwerk zur Einführung des Filter-
systems Child Sexual Abuse Anti Distribution Filter (CSAADF) eingebun-
den, das analog zum Zugangserschwerungsgesetz ebenfalls Access-Sperren
mittels Stoppschildern vorsieht?

40. Zu welchem Ergebnis gelangte die Bundesregierung bei Prüfung der Frage,
ob die zwischen BKA und Providern abgeschlossenen Verträge gekündigt
werden (siehe Bundestagsdrucksache 17/313) bzw. wurden alle Verträge in-
zwischen gekündigt?

41. Wann genau endet die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einjahresfrist und
beginnt die Evaluierung in Hinblick auf Erfolg und Wirksamkeit des ver-
folgten Grundsatzes „Löschen statt Sperren“?

42. Durch wen wird die Evaluierung erfolgen oder ist geplant, die Evaluierung
in Form einer wissenschaftlich unabhängigen Studie auszuschreiben?

43. In welcher Ressortzuständigkeit werden die Evaluierung und die Erstellung
von Evaluierungskriterien erfolgen?

Berlin, den 4. Oktober 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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