BT-Drucksache 17/3061

Energie 2050 - Sicher erneuerbar

Vom 29. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3061
17. Wahlperiode 29. 09. 2010

Antrag
der Abgeordneten Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Ingrid Nestle,
Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dr. Hermann Ott,
Dorothea Steiner, Cornelia Behm, Britta Haßelmann, Bettina Herlitzius, Winfried
Hermann, Ulrike Höfken, Dr. Anton Hofreiter, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Energie 2050 – Sicher erneuerbar

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Energiepolitik steht vor einer epochalen Herausforderung – bei uns in
Deutschland aber auch europa- und weltweit. Die Probleme der Klimaände-
rung, des wachsenden Energiehungers, der zunehmenden Rohstoffknappheit
und der steigenden Energiepreise müssen gleichzeitig gelöst werden. Und zwar
so, dass kommenden Generationen die Zukunft eröffnet und nicht verbaut wird.

Die bisher erreichten Rückgänge beim Energieverbrauch und bei den Treib-
hausgasemissionen in Deutschland sind auf wirtschaftliche Effekte der deut-
schen Vereinigung, der Finanzkrise sowie auf die Klimaschutzmaßnahmen der
rot-grünen Bundesregierung – der Ökosteuer, des Erneuerbare-Energien-Geset-
zes (EEG), der Einführung des Emissionshandels – zwischen 1998 und 2005 zu-
rückzuführen.

Bereits die große Koalition der CDU, CSU und SPD ist an den Erfordernissen
einer zukunftsfähigen Energiepolitik gescheitert. Sie hat ein Programm aufge-
legt, das zwar Ziele benennt, aber keine adäquaten Maßnahmen durchsetzte.
Dringend notwendige Maßnahmen unterblieben, etwa zur Steigerung der Ener-
gieeffizienz, beim konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien vor allem im
Wärmebereich oder der Stopp des Neubaus von klimaschädlichen Kohlekraft-
werken. Auch beim Weg weg vom Öl oder dem Umbau der Mobilität wurden
keine neuen Fortschritte erzielt. Die von Schwarz-Rot getragene Bundesregie-
rung hat de facto eine Politik des energie- und klimapolitischen Rückschritts
eingeleitet.

Mit der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke will die Bundesregie-
rung nunmehr eine vollständige Umkehr in der Energiepolitik herbeiführen.

Milliardenprofite der Atomkonzerne sind ihr wichtiger als Sicherheit in der
Atompolitik, als Klimaschutz und als der Ausbau zukunftsfähiger Technolo-
gien. Durch die falsch ausgerichtete Politik der letzten Jahre hat Deutschland
bereits seine Vorreiterrolle im Klimaschutz verloren; dasselbe droht nun bei der
Technologieführerschaft im Bereich der erneuerbaren Energien.

Um dies zu verhindern, gilt es jetzt, eine Energie- und Klimapolitik durchzuset-
zen, die sich am für die Gesellschaft Notwendigen orientiert und nicht an den

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kurzsichtigen Interessen der Energiekonzerne. Energiesicherheit und Klima-
schutz gehören zusammen. Nimmt man die wachsende Konkurrenz um be-
grenzte Ressourcen ernst, will man den Anstieg der globalen Temperatur um
mehr als 2˚ verhindern, dann muss der Ausstoß von Klimagasen in Deutschland
um mindestens 40 Prozent bis 2020 und um 95 Prozent bis 2050 gesenkt wer-
den. Das große Ziel heißt also, innerhalb von nur 40 Jahren faktisch die ge-
samte Energieversorgung in Deutschland CO2-frei zu machen.

Das Ziel ist hoch ambitioniert. Aber es ist erreichbar, wenn wir heute Ernst
machten mit Energieeinsparung und Ausbau erneuerbarer Energien in allen
Sektoren. Dazu ist es zunächst notwendig, ambitionierte Sektorziele zu setzen.
So ließe sich im Stromsektor der Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 auf
deutlich über 40 Prozent steigern. Möglicherweise bereits 2030 könnte der
Strom nahezu vollständig aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden.

Im Verkehrsbereich ist eine Reduzierung des Einsatzes fossiler Kraftstoffe um
ein Viertel bis 2020 erreichbar. Möglichst bereits bis 2040 sollte der Umstieg
auf erneuerbare Energien hier angestrebt werden. Dies gilt ebenso für den Wär-
mebereich. Bis 2020 sollten ein Fünftel der heute noch eingesetzten Wärme-
energie eingespart und der Anteil von erneuerbarer Wärme auf 25 Prozent aus-
geweitet werden.

Bisher wurden Energieeinsparungen und Effizienzgewinne immer durch stei-
genden Energieverbrauch wettgemacht. Daher konnte der Anstieg des Energie-
verbrauchs lediglich gebremst werden. Zur Erreichung unserer Ziele müssen
wir aber unseren Stromverbrauch bis 2020 um 12 Prozent gegenüber 2010
reduzieren. Dies wird erhebliche Anstrengungen erfordern.

Die Erreichung dieser Ziele bei vollem Erhalt der Energiesicherheit ist die
Richtschnur einer zukunftsfähigen Energiepolitik. Dafür bedarf es eines umfas-
senden Maßnahmepakets – vom Atomausstieg, dem Stopp des Neubaus von
Kohlekraftwerken, dem Ausbau der Netze, der Förderung der Elektromobilität,
des Stromsparens und einer schnelleren energetischen Gebäude- bzw. Quar-
tierssanierung.

Nur mit mehr erneuerbaren Energien, mehr Energiesparen, mehr Energie-
effizienz wird Deutschland fit für die Anforderungen der kommenden Jahr-
zehnte. Nur mit einer solchen konsequent an Innovation und Verantwortung
orientierten Energiepolitik lösen wir die Probleme des Klimawandels, des
wachsenden Energiehungers, der zunehmenden Rohstoffknappheit und der
steigenden Energiepreise. Die Politik der Bundesregierung dagegen führt unser
Land in die Sackgasse.

Mit ihren Vorstellungen will sie einen hohen Anteil fossiler und atomarer Ener-
gie an der Stromerzeugung für die nächsten Jahre festschreiben und mit dem
Neubau von Kohlekraftwerken klimaschädliche Emissionen über Jahrzehnte
zementieren. Damit würden das Wachstumsniveau der erneuerbaren Energien
der letzten Jahren erheblich reduziert und der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopp-
lung verhindert, weil Atom- und Kohlestrom die Netze verstopfen und Absatz-
märkte blockieren. Aus dem Gutachten des Energiewirtschaftlichen Instituts an
der Universität zu Köln, der Prognos AG und der Gesellschaft für Wirtschaftli-
che Strukturforschung mbH, von der Bundesregierung in Auftrag gegeben und
für die angebliche Notwendigkeit der Laufzeitverlängerung als Begründungs-
vorlage benutzt, geht hervor, dass es einen drastischen Einbruch beim Zubau
der heutigen starken Säulen des Ökostromes geben soll. So sollen bis 2020 die
jährlichen Zubauraten gegenüber dem aktuellen Ausbau bei Windkraftanlagen
an Land um 65 Prozent, bei Fotovoltaik um 75 Prozent und bei Bioenergien gar
um 85 Prozent gesenkt werden. Die Anteile der Kraft-Wärme-Kopplung an der
Strom- und Wärmeversorgung sollen sogar erheblich sinken, statt steigen. Kon-

kurse und der Verlust zehntausender Arbeitsplätze in der Branche der erneuer-

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baren Energien und bei Stadtwerken wären die Folge, wenn sich die Bundes-
regierung mit diesen von den Gutachtern vorgelegten Zielen tatsächlich
durchsetzen würde.

Energiesicherheit für morgen gibt es aber nur, wenn heute das Zeitalter der
erneuerbaren Energien schnell eingeleitet wird und nicht wie von der Bundesre-
gierung ausgebremst werden soll. Wer heute erneuerbare Energien ausbremst,
damit große Konzerne mit Uran, Kohle und Öl weiter Monopolgewinne ma-
chen können, wird morgen von Energieimporten abhängig sein und technolo-
gisch abgehängt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein Energiekonzept zu erstellen und dem Deutschen Bundestag zur Beschluss-
fassung vorzulegen, mit dem die Klima- und Energieziele bis 2020 erreicht
werden und zugleich der Weg für die schnellstmögliche Abkehr von fossilen
und nuklearen Brennstoffen geebnet wird.

Im Strombereich

● soll der Atomausstieg forciert werden, z. B. durch die vorzeitige Abschal-
tung der acht ältesten und unsichersten Atomkraftwerke;

● soll eine Brennelementesteuer zur Begleichung der gesellschaftlichen Schul-
den der Atomwirtschaft eingeführt werden, die zu einer Nettojahresein-
nahme von 3,7 Mrd. Euro führt;

● sollen die Privilegien für die Atomwirtschaft abgeschafft werden, etwa
durch die Erhöhung der Deckungsvorsorge für Unfälle oder die Überfüh-
rung der Atomrückstellungen in einen öffentlichen Fonds;

● soll der Neubau von Kohlekraftwerken durch die Einführung eines Mindest-
wirkungsgrads für fossile Kraftwerke wirksam gestoppt werden;

● sollen ein Energieeffizienzgesetz mit verbindlicher Einsparquote für Ener-
gieversorger erarbeitet werden, eine unabhängige Effizienzagentur gegrün-
det sowie ein neuer Energiesparfonds in Höhe von 3 Mrd. Euro eingerichtet
werden, aus dem z. B. der Austausch ineffizienter Stromheizungen, die An-
schaffung besonders stromsparender Geräte und Maschinen sowie die Ener-
giesparberatung gefördert werden;

● sollen die erneuerbaren Energien ausgebaut werden durch Beibehaltung und
Weiterentwicklung des EEG und die Netz- und Systemintegration durch
Netzaus- und Netzumbau sowie Speicherlösungen verbessert werden;

● sollen die Stromnetze forciert aus- und weitergebaut werden und die Über-
tragungsnetze unter öffentliche Kontrolle gebracht werden, der Ausweitung
des Baus von Erdkabeln anstelle umstrittener Freileitungen Vorrang einge-
räumt werden, 500 Mio. Euro bis 2013 für den Um- und Ausbau der Netze
bereitgestellt werden, u. a. zur Förderung „intelligenter“ Netze sowie zum
Bau von Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ);

● sollen Ausnahmeregelungen bei der Ökosteuer und umweltschädliche Sub-
ventionen abgebaut sowie die europäische Emissionsobergrenze für CO2
(Cap) abgesenkt werden.

Im Wärmebereich

● sollen verbindliche Obergrenzen für den Energieverbrauch im Gebäudebe-
stand eingeführt sowie die Energieeinsparverordnung (EnEV) für Neubau-
ten und bei umfangreichen Sanierungen verschärft werden;

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● sollen das Gebäudesanierungsprogramm auf mindestens 2,2 Mrd. Euro jähr-
lich verstetigt sowie zusätzliche Mittel aus dem o. g. Energiesparfonds zur
energetischen Sanierung in Quartieren mit einem hohen Anteil einkom-
mensschwacher Haushalte bereitgestellt werden;

● soll ein Mietminderungsrecht bei Verstoß gegen Energiesparstandards ge-
schaffen und bei der Duldung sollen energetische Sanierungen gegenüber
anderen Maßnahmen privilegiert werden;

● sollen die Zulage für Strom aus effizienter Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)
angehoben, der Förderzeitraum verlängert sowie eine verpflichtende KWK-
Anwendung bei industrieller Wärme eingeführt werden;

● sollen die Nutzungspflicht für erneuerbare Wärme auf Bestandsgebäude
ausgeweitet und die Quote in Neubauten dynamisch angehoben werden.

Im Verkehrsbereich

● soll durch eine nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturplanung dazu bei-
getragen werden, dass Verkehre erst gar nicht entstehen und kurze Distanzen
zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigt werden können;

● soll die Verlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsmittel durch die Förde-
rung von ÖPNV, Fuß- und Radverkehr sowie nachhaltigen Logistikkonzep-
ten im gewerblichen Bereich und einen intelligenten Ausbau der Schienen-
wege, vor allem auch für den Güterverkehr, gefördert werden;

● sollen die Effizienz im Straßenverkehr gesteigert werden durch CO2-Grenz-
werte für Pkw von mindestens 80 g/km ab 2020 und 50 g/km ab 2030 und
die Einführung von CO2-Grenzwerten für alle Kraftfahrzeuge, durch die
Umsetzung einer CO2-basierten Kfz-Steuer und die Abschaffung des Dienst-
wagenprivilegs, durch die Ausweitung der Lkw-Maut und ein Tempolimit
von 120 km/h auf Autobahnen;

● soll eine umfassende Förderstrategie für Elektromobile mit erneuerbaren
Energien beschlossen werden, die zum Ziel hat, bis 2020 2 Millionen Elek-
trofahrzeuge auf den Straßen zu haben;

● soll eine verlässliche Zertifizierung nachhaltiger Biotreibstoffe durchgesetzt
werden, um Fehlentwicklungen zu vermeiden, beispielsweise verstärkte
Flächenkonkurrenzen, müssen bestehende Konflikte durch politisches Ge-
gensteuern und angepasste Förderinstrumente entschärft werden;

● sollen umweltschädliche Subventionen abgeschafft werden, CO2-Emissions-
rechte im Flugverkehr vollständig versteigert und die Energiesteuerbefreiung
im Luftverkehr (Kerosinsteuer) und im gewerblichen Schiffsverkehr abge-
schafft werden.

Berlin, den 28. September 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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