BT-Drucksache 17/3032

Internationale gemeinsame Übungen der Bundespolizei mit zivil-militärischen Verbänden und ihre Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Polizei

Vom 17. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3032
17. Wahlperiode 17. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Heike
Hänsel, Inge Höger, Ulla Jelpke, Harald Koch, Jan Korte, Niema Movassat,
Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Internationale gemeinsame Übungen der Bundespolizei mit zivil-militärischen
Verbänden und ihre Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Polizei

Das European Union Police Forces Training (EUPFT) 2010 wurde mit einer
zweiwöchigen Pause im Juni und Juli auf dem Truppenübungsplatz der
Bundeswehr in Lehnin abgehalten. An der ersten Staffel nahmen insgesamt
277 Angehörige von Polizei und Gendarmerie teil. Die europäischen Trainings
sollen EU-weite Standards für polizeiliche Großlagen entwickeln, Beobachter
kamen nach Auskunft der Bundespolizei (BPOL) aber auch aus Jordanien,
China und Indien.

Die am EUPFT beteiligten Mitgliedstaaten der European Gendarmerie Force
(EUROGENDFOR oder EGF) waren mit mehr Gendarmerieangehörigen als
gewöhnlichen Polizeikräften präsent. Die letzten beiden EUPFT standen unter
der Leitung der „Head of Mission“ Christophe Brochier (FR) und Maurizio
Piccolotti (IT), beide ranghohe Gendarmen.

Bei polizeilichen Auslandsmissionen der EU, etwa anlässlich von UN-Ein-
sätzen, werden zwei Einsatzformen unterschieden. Formed Police Units (FPU)
agieren als geschlossene, bewaffnete Polizeihundertschaften. Demgegenüber
übernehmen Integrated Police Units (IPU) das gesamte Spektrum polizeilicher
Aufgaben und können zusammen mit dem Militär operieren.

Auf Initiative Frankreichs und Italiens entstand mit der Europäischen Gendar-
merie Force eine Polizeistruktur, in der sich europäische IPU-Kontingente ohne
Kontrolle des EU-Parlaments organisieren.

Kritiker und Kritikerinnen sehen in der Beteiligung der BPOL an IPU-Ein-
sätzen im Rahmen von EU-Missionen die Gefahr, dass diese „(para-)militärisch
geschult“ wird und fürchten eine „Remilitarisierung ,durch die Hintertür‘“.
Zudem sehen Szenarien internationaler Übungen auch eine gemeinsame Ver-
wendung bei „polizeilichen Großlagen“ wie etwa Sportereignissen oder Gipfel-
protesten vor.

Obwohl beim EUPFT angeblich nur Szenarien nach Bürgerkriegen exerziert

werden, stand in Lehnin nach Auskunft des EUPFT-Leiters Friedrich Eichele ge-
genüber dem Abgeordneten Andrej Hunko eine internationale Sportveranstal-
tung auf dem Trainingsplan. Es wird erwogen, auch das nächste EUPFT in
Deutschland auszurichten. Laut Friedrich Eichele sei das EUPFT 2009 in
Vicenza von der EGF-Polizeiakademie Center of Excellence for Stability Police
Units (CoESPU) geleitet worden. Später berichtigte er, es habe sich eher um
organisatorische Arbeit gehandelt.

Drucksache 17/3032 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) hatte im März 2010 eine Studie
„Gendarmerieeinheiten in internationalen Stabilisierungsmissionen – Eine
Option für Deutschland“ vorgelegt. Darin rät die SWP, Truppen der BPOL
oder der GSG 9 unter militärisches Kommando zu stellen. Als Option könne
auch die „Militärpolizei der Bundeswehr funktional erweitert“ werden. Laut
einer Studie der Informationsstelle Militarisierung (www.imi-online.de), die
unter anderem einen gemeinsamen Bericht von acht US- und EU-Think-Tanks
(„Shoulder to Shoulder“) analysiert, spielt der Einsatz von Gendarmerien eine
große Rolle zur Aufrechterhaltung westlicher Dominanz. Da nur die EU über
ein Instrument wie die EGF verfüge, könnte sie zum Werkzeug werden, um in
der NATO deutlich an Einfluss zu gewinnen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Stelle bzw. welches Gremium der EU-Kommission war für die
Bestimmung der austragenden Polizei bzw. des Austragungsortes des
EUPFT verantwortlich?

2. Wenn, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage auf
Bundestagsdrucksache 17/2263 erklärt, die BPOL als dritter Ausrichter auf-
grund ihrer „zivilpolizeilichen Kompetenzen“ ausgewählt wurde, wurden
dann die Austragungsorte früherer EUPFT aufgrund der militärpolizeilichen
Kompetenz Frankreichs und Italiens bestimmt?

3. Welche nichtmilitärischen Einsatzkräfte (Deutsches Rotes Kreuz e. V., Bun-
desanstalt Technisches Hilfswerk) sowie polizeiliche Spezialkräfte waren in
den letzten fünf Jahren auf dem Truppenübungsplatz Lehnin an Übungen
beteiligt (bitte jeweils mit Datum, Dauer und beteiligten Organisationen auf-
listen)?

4. Welchen Nutzen verspricht sich die Bundesregierung von der ausgeprägten
Beteiligung von Gendarmeriekräften am EUPFT?

a) Wie bewertet die Bundesregierung, dass an EUPFT mehr Gendarmerie-
als Polizeikräfte teilnahmen, und welchen Einfluss nahm die BPOL auf
diese Zusammensetzung?

b) Kann nach Ansicht der Bundesregierung angenommen werden, dass die
EGF-Mitgliedstaaten durch die starke Präsenz ihrer Gendarmerien beim
EUPFT das Training als Ergänzung bzw. Vorbereitung zukünftiger ge-
meinsamer Missionen von IPU- und FPU-Kräften (bzw. EGF-Einsätze
zusammen mit zivilpolizeilichen Missionen) betrachten?

c) Wurde aus Sicht der Bundesregierung oder der BPOL in Lehnin die Ver-
wendung deutscher Polizeien innerhalb von EGF- oder IPU-Verbänden
der Europäischen Union geübt?

5. Welchen Nutzen verspricht sich die Bundesregierung davon, dass die beiden
maßgeblichen Gründerstaaten der EGF beim EUPFT, die auch die ersten
beiden Trainings 2008 und 2009 ausrichteten, mit dem „Head of Mission“
2010 tonangebend für das diesjährige EUPFT waren?

a) Wie kam die Entscheidung zustande, Maurizio Piccolotti als „Head of
Mission“ einzusetzen?

b) Welchen Nutzen verspricht sich die Bundesregierung durch die Ver-
wendung Mauricio Piccolottis als hohen Verantwortlichen eines EUPFT?

c) War der Bundesregierung bekannt, dass Mauricio Piccolotti (beispiels-
weise laut BBC, siehe http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/4337486.stm)
detailreiche Kenntnis davon hatte, dass die in der „Diaz-Schule“ beim G8
in Genua 2001 vorgeblich bei der polizeilichen Razzia gefundenen Molo-
tow-Cocktails bereits vorher am selben Tag an anderem Ort gefunden

worden waren und dass Mauricio Piccolotti deswegen mehrmals vor
Gericht zitiert wurde?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3032

6. Teilt die Bundesregierung die Sorge, dass die BPOL durch gemeinsame
Trainings im Aus- und Inland mit IPU-Kräften militarisiert werden könnte?

7. Welche Einheiten welcher BPOL-Standorte haben bereits an Trainings teil-
genommen, an denen IPU-Kräfte anderer Länder ebenso beteiligt waren
(bitte nach Land, Ort und Art der Übung aufschlüsseln)?

8. Stand das EUPFT 2010 in einem Zusammenhang mit anderen Übungen
von EU-Mitgliedstaaten bzw. der Bundesrepublik Deutschland oder mit
der nahezu gleichzeitig stattfindenden EU-Militärübung MILEX in Toulon
und Potsdam?

9. Wird die Aussage der Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine
Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/2263, es gebe keine institutionelle
Zusammenarbeit der BPOL mit der EGF bzw. dem CoESPU angesichts des
anderslautenden Kommentars von Friedrich Eichele gegenüber dem Ab-
geordneten Andrej Hunko (siehe hierzu Dokumentation auf www.andrej-
hunko.de) zum EUPFT 2009 aufrechterhalten?

a) Von welcher Art der Kooperation der drei EUPFT mit dem CoESPU hat
die Bundesregierung bis heute Kenntnis erlangt?

b) Welche bisherige Zusammenarbeit hat mit dem CoESPU und deutschen
Polizeistellen stattgefunden (bitte nach Art der Zusammenarbeit, Datum
und ggf. Ort aufschlüsseln)?

c) Welche weiteren Vorhaben und Planungen bestehen seitens der Bundes-
regierung zur Zusammenarbeit mit dem CoESPU?

10. Wird die Aussage, die Lage des EUPFT 2010 sehe keine „bürgerkriegs-
ähnlichen Zustände“ vor, angesichts der Missionslagen (Angriffe auf
Flüchtlingstreck, Angriffe auf EU-Polizeikräfte) und der Bezeichnung des
fiktiven Mandats des EUPFT 2010 durch Friedrich Eichele gegenüber dem
Abgeordneten Andrej Hunko als „relativ robust“ aufrechterhalten?

11. Gehören Präzisionswaffen und Scharfschützen, deren Anwesenheit in einer
Reportage der Tageszeitung „Junge Welt“ dokumentiert ist (www.junge-
welt.de), zur Standardausstattung der BPOL?

a) Um welche Einheiten französischer Polizeien oder Gendarmerien
handelte es sich bei jenen Kräften, die ebenfalls Scharfschützen mit-
führten?

b) Welche Kräfte anderer Länder haben Scharfschützen für das EUPFT
bereitgestellt?

c) Welchem Zweck dient ihr Einsatz im EUPFT?

12. Wofür wurde geübt, wenn Friedrich Eichele gegenüber dem Abgeordneten
Andrej Hunko über eine Missionslage anläßlich einer internationalen Sport-
veranstaltung berichtet?

13. Wann und wo hat es ähnliche Trainings sowohl in Deutschland als auch in
der EU gegeben, die zukünftige Einsätze deutscher Polizeien für Mayor
Events vorsehen?

14. Stand die Übung 2007 in Alt-Spenrath wie von „RP-Online“ (www.rp-
online.de) behauptet im Zusammenhang mit dem damaligen G8-Gipfel?

a) Welche Polizeien aus dem In- und Ausland haben an der Übung in Alt-
Spenrath mit welchen Kräften und Gerät teilgenommen?

b) Wer hat die Übung in Alt-Spenrath veranlasst?

c) Wie lange dauerte die Übung?

d) Welche Kosten sind hierfür entstanden?
e) Welches Ziel wurde mit der Übung verfolgt?

Drucksache 17/3032 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
15. Warum nahm die Ukraine als einziges nicht EU-Mitglied am EUPFT 2010
teil?

a) Spielen Erwägungen eine Rolle, dass Polen und die Ukraine die Fußball-
europameisterschaft 2012 ausrichten?

b) Kann das EUPFT nach Auffassung der Bundesregierung auch als Vor-
bereitung für einen internationalen Polizeieinsatz bei der Fußball-
europameisterschaft 2012 dienen?

16. Welche Überlegungen stellt die Bundesregierung zum von der SWP an-
geregten zukünftigen Einsatz von Truppen der BPOL oder der GSG 9 unter
militärischem Kommando an?

17. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag der SWP, als weitere
Option künftiger deutscher polizeilicher Auslandseinsätze die Militär-
polizei der Bundeswehr funktional zu erweitern?

18. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, das verfassungsrechtliche
Trennungsgebot treffe nicht für Einheiten zu, die allein für die Auslands-
verwendung vorgesehen seien (bitte mit Begründung)?

19. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Aussagen des Berichts „Shoulder
to Shoulder“ zur EGF?

20. Wie kam es zur angeblich versehentlichen Sprengung eines Funkgeräts
der BPOL (wie die Märkische Allgemeine am 24. Juli 2010 berichtet), und
welcher Schaden ist hierbei entstanden?

21. Um Angehörige welcher Organisationen und Einheiten hat es sich bei den
Beobachtern bzw. Beobachterinnen aus Jordanien, China und Indien ge-
handelt?

a) Was war der Zweck ihres Besuchs?

b) Von welchen anderen Beobachtern und Beobachterinnen welcher Stellen
hat die Bundesregierung Kenntnis, und wofür diente ihre Teilnahme?

22. An welcher Stelle wurde bzw. wird das EUPFT innerhalb der EU aus-
gewertet?

a) Welche deutschen Stellen sind hieran beteiligt?

b) Welche Stellen in Deutschland evaluieren das EUPFT?

c) Welche Planungen sind der Bundesregierung zur Ausrichtung des
EUPFT 2011 bekannt?

23. Um welche Veranstaltung handelt es sich bei der „multinationalen Polizei-
übung“ vom 25. bis 29. Oktober 2010 in Warnemünde?

a) Welche Polizeieinheiten welcher Länder sind an der Übung beteiligt?

b) Welche anderen Kräfte nehmen an der Übung (auch im Planungs-
stadium) teil?

c) Wie ist die Bundeswehr beteiligt bzw. erbringt Unterstützungsleistun-
gen?

Berlin, den 15. September 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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