BT-Drucksache 17/2797

Aussteigerprogramme des Bundesamts für Verfassungsschutz

Vom 23. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2797
17. Wahlperiode 23. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jens Petermann und der Fraktion DIE LINKE.

Aussteigerprogramme des Bundesamts für Verfassungsschutz

Im Rahmen des so genannten Aufstandes der Anständigen wurden auf Bundes-
und Landesebene sowohl von staatlichen als auch von privaten Trägern Ausstei-
gerprogramme für Rechtsextremisten eingerichtet. Zu nennen ist hier insbeson-
dere die aus Bundesmitteln geförderte, seit dem Jahr 2000 bestehende Initiative
EXIT-Deutschland. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) unterhält
seit dem Jahr 2001 ein Kontakttelefon für ausstiegswillige Neonazis. Angeboten
werden vom Aussteigerprogramm des BfV neben Gesprächen für die Betroffe-
nen ebenso wie deren Familienangehörige auch weitergehende Unterstützungs-
maßnahmen wie die persönliche Begleitung und Betreuung des Ausstieges, die
Beihilfe zur Vermittlung schulischer und beruflicher Qualifizierungsmaßnah-
men, Hilfe bei Behördenkontakten, Gespräche mit Arbeitgebern und Bewäh-
rungshelfern, die Vermittlung externer Hilfsangebote etwa bei Alkohol- und
Drogenproblemen oder Überschuldung. Zur Unterstützung von Nazi-Ausstei-
gern bei Bedrohung durch Angehörige der rechtsextremen Szene bietet das BfV
Hilfe bei der Wohnungssuche und dem Umzug an und leistet in Einzelfällen
finanzielle Hilfe für Umzugsmaßnahmen. EXIT-Deutschland organisiert Bür-
gerschutz und Bürgerermittlungen im Falle von Sicherheitsproblemen für die
Aussteiger durch Angriffe und Verfolgung aus der rechtsextremen Szene.

Laut einem dem Nachrichtenmagazin „FOCUS“ vorliegenden Strategiepapier
des Bundesministeriums des Innern sind analog zum Aussteigerprogramm für
Rechtsextreme entsprechende Programme für Aktivisten aus der linken Szene
sowie Islamisten geplant. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde dem-
nach beauftragt, das seit 2001 laufende Hilfsprogramm für ausstiegsgewillte Ne-
onazis „auf die Phänomenbereiche Linksextremismus und Islamismus zu über-
tragen“. Auch Telefonhotlines sind geplant. Das Aussteigerprogramm für
Islamisten trägt den Titel „Hatif“ (arabisch: Telefon) als Abkürzung für „Heraus
aus Terrorismus und islamischem Fanatismus) und ist im Juli 2010 angelaufen.
Die Hotline für Linksradikale wird laut „FOCUS“ im Herbst 2010 freigeschaltet
(www.focus.de).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele (ehemalige) Rechtsextremisten nutzten bislang das vom Bundes-

amt für Verfassungsschutz im Jahr 2001 eingerichtete Aussteigerprogramms?

a) Wie viele Anrufe und unterschiedliche Anrufer verzeichnete die Ausstei-
gerhotline insgesamt (bitte nach Jahren aufgliedern)?

b) Nach wie vielen ersten Kontaktgesprächen kam es zu einem zweiten aus-
führlicheren Telefonat mit einem BfV-Mitarbeiter?

c) Wie viele Anrufer wurden als potenziell ausstiegswillig angesehen?

Drucksache 17/2797 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

d) Bei wie vielen Anrufern handelt es sich um ratsuchende Verwandte oder
Bekannte eines Rechtsextremisten?

e) In wie vielen Fällen erfolgte nach den ersten beiden Telefonaten eine
weitergehende Unterstützung (bitte aufschlüssen nach Art der Unter-
stützung)?

f) In wie vielen Fällen gelang ein Ausstieg aus der rechtsextremen Szene?

g) In wie vielen Fällen misslang ein solcher Ausstieg trotz der Kontaktauf-
nahme mit dem Aussteigerprogramm?

h) In wie vielen Fällen kam es zu einem Rückfall durch eine erneute Aktivität
eines ausgestiegenen oder aussteigewilligen Rechtsextremisten innerhalb
der rechtsextremen Szene?

i) In wie vielen Fällen befanden sich Aussteigewillige zum Zeitpunkt ihrer
ersten Kontaktaufnahme zum Aussteigerprogramm im Gefängnis?

j) Nutzt das BfV die Ausstiegsbereitschaft von Rechtsextremen zur Gewin-
nung von V-Leuten?

2. Wie viele (ehemalige) Rechtsextremisten nutzten bislang das aus Bundes-
mitteln geförderte, seit dem Jahr 2000 bestehende Aussteigerprogramm von
EXIT-Deutschland?

a) Wie viele Anrufe und unterschiedliche Anrufer verzeichnete die Ausstei-
gerhotline insgesamt (bitte nach Jahren aufgliedern)?

b) Nach wie vielen ersten Kontaktgesprächen kam es zu einem zweiten aus-
führlicheren Gespräch oder E-Mail-Kontakt?

c) Wie viele Anrufer wurden als potenziell ausstiegswillig angesehen?

d) Bei wie vielen Anrufern handelt es sich um ratsuchende Verwandte oder
Bekannte eines Rechtsextremisten?

e) In wie vielen Fällen erfolgte nach der ersten Kontaktaufnahme eine weiter-
gehende Unterstützung (bitte aufschlüssen nach Art der Unterstützung)?

f) In wie vielen Fällen gelang ein Ausstieg aus der rechtsextremen Szene?

g) In wie vielen Fällen misslang ein solcher Ausstieg trotz der Kontaktauf-
nahme mit dem Aussteigerprogramm?

h) In wie vielen Fällen kam es zu einem Rückfall durch eine erneute Aktivität
eines ausgestiegenen oder aussteigewilligen Rechtsextremisten innerhalb
der rechtsextremen Szene?

i) In wie vielen Fällen befanden sich Aussteigewillige zum Zeitpunkt ihrer
ersten Kontaktaufnahme zum Aussteigerprogramm im Gefängnis?

3. Gibt es eine Evaluation der bisherigen Arbeiten des Aussteigerprogramms
des BfV?

a) Wenn ja, wann, und durch wen wurde diese Evaluierung vorgenommen?

b) Wenn ja, zu welchem Ergebnis kommt diese Auswertung?

c) Wenn nein, inwieweit ist eine solche Auswertung geplant?

4. Gibt es eine Evaluation der bisherigen Arbeiten des Aussteigerprogramms
von EXIT-Deutschland?

a) Wenn ja, wann, und durch wen wurde diese Evaluierung vorgenommen?

b) Wenn ja, zu welchem Ergebnis kommt diese Auswertung?
c) Wenn nein, inwieweit ist eine solche Auswertung geplant?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2797

5. Welche sonstigen Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten außer
EXIT-Deutschland und dem Programm des BfV sind der Bundesregierung
noch bekannt (bitte nach staatlichem und privatem Träger aufschlüsseln)?

6. Inwieweit trifft die Meldung des „FOCUS“ zu, dass die Bundesregierung
analog zum Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten ein entsprechendes
Programm für die „Phänomenbereiche Linksextremismus und Islamismus“
plant?

a) Welche Behörden sind federführend für die Konzeption und Umsetzung
solcher Programme?

b) Welche finanziellen Mittel sind für diese Aussteigerprogramme vorge-
sehen, und aus welchen Haushaltstiteln sollen diese kommen?

c) Durch wie viele Personen mit welchen Qualifikationen sollen diese
Aussteigerprogramme betreut werden?

d) Wann genau sollen diese Aussteigerprogramme beginnen, und für
welchen Zeitraum sind sie projiziert?

e) Sind weitere Aussteigerprogramme außerhalb des BfV mit anderen
staatlichen oder privaten, aber aus öffentlichen Mitteln finanzierten Trä-
gern geplant, und wenn ja, welche?

7. Inwieweit hält die Bundesregierung die Erfahrungen mit Aussteigerpro-
grammen für Rechtsextreme für die Phänomenbereiche Linksextremismus
und Islamismus für übertragbar, und wo sieht sie die wesentlichen Unter-
schiede?

8. Welche wesentlichen sozialen und ideologischen Schwierigkeiten sieht die
Bundesregierung für Aussteiger aus den Phänomenbereichen Islamismus
und Linksextremismus?

9. Welchen Anlass hat die Bundesregierung für die Einschätzung, es gebe
linke Aktivisten, die sich aus der linken Szene lösen wollen, dafür aber Un-
terstützung benötigen?

10. Inwieweit sieht die Bundesregierung – analog zum Aussteigerprogramm
für Rechtsextremisten – eine besondere Notwendigkeit zum Schutz aus-
stiegswilliger „Linksextremisten“ vor Angriffen und Verfolgung aus der
linksextremistischen Szene?

a) Welche und wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen
ausstiegswillige Linksaktivisten Gewalt oder Gewaltandrohungen durch
ihre ehemaligen Genossen ausgesetzt waren?

b) Welche Maßnahmen (neue Identität für Aussteiger, Bürgerschutz etc.)
hält die Bundesregierung für angemessen zum Schutz von ausstiegswil-
ligen Linksextremisten?

11. Inwieweit sieht die Bundesregierung – analog zum Aussteigerprogramm
für Rechtsextremisten – die Notwendigkeit, dass ein Aussteigerprogramm
für Linksextremisten bei Problemen mit der Polizei berät, vermittelt und un-
terstützt?

12. Inwieweit ist es geplant bzw. wird es von der Bundesregierung für sinnvoll
erachtet, dass sich ehemalige Linksextremisten im Rahmen solcher Aus-
steigerprojekte engagieren, publizieren, Vorträge in Schulen und der
Öffentlichkeit halten, um eine weitere Verbreitung linksextremer Ideologie
zu verhindern?

13. Inwieweit sieht die Bundesregierung – analog zum Aussteigerprogramm für

Rechtsextremisten – eine besondere Notwendigkeit zum Schutz Ausstiegs-
williger des Phänomenbereichs Islamismus vor Angriffen und Verfolgung?

Drucksache 17/2797 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
a) Welche und wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen
Ausstiegswillige des Phänomenbereichs Islamismus Gewalt oder Ge-
waltandrohungen ausgesetzt waren?

b) Welche Maßnahmen (neue Identität für Aussteiger, Bürgerschutz etc.)
hält die Bundesregierung für angemessen zum Schutz von Ausstiegswil-
ligen im Phänomenbereich Islamismus?

14. Inwieweit sieht die Bundesregierung – analog zum Aussteigerprogramm
für Rechtsextremisten – die Notwendigkeit, dass ein Aussteigerprogramm
im Phänomenbereich Islamismus bei Problemen mit der Polizei berät, ver-
mittelt und unterstützt?

15. Inwieweit ist es geplant bzw. wird es von der Bundesregierung für sinnvoll
erachtet, dass sich ehemalige Aktivisten aus dem Phänomenbereich
Islamismus im Rahmen solcher Aussteigerprojekte engagieren, publizieren,
Vorträge in Schulen und der Öffentlichkeit halten, um eine weitere Ver-
breitung von Ideologie aus dem Phänomenbereich des Islamismus zu ver-
hindern?

Berlin, den 18. August 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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