BT-Drucksache 17/2744

Leiharbeit in Krankenhäusern (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 17/1321)

Vom 12. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2744
17. Wahlperiode 12. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze,
Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Ulla Lötzer, Cornelia Möhring,
Ingrid Remmers, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Leiharbeit in Krankenhäusern (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 17/1321)

Bereits seit dem Jahr 2007 befragt die Fraktion DIE LINKE. die Bundesregie-
rung zur Leiharbeit am Universitätsklinikum Essen (siehe u. a. Bundestags-
drucksachen 16/6221 und 17/1321 sowie letztmalig Plenarprotokoll 17/48 vom
16. Juni 2010). Sie tut dies, da das Universitätsklinikum Essen ein Prototyp hin-
sichtlich der systematischen Umwandlung regulärer Beschäftigungsverhältnisse
in Leiharbeit mit dem Ziel der Personalkosteneinsparung darstellt, die sich seit
Längerem gerade auch im Klinikbereich Bahn bricht. Folgt man der Definition
der Bundesregierung, so liegt missbräuchlicher Einsatz von Leiharbeit dort vor,
„wo Zeitarbeit dazu genutzt wird, systematisch Stammbeschäftigte durch Zeit-
arbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer zu ersetzen (…)“ (Bundestagsdruck-
sache 17/1321). Dieser Sachverhalt ist am Universitätsklinikum Essen gegeben.

Am Universitätsklinikum (UK) Essen wurde im Jahre 2005 die UK Essen Perso-
nalservicegesellschaft (PSG) als 100-prozentige Tochtergesellschaft des Univer-
sitätsklinikums Essen gegründet. In die PSG, eine hausinterne Leiharbeitsfirma,
werden Angehörige aller Berufsgruppen im nichtärztlichen Bereich eingestellt,
die auch im Universitätsklinikum selbst arbeiten: Schreinerinnen und Schreiner,
Laborassistenten und Laborassistentinnen, Schreibkräfte, EDV-Beschäftigte,
Verwaltungsangestellte, Transportarbeitskräfte etc. Die PSG verleiht diese Be-
schäftigten an das Mutterunternehmen, das Universitätsklinikum Essen. Der Ge-
schäftsführer der PSG ist gleichzeitig der Personalchef des Universitätsklini-
kums. Während die Leitung des Klinikums die PSG als „Mittel zur Sicherung
von Beschäftigung und Qualität“ bezeichnet (Der Westen vom 21. August 2009),
ist die PSG aus Sicht des Personalrates ein Instrument zur Tarifflucht und Spal-
tung der Belegschaft (vgl. Rechenschaftsbericht 2009 des Personalrats).

Derzeit sind rund 300 Beschäftigte bei der PSG angestellt, die nach dem Tarif-
vertrag des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. (iGZ)
und des Deutschen Gewerkschaftsbundes entlohnt werden. Damit sind rund
10 Prozent der ehemaligen Stammbelegschaft des Universitätsklinikums durch
Leiharbeitskräfte ersetzt worden. Die Leiharbeitskräfte erhalten bis zu 30 Pro-
zent weniger Lohn als die Festangestellten für die gleiche Arbeit. In absoluten
Zahlen sind das netto zwischen 300 bis 450 Euro pro Monat weniger. Zudem
haben die Leiharbeitskräfte sechs Tage weniger Urlaub, erhalten keine betrieb-
liche Altersversorgung und keine Jahressonderzahlung. Es ist zu befürchten,
dass sich die daraus resultierende Unzufriedenheit der Leiharbeitskräfte auch
auf die Qualität der Pflege auswirkt. Neueinstellungen erfolgen gemäß Vor-
standsbeschluss grundsätzlich nur noch über die PSG (außer in den Bereichen
Pflegedienst, Ärzte und Ärztinnen, Reinigungsdienst und Küche) und wer zuvor

Drucksache 17/2744 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

einen befristeten Vertrag mit dem Universitätsklinikum hatte, erhält nach dessen
Auslaufen nur noch ein Angebot der Leiharbeitsfirma – zu den beschriebenen
deutlich schlechteren Bedingungen. Die Leiharbeitskräfte arbeiten auf Stamm-
arbeitsplätzen. Der Personalrat befürchtet, dass am Klinikum der Druck auf das
Lohnniveau steigt, wenn immer mehr Beschäftigte bei der PSG eingestellt wer-
den (Westdeutsche Allgemeine Zeitung – WAZ vom 21. August 2009 und vom
14. Januar 2010, Lokalzeit Ruhr vom 3. März 2010, Rechenschaftsbericht 2009
des Personalrats). Wie die Personalratsvorsitzende des Universitätsklinikums
Essen auf einem Hearing der Faktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag am
22. Juni 2010 berichtete, hat sich am Universitätsklinikum Essen ein Zwei-
Klassen-System von Beschäftigten etabliert.

Die Bundesregierung hat auf Nachfragen bisher stets geantwortet, dass sie über
keine konkreten Informationen zum Einsatz von Leiharbeit am Universitäts-
klinikum Essen verfügt. Es verfestigt sich daher der Eindruck, dass die Bundes-
regierung kein Interesse daran hat, konkreten Problemen beim Einsatz von
Leiharbeit nachzugehen. In der Fragestunde am 16. Juni 2010 (Plenarprotokoll
17/48) bot der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für
Arbeit und Soziales, Hans-Joachim Fuchtel erstmals an, die konkrete Situation
„etwas stärker prüfen zu lassen“. Man täte gut daran, entsprechenden Hinweisen
nachzugehen, zumal, wenn sie aus dem Parlament kommen.

Die Fraktion DIE LINKE. gibt daher der Bundesregierung erneut die Möglich-
keit, den „unsachgerechten Einsatz“ der Leiharbeit am Universitätsklinikum
Essen zu überprüfen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung den Einsatz von Leiharbeit am Universitätsklini-
kum Essen konkret überprüfen lassen, und kommt sie damit der Zusage des
Parlamentarischen Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel nach?

2. Liegt am Universitätsklinikum Essen ein „unsachgerechter Einsatz“ von
Leiharbeit vor, der nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht, da der Ein-
satz von Leiharbeit dazu genutzt wird, systematisch Stammbelegschaften zu
ersetzen, was bis dato bereits in einem Umfang von rund 10 Prozent gesche-
hen ist?

3. Ist der Einsatz der Leiharbeit am Universitätsklinikum nach der Rechtsauf-
fassung der Bundesregierung rechtswidrig, und wenn nicht, wie kann etwas
rechtens sein, was nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht, dies ange-
sichts der Tatsache, dass dort systematisch Stammbelegschaft durch Leih-
arbeit ersetzt wird?

4. Welchen gesetzgeberischen Handlungsbedarf leitet die Bundesregierung aus
der Prüfung des Einsatzes von Leiharbeit am Universitätsklinikum Essen ab?

Wenn sie hieraus keinen Handlungsbedarf ableitet, ist davon auszugehen,
dass die Bundesregierung den Einsatz in Übereinstimmung mit ihrer Inten-
tion hinsichtlich des Einsatzes von Leiharbeit sieht?

5. Auf welchen Arbeitsplätzen wurden wann und für welchen Zeitraum Stamm-
beschäftigte durch Leiharbeitskräfte ersetzt?

6. Wie hoch ist das Entlohnungsgefälle zwischen den ehemaligen Stammbe-
schäftigten und den heutigen Leiharbeitskräften für die gleichen dauerhaften
Tätigkeiten?

7. Welche Sonderzahlungen stehen Stammbeschäftigten zu (Weihnachtsgeld,
Urlaubsanspruch etc.), auf die Leiharbeitskräfte am Universitätsklinikum
keinen Anspruch haben, obwohl sie dauerhaft eingesetzt werden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2744

8. In welcher Höhe und in wie vielen Fällen wird die Entlohnung der Leih-
arbeitskräfte am Universitätsklinikum mit Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch aufgestockt?

9. Was wird der Gesetzgeber im Falle des Universitätsklinikums Essen unter-
nehmen, damit der Wille des Gesetzgebers umgesetzt wird, der da lautet,
Leiharbeit soll nicht dazu genutzt werden, systematisch Stammbeschäftigte
zu ersetzen?

Berlin, den 23. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.