BT-Drucksache 17/2705

Großflächige Landnahme und Landspekulationen in den Ländern des Südens

Vom 4. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2705
17. Wahlperiode 04. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Harald Koch, Dr. Kirsten Tackmann, Alexander Ulrich, Katrin Werner
und der Fraktion DIE LINKE.

Großflächige Landnahme und Landspekulationen in den Ländern des Südens

Im Jahr 2009 stieg die Anzahl der weltweit Hungernden auf über eine Milliarde
Menschen an. Über 80 Prozent der hungernden Menschen leben auf dem Land.
Die Preisexplosion bei Grundnahrungsmitteln im Frühjahr 2008 und der Anstieg
der Zahl der Hungernden haben die Landwirtschaft ins Zentrum der Debatten
um Entwicklung und Hungerbekämpfung gerückt. Maßgeblich ist hierbei die
Frage, welche Art von Landwirtschaft und Bodennutzung geeignet ist, gerade
für die armen und marginalisierten Menschen in den Entwicklungsländern, die
Nahrungsgrundlagen zu sichern.

Der Weltagrarbericht von 2008, in dem über 500 Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler den aktuellen Wissensstand zur Landwirtschaft zusammengefasst
haben, macht deutlich, dass vor allem Kleinbäuerinnen und Kleinbauern für die
Ernährungssouveränität der Länder des Südens von entscheidender Bedeutung
sind. Der Zugang zu Land, Wasser und Saatgut ist dafür eine wesentliche Voraus-
setzung.

Längst ist das Agrarland in Entwicklungsländern zum Spekulationsobjekt gewor-
den. Weltweit agierende Land- und Agrarfonds, Unternehmen aber auch Indus-
trie- und Schwellenländer kaufen großflächig Land oder schließen Pachtverträge.

Diese Entwicklung läuft den Schlussfolgerungen aus dem Weltagrarbericht
zugunsten einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft zuwider, denn sie führt zur
Konzentration von Landbesitz und der Ausbreitung von Monokulturen. Diver-
sifizierte kleinbäuerliche Landwirtschaft wird verdrängt. Die Investoren bauen
auf dem gekauften Land Agrartreibstoffe, Holz zur Zelluloseherstellung, Futter-
mittel oder auch Nahrungsmittel für den Export in die Herkunftsländer der
Investoren an. In anderen Fällen dient das gekaufte oder gepachtete Land zum
CO2-Handel oder der Spekulation auf den zu erwartenden Wertzuwachs. Die
Rahmenbedingungen für solche Verträge werden oft durch Regierungsdelega-
tionen in bilateralen Verhandlungen geschaffen. Die Verträge werden intrans-
parent unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt.
Als Folge der Landkäufe werden Kleinbäuerinnen und Kleinbauern oft von
ihrem Land vertrieben, ohne eine Entschädigung zu erhalten. Die mit der Land-
nahme verbundene Rodung von Wäldern und die Anpflanzung von riesigen
Monokulturen führen zur ökologischen Degradation. Zudem wird durch den
wasserintensiven Anbau und den Export von Agrarprodukten den Ländern das
oft knappe Wasser noch zusätzlich entzogen und durch Pestizide verschmutzt.
Durch dieses „water grabbing“ wird den Bäuerinnen und Bauern in der Umge-

Drucksache 17/2705 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

bung selbst bei vorhandenem Zugang zu Land das Wasser für den Anbau vor-
enthalten.

Landkäufe finden vor allem in Ländern statt, die zur gleichen Zeit Empfänger-
länder von Nahrungsmittelhilfe sind, wie z. B. Äthiopien, die Demokratische
Republik Kongo, Ghana, Kamerun, Kenia, Madagaskar, Mali, Mosambik, Sene-
gal, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Tansania, Sambia in Afrika oder Burma,
Indonesien, Kambodscha, Laos, Pakistan, die Philippinen in Asien. In Mosam-
bik z. B. liegen nach einer Schätzung der Weltbank mehr als doppelt so viele
Landnutzungsanträge ausländischer Investoren vor, wie das Land an Ackerland
hat.

Staaten wie China, Brasilien, die Golfstaaten oder Indien kaufen oder pachten
Land zur Versorgung mit Agrarprodukten zur Nahrungs- oder Energiesicherung.
Doch ca. 90 Prozent der Landkäufe werden durch den privaten Sektor getätigt
werden, das zeigt eine Studie des International Institute for Environment and
Development (IIED) (www.iied.org) für ausgewählte Länder (Äthiopien, Ghana,
Madagaskar, Mali). Selbst die Brookings Institution (www.brookings.edu)
spricht davon, dass diese Entwicklung „zweifellos an die koloniale Ära erinnert“.
Käufer und Investoren kommen häufig aus Ländern mit prekärer Eigenversor-
gung mit Agrarprodukten zur Nahrungs- oder Energiesicherung wie China,
Brasilien, die Golfstaaten oder Indien. Zunehmend investieren aber auch euro-
päische und deutsche Unternehmen in den Landkauf und Anbau von z. B.
Agrartreibstoffen im Osten Europas und in Entwicklungsländern, darunter die
Unternehmen Coachcraft Systems, Prokon und Acazis AG. Auch deutsche
Finanzinstitutionen gründen zunehmend Kapitalgesellschaften, die vom Kauf
des Bodens über die Produktion bis zur Vermarktung alles anbieten, wie die
AGRARIUS AG mit Sitz in Bad Homburg, die Agrarfonds KTG Agrar und
Aquila Capital (AgrarINVEST, KlimaschutzINVEST I bis III, WaldINVEST I
und III) aus Hamburg, die Allianz Global Investors Kreditanlagengesellschaft
mbH und der Invest Global Agribusiness (LC) sowie der DWS Global Agri-
business Fund der Deutschen Bank AG.

Auf internationaler Ebene gibt es zwei relevante Prozesse, in denen internatio-
nale Institutionen auf die Problematik der großflächigen Landnahme reagieren:
erstens die „Voluntary Guidelines on Responsible Governance of Tenure of
Land and Other Natural Resources“ der Food and Agriculture Organization
(FAO) und zweitens die „Principles for Responsible Agricultural Investment
that Respects Rights, Livelihoods and Resources“ der Weltbank, FAO, Interna-
tional Fund for Agricultural Development (IFAD) und anderen.

Zum anderen gibt es seit 2005 das Model International Agreement on Invest-
ment des International Institute for Sustainable Development (IISD). Das IISD
hat ein Modell für Investitionsabkommen entwickelt, welches Investitionen für
zukunftsfähige Entwicklung fördern will. In diesem Modellvertrag werden zu
den Rechten von Investoren auch ihre Pflichten sowie die Rechte und Pflichten
der Gastländer und Sitzländer aufgeführt. Zusätzlich werden das Streitschlich-
tungsverfahren reformiert und neue Institutionen geschaffen.

Die Bundesregierung ihrerseits spricht sich im Diskussionspapier BMZ Dis-
kurs 014 (2009) (BMZ: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung) eindeutig dafür aus, dass Investitionen in Strategien der
Armutsreduzierung der Zielländer integriert werden sollen und dass eine ge-
rechte Teilhabe der lokalen Bevölkerung an den Gewinnen aus den Investitionen
gewährleistet sein muss. Weiter wird dort ausgeführt, dass das Menschenrecht
auf Nahrung Vorrang haben muss vor jeder anderen Nutzung der Flächen (zum
Beispiel Anbau von Energiepflanzen für Agrartreibstoffe).

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2705

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung bekannt, dass deutsche Unternehmen in Ländern des
globalen Südens an großflächigen Landnahmen (Kauf, Pacht u. a.) beteiligt
sind?

a) Welche Unternehmen sind dies?

b) In welche Staaten investieren diese Unternehmen jeweils?

c) Wie hoch sind diese Investitionen der Unternehmen in

– Erwerb von Land,

– Pacht und

– Investitionsgüter?

d) In welche Bereiche investieren diese Unternehmen (Agrartreibstoffe, Nah-
rungsmittelanbau etc., wenn möglich, bitte die prozentuale Aufteilung
angeben)?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die jeweiligen Investitionen dieser Unter-
nehmen auf der Grundlage ihrer entwicklungspolitischen Ziele?

3. Findet zwischen dem BMZ und diesen Unternehmen eine Kommunikation
oder Abstimmung bezüglich der entwicklungspolitischen Konsequenzen
solcher Investitionen statt?

a) Wenn ja, nimmt die Bundesregierung im Rahmen ihrer extraterritorialen
Staatenpflichten auf Unternehmen Einfluss bzw. hält sie dazu an, soziale
und ökologische Verantwortung wahrzunehmen?

b) Wenn nicht, warum nicht?

4. Welche der genannten Unternehmen erhalten deutsche Subventionsgelder
(auch in Form von Hermesbürgschaften) oder Bürgschaften deutscher Finanz-
institutionen (bitte konkrete Investitionsprojekte auflisten)?

a) Wenn ja, um welche Form der Außenwirtschaftsförderung handelt es sich
jeweils und mit welchem Investitionsumfang (bitte nach Unternehmen,
Land, Projekt auflisten)?

b) Zu welchen Bedingungen erhalten die Unternehmen jeweils die Förde-
rung?

c) Findet zwischen dem BMZ und diesen Unternehmen eine Kommunikation
oder Abstimmung bezüglich der entwicklungspolitischen Konsequenzen
ihrer Investitionen statt?

5. Ist der Bundesregierung bekannt, welche deutschen Finanzinstitutionen sich
in Landfonds engagieren und/oder mit Land oder mit Agrarprodukten speku-
lieren?

6. Welche dieser Finanzinstitutionen haben nach Kenntnis der Bundesregierung
vom Finanzmarktstabilisierungsgesetz profitiert?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die jeweiligen Investitionen dieser Finanz-
institutionen auf der Grundlage ihrer entwicklungspolitischen Ziele?

8. Findet zwischen dem BMZ und diesen Finanzinstitutionen eine Kommunika-
tion oder Abstimmung bezüglich der entwicklungspolitischen Konsequenzen
solcher Investitionen statt?

a) Wenn ja, nimmt die Bundesregierung im Rahmen ihrer extraterritorialen
Staatenpflichten auf Unternehmen Einfluss bzw. hält sie dazu an, soziale
und ökologische Verantwortung wahrzunehmen?

b) Wenn nicht, warum nicht?

Drucksache 17/2705 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

9. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die im BMZ Diskurs 014 (2009)
gestellte Anforderung, dass das Menschenrecht auf Nahrung Vorrang vor
jeder anderen Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen haben muss, bei
Investitionen von deutschen Unternehmen und Banken verbindlich umge-
setzt wird?

10. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die im BMZ Diskurs 014 (2009)
gestellte Anforderung, Investitionen in Land müssten in Strategien der
Armutsbekämpfung integriert und eine gerechte Teilhabe der lokalen Be-
völkerung an den Gewinnen aus den Investitionen gewährleistet werden,
bei Investitionen von deutschen Unternehmen und Banken verbindlich um-
gesetzt wird?

11. Sind der Bundesregierung GTZ-Projekte (GTZ: Deutsche Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit GmbH) bekannt, die im Rahmen von Öffent-
lich-Privaten Partnerschaften die Förderung von Agrarenergie unterstüt-
zen?

Wenn ja, wie positioniert sie sich dazu vor dem Hintergrund ihrer im BMZ
Diskurs 014 (2009) beschriebenen Zielsetzung?

12. Wie will die Bundesregierung in Zukunft dafür Sorge tragen, dass es im
Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit nicht zu großflächigen Land-
nahmen kommt?

13. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschränkung der erst kürzlich ein-
geführten Erleichterung des Landerwerbs für Ausländer durch die Über-
gangsregierung in Madagaskar (Antwort bitte mit Begründung)?

14. Inwiefern wird das Thema „großflächige Landnahme im Afrikakonzept der
Bundesregierung“ behandelt?

15. Inwiefern wird das Thema „großflächige Landnahme“ im Sektorkonzept
des BMZ „Ländliche Entwicklung und Ernährungssicherung“, das gerade
entwickelt wird, behandelt?

16. Welche Rolle spielt die Vermeidung von großflächiger Landnahme in den
Verhandlungen der Europäischen Union mit den Ländern Afrikas, der
Karibik und des Pazifiks (AKP-Staaten) über die Wirtschaftspartnerschafts-
abkommen und in anderen Verhandlungen über Wirtschafts- und Investi-
tionsabkommen?

17. Ist der Bundesregierung bekannt, in welchen Fällen die Weltbank Inves-
titionsrisiken von Unternehmen, die in Afrika geschäftlich aktiv sind und
dabei auch Land aufkaufen, absichert?

Wie beurteilt die Bundesregierung diese Politik der Weltbank?

18. Mit welchen Staaten, in denen deutsche Unternehmen und/oder Fonds
großflächige Landnahme betreiben, hat die Bundesregierung eine bilaterale
Entwicklungszusammenarbeit vereinbart?

a) Inwiefern unterläuft die großflächige Landnahme hierbei die vereinbar-
ten Entwicklungsziele?

b) Wie und mit welchen Mitteln versucht die Bundesregierung, die gegen-
läufige Tendenz (großflächige Landnahme gegenüber Entwicklungs-
zielen) zu überwinden?

c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung an sich aus dieser
gegenläufigen Tendenz?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2705

19. Wie bewertet die Bundesregierung die „Voluntary Guidelines on Respon-
sible Governance of Tenure of Land and Other Natural Resources“ der
FAO?

a) Auf welche Weise und mit welchen Zielen bringt sich die Bundesregie-
rung in den Prozess der Ausarbeitung der Leitlinien mit ein?

b) Wie können nach Vorstellungen der Bundesregierung solche Ziele und
Leitlinien in der Praxis durchgesetzt werden?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die „Principles for Responsible Agricul-
tural Investment that Respects Rights, Livelihoods and Resources“ von
Weltbank, FAO, IFAD und anderen?

a) Auf welche Weise und mit welchen Zielen bringt sich die Bundesregie-
rung in den Prozess der Ausarbeitung der Prinzipien mit ein?

b) Wie können nach Vorstellungen der Bundesregierung solche Prinzipien
in der Praxis durchgesetzt werden?

21. Wie bewertet die Bundesregierung das Modell International Agreement on
Investment des IISD?

a) Bringt sich die Bundesregierung in den Prozess der Ausarbeitung eines
vergleichbaren deutschen Modells eines Investitionsabkommens mit
ein?

b) Wenn ja, auf welche Weise, und mit welchen Zielen bringt sich die Bun-
desregierung in den Prozess mit ein?

c) Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 3. August 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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