BT-Drucksache 17/2553

Repressionen gegen israelische und palästinensische Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger sowie Journalistinnen und Journalisten

Vom 9. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2553
17. Wahlperiode 09. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annette Groth, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Niema Movassat, Katrin Werner
und der Fraktion DIE LINKE.

Repressionen gegen israelische und palästinensische Menschenrechts-
verteidigerinnen und -verteidiger sowie Journalistinnen und Journalisten

Mit den Diskussionen um den Goldstone-Bericht nahmen in Israel die Repres-
sionen gegen Menschenrechtsverteidigerinnen/-verteidiger und Journalistinnen/
Journalisten zu. Israelische Menschenrechtsorganisationen beklagen eine innen-
politische Entwicklung, die sich auszeichnet durch eine „Dämonierung des Fein-
des“, in der Andersdenkende zunehmend ausgegrenzt und kritische Stimmen
unterdrückt werden. Auch ehemalige israelische Regierungsmitglieder bezeich-
neten jüngst die zunehmenden Beschneidungen demokratischer Freiheiten als
bedrohlich. Organisationen wie „New Profile“, „Breaking the Silence“ und
„Physicians for Human Rights“, sehen sich zunehmend Einschüchterungsversu-
chen ausgesetzt, nachdem sie die Zeugnisse von Soldatinnen und Soldaten wäh-
rend der israelischen Militäroffensive gegen den Gaza-Steifen öffentlich ge-
macht hatten und an die israelische Regierung appellierten, die im Goldstone-
Bericht erhobenen Vorwürfe in unabhängigen Untersuchungen zu überprüfen.

Die Versuche, den Handlungsspielraum israelischer Menschenrechtsverteidige-
rinnen/-verteidiger einzuschränken, kulminieren derzeit in zwei Gesetzesinitiati-
ven. Die erste sieht vor, dass Nichtregierungsorganisationen kein Geld mehr aus
dem Ausland empfangen dürfen. Die zweite wendet sich direkt gegen die Orga-
nisationen, die vor der Goldstone-Kommission Zeugnis ablegten: Danach soll
jede Aktion unter Strafe gestellt werden, die dazu führen könnte, dass Militärs
oder Staatsvertreterinnen und -vertreter nach dem Weltrechtsprinzip in anderen
Staaten oder in internationalen Gerichtsverfahren für Kriegsverbrechen ange-
klagt werden. Damit wäre den israelischen Menschenrechtsverteidigerinnen/-ver-
teidigern die wichtige Möglichkeit genommen, vor internationalen Untersu-
chungskommissionen aufzutreten oder ihnen Informationen zukommen zu las-
sen.

Auch israelische Journalistinnen/Journalisten sind von den zunehmenden Re-
pressionen betroffen. Dies zeigte sich insbesondere bei der Affäre um die Journa-
listin Anat Kam und den Journalisten Uri Blau, die Dokumente veröffentlichen
wollten, aus denen hervorgeht, dass die israelische Armee, entgegen einer Ent-

scheidung des Obersten Israelischen Gerichtshofs, im Westjordanland gezielt
Palästinenserinnen und Palästinenser tötete, anstatt sie festzunehmen. Anat Kam
und Uri Blau wird Spionage vorgeworfen.

Palästinensische Menschenrechtsverteidigerinnen/-verteidiger mit israelischer
Staatsangehörigkeit werden immer stärker in ihren Freiheitsrechten beschnitten.
Gegen Ameer Makhoul, Direktor von Ittijah, einer Dachorganisation für arabi-

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sche Menschenrechtsgruppen in Israel, verhängte das Innenministerium zu-
nächst ein Ausreiseverbot. Am 5. Juni 2010 wurde Ameer Makhoul mit dem
schwersten Sicherheitsvergehen gegen den israelischen Staat angeklagt, ein-
schließlich Spionage. Amnesty International fordert die Freilassung von Ameer
Makhoul und erklärte ihn zu einem „prisoner of conscience“.

Gegen Hanin Zoabi, Mitglied der Knesset, läuft ein Verfahren, um ihr wegen
ihrer Teilnahme an der Free-Gaza-Flottille ihre Immunität zu entziehen und ihr
auch die israelische Staatsangehörigkeit abzuerkennen.

Palästinensische Menschenrechtsverteidigerinnen/-verteidiger, die sich in der
friedlichen Widerstandsbewegung „Stop the Wall“ engagieren, und Journalisten,
die diesen Widerstand dokumentieren, sind ständigen Repressionen ausgesetzt.
Ihre Mitglieder, wie jüngst der international bekannte Menschenrechtsverteidi-
ger Jamal Jumaa, werden immer häufiger willkürlich verhaftet. Abdullah Abu
Rahma, Mitglied des Komitees und führender Aktivist der „Stop the Wall“-Be-
wegung, wird seit seiner Verhaftung am 10. Dezember 2009 im Westbank Ge-
fängnis Ofer festgehalten. Die Zahl der momentan inhaftierten Menschenrechts-
verteidigerinnen/-verteidiger ohne formale Anklage oder Gerichtsverfahren
schätzen „Stop the Wall“ und die „Addameer – Prisoner Support and Human
Rights Association“ auf mehr als 100. Am 13. Juni 2010 wurde Adeeb Abu
Rahma aus Bil’in wegen seiner Teilnahme an Protesten gegen die israelische
Trennmauer verurteilt. Abu Rahma ist damit der erste Aktivist von „Stop the
Wall“, der von einem Militärgericht schuldig gesprochen wurde. Amnesty Inter-
national beklagt in seinem Jahresbericht 2010 die unfairen Gerichtsverfahren ge-
gen Palästinenser aus den besetzten Gebieten und den Einsatz von Folter.

Zu der Beschneidung der Rechte von Menschenrechtsverteidigerinnen/-verteidi-
gern und Journalistinnen/Journalisten kommt hinzu, dass ausländische Aktivistin-
nen/Aktivisten, Journalistinnen/Journalisten und Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zunehmend daran gehindert wer-
den, Zeuginnen und Zeugen der Menschenrechtsverletzungen gegen die paläs-
tinensische Zivilbevölkerung zu werden. Beispiele dieser Politik sind die
Behinderung von Journalistinnen/Journalisten während des Gaza-Kriegs, wäh-
rend und nach dem Angriff auf die Free-Gaza-Flottille sowie die restriktive
Handhabe der Arbeitserlaubnisse ausländischer NGOs, die in den besetzten Ge-
bieten tätig sind. Gleichzeitig ist eine Zunahme rechter Gewalt auf der Straße zu
verzeichnen, deren Handlungen, nach dem Jahresbericht 2010 von Amnesty In-
ternational, meist strafrechtlich ungeahndet bleiben. So vertrieb z. B. die rechts-
gerichtete Gruppe „Im Tirtzu“ Plakate, die offen zur Gewalt gegen Mitglieder
von „Adalah – The Legal Center for Arab Minority“ aufrief.

Mit der Resolution A/RES/53/144 vom 8. März 1999 haben die Vereinten Natio-
nen die besondere Schutzbedürftigkeit von Menschenrechtsverteidigerinnen/
- verteidigern anerkannt und die Pflichten von Staaten diesbezüglich festgelegt.
Deutschland unterstützt zudem nachdrücklich die 2004 verabschiedeten und
2008 aktualisierten Leitlinien der Europäischen Union über Menschenrechtsver-
teidigerinnen/-verteidiger, die in der Arbeit des Auswärtigen Amts eine wichtige
Rolle spielen. Diese Leitlinien sehen Maßnahmen zum Schutz von Menschen-
rechtsverteidigerinnen/-verteidigern und ganz allgemein die Beachtung der Situ-
ation von Menschenrechtsverteidigerinnen/-verteidigern in allen Bereichen der
EU-Außenpolitik vor („mainstreaming“).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Informationen hat die Bundesregierung bezüglich der Vorwürfe und
Prozesse gegen die israelische Journalistin Anat Kam und den israelischen
Journalisten Uri Blau, und wie bewertet die Bundesregierung das Vorgehen

der israelischen Regierung diesbezüglich?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2553

2. a) Welche Informationen liegen der Bundesregierung zu den Einschüchte-
rungsversuchen und Übergriffen auf die israelische Zivilgesellschaft vor,
die sich, insbesondere im Zuge der Diskussionen um den Goldstone-Be-
richt und die Free-Gaza-Flottille, kritisch gegenüber Regierungspositio-
nen äußerte?

b) Wie bewertet die Bundesregierung diese Einschüchterungsversuche und
die damit einhergehende Behinderung der Arbeit von Menschenrechts-
verteidigerinnen/-verteidiger, auch im Hinblick auf die VN-Resolution
A/RES/53/144 zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen/-vertei-
digern?

3. a) Hat die Bundesregierung in ihren bilateralen Gesprächen mit der israeli-
schen Regierung die Repressionen gegen israelische Menschenrechtsver-
teidigerinnen/-verteidiger thematisiert?

Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

b) Wenn nein, warum nicht?

4. a) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung vom Stand der Untersuchun-
gen des Justizausschusses der Knesset, die Finanzierung von Nichtregie-
rungsorganisationen in Israel durch ausländische Gelder zu untersuchen
und möglicherweise zu unterbinden?

b) Wie bewertet die Bundesregierung dieses Vorgehen?

c) Wird sich die Bundesregierung bei der israelischen Regierung gegen diese
Gesetzesinitiative einsetzen, und wenn nicht, warum nicht?

5. a) Welche Informationen hat die Bundesregierung zu der israelischen Ge-
setzesinitiative, die Aktionen unter Strafe stellen will, die dazu führen
könnten, dass Militärs und Staatsvertreterinnen/-vertreter nach dem Welt-
rechtsprinzip in anderen Staaten sowie in internationalen Verfahren ange-
klagt werden könnten?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung diese Gesetzesinitiative und ihre Ver-
einbarkeit mit der VN-Resolution A/RES/53/144 zum Schutz von Men-
schenrechtsverteidigerinnen/-verteidigern?

c) Wird sich die Bundesregierung bei der israelischen Regierung gegen diese
Gesetzesinitiative einsetzen, und wenn nicht, warum nicht?

6. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Aktivitäten der
rechten Gruppe „Im Tirtzu“ vor, und wie bewertet sie das Vorgehen, bzw.
Unterlassen der israelischen Regierung in Bezug auf deren Gewaltaufrufe?

7. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über den Stand des Ver-
fahrens und der Kampagne gegen Knesset Mitglied Hanin Zoabi vor, und
wie bewertet sie dieses Verfahren?

8. a) Welche Informationen liegen der Bundesregierung zu den in Israel inhaf-
tierten palästinensischen Menschenrechtsverteidigerinnen/-verteidigern
vor, und wie viele davon waren bzw. sind bereits für wie lange in
Administrativhaft und unter welchen Bedingungen?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung die Anwendung von Administrativhaft
bei palästinensischen Menschenrechtsverteidigerinnen/-verteidigern,
und wie beurteilt sie diese im Hinblick auf die VN-Resolution A/RES/53/
144 zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen/-verteidigern?

9. Welche Informationen hat die Bundesregierung zur Inhaftierung und den
Haftbedingungen von Ameer Makhoul, und wie bewertet sie diese?
10. Welche Informationen hat die Bundesregierung zu Inhaftierung und Haftbe-
dingungen von Abdullah Abu Rahma, und wie bewertet sie diese?

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11. Welche Informationen liegen der Bundesregierung zu den Vorwürfen und
dem Prozess gegen Adeeb Abu Rahma vor, und wie beurteilt die Bundesre-
gierung seine Verurteilung vor einem Militärgericht?

12. a) Kann die Bundesregierung die Aussagen von Amnesty International be-
züglich der Haft ohne Gerichtsverfahren, unfairen Gerichtsverfahren,
Haftbedingungen sowie Folter und anderen Misshandlungen von palästi-
nensischen Inhaftierten bestätigen?

b) Wie beurteilt sie diese Verfahren?

13. a) Werden nach Informationen der Bundesregierung jüdisch-israelische und
palästinensisch-israelische Menschenrechtsverteidigerinnen/-verteidiger
ungleich behandelt, was ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung, Ver-
sammlungsfreiheit und Organisationsfreiheit anbelangt?

b) Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese Ungleichbehandlung?

14. a) Hat die Bundesregierung in ihren bilateralen Gesprächen mit der israeli-
schen Regierung die Repressionen gegen palästinensische Menschen-
rechtsverteidigerinnen/-verteidiger, auch im Hinblick auf die VN-Reso-
lution A/RES/53/144 zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen/-
verteidigern thematisiert?

Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

b) Wenn nein, warum nicht?

15. a) Welche Informationen hat die Bundesregierung bezüglich der veränder-
ten israelischen Handhabe von Arbeitserlaubnissen für internationale
NGOs in den besetzten Gebieten, und wie beurteilt sie diese, insbeson-
dere im Bezug darauf, dass sie den Handlungsspielraum der Zivilgesell-
schaft einschränkt?

b) Wird sich die Bundesregierung bei der israelischen Regierung für eine
Rücknahme der Neuregelung einsetzen?

c) Wird sich die Bundesregierung für deutsche Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter von NGOs einsetzen, die von der Neuregelung betroffen sind?

16. Wie sehen die in den Leitlinien der EU zum Schutz von Menschenrechtsver-
teidigerinnen/-verteidigern vorgesehenen Kontakte der deutschen Auslands-
vertretungen in Israel und den besetzten Gebieten zu Menschenrechtsvertei-
digerinnen/-verteidigern vor Ort aus?

17. a) Gibt es Berichte der Auslandsvertretungen über die Situation der Men-
schenrechtsverteidigerinnen/-verteidiger in Israel und den besetzten
palästinensischen Gebieten und liegen diese der Bundesregierung vor?

b) Wenn ja, wie bewerten die Berichte die Situation von Menschenrechts-
verteidigerinnen/-verteidigern in Israel und den besetzten palästinen-
sischen Gebieten?

c) Wenn nein, warum liegen keine Berichte vor?

18. a) Werden die Menschenrechtsverteidigerinnen/-verteidiger in Israel und
den besetzten palästinensischen Gebieten durch konkrete Aktionen sowie
die Förderung von Netzwerken und ganz allgemein durch die Beachtung
der Situation von Menschenrechtsverteidigerinnen/-verteidigern in allen
Bereichen der EU-Außenpolitik unterstützt, so wie in den EU-Leitlinien
gefordert?

b) Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen und Aktionen der EU-Mitglied-
staaten gibt es bereits, und welche sind für die Zukunft geplant?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2553

19. a) Hat die Bundesregierung sich auf bilateraler Ebene, entsprechend den
EU-Leitlinien für den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen/-ver-
teidigern, in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten einge-
setzt?

b) Wenn ja, mit welchen konkreten Maßnahmen und Aktionen?

Wenn nein, warum nicht?

c) Sind solche Maßnahmen und Aktionen geplant?

20. a) Erwägt die Bundesregierung konkrete Schutz- und Hilfsmaßnahmen – in
Abstimmung mit anderen EU-Mitgliedstaaten – für Hanin Zoabi, Ameer
Makhoul, Abdullah Abu Rahma und Adeeb Abu Rahma?

Wenn ja, welche?

b) Wenn nein, warum nicht?

21. a) Liegen der Bundesregierung Berichte zu Israel und den besetzten palästi-
nensischen Gebieten der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen
zur Situation von Menschenrechtsverteidigern, Margaret Sekaggya, vor?

b) Wenn ja, wie bewertet sie diese Berichte?

Berlin, den 9. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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