BT-Drucksache 17/2526

Haltung der Bundesregierung zur politischen Situation in Thailand

Vom 2. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2526
17. Wahlperiode 02. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Stefan Liebich, Katrin Werner, Niema Movassat, Annette Groth,
Andrej Hunko, Harald Koch, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich und der
Fraktion DIE LINKE.

Haltung der Bundesregierung zur politischen Situation in Thailand

Vom 12. März bis 19. Mai 2010 demonstrierte die „Vereinigte Front für Demo-
kratie und gegen Diktatur“ (UDD) in der thailändischen Hauptstadt Bangkok,
um die Regierung zu Neuwahlen zu bewegen. Premierminister Abhisit Vejjajiva
von der Democrat Party war, nachdem seine Partei seit 2001 alle Wahlen in
Thailand verloren hatte, im Dezember 2008 nach Meinung der Demonstranten
illegitim ins Amt gekommen, nachdem das Oberste Gericht die demokratisch
gewählte Regierungspartei People’s Power Party (PPP) verboten und das Militär
die Regierung aufgelöst hatte. Zuvor war die Regierung der PPP durch gewalt-
tätige Unruhen der extremistisch monarchistischen Volksallianz für Demokratie
(PAD) unter Führung von Abgeordneten der Democrat Party systematisch desta-
bilisiert worden.

Bereits im Juni 2006 war in Thailand eine demokratisch gewählte Regierung
– die des Premierministers Thaksin Shinawatra, der sowohl 2001 als auch 2005
die Wahlen mit großem Vorsprung gewonnen hatte – aus dem Amt geputscht
worden. Seine Partei Thai Rak Thai war 2007 ebenfalls aufgelöst, über 110 Poli-
tiker der aufgelösten Regierungsparteien waren mit dem Verbot weiterer politi-
scher Betätigung belegt worden.

Im April und Mai 2010 wurden bei Zusammenstößen von Demonstranten der
UDD und Militär- und Sicherheitskräften über 100 Demonstranten getötet und
über 2000 verletzt. Ein großer Teil der Toten ist auf extralegale Hinrichtungen
durch Scharfschützen des Militärs zurückzuführen. Sicherheitsbeamte, die an
den Aktionen gegen die Demonstranten beteiligt waren, sind jedoch durch Im-
munität durch Strafverfolgung geschützt, während Anführer des Protestes we-
gen Terrorismus vor Gericht gestellt werden.

Unterdessen sind auch zwei Jahre nach der monatelangen Besetzung der Regie-
rungsgebäude und der Blockierung der internationalen Flughäfen durch die An-
hänger der PAD keine Strafverfahren gegen Beteiligte eingeleitet worden, einige
von ihnen stiegen sogar in hohe Positionen in der neuen Regierung auf.

Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) arbeitet in

Thailand eng mit der Democrat Party zusammen. Von einer kritischen Stellung-
nahme der FNF bezüglich der Putsche von 2006 und 2008 oder anlässlich des
brutalen Vorgehens gegen die Demonstranten im Frühjahr 2010 ist hingegen
nichts bekannt. Im Gegenteil: Die Programmdirektorin der FNF in Bangkok,
Girawadee Khao-orn, gab nach dem Putsch von 2006 auf der Homepage der
Stiftung (www.freiheit.org) folgende Einschätzung ab:

Drucksache 17/2526 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

„Kann diese positive Einstellung der Bevölkerung als eine Legitimation des
Militärputsches gesehen werden? Seit zwei Tagen beschäftige ich mich mit die-
ser Frage. Als Politologin kann ich nur sagen, dass ein Militärputsch undemo-
kratisch ist. Soldaten und Panzer gehören nicht auf die Straßen sondern in die
Kasernen. Eine gewählte Regierung sollte nur durch eine Wahl abgelöst werden.
Auf der anderen Seite habe ich nicht das Gefühl, dass die politische Lage in
Thailand sich verschlechtert hat. Thailand mit Premier Thaksin war auch nicht
demokratischer als jetzt. Durch seine Beeinflussung wurden fast alle demokra-
tischen Institutionen lahmgelegt. Wie es weiter geht mit der Demokratie in Thai-
land, kann erst in zwei Wochen beurteilt werden, wenn die Frist, die sich das
Militär selbst gesetzt hat, abgelaufen ist. Mit anderen Worten: wait and see.“

Auf einem Seminar der FNF anlässlich des Thailand-Besuchs des damaligen
Bereichsleiters für Internationale Zusammenarbeit und Politikberatung der Stif-
tung und heutigen Abteilungsleiters im Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Jahr 2007 wurde bei der Vorstel-
lung der Projektarbeit der FNF in Thailand („Thailand Project“) der Putsch von
2006 als „notwendiges Übel“ dargestellt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung das Zustandekommen des Regierungs-
wechsels Ende 2008 in Thailand?

Von welchen Erwägungen, die mit den Umständen des Regierungswechsels
im Zusammenhang stehen, lässt sich die Bundesregierung in ihrem Umgang
mit der thailändischen Regierung leiten?

2. Was unternimmt die Bundesregierung, um eine Rückkehr Thailands zu
demokratischen Verhältnissen zu unterstützen?

3. Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um der For-
derung aus dem EU-Parlament und breiten Teilen der ausländischen Öffent-
lichkeit sowie eines großen Teils der thailändischen Bevölkerung Nachdruck
zu verleihen, schnellstmöglich Neuwahlen in Thailand durchzuführen?

4. Brachte die Bundesregierung Protestnoten gegen die extralegalen Hinrich-
tungen im April und Mai 2010 durch das thailändische Militär bei der thai-
ländischen Regierung vor?

5. Falls nein, auf welche andere Weise brachte die Bundesregierung ihre Be-
sorgnis über die bzw. Kritik an den extralegalen Hinrichtungen gegenüber der
thailändischen Regierung zum Ausdruck?

6. Wie verhält sich die Bundesregierung zu der Tatsache, dass die thailändische
Regierung mit der Aufrechterhaltung des Ausnahmezustandes bis Ende die-
ses Jahres gegen den Artikel 4 der auch von der thailändischen Regierung
ratifizierten Bürgerrechts-Charta der Vereinten Nationen verstößt?

7. Hat sich der deutsche Botschafter in Bangkok oder ein anderer Vertreter der
deutschen Botschaft den diplomatischen Vertretern anderer Länder ange-
schlossen, die am 23. April 2010 gemeinsam die Demonstration besuchten,
um sich einen Eindruck zu verschaffen und Vermittlung anzubieten?

Falls nein, warum nicht?

8. Wurde dem vom Militär gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra
mit dessen thailändischem Reisepass ein Einreiseverbot nach Deutschland
erteilt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2526

9. Falls ja, wer war für die Prüfung und Durchsetzung verantwortlich?

Aus welchem Grund wurde der Visumantrag negativ beschieden?

Gibt es ein Rechtsgutachten, welches die in Thailand gefällten Urteile ge-
gen ihn nach demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen geprüft
hat, und kann dieses veröffentlicht werden?

10. Beabsichtigt die Bundesregierung den derzeitigen stellvertretenden Minis-
terpräsidenten der thailändischen Regierung Suthep Thaugsuban, der den
Krisenstab leitete, der für die Schüsse auf unbewaffnete Zivilisten während
der Demonstrationen des Frühjahrs 2008 verantwortlich ist, auf eine Liste
der unerwünschten Personen zu setzen?

Wenn nicht, warum nicht?

Wird die Bundesregierung diesen Schritt tun, falls es in einem EU-Land
eine Anklage wegen Mord und Mordversuch gegen ihn gibt?

11. Plant die Bundesregierung die kommandierenden Generäle, die für die Tö-
tungen von unbewaffneten Zivilisten die Verantwortung tragen zu uner-
wünschten Personen zu erklären?

Wird die Bundesregierung diesen Schritt tun, falls es in einem EU-Land
eine Anklage wegen Mord und Mordversuch gegen die Generäle gibt?

12. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass bei den Zusammenstößen
von Demonstranten der UDD und Militär- und Sicherheitskräften, bei
denen über 100 Demonstranten getötet und über 2000 verletzt wurden, Waf-
fen aus deutschen Lieferungen zum Einsatz kamen (bitte begründen)?

13. Wird sich die Bundesregierung für einen Stopp deutscher Lieferungen von
Waffen oder von Dual-Use-Gütern nach Thailand einsetzen, und wie plant
sie, dies zu tun?

14. Wird sich die Bundesregierung in der EU für ein Verbot von Waffenliefe-
rungen an Thailand einsetzen?

15. Wie viele Genehmigungen für den Export von welchen Rüstungsgütern
nach Thailand hat die Bundesregierung seit 2006 erteilt, und welche Rüs-
tungsgüter wurden tatsächlich exportiert (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren
und Genehmigungswert)?

16. Welche Formen der polizeilichen und militärischen Zusammenarbeit zwi-
schen Deutschland und Thailand haben seit 2006 stattgefunden?

17. Plant die Bundesregierung, die Initiative der Vereinten Nationen und des
EU-Parlaments nach Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskom-
mission mit internationaler Beteiligung zu unterstützen, und wird sie dabei
auch mögliche Sanktionen in Betracht ziehen, falls der thailändische Staat
die Zusammenarbeit verweigert?

18. Welche konkreten Projekte finanziert die FNF in welcher Höhe seit 2000,
die Partnerorganisationen in Thailand fördern (bitte Auflistung der Projekte
der jeweiligen Jahre mit den entsprechenden Fördersummen)?

19. Welche von diesen Projekten oder Programmen dienen direkt oder indirekt
der Förderung der Democrat Party oder Organisationen aus ihrem Umfeld
bzw. mit ihr kooperierenden Organisationen oder Projekten?

20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Zusammenarbeit der
FNF mit Akteuren des Putsches von 2006, mit Mitgliedern der nach der Ab-
setzung der demokratischen Regierung 2008 eingesetzten Regierung, mit
Kadern der Democrat Party und mit Parlamentariern, die die Volksbewe-

gung PAD unterstützten (bitte konkrete Projekte auflisten)?

Drucksache 17/2526 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Inhalte des von der
FNF anlässlich des Besuchs des damaligen Bereichsleiters für Internatio-
nale Zusammenarbeit und Politikentwicklung 2007 veranstalteten Semi-
nars?

Welche Haltung zum Militärputsch von 2006 wurde nach Kenntnis der
Bundesregierung dort vermittelt?

22. Hält es die Bundesregierung für angemessen, dass Vertreter der FNF der
Regierung von Abhisit Vejjajiva noch während der blutigen Niederschla-
gung der Proteste ihre Unterstützung aussprachen, und inwiefern erkennt
die Bundesregierung in einer solchen Unterstützung einen Widerspruch
zum in den Förderrichtlinien des BMZ an die Stiftungen gestellten Auftrag,
einen Beitrag zu Aufbau und Festigung demokratischer Strukturen in den
Partnerländern zu leisten?

23. Wie sieht die Bundesregierung die o. a. Bewertung des Militärputsches in
Thailand von 2006, die auf der Webseite der FNF nachzulesen ist, durch
deren Mitarbeiterin, und inwiefern steht eine solche Bewertung nach An-
sicht der Bundesregierung im Einklang mit den Förderrichtlinien des BMZ?

24. Hält es die Bundesregierung für möglich, nach den Förderrichtlinien für
politische Stiftungen in Deutschland Fördergelder zurückzuhalten, wenn
durch die betreffende Stiftung eine Regierungspartei unterstützt wird, die
von einem Putschistenregime eingesetzt wurde und die den Tod vieler un-
schuldiger Demonstranten verantwortet?

25. Hat die Bundesregierung eine entsprechende Prüfung im Falle der Arbeit
der FNF in Thailand in Betracht gezogen?

Wenn nein, warum nicht?

26. Wie verträgt sich die Unterstützung einer durch das BMZ zu erheblichen
Teilen mitfinanzierten politischen Stiftung für eine durch einen Putsch an
die Macht gekommene Regierungspartei mit der Aussage des zuständigen
Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Dirk Niebel, die deutsche Entwicklungspolitik sei wertegeleitet und mit den
Ansprüchen von Good Governance?

Berlin, den 2. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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