BT-Drucksache 17/2519

Verbesserung der Chancen und Perspektiven für junge Menschen in Ostdeutschland - Sicherstellung des wirtschaftlichen Aufholprozesses

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2519
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrea Wicklein, Willi Brase, Doris Barnett, Klaus Barthel,
Martin Dörmann, Garrelt Duin, Petra Ernstberger, Peter Friedrich, Iris Gleicke,
Hans-Joachim Hacker, Rolf Hempelmann, Ute Kumpf, Manfred Nink,
Thomas Oppermann, Wolfgang Tiefensee, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Verbesserung der Chancen und Perspektiven für junge Menschen
in Ostdeutschland – Sicherstellung des wirtschaftlichen Aufholprozesses

Wie aktuelle Fachkräftestudien belegen, besteht durch den demografischen Wan-
del in Ostdeutschland gerade in Zukunftsbranchen ein zunehmender Bedarf an
qualifizierten jungen Arbeitskräften. Dieser Bedarf kann teilweise nicht mehr
durch vorhandene Arbeits- und Fachkräfte gedeckt werden. Gleichzeitig ist fest-
zustellen, dass die Arbeitslosigkeit in den ostdeutschen Ländern noch immer fast
doppelt so hoch ist wie in den westdeutschen Bundesländern. Konstatiert wird
darüber hinaus eine Disparität von benötigten Fachkräften und vorhandenen
Kompetenzen und Qualifikationen am Arbeitsmarkt. Hält diese Entwicklung an,
hat das negative Auswirkungen auf die Perspektiven der dort lebenden Men-
schen, den wirtschaftlichen Aufholprozess der ostdeutschen Länder und die
Schaffung von gleichwertigen Lebensverhältnissen. Werden keine wirksamen
Maßnahmen ergriffen, wird es besonders in den zukunftsträchtigen Wachstums-
branchen zu einem gravierenden Mangel an Fachkräften und gleichzeitig zu
noch höherer Arbeitslosigkeit, insbesondere bei den gering qualifizierten Arbeit-
nehmern, kommen. Um Fachkräfte für den wirtschaftlichen Aufholprozess in
Ostdeutschland zu halten oder zu gewinnen, müssen Maßnahmen gegen eine
weitere hohe Abwanderung getroffen werden. Denn Abwanderung ist oftmals
Folge eines langwierigen Abwägungs- und Entscheidungsprozesses aufgrund
mangelnder sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Perspektiven. Der Jahres-
bericht zum Stand der Deutschen Einheit 2009 stellt zum Beispiel fest, dass die
Wohnbevölkerung in Ostdeutschland zwischen 1991 und 2007 um 1,5 Millionen
Einwohner (-8,3 Prozent) auf 16,6 Millionen zurückgegangen ist. Im Jahr 2008
verloren die ostdeutschen Länder nochmals per Saldo 51 000 Einwohner allein
durch Abwanderung. Es sind gerade die gut ausgebildeten 18- bis 25-Jährigen,
insbesondere junge Frauen, die den Osten verlassen haben. Für die wirtschaftli-
che Entwicklung in Ostdeutschland und die Sicherung des steigenden Fachkräf-
tebedarfs ist es deshalb wichtig, eine Gesamtstrategie zu entwickeln, um gerade

jungen Menschen Perspektiven in den ostdeutschen Regionen zu eröffnen und
sie dort zu halten. Dabei ist es notwendig, die Erfahrungen beispielsweise der
von der Bundesregierung geförderten Koordinierungsstelle „Perspektiven für
junge Menschen“ zu nutzen und neue Initiativen umzusetzen.

Drucksache 17/2519 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Jugendliche und junge Erwachsene leben aktuell in den ostdeut-
schen Ländern (bitte aufschlüsseln nach Ländern)?

2. Wie hat sich der Anteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen an der
Gesamtbevölkerung seit 1990 in den ostdeutschen Ländern entwickelt (bitte
aufschlüsseln nach Jahren und Ländern)?

3. Wie hat sich die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen
seit 1990 in den ostdeutschen Bundesländern entwickelt (bitte aufschlüsseln
nach Jahren und Ländern)?

4. Mit welchen Maßnahmen wird die Bundesregierung den Herausforderungen
für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands, beispielsweise der
steigenden Abwanderung, der höheren Jugendarbeitslosigkeit und höheren
Armut, begegnen?

5. Wie reagiert die Bundesregierung im Einzelnen darauf, dass die Situation in
Ostdeutschland nicht allein durch den demografischen Wandel (höhere Le-
benserwartung und Geburtenrückgang), sondern vor allem durch eine konti-
nuierliche Abwanderung gerade bei jüngeren Menschen gekennzeichnet ist,
und welche Gegenmaßnahmen werden ergriffen?

6. Was unternimmt bzw. plant die Bundesregierung, um insbesondere jungen
Menschen eine Bleibeperspektive in Ostdeutschland oder Rückkehroptio-
nen zu eröffnen?

7. Inwieweit waren entsprechende Überlegungen und Maßnahmen Thema des
sogenannten Zukunftsgipfels der Bundesregierung am 18. Juni 2010 in
Meseberg, und falls ja, was ist das Ergebnis entsprechender Gespräche?

8. Hält die Bundesregierung den Mobilitätszuschuss für unter 25-Jährige im
Sozialgesetzbuch angesichts des sich anbahnenden Fachkräftemangels in
den ostdeutschen Bundesländern noch für zeitgemäß?

9. Welche geschlechterspezifischen Maßnahmen hat die Bundesregierung er-
griffen, um vor allem die mehrheitlich abwandernden jungen Frauen anzu-
sprechen und ihnen eine Perspektive zu eröffnen, die Anlass zum Bleiben
oder Wiederkommen gibt?

10. Wie erfolgreich waren aus Sicht der Bundesregierung diese Maßnahmen?

11. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass ostdeutsche Jugendliche – insbe-
sondere in den ländlichen Regionen – gleichwertige Lebensverhältnisse und
gleichwertiges Lohnniveau vorfinden und eine funktionierende Daseinsvor-
sorge in Anspruch nehmen können?

12. Welche Maßnahmen ergreift und plant die Bundesregierung – ggf. gemein-
sam mit den Ländern –, um eine verlässliche Infrastruktur der Kinder- und
Jugendhilfe und der Jugendarbeit vor Ort zu sichern?

13. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um die Zusage, je-
dem Jugendlichen, der ausbildungsfähig und -willig ist, ein Ausbildungsan-
gebot zu unterbreiten, das zu einem anerkannten Berufsabschluss führt, auch
für ostdeutsche Jugendliche in strukturschwachen Regionen einzuhalten?

14. Welche Mittel will die Bundesregierung für einen qualitativen Aufbau quali-
fizierender und berufsbildender Maßnahmen für junge Menschen in Ost-
deutschland in der aktiven Arbeitsmarktpolitik vor dem Hintergrund der ge-
planten Sparmaßnahmen und u. a. der damit verbundenen Streichung von
Pflichtleistungen in der Arbeitsförderung im Bereich der Arbeitsmarktpoli-
tik zur Verfügung stellen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2519

15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Situation der Altbewerber
in den neuen Bundesländern, und wie bewertet die Bundesregierung in die-
sem Zusammenhang das Instrument des Ausbildungsbonus für Altbewer-
ber?

16. Plant die Bundesregierung die Erhöhung des Anteils dualer Berufsausbil-
dungen an allen in Ostdeutschland durchgeführten Berufsausbildungen zu
unterstützen?

Wenn ja, mit welchen Maßnahmen?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den zunehmenden Anteil
privater Anbieter im Bereich des schulischen Anteils der dualen Ausbildung
in den ostdeutschen Bundesländern?

Wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklung, u. a. in Hinblick auf das
flächendeckende staatliche Angebot dualer Ausbildungsgänge in den ost-
deutschen Ländern?

18. Wie will die Bundesregierung im Rahmen der geplanten „Zukunftsinitiative
Fachkräftesicherung“ gemeinsam mit den ostdeutschen Ländern, Kammern
und Sozialpartnern regionsspezifische Handlungsansätze zur Verbesserung
des Fachkräfteangebots entwickeln und dafür Sorge tragen, dass neben der
Qualifizierung von Fachkräften auch Nachqualifizierungsangebote – insbe-
sondere für gering qualifizierte und arbeitslose junge Erwachsene – erarbei-
tet werden?

19. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um das Anwerbe-
verhalten – hier laut Bundesinstitut für Berufsbildung besonders das Infor-
mationsmismatch – ostdeutscher Betriebe zu verbessern, damit vorhandene
Ausbildungskapazitäten besser ausgeschöpft werden können?

20. Plant die Bundesregierung das Ausbildungsprogramm Ost für Ausbildungs-
bewerberinnen und -bewerber, die besonders in strukturschwachen Wirt-
schaftsgebieten nicht in eine Ausbildung vermittelt werden konnten, zu ver-
längern?

Wenn ja, für welchen Zeitraum, und wenn nein, warum nicht?

21. Wie erklärt sich die Bundesregierung den Umstand, dass in den ostdeutschen
Bundesländern Jugendliche nach erfolgloser Ausbildungsplatzsuche weit-
aus häufiger in eine vollqualifizierende oder schulische Berufsausbildung
vermittelt werden als in den westdeutschen Bundesländern, obwohl es u. a.
besonders im ostdeutschen Handwerk Besetzungsprobleme von Ausbil-
dungsplätzen gibt?

22. Wie wird die Bundesregierung auf die ostdeutschen Länder einwirken, damit
an den Schulen die Berufsorientierung verbessert wird?

23. Wie viele Jugendliche werden in den ostdeutschen Bundesländern im Ver-
bund ausgebildet?

24. Wie bewertet die Bundesregierung das Anwachsen der Anzahl kostenpflich-
tiger überbetrieblicher Ausbildungen, insbesondere in Ostdeutschland, und
welche Konsequenzen zieht sie daraus?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die Bilanz der Arbeit der Koordinie-
rungsstelle „Perspektiven für junge Menschen“ seit 2005, und ist eine wei-
tere Förderung nach 2010 geplant?

Wenn ja, mit welchem Volumen?

Drucksache 17/2519 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
26. Wie trägt die Bundesregierung im Rahmen der angekündigten Demografie-
strategie dafür Sorge, dass die Erfahrungswerte, die in der Koordinierungs-
stelle „Perspektiven für junge Menschen“ mit dem demografischen Wandel
in den ostdeutschen Ländern gesammelt wurden, gesichert und dass daraus
übertragbare Handlungsstrategien für andere betroffene Regionen entwi-
ckelt werden?

27. Wie soll die angekündigte Expertenkommission zur Erarbeitung der ressort-
übergreifenden Demografiestrategie zusammengesetzt sein, und finden die
Erfahrungen der Koordinierungsstelle Eingang in die Expertenkommission?

Berlin, den 7. Juli 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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