BT-Drucksache 17/2504

Umsetzungsprobleme bei der EU-Health-Claims-Verordnung

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2504
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulrike Höfken, Birgitt Bender, Manuel Sarrazin, Cornelia Behm,
Bärbel Höhn, Sven-Christian Kindler, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch,
Friedrich Ostendorff, Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umsetzungsprobleme bei der EU-Health-Claims-Verordnung

Zum 1. Juli 2007 trat die so genannte Health-Claims-Verordnung (EG) 1924/
2006 in Kraft. Mit dieser Verordnung soll sichergestellt werden, dass künftig
Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel nur dann mit gesundheitsbezoge-
nen Angaben beworben werden, wenn diese wissenschaftlich belegt sind. Unse-
riöse Angaben, die die Verbraucherinnen und Verbraucher täuschen, anstatt zu
informieren, sollen damit ausgeschlossen werden.

Das Verfahren zur Umsetzung so genannter generischer Claims (Artikel 13
Absatz 1 und 3 der Verordnung), d. h. Claims, die nach Genehmigung von
jedem Lebensmittelhersteller genutzt werden können, weist jedoch eine Reihe
von Problemen auf. Es sieht eine Beantragung der Claims durch die Hersteller
sowie die anschließende Prüfung durch die Europäische Behörde für Lebens-
mittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) und Freigabe zur
Nutzung durch die EU-Kommission vor.

Die EFSA prüft anhand der vom beantragenden Unternehmen eingereichten
Studien, ob der behauptete „physiological benefit“ belegt werden kann. Die Prü-
fung und Bewertung durch die EFSA erfolgt allein auf Basis der vom Antrag-
steller eingereichten Unterlagen. Eine Überprüfung, ob der komplette Wissens-
stand vorgelegt wurde, wird dabei explizit nicht vorgenommen. Unterlagen, die
nach dem Stichtag 31. Januar 2008 eingereicht wurden, werden zur Entschei-
dungsfindung nicht mehr herangezogen. Dritte (Verbraucherschützer, Verbände,
Wettbewerber) haben keine Möglichkeit, ihnen vorliegende Erkenntnisse in das
Verfahren einzubringen. Die folgende bilaterale Kommunikation zwischen An-
tragsteller und Genehmigungsbehörde ist für sie auch nicht transparent. Insbe-
sondere wird beklagt, dass die EFSA sich nicht in der Lage sieht, über Arbeits-
planungen, Verfahrens- und Entscheidungsstände zu unterrichten. Besonders
problematisch ist dies für Unternehmen, die von den beantragten Claims betrof-
fen sein könnten. Strukturell stellt die gewählte Vorgehensweise eine De-facto-
Benachteiligung mittelständischer Unternehmen gegenüber internationalen
Lebensmittelkonzernen dar.
Nach Auskunft der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz der EU
wird sich zudem der Abschluss der Prüfungen der EFSA wegen der Vielzahl der
beantragten Claims bis mindestens Ende 2011 verzögern. Die EU-Kommission
hat deshalb in Aussicht gestellt, von der EFSA akzeptierte Claims durch Verord-
nung in Tranchen zur Nutzung freizugeben. Bei Kombinationsprodukten, die
z. B. bei Nahrungsergänzungsmitteln die Regel sind, führt dies dazu, dass nach
jeder Veröffentlichung der Bewertung eines der Inhaltsstoffe vom Hersteller

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erneute Anpassungen vorgenommen werden müssen, die dann von den Über-
wachungsbehörden erneut geprüft werden müssen.

Weitere Probleme bei der Umsetzung ergeben sich aus Überschneidungen im
Geltungsbereich zwischen dem Lebensmittel- und dem Arzneimittelrecht, da
sich ein nennenswerter Anteil der Claims auf Inhaltsstoffe bezieht, die in einigen
europäischen Ländern arzneiliche Wirkstoffe sind.

Rechtlich problematisch ist, dass die Verordnung durch kein Verwaltungs- oder
Rechtswegverfahren untersetzt ist. Ein Rechtsweg kann sich derzeit lediglich
aus Artikel 263 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) ergeben, d. h. gegen die durch Verordnung in Tranchen zur Nutzung
freigegebenen Claims durch die EU-Kommission. Dies beeinträchtigt jedoch bis
zum Abschluss des Verfahrens nicht die Nutzung eines genehmigten Claims.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche sind nach Auffassung der Bundesregierung die Probleme bei der
Umsetzung der Health-Claims-Verordnung, und wie begegnet die Bundes-
regierung diesen?

2. Werden die nationalen Behörden von der EFSA kontinuierlich über Ar-
beitsplanung und Verfahrensstände zur Umsetzung unterrichtet, und wenn
nein, warum nicht?

3. Welche Möglichkeiten gibt es für Verbände und betroffene Unternehmen,
Informationen über den Verfahrensstand und zeitlichen Rahmen zu erlan-
gen, wenn

a) die beantragten Claims aus Deutschland stammen,

b) die Claims aus anderen EU-Ländern beantragt wurden?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung das geplante Vorgehen, von der EFSA
akzeptierte Claims in Tranchen freizugeben, unter Verbraucherschutzge-
sichtspunkten sowie aus Sicht der Lebensmittelüberwachung?

5. Hält die Bundesregierung das geplante Verfahren für angemessen?

Wenn nein, welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um eine tran-
chenweise Freigabe durch ein verbraucherfreundliches Verfahren zu erset-
zen?

6. Sieht die Bundesregierung im Verfahren die Rechte von Antragstellern oder
betroffenen Dritten (Verbraucherschützern, Wettbewerbern) ausreichend
gewahrt?

7. Wie viele Anhörungen von Verbraucherverbänden hat die EU-Kommission
wie in Artikel 4 der Verordnung (EG) 1924/2006 vorgesehen durchgeführt
(tabellarische Übersicht nach Datum, Thema, angehörtem Verband)?

8. Aus welchen Gründen verzögerte sich die für den 19. Januar 2009 vorgese-
hene Festlegung von Nährwertprofilen?

9. Welche Position hat die Bundesregierung in Bezug auf Nährwertprofile in
den EU-Gremien vertreten?

10. In welcher Weise hat die Bundesregierung die EU-Kommission bei der Er-
stellung von Nährwertprofilen unterstützt?

11. Welche wissenschaftlichen Studien wurden für die Ermittlung des Salz-
gehaltes in Nährwertprofilen ausgewertet?

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12. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass

a) die Prüfung und Bewertung durch die EFSA allein auf Basis der vom
Antragsteller eingereichten Unterlagen erfolgt und Dritte keine Mög-
lichkeit haben, ihnen vorliegende Erkenntnisse in das Verfahren einzu-
bringen,

b) die EFSA-Unterlagen, die nach dem Stichtag 31. Januar 2008 ein-
gereicht wurden, zur Entscheidungsfindung nicht mehr heranzieht und
damit völlig auf den dynamischen Zuwachs an wissenschaftlichen
Erkenntnissen verzichtet, die über einen Zeitraum von 2 bis 3 Jahren ge-
wonnnen werden,

c) die Frage möglicher Risiken gar nicht geprüft und keine Nutzen-Risiko-
Abwägung vorgenommen wird?

13. Wird die Bundesregierung darauf dringen, dass die EFSA zusätzlich zu den
bisherigen Prüfungen eine Risikoprüfung zu den beantragten Stoffen vor-
nehmen wird analog der „Guidance on Safety assessment of botanicals and
botanical preparations intended for use as ingredients in food supplements“
(EFSA Journal 2009; 7(9):1249, S. 19 ff.)?

14. Welche Abgrenzungsprobleme sieht die Bundesregierung in der Beurtei-
lung der Claims zwischen dem Lebensmittelrecht und dem Arzneimittel-
recht?

15. Darf die EFSA nach Auffassung der Bundesregierung Claims zu Wirkstof-
fen bewerten, die in manchen EU-Ländern als Arzneimittel im Verkehr
sind, wie derzeit praktiziert?

Wenn nein, was unternimmt die Bundesregierung dagegen?

16. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die EFSA bereits einen Claim akzep-
tiert hat, der sich auf den arzneilichen Wirkstoff Melatonin bezieht?

Ist der Bundesregierung weiterhin bekannt, dass dieser Wirkstoff, zumal in
der vorgesehenen Dosierung, in Deutschland – u. a. wegen umfangreicher
Wechselwirkung und Warnhinweise – nur als verschreibungspflichtiges
Arzneimittel verkehrsfähig ist?

Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung als Konsequenz aus die-
ser Anerkennung?

17. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die EFSA weitere Stoffe zur Prüfung
angenommen hat, denen von der US Food and Drug Administration (FDA)
bzw. den europäischen Arzneimittelaufsichten wegen ihrer Nebenwir-
kungsprofile und toxischen Wirkungen die Zulassungen entzogen wurden
(z. B. Claims 4049 und 4069)?

18. Können nach Auffassung der Bundesregierung Daten aus dem Arzneimit-
telbereich, die bei der Behandlung von Kranken gewonnen wurden, heran-
gezogen werden, um eine gesundheitsbezogene Wirkung des Health Claim
bei Gesunden zu beurteilen?

19. Darf die EFSA nach Auffassung der Bundesregierung Erkenntnisse zu
Wirksamkeit und Sicherheit eines Wirkstoffes aus dem Arzneimittelbereich
auf den Lebensmittelbereich übertragen, obwohl dort in der Regel andere
Dosierungen verwendet werden?

20. Wie bewertet die Bundesregierung, dass im Arzneimittelrecht gesetzlich
definierte Anforderungen an den Herstellungsprozess und an die Produkt-
qualität gestellt werden, diese bei der Verwendung derselben Wirkstoffe in
Lebensmitteln jedoch nicht gelten?

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21. Muss die EFSA nach Auffassung der Bundesregierung nicht zusätzlich zu
den Mindestmengen auch maximale Tagesverzehrsmengen angeben, da ei-
nige Wirkstoffe in niedrigen Dosen als Lebensmittel gelten, in hohen als
Arzneimittel (z. B. Vitamine A und D, Magnesium)?

22. Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um zu verhin-
dern, dass über dem Umweg der Health-Claims-Verordnung das Arzneimit-
telrecht unterlaufen wird und der Verbraucher Gesundheitsgefährdungen
ausgesetzt wird?

Berlin, den 7. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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