BT-Drucksache 17/2375

Zukunft der stofflichen Nutzung von Biomasse in Bioraffinerien

Vom 2. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2375
17. Wahlperiode 02. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Eva Bulling-Schröter, Dr. Rosemarie
Hein, Ralph Lenkert, Dr. Petra Sitte, Sabine Stüber und der Fraktion DIE LINKE.

Zukunft der stofflichen Nutzung von Biomasse in Bioraffinerien

Die chemische Industrie der Bundesrepublik Deutschland setzte im Jahr 2007 laut
eigenen Angaben rund 19 Mio. Tonnen an fossilen Rohstoffen (Erdölprodukte,
Erdgas und Kohle) stofflich ein – das sind nur rund 4 Prozent der gesamten in der
Bundesrepublik Deutschland genutzten fossilen Rohstoffe (Öl, Gas, Kohle). Der
Einsatz nachwachsender Rohstoffe in der chemischen Industrie belief sich im
selben Jahr auf mehr als 2 Mio. Tonnen – bei einem Importanteil von 60 bis
70 Prozent.

Werden nachwachsende Rohstoffe allein betrachtet, so hat ihre Nutzung zur stoff-
lichen Umwandlung erst einen Anteil von geschätzten 15 Prozent an ihrem gesam-
ten Einsatz. Bei nachwachsenden wie auch fossilen Rohstoffen spielt die stoffliche
Nutzung zurzeit nur eine nachrangige Rolle. Dies widerspricht den Zielen einer
nachhaltigen Nutzung von Ressourcen wie auch des Umwelt- und Klimaschutzes.

Um den Klimawandel auf ein verträgliches Maß zu begrenzen, müssen entwi-
ckelte Industriestaaten wie die Bundesrepublik Deutschland ihre Emissionen ins-
besondere von CO2 bis 2050 um bis zu 95 Prozent zu reduzieren. Dies bedeutet
nicht nur tiefgreifende Wandlungen bei der Energieerzeugung, sondern auch bei
stoffwandelnden Prozessen, die jetzt noch fossile Ausgangsstoffe nutzen, die mehr
und mehr durch klimaneutrale Biomasse zu ersetzen ist. Zugleich wird vor den
ökologischen und sozialen Folgen einer ausgeweiteten Biomasseerzeugung im
Inland wie vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern gewarnt. Der ent-
scheidende Bedarf entsteht hier gegenwärtig jedoch nicht aus der stofflichen, son-
dern aus der energetischen Nutzung. Der wachsende Bedarf in beiden Bereichen
wird jedoch in In- wie Ausland zu einer zunehmenden Nutzungskonkurrenz zu
Lasten von Ernährung und Naturschutz führen. Hier sind Abwägungsprozesse er-
forderlich, damit der Einsatz von Biomasse mehr nützt als schadet.

Industrielle Bioraffinerien bieten mit ihrer mehrstufigen sowie stofflich-energe-
tisch gekoppelte Verwertung sich an als sinnvollen Kompromiss und Schlüssel
zum Aufbau einer nachhaltigen neuen Industrie auf Basis nachwachsender oder
anderer biogener Rohstoffe. Nach bisherigen Planungen sollen bis zum Jahr 2020
erste voll funktionsfähige Bioraffinerien arbeiten.

Drucksache 17/2375 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie erklärt die Bundesregierung, dass nach Angaben des Verbandes der
Chemischen Industrie e. V. (VCI – Daten und Fakten, Stand: 8. März 2010)
nachwachsende Rohstoffe im Jahr 2007 einen Anteil von 10 Prozent an der
gesamten Rohstoffbasis der chemischen Industrie hatten, nach den Anga-
ben im „Aktionsplan der Bundesregierung zur stofflichen Nutzung nach-
wachsender Rohstoffe“ (Stand: August 2009) dieser Anteil 2007 bereits
schon bei 13 Prozent gelegen haben soll?

2. Wie hoch ist das Potenzial am Biomasse, das in der Bundesrepublik
Deutschland aus eigenem Aufkommen zur Verwendung in Bioraffinerien
aller Formen zur Verfügung steht (frische Pflanzenmasse, Holz, Holzreste,
Bioabfälle und anderes)?

3. Wie groß ist nach Auffassung der Bundesregierung im Inland zur Ver-
fügung stehende Potenzial an Biomasse, das nicht in Konkurrenz zur Nah-
rungserzeugung, energetische Verwertung und Schutz der Natur für stoff-
lichen Mehrfachverwertung in Bioraffinerien zur Verfügung steht?

4. Wie wird sich nach Ansicht der Bundesregierung der Importanteil von Bio-
masse bis 2020 entwickeln, und welche Maßnahmen hält die Bundesregie-
rung für geeignet, den Importanteil zu senken?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung, bestimmte hochwertige
Nahrungsrohstoffe wie Getreide für die stoffliche Verwertung auszuschlie-
ßen, um die Nutzungskonkurrenz zu minimieren?

6. Wie gestaltet sich die Klimaschutzbilanz nachwachsender Rohstoffe im
Vergleich zu fossilen in folgenden Fällen (mögliche Einsparung bitte in
CO2-Äquivalenten angeben):

a) nachwachsende Rohstoffe aus Inlandaufkommen ersetzen fossile Roh-
stoffe in energetischer Verwendung;

b) nachwachsende Rohstoffe aus Inlandaufkommen ersetzen fossile Roh-
stoffe in stofflicher Verwendung;

c) nachwachsende Rohstoffe aus Importen ersetzen fossile Rohstoffe in
energetischer Verwendung sowie

d) nachwachsende Rohstoffe aus Importen ersetzen fossile Rohstoffe in
stofflicher Verwendung?

7. In welchem Umfang ist in der Bundesrepublik Deutschland Non-Food-
Biomasse, insbesondere aus der Agrar- und Forstwirtschaft, prinzipiell ver-
fügbar, und wie viel werden davon gegenwärtig energetisch und stofflich
genutzt?

8. In welchem Umfang wird Non-Food-Biomasse zur stofflichen und ener-
getischen Nutzung gegenwärtig in die Bundesrepublik Deutschland impor-
tiert?

9. Wie viel Rohöl lässt sich bis 2020 nach heutigen Schätzungen durch den
Einsatz von Biomasse bei der energetischen wie stofflichen Nutzung sub-
stituieren (bitte auch getrennt nach energetischer und stofflicher Nutzung
angeben)?

10. Welche Möglichkeiten bietet die stoffliche Nutzung von Biomasse zur Sub-
stitution von Erdgas und Kohle?

11. Wie viele Pilotanlagen, die zur Kategorie Bioraffinerien oder deren Vorstu-
fen gerechnet werden können, gibt es gegenwärtig in der Bundesrepublik
Deutschland (bitte einzeln aufführen und nach Bundesländern aufschlüs-
seln)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2375

12. Wann rechnet die Bundesregierung damit, dass Bioraffinerien aus dem Ver-
suchsstadium in eine praxisreife Umsetzung überführt werden?

13. Wie viele Kompetenzzentren für Bioraffinerien gibt es gegenwärtig in der
Bundesrepublik Deutschland, und welche Standorte fallen darunter?

14. Was hat die Bundesregierung getan, um ein Bioraffinerie-Forschungs-
netzwerk zu etablieren, und gibt es dafür einen bundesweit verantwortlichen
Ansprechpartner?

15. Wie wird die Entwicklung regional einsetzbarer klein- und mitteltonnagiger
Anlagen zur Umwandlung von Biogas, Restgasen, Begleit- und Abfall-
gasen in chemische Rohstoffe (Gas-to-Liquid-Technologie) gefördert?

16. Hat die Bundesregierung bereits die angekündigte Roadmap zu Bioraffine-
rien erstellt, und wenn nein, warum nicht?

17. Was hat die Bundesregierung getan, um die im Aktionsplan zur stofflichen
Nutzung nachwachsender Rohstoffe im Handlungsfeld 7 konstatierte „For-
derlücke“, die aus der Fokussierung der Forschungsförderung auf die Pro-
duktentwicklung resultiert, zu beseitigen?

18. In welchem Zeitraum werden stoffliche Produkte aus Bioraffinerien voraus-
sichtlich preislich mit gleichen oder ähnlich gelagerten Produkten aus fos-
silbasierten Raffinerien wettbewerbsfähig sein?

19. Zieht die Bundesregierung in Betracht, diese preisliche Wettbewerbsfähig-
keit auch dadurch zu befördern, dass die stoffliche Nutzung fossiler Roh-
stoffe mit besonderen Abgaben oder Steuern belegt wird?

20. Existiert eine Begleitforschung, die die erforschten Prozesse in Bioraffine-
rien systematisch auf Nachhaltigkeitseffekte untersucht?
Wenn ja, wo?

21. Wie verhält sich aus Sicht der Bundesregierung der steigende Bedarf an
Biomasse zur zunehmenden weltweiten Knappheit an Süßwasser?

22. Hält es die Bundesregierung für möglich, den besonderen Klimaschutzbei-
trag, den Bioraffinerien leisten, anzuerkennen, so durch die Zuteilung han-
delbarer Emissionszertifikate?

23. Hält es die Bundesregierung bei Produkten aus Bioraffinerien – wie bei Bio-
produkten der Ernährung – ein entsprechendes Labeling zur klaren Kenn-
zeichnung für notwendig?

24. Hält die Bundesregierung zur Förderung der stofflichen Mehrfachwertung
von Biomasse in Bioraffinerien ein Fördermodell ähnlich des EEG (Erneu-
erbare-Energien-Gesetz) für prinzipiell umsetzbar?

25. Sieht die Bundesregierung Probleme bei der Akzeptanz möglicher Bio-
raffinerieanlagen etwa in Bezug auf Geruchsbelästigung von chemisch und
biologisch gesundheitsschädlichen Stoffen?
Sind der Bundesregierung Fälle von Protesten und Einwendungen etwa von
Anwohnern gegen neue Anlagen bekannt?

26. Welche Potenziale sieht die Bundesregierung angesichts der begrenzten
Ressourcen an Biomasse an einer verbesserten bzw. verstärkten stofflichen
Nutzung fossiler Rohstoffe wie Öl, Gas und Kohle?

27. Ist es technisch möglich, und wenn ja, würde die Bundesregierung dies för-
dern, Raffineriekonzepte zu erarbeiten, die sowohl fossile Rohstoffe als
auch Biomasse zur stofflichen Umwandlung einsetzen können?

Drucksache 17/2375 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
28. Wäre es aus Sicht der Bundesregierung notwendig, dass der Einsatz fossiler
Rohstoffe in Bioraffinerien nur gestattet werden kann, wenn die entspre-
chenden Anlagen über der eingesetzten Menge entsprechende Emissions-
zertifikate verfügen?

29. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forderung
der Akademie der Wissenschaften nach einer besseren Abstimmung der
Energieforschung, die derzeit in fünf Ministerien umgesetzt wird, sowie
darüber hinaus zur Konzentration der Energieforschung in einem einzigen
Ministerium (vgl. „Zum Verbrennen viel zu schade“, DIE ZEIT, Ausgabe
vom 14. Januar 2010)?

Berlin, den 2. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.