BT-Drucksache 17/2358

Hausdurchsuchungen bei Handwerkern ohne Meisterbrief

Vom 30. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2358
17. Wahlperiode 30. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Diether Dehm, Petra Pau, Jens Petermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Hausdurchsuchungen bei Handwerkern ohne Meisterbrief

Regelmäßig kommt es zu behördlichen Hausdurchsuchungen bei Handwerkern
ohne Meisterbrief. Den Betroffenen wird vorgeworfen, dass sie angeblich Tätig-
keiten ausgeübt hätten, die Meisterbetrieben vorbehalten seien. Obwohl sie
Steuern und Sozialabgaben zahlen, werden sie der Schwarzarbeit beschuldigt.
Um zu überprüfen, ob ein Betrieb ein zulassungspflichtiges Handwerk ausübt,
können die Handwerkskammern (HWK) als Vertretung der Meister Auskunft
und Einsicht in die Unterlagen eines Betriebes fordern und dürfen unter be-
stimmten Voraussetzungen die Geschäftsräume betreten.

Bundesweite Bekanntheit unter anderem durch eine Reportage des ZDF in der
Reihe Frontal21 erlangte im September 2009 der Fall des Visagisten Sasha
Arnold aus Göttingen. Weil Haareschneiden angeblich ein Vorbehaltsbereich
der Meisterbetriebe ist, wurde gegen ihn ermittelt, sein Salon durchsucht und ein
Bußgeld von 2 500 Euro verhängt.

Derartige Hausdurchsuchungen stellen einen schweren Grundrechtseingriff in
die Unverletzlichkeit der Wohnung dar. Das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) hat allein in den Jahren 2007 und 2008 innerhalb von 14 Monaten in
über 20 Fällen entschieden, dass Hausdurchsuchungen aufgrund der Vermutung
unerlaubter handwerklicher Tätigkeit verfassungswidrig sind. Bemängelt
wurde, dass aus den Durchsuchungsbeschlüssen nicht einmal hervorgeht, gegen
welche Bußgeldvorschrift die Betroffenen verstoßen haben sollen. Ebenso be-
mängelt wird, dass aus den angegriffenen Beschlüssen nicht im Ansatz ersicht-
lich ist, dass die Amts- und Landgerichte eine eigenständige Verhältnismäßig-
keitsprüfung vorgenommen haben. Trotz der zahlreichen Urteile durch das
BVerfG nutzen die beantragenden Behörden, etwa Ordnungsämter, und die statt-
gebenden Amtsrichter diesen Weg der Durchsuchungen nach wie vor in gleicher
Weise. Der Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker
BUH e. V. kritisiert eine „Konkurrenzbekämpfung mit illegalen Mitteln“ durch
die Handwerkskammern und beschuldigt die Behörden, gegen ihre Neutralitäts-
pflicht zu verstoßen, indem sie „zur Schreibstube der Interessensvertretung des
Meisterhandwerks“ werden und dabei auch schwere Verstöße gegen die Grund-
rechte in Kauf nehmen. BUH e. V. schätzt, dass jährlich mehrere Tausend

solcher Durchsuchungen stattfinden und plädiert für ein Moratorium zum sofor-
tigen Stopp der Verfolgung meisterfreier Handwerker sowie eine großzügige
Schadenersatzregelung.

Durchsuchungen erfolgen auf Grundlage des Schwarzarbeitsbekämpfungsge-
setzes (§ 2 Absatz 5 Satz 2) und des § 1 Absatz 2 der Handwerksordnung (HWO).
Dabei spielen Abgrenzungsfragen eine große Rolle. Auch bei den Beratungen
um die HWO-Novelle standen 2003 die Abgrenzungsfragen im Mittelpunkt.

Drucksache 17/2358 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

§ 16 HWO sieht eine Schlichtungsstelle von HWK und Industrie- und Hand-
werkskammer (IHK) vor, die aktiv wird, wenn die Zuordnung zwischen Hand-
werk und Industrie bzw. Handel nicht eindeutig erscheint. Die Ergebnisse statt-
gefundener Schlichtungen werden allerdings nicht veröffentlicht, obwohl sie
mehr Klarheit bei ähnlich ungeklärten Abgrenzungsfragen bringen könnten. Be-
rufsvertretungen unabhängiger Handwerker sehen daher den Geist der Gesetzes-
novelle von 2004 auf der Strecke geblieben.

Unabhängig vom Für und Wider zum Meisterzwang ist eine Ungleichbehand-
lung von Handwerkern aus Deutschland und den übrigen EU-Staaten zu konsta-
tieren. So können Betriebe aus allen 26 EU-Mitgliedstaaten grenzüberschreitend
nach Deutschland hinein Aufträge annehmen, während andererseits der deut-
sche Gesetzgeber bei der Neufassung einen Umgehungstatbestand in § 4 der Ge-
werbeordnung (GewO) eingebaut hat. Danach ist es Einheimischen verwehrt,
wenn sie einen Betrieb im EU-Ausland gründen, nach Deutschland hinein hand-
werkliche Aufträge anzunehmen. Dagegen können Gesellen aus anderen euro-
päischen Ländern sich in Deutschland ohne Meistertitel niederlassen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit ist der Bundesregierung die Problematik von behördlichen Haus-
durchsuchungen bei Handwerkern ohne Meisterbrief unter dem Vorwurf des
Verstoßes gegen den Meisterzwang bekannt?

2. Wie viele Hausdurchsuchungen bei Handwerkern finden nach Kenntnis der
Bundesregierung jährlich aufgrund des Verdachts der Handwerksausübung
ohne Meisterbrief statt?

a) Wie viele diesbezügliche Durchsuchungsbeschlüsse werden jährlich er-
lassen?

b) In wie vielen Fällen wurden bei derartigen Durchsuchungen Beweise für
eine illegale Handwerksausübung aufgrund eines Verstoßes gegen den
Meisterzwang gefunden?

c) In wie vielen Fällen kam es anschließend zu einer Anzeige aufgrund eines
Verstoßes gegen den Meisterzwang?

d) In wie vielen Fällen kam es anschließend zu einer Verurteilung aufgrund
eines Verstoßes gegen den Meisterzwang?

3. In wie vielen Fällen hat das Bundesverfassungsgericht unter dem Vorwurf
des Verstoßes gegen den Meisterzwang durchgeführte Hausdurchsuchungen
bei Handwerkern ohne Meisterbrief im Nachhinein für unzulässig erklärt?

4. Was gedenkt die Bundesregierung im Rahmen der Innenministerkonferenz
(IMK) zu unternehmen, um die Praxis illegaler Hausdurchsuchungen bei
Handwerkern ohne Meisterbrief zu unterbinden?

5. Inwieweit sieht die Bundesregierung bei den von Handwerkskammern veran-
lassten Hausdurchsuchungen bei Handwerkern ohne Meistertitel die Verhält-
nismäßigkeit der Mittel gewahrt?

6. Inwieweit sieht die Bundesregierung bei den von Handwerkskammern ge-
wünschten Hausdurchsuchungen bei Handwerkern ohne Meistertitel die
Neutralitätspflicht seitens der ausführenden Behörden gewahrt?

7. Inwieweit sieht die Bundesregierung die Verhältnismäßigkeit der Mittel an-
gesichts der Tatsache gewahrt, dass viele der Durchsuchungen auf anonyme
Hinweise hin und für Bußgeldverfahren um wenige hundert Euro erfolgen?

8. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für ein Moratorium zum

Stopp der Verfolgung meisterfreier Handwerker?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2358

9. Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, die Ergebnisse stattgefundener
Schlichtungen der von § 16 HWO vorgesehenen Schlichtungsstelle von
HWK und IHK zur Zuordnung von Industrie und Handwerk bzw. Handel
öffentlich zu machen, um Klarheit in die ungeklärten Abgrenzungsfragen
zu bringen?

a) Wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, damit solche
Schlichtungsergebnisse zukünftig öffentlich einsehbar sind?

b) Wenn nein, warum nicht?

10. Inwieweit ist sich die Bundesregierung der Problematik bewusst, dass grün-
dungswillige Handwerker ohne Meistertitel weder von Behörden noch von
Handwerkskammern eindeutige und prüfungsfeste Angaben bekommen,
und was gedenkt sie zur Beseitigung dieses Missstandes zu unternehmen?

11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragestellenden, dass in § 4
GewO eine Ungleichbehandlung von Handwerkern aus Deutschland und
der übrigen EU besteht?

a) Wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen?

b) Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung, dass ausländischen
Handwerkern aus der EU eine Niederlassung und Arbeit in Deutschland
ohne Meistertitel gestattet wird, während einheimischen Handwerkern
ohne Meistertitel im EU-Ausland die Annahme von Aufträgen nach
Deutschland verwehrt wird?

Berlin, den 30. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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