BT-Drucksache 17/2276

Schließung des UNHCR-Büros in Tripolis (Libyen)

Vom 23. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2276
17. Wahlperiode 23. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen,
Annette Groth, Andrej Hunko, Harald Koch, Niema Movassat, Jens Petermann,
Paul Schäfer (Köln), Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Schließung des UNHCR-Büros in Tripolis (Libyen)

Die Regierung Libyens hat dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten
Nationen (UNHCR) untersagt, weiter in Libyen tätig zu sein. Seit 1991 war der
UNHCR in dem nordafrikanischen Land tätig und nahm die Registrierung von
Flüchtlingen vor. Allerdings waren die Möglichkeiten des UNHCR, um seine
Schutzfunktion für die Flüchtlinge zu erfüllen, von Beginn an sehr einge-
schränkt, weil eine sonst übliche Vereinbarung mit der Regierung über diese
Tätigkeit ausgeblieben ist. Libyen selbst hat keine gesetzlich verankerten Ver-
fahren zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus und hat die Genfer Flüchtlings-
konvention nicht unterzeichnet. PRO ASYL e. V. warnte in einer Stellungnahme
vom 9. Juni 2010, es werde in Libyen „künftig nicht einmal mehr Zeugen geben,
die die Menschenrechtsverletzungen gegenüber Schutzsuchenden dokumentie-
ren können“. Diese würden in Libyen „inhaftiert, misshandelt und gefoltert,
Flüchtlingsfrauen vergewaltigt“. Die Flüchtlingsorganisation warf der Europäi-
schen Union (EU) und ihren Mitgliedstaaten vor, sie statte[te]n „das Regime mit
Waffen, Schiffen, Fahrzeugen, Leichensäcken, Geldern für Abschiebungsflüge
und Haftanstalten aus und blenden die Menschenrechtsverletzungen, die auch
im Namen Europas geschehen, aus“. Gefordert seien nun das Ende der Kolla-
boration mit Libyen und eine konzertierte Aktion der EU zur Aufnahme der
Flüchtlinge, die sich im Transit in Libyen befänden.

Das Tätigkeitsverbot für den UNHCR erfolgte einen Tag nachdem das Regime
in Tripolis die siebte Runde der Verhandlungen mit der EU über ein Partner-
schaftsabkommen aufgenommen hatte. Die EU-Kommission hatte in diesem
Zusammenhang die Ratifikation der Genfer Flüchtlingskonvention durch
Libyen gefordert, erst dann könne ein Rückübernahmeabkommen abgeschlos-
sen werden. Zugleich unterstützten die EU und einzelne Mitgliedstaaten, ins-
besondere Italien, bereits auf vielfältigen Wegen Libyen dabei, die eigenen
Grenzen gegen unerwünschte Migration zu schützen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele vom UNHCR registrierte Flüchtlinge halten sich derzeit nach
Kenntnis der Bundesregierung in Libyen auf, die auf eine Weiterreise nach

Europa warten?

2. Wie viele Migrantinnen und Migranten bzw. Schutzsuchende befinden sich
derzeit nach Kenntnis der Bundesregierung in libyschen Haftzentren und Ge-
fängnissen, und wie schätzt die Bundesregierung die menschenrechtliche
Lage in diesen Einrichtungen ein?

Drucksache 17/2276 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Was genau ist Gegenstand der Verhandlungen zwischen der EU und Libyen
im Bereich Migrations- und Visapolitik, und geht es insbesondere auch um
die „Rücknahme“ von Personen, die illegal über Libyen in die EU eingereist
sind, und wenn ja, in welchen Fallkonstellationen?

4. Kann die Bundesregierung Angaben der Menschenrechtsorganisation
„Human Rights Watch“ bestätigen, nach denen der damalige EU-Innen- und
Justizkommissar, Jacques Barrot, im Juli 2009 Libyen 80 Mio. Euro für
Grenzsicherungsmaßnahmen und den Bau von Aufnahmelagern angeboten
hat (vgl. Human Rights Watch, „Pushed Back, Pushed Around“, New York,
2009), und wenn ja, was ist aus diesem Angebot geworden, und wenn nein,
über welche Kenntnisse verfügt die Bundesregierung in diesem Zusammen-
hang?

5. Kann die Bundesregierung Angaben der „Times of Malta“ vom 8. Juni 2010
(Onlineausgabe www.timesofmalta.com) bestätigen, nach denen der Ab-
schluss eines Partnerschaftsabkommens der EU mit Libyen bis Ende 2010
angestrebt wird, oder welche anderen diesbezüglichen Informationen liegen
der Bundesregierung vor?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die Schließung des UNHCR-Büros in
Libyen, und welche Konsequenzen zieht sie hieraus für ihre Beziehungen zu
Libyen, und ist sie insbesondere für die Beibehaltung des Ziels der EU, im
Zusammenhang der Verhinderung irregulärer Einwanderung in die EU, en-
ger mit Libyen zusammenzuarbeiten (bitte begründen)?

7. Wie weit steht nach Kenntnis der Bundesregierung das Tätigkeitsverbot für
den UNHCR im Zusammenhang mit der Fortsetzung der Verhandlungen
zwischen der EU und Libyen über ein Partnerschaftsabkommen?

8. Was folgt umgekehrt aus dem Tätigkeitsverbot gegen den UNHCR für die
Verhandlungen der europäischen Seite mit Libyen über das Partnerschafts-
abkommen?

9. Welche Unterstützungsleistungen hat Libyen in den vergangenen fünf Jah-
ren von Seiten der EU oder anderen EU-Mitgliedstaaten erhalten, um die
eigene Grenzkontrolle und das so genannte Grenzmanagement zu verbes-
sern (technologische Unterstützung, Weiterbildungsmaßnahmen, Aus-
tausch von Bediensteten etc.)?

10. Welche Folgen dieser Unterstützungsleistungen sind der Bundesregierung
bekannt (z. B. Sinken der Zahl der versuchten Überfahrten nach Italien bzw.
Malta)?

11. Welche praktischen Folgen hatte bislang der Beschluss des EU-Rates der
Innen- und Justizminister vom Februar 2010, die Kooperation mit Libyen
bei Grenzschutzfragen zu verstärken und eine Zusammenarbeit auf See
(also mit der Europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX) einzuleiten
(Ratsschlussfolgerungen zur Bekämpfung der illegalen Migration im Mit-
telmeer, Ratsdokument 6975/10)?

12. Wird Gegenstand der Kooperation mit Libyen auch sein, die von Italien ge-
pflegte Praxis (auch im Rahmen von FRONTEX-Einsätzen) fortzusetzen,
Flüchtlinge auf Hoher See abzufangen und nach Libyen zurückzubringen,
obwohl dies einen Verstoß gegen Artikel 3 i. V. m. Artikel 1 der Europäi-
schen Menschenrechtskonvention darstellt (Auftrag zur Verhinderung von
Folter oder anderen Misshandlungen)?

13. Welche Unterstützungsleistungen im Bereich der Grenzkontrolle, Verhinde-
rung der irregulären Migration, Dokumentenprüfung, Ausbildung usw. sind
bislang durch die Bundesrepublik Deutschland an bzw. in Libyen geleistet

worden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2276

14. Befinden oder befanden sich im Zusammenhang mit der Bekämpfung ille-
galer Migration deutsche Beamtinnen und Beamte (Dokumentenberater
etc.) in Libyen, und wenn ja, wie viele, mit welchen Aufgaben, und für
welchen Zeitraum?

15. Wie viele durch den UNHCR registrierte Flüchtlinge wurden im Rahmen
von Neuansiedlungsprogrammen (resettlement) im Jahr 2009 in den EU-
Staaten aufgenommen, wie viele davon in Deutschland?

16. Werden Asylsuchende, die über Libyen versuchen in die Bundesrepublik
Deutschland zu gelangen, an den Außengrenzen der Bundesrepublik
Deutschland zurückgewiesen oder zu einem späteren Zeitpunkt zurück-
oder abgeschoben, obwohl ihnen als „illegalen Migranten“ in Libyen un-
menschliche Behandlung droht?

17. Wird die Bundesregierung die Praxis bei Zurückweisungen, Zurückschie-
bungen und Abschiebungen bezüglich Libyens nach dem Tätigkeitsverbot
für den UNHCR ändern, und wenn ja, wie, und wenn nein, warum nicht?

18. Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Menschen aus Eritrea, Ghana,
Mali und Nigeria durch die libyschen Behörden nach einer entsprechenden
Ankündigung am 15. Januar 2008 ausgewiesen und abgeschoben worden
sind, und wie es ihnen ergangen ist („Situation der Menschenrechte in
Libyen“, Bericht der Deutschen Welle vom 14. Mai 2010)?

Berlin, den 23. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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