BT-Drucksache 17/2256

Saatgutverunreinigungen mit dem gentechnisch veränderten Mais NK603

Vom 21. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2256
17. Wahlperiode 21. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Jan van Aken, Karin Binder,
Eva Bulling-Schröter, Dr. Diether Dehm, Caren Lay, Ralph Lenkert, Sabine Stüber,
Alexander Süßmair und der Fraktion DIE LINKE.

Saatgutverunreinigungenmit dem gentechnisch veränderten Mais NK603

Eine der Grundvoraussetzungen für die Sicherung der sogenannten Koexistenz
zwischen gentechnisch veränderten Pflanzen und konventionell gezüchteten
Pflanzen ist eine möglichst lückenlose Saatgutkontrolle. Um eventuelle Verun-
reinigungen (Kontaminationen) bereits vor der Ausbringung des Saatgutes zu
verhindern, haben sich alle Bundesländer verpflichtet, ihre Saatgutkontrollen be-
reits frühzeitig im Jahr 2010 durchzuführen (Handlungsleitfaden der Bund-Län-
der-Arbeitsgemeinschaft Gentechnik). Rechtzeitig vor der Aussaat sollte durch
dieses Vorgehen gesichert werden, dass gentechnikfrei wirtschaftende Betriebe
auch wirklich nur gentechnikfreies Saatgut geliefert bekommen. Die meisten
Bundesländer kamen dieser Absprache mit dem Bundesministerium für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) nach und veröffentlich-
ten die Ergebnisse ihrer Kontrollen. Daraufhin wurden die kontaminierten Saat-
gutchargen noch vor der Aussaat zurückgerufen und unschädlich gemacht.

Durch die Umweltschutzorganisation Greenpeace e. V wurden die Ergebnisse
der Bundesländer nach dem Informationsfreiheitsgesetz erfragt, zusammenge-
fasst und im März 2010 veröffentlicht. Einzig das Bundesland Niedersachsen
gab seine bereits im Februar erprobten Ergebnisse nicht preis. Wegen erkrankter
und verreister Mitarbeiter habe es eine zweiwöchige Verzögerung bei der Infor-
mation des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt und Naturschutz und
einer betroffenen Saatgutfirma durch die Landwirtschaftskammer Niedersachsen
gegeben, die erst am 27. April 2010 erfolgt sein soll. Erst per Gerichtsbeschluss
vom 3. Juni 2010 habe die Firma zur Offenlegung ihrer Lieferdaten gezwungen
werden können. Die Maisaussaat lag zu diesem Zeitpunkt bereits einige Wochen
zurück. Das BMELV und die anderen Bundesländer wurden am 30. April 2010
informiert.

Direktes Resultat aus dieser zeitlichen Verzögerung war die Auslieferung und
Ausbringung von kontaminiertem Maissaatgut der Firma Pioneer Hi-Bred
Northern Europe Sales Division GmbH aus Buxtehude in mehrere Bundesländer.
In den Proben waren Verunreinigungen mit dem Event NK603 gefunden worden.
Dieser Mais hat in Europa seit 2004 bzw. 2005 eine Zulassung als Lebens- bzw.
Futtermittel, darf allerdings nicht kommerziell angebaut werden. Eine Aussaat
auch kleinster Mengen ist daher unzulässig. Ein Antrag auf Anbauzulassung
wurde 2005 gestellt, ist jedoch noch nicht entschieden.

Durch die Verunreinigung der Felder von gentechnikfrei wirtschaftenden Land-
wirtschaftsbetrieben – zu einer Zeit, in welcher überhaupt keine gentechnisch
veränderte Maissorte zum Anbau in Deutschland zugelassen ist – sind die im § 1

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des Gentechnikgesetzes (GenTG) genannten Schutzgüter – vor allem die gen-
technikfreie Landwirtschaft – gefährdet. Greenpeace e. V. sprach in diesem Zu-
sammenhang vom bis dato größten Gentechnik-Saatgut-Skandal in Deutschland.
Eine schleichende Verunreinigung von Saatgut, Lebens- und Futtermitteln wird
befürchtet. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL)
stellte wegen der gentechnischen Verunreinigungen im Maissaatgut am 13. Juni
2010 Strafanzeige gegen Unbekannt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen Bundesländern wurden im Jahr 2010 gentechnische Kontamina-
tionen von Saatgut festgestellt?

Um welche Events handelte es sich hierbei?

Wie viele Proben wurden in den einzelnen Bundesländern und insgesamt ge-
nommen?

Wie hoch waren die festgestellten Verunreinigungen?

Woher stammte das Saatgut?

2. Nach welchen Kriterien wurde entschieden, aus welchen Saatgutchargen Kon-
trollproben gezogen werden sollen?

Wurde dabei ein potentiell erhöhtes Kontaminationsrisiko aufgrund der Pflan-
zenart bzw. der Saatgutherkunft berücksichtigt?

3. Welche Kontrolldichte (Zeitabläufe, Anzahl der Proben) im Rahmen der im
Frühjahr stattfindenden jährlichen Saatgutkontrollen der Bundesländer hält
die Bundesregierung für angemessen, um eine wirksame Kontrolle des Saat-
gutes zu gewährleisten und somit Kontaminationen zu verhindern?

Sind die Saatgutkontrollen der Saatgutanbieter ausreichend, und werden diese
in jedem Fall nach einem standardisierten Untersuchungsverfahren durchge-
führt?

4. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die zeitliche Abfolge der
Probenahme am 9. Februar 2010 durch die Landwirtschaftskammer Nieder-
sachsen und die deutlich verzögerte Information der Öffentlichkeit durch das
Niedersächsische Ministerium für Umwelt und Klimaschutz?

Wie ist die Informationsrückhaltung durch den beprobten Saatgutbetrieb zu
erklären?

Welche strafrechtlichen Konsequenzen können sich aus dieser Verzögerung
ergeben?

5. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Qualität der Probe-
nahme und -analyse durch das Bundesland Niedersachsen?

Sind sie entsprechend der üblichen Standards durchgeführt worden?

Ist es für die Bewertung „positiver Befund“ erheblich, ob keimfähige trans-
gene Maiskörner oder lediglich Spuren transgener DNA (z. B. Maisstaub) ge-
funden wurde?

Welches Referenzmaterial stand für die Analyse der Proben zur Verfügung?

6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Ort, Zeitpunkt, Quelle bzw.
Ursache der Kontamination mit NK603?

Wie wird sich die Bundesregierung in die Aufklärung in Zusammenarbeit mit
den Bundesländern und dem Saatgutproduzenten einbringen?

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7. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Lieferung der kontami-
nierten Saatguteinheiten an Großhändler und einen anschließenden Weiter-
verkauf?

Welche Ermittlungen wurden in dieser Richtung unternommen?

In welche Bundesländer wurde ausgeliefert?

An wie viele Landwirtschaftsbetriebe wurde ausgeliefert?

Wie viele Hektar wurden mit diesem Maissaatgut bestellt?

Wie viele Chargen wurden nicht ausgebracht?

8. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Anordnungen der zu-
ständigen Landesbehörden zum Umgang mit den kontaminierten Maisschlä-
gen?

9. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Vorgehen der
Bundesländer in ähnlichen Fällen im Jahr 2009?

10. Wie ist entsprechend des GenTG bei einem mit NK603 kontaminierten
Maisschlag zu verfahren?

Was ist bei einem Umbruch zu beachten?

Wäre eine Verwendung des Erntegutes in einer Biogasanlage zulässig?

Welche Pflanzenschutzmittel garantieren die Vernichtung aller gentechnisch
veränderter Pflanzen auf dem Feld?

Wer ist für die Durchwuchskontrolle zuständig?

11. Werden die durch NK603 kontaminierten Flächen im Standortregister auf-
geführt (bitte begründen)?

Wenn ja, wann erfolgt die Eintragung?

Wenn nein, wie werden angrenzende Landwirtschaftsbetriebe informiert?

12. Welche Anbaumöglichkeiten (Kulturen) haben Landwirtschaftsbetriebe an-
gesichts des bereits fortgeschrittenen Jahres für Flächen, die aufgrund der
Kontamination mit NK603 umgebrochen werden mussten bzw. umgebro-
chen wurden?

Welche Opportunitätskosten entstehen beim Umbruch pro Hektar?

13. Wie sollte nach Ansicht der Bundesregierung eine Entschädigung der betrof-
fenen Landwirtschaftsbetriebe organisiert werden?

Wer haftet für den Schaden?

Sieht die Bundesregierung eine Teilschuld beim Bundesland Niedersachsen,
weil nicht rechtzeitig vor Aussaat die Probeergebnisse veröffentlicht wurden
(bitte begründen)?

Welcher zu entschädigender Schaden ist insgesamt entstanden (z. B. Folge-
schäden in der nächsten Anbausaison durch Durchwuchsmais)?

14. Welche Konsequenzen und Maßnahmen wurden aus dem Dialog zwischen
BMELV und den Bundesländern zum vorliegenden Kontaminationsfall be-
zogen bzw. abgeleitet?

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15. Teilt die Bundesregierung die den Vorgang relativierenden Auffassungen des
Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Dr. Gerd Müller, während der Befra-
gung der Bundesregierung im Deutschen Bundestag am 9. Juni 2010 (Bun-
destagsdrucksache 17/45), in der er auf die Größenordnung der Kontami-
nation mit NK603 hinwies („1 Korn von 1 000 Körnern“) sowie auf die mög-
liche Kontamination seines Frühstücks („praktisch könnten sowohl Sie als
auch ich solchen Mais heute früh mit dem Frühstücksmüsli verzehrt haben“)?

Teilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den Ausspruch des
Parlamentarischen Staatssekretärs „Wir sollten die Kirche im Dorf lassen“?

16. Teilt die Bundesregierung die am 10. Juni 2010 im Rahmen der Landtags-
sitzung getroffene Aussage der niedersächsischen Ministerin für Ernäh-
rung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung, Astrid
Grotelüschen, dass die Kontaminationen mit NK603 keine Auswirkung auf
Bienen hätten, weil Bienen Mais nicht anfliegen würden (bitte begründen)?

17. Welche Position bezieht die Bundesregierung in der europäischen Debatte
zur so genannten Nulltoleranz beim Saatgut (bitte differenzieren nach Kon-
taminationen mit zugelassenen und nicht zugelassenen Events)?

Hält sie eine Beibehaltung der Nulltoleranz für notwendig und praktikabel
(bitte jeweils begründen)?

18. Welche Kontaminationen (Saatgut, Futtermittel, Lebensmittel) wurden im
Jahr 2009 in der Europäischen Union (EU) festgestellt, und wie viele Tonnen
waren davon jeweils betroffen?

Aus welchen Ländern stammten kontaminierte Saatgut-/Futtermittel-/
Lebensmittellieferungen?

19. Wie würde sich die Aufhebung bzw. Abschaffung der Nulltoleranz und die
Einführung eines Schwellenwertes für zulässige Kontaminationen im Saat-
gut auf die gentechnikfreie Landwirtschaft in Europa auswirken?

Welchen Schwellenwert hielte die Bundesregierung für angemessen und wa-
rum?

20. Wann wird die Bundesregierung die bereits öffentlich zugesagten pflanzen-
artspezifischen Anbauvorgaben gemäß der Gentechnik-Pflanzenerzeugungs-
verordnung für die gentechnisch veränderte Amflora-Kartoffel erlassen?

21. Welche Änderungen im EU-Gentechnikrecht hält die Bundesregierung für
angemessen, und mit welchen Positionen wird sie sich in die von der EU-
Kommission angestoßene Debatte einbringen?

Wird die Bundesregierung von einem möglichen Verbot von gentechnisch
veränderten Pflanzen als Ergänzung der EU-Freisetzungsrichtlinie (Richt-
linie 2001/18/EG) Gebrauch machen (bitte begründen)?

Berlin, den 21. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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