BT-Drucksache 17/2118

Den Europäischen Auswärtigen Dienst im Dienste aller EU-Institutionen handlungsfähig und wirkungsvoll ausgestalten

Vom 16. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2118
17. Wahlperiode 16. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dietmar Nietan, Axel Schäfer (Bochum), Dr. Rolf Mützenich,
Heinz-Joachim Barchmann, Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra
Ernstberger, Dagmar Freitag, Iris Gleicke, Günter Gloser, Dr. Eva Högl, Hans-Ulrich
Klose, Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Johannes Pflug, Michael Roth (Heringen),
Werner Schieder (Weiden), Dr. Angelica Schwall-Düren, Dr. Martin Schwanholz,
Peer Steinbrück, Franz Thönnes, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Uta Zapf,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Den Europäischen Auswärtigen Dienst im Dienste aller EU-Institutionen
handlungsfähig und wirkungsvoll ausgestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Vertrag von Lissabon und der Berufung von Catherine Ashton in das
neue Amt der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für die Außen- und
Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission verfolgt
die EU ihr Ziel eines einheitlichen, kohärenten und wirksamen außen- und si-
cherheitspolitisches Handelns der EU und ihrer Mitgliedstaaten.

Dabei stellt die Schaffung des neuen Amtes der Hohen Vertreterin und der Auf-
bau des Europäischen Auswärtigen Dienstes – kurz: EAD – als effizienter, un-
abhängiger und loyaler Dienst der Hohen Vertreterin nicht nur eine historische
Chance für die gemeinsame Fortentwicklung des außen- und sicherheitspoli-
tischen Handelns der EU dar, sondern sie lässt sich auch als Wegmarke für
einen institutionellen Quantensprung innerhalb der Europäischen Union inter-
pretieren. Formal betrachtet ist der EAD lediglich eine Institution im Organi-
sationsaufbau der EU. Wenn es jedoch gelänge, ihn als Dienst im Dienste aller
EU-Institutionen aufzubauen, könnte er auch als neues, identifikationsstiften-
des Element einer Europäischen Union betrachtet werden, die endlich im
21. Jahrhundert angekommen ist: als echtes Gemeinschaftsprodukt der Euro-
päischen Kommission, des Rates der EU und des Europäischen Parlaments.
Ausschlaggebend hierfür ist maßgeblich der aufrichtige politische Wille der
Mitgliedstaaten.

Die Mitglieder des Deutschen Bundestages sind darüber enttäuscht, dass die

Bundesregierung diese historische Chance zur Gestaltung eines neuen Kapitels
europäischer Geschichte bislang nicht in ausreichendem Maße genutzt hat.
Statt durch strategischen Gestaltungswillen und europäischen Interessenaus-
gleich, wie es bislang gute deutsche Tradition war, hat die Bundesregierung
zentrale Aspekte der Ausgestaltung des EAD nicht thematisiert. Die einzigen
politischen Forderungen, die seitens der Bundesregierung in der Debatte um
den EAD öffentlich geworden sind, beschränken sich auf eine adäquate Reprä-
sentanz deutscher Diplomaten im neuen Dienst und die Forderung, Deutsch zur

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Arbeitssprache im EAD zu erklären. Die Mitglieder des Deutschen Bundes-
tages unterstützen diese beiden Forderungen, sind aber der Meinung, dass es
eine Reihe von Themen im Kontext des außenpolitischen Wirkens der EU im
21. Jahrhundert gibt, welche der EAD sinnvollerweise zusätzlich begleiten
sollte. Beispielhaft seien die Klimapolitik, Energieversorgungsicherheit, Nicht-
verbreitungsfragen, Armutsbekämpfung oder Menschenrechte genannt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die weitere Debatte um die Gestaltung des EAD zu einem ernsthaften Be-
kenntnis zu nutzen, das ihren politischen Gestaltungswillen der Zukunft
europäischer Außen- und Sicherheitspolitik zum Ausdruck bringt. Eine
maßgebliche deutsche Mitwirkung an der inhaltlichen und organisatorischen
Ausgestaltung des EAD als Dienst im Dienste aller EU-Institutionen wäre
ein existentieller Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union in
einer globalisierten Welt, die die rückhaltlose Unterstützung des Deutschen
Bundestages genießt;

2. aufbauend auf wichtigen außenpolitischen Errungenschaften wie beispiels-
weise der Europäischen Sicherheitsstrategie, darüber hinaus Krisenmanage-
ment und Peace Building, der Europäischen Nachbarschaftspolitik oder der
EU-Entwicklungszusammenarbeit dazu beizutragen, dass sich der EAD zu
einem Schrittmacher und Garant für eine geschlossene, kohärente und wir-
kungsvolle Außen- und Sicherheitspolitik der EU entwickeln kann. An die
Indienststellung des EAD muss sich nahtlos eine Debatte – unter Einbezug
aller europäischer Institutionen – über die inhaltliche und strategische Aus-
gestaltung der EU-Außenpolitik unter Berücksichtigung ihres neuen Instru-
mentes EAD anschließen. Dabei müssen insbesondere Themenbereiche mit
strategischer Auswirkung auf die Außenbeziehungen der EU in das Aufga-
benspektrum des EAD eingearbeitet werden;

3. sich dafür einzusetzen, dass das künftige auswärtige Handeln der Euro-
päischen Union, die gemeinsame Handelspolitik mit der europäischen Ent-
wicklungszusammenarbeit im Sinne einer größtmöglichen Kohärenz mitein-
ander abgestimmt wird. Dies ist nicht zuletzt im Vertrag von Lissabon (siehe
Artikel 205 bis Artikel 222 im Fünften Teil des Vertrags über die Arbeits-
weise der Europäischen Union – AEUV) so angelegt;

4. sich dafür einzusetzen, dass der EAD ein einheitlicher Dienst wird, in dem
das gesamte Personal loyal zu den Zielen der EU steht. Das gesamte Perso-
nal des EAD muss den inhaltlichen Leitlinien folgen, wie sie von der Hohen
Vertreterin definiert werden. Der Dienst muss ohne nationale und interinsti-
tutionelle Reibungsverluste funktionieren können;

5. Sorge dafür zu tragen, dass die Einstellung des EAD-Personals auf der
Grundlage von Leistung und Qualifikation unter Berücksichtigung eines an-
gemessenen regionalen und nationalen Gleichgewichts und des Prinzips des
Gender Balancing erfolgt. Eine normierte Quotenregelung hinsichtlich der
Personalanteile aus den EU-Institutionen macht den EAD tendenziell unfle-
xibel und wirkt dem Bestreben, einen gemeinsamen „Esprit de corps“ – ei-
nen europäischen Gemeinschaftssinn im EAD – zu schaffen, entgegen;

6. sich in einem ersten Schritt für die Zusammenführung bestehender Ausbil-
dungsmaßnahmen der EU im außen- und sicherheitspolitischen Bereich im
EAD einzusetzen und langfristig auf die Gründung eines EU-Ausbildungs-
kollegs für Diplomaten des EAD hinzuwirken. Die Ausbildung sollte das
Erlernen von offiziellen Landessprachen der EU-Drittstaaten einbeziehen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2118

7. sich für ein tragfähiges Rotationsverfahren des Personals zwischen dem
EAD und den nationalen Dienststellen sowie anderen europäischen Institu-
tionen einzusetzen, das auch die Möglichkeit der Rotation für Mitarbeiter
des EAD in die jeweiligen nationalen diplomatischen Dienste eröffnet;

8. den Deutschen Bundestag besser als bisher über die weitere Entwicklung
des EAD zu informieren und darüber hinaus umfassender in die politische
Willensbildung bei der Ausgestaltung des EAD einzubeziehen;

9. dem Deutschen Bundestag einen konkreten Aktionsplan vorzulegen, der
dokumentiert, wie die Bundesregierung potenzielle Synergieeffekte, die
mit der Einrichtung des EAD zwischen dem Auswärtigen Amt und dem eu-
ropäischen Dienst entstehen, z. B. im Konsularbereich, bei der Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit in Drittländern, bei Fragen der Infrastruktur, im Sinne
einer besseren Kosteneffizienz und Leistungssteigerung langfristig zu nut-
zen gedenkt. Dieser Bericht sollte spätestens sechs Monate nach Verab-
schiedung der Ratsentscheidung zum Inkraftsetzen des EAD dem Deut-
schen Bundestag vorgelegt werden;

10. bis zur Veröffentlichung des ersten offiziellen Evaluationsberichtes zur
Funktionsweise und Organisation des EAD im Jahr 2013 die Abgeordneten
des Deutschen Bundestages regelmäßig mit einem ressortübergreifenden
und umfassenden Bericht zum aktuellen Entwicklungsstand des EAD und
seiner Tätigkeit auszustatten. Feste Kriterien eines solchen Berichtes soll-
ten z. B. sein: thematische politische Prioritäten, institutionelles Arrange-
ment, Funktionsweise, Personalfragen, Zusammenarbeit mit den Delega-
tionen der EU vor Ort, Finanzierung. Dieser Bericht sollte halbjährlich
ausgefertigt werden und keiner Geheimhaltungsstufe unterliegen. Eine er-
weiterte Berichterstattung in einem einheitlichen Format würde es nicht
nur den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sondern auch interes-
sierten Teilen in der deutschen Öffentlichkeit erleichtern, die zum Teil sehr
komplizierten Verhandlungsstrukturen und die Motivation der verschiede-
nen Akteure besser zu verstehen und sich somit besser mit diesem wichti-
gen europäischen Projekt zu identifizieren. Gerade in Zeiten wachsender
Verunsicherung und ansteigender EU-Skepsis muss die Einbeziehung der
Bürger oberstes Gebot bei der Vermittlung von großen EU-Projekten sein.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung weiterhin auf,

dass die Bundesregierung im Rahmen der laufenden Verhandlungen auf Rats-
ebene i. S. d. § 9 Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundes-
regierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen
Union (EUZBBG) als wesentlichen Belang durchsetzt,

11. dass es zu einer angemesseneren und damit gleichberechtigten Beteiligung
des Europäischen Parlaments am Europäischen Auswärtigen Dienst, und
damit zu einer Identifizierung der gewählten Volksvertreter mit dem Ge-
samtprojekt EAD kommt. Nur auf diesem Weg kann es gelingen, den Wert
und Nutzen des außen- und sicherheitspolitischen Handelns der EU auch
der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten zu vermitteln. Eine volle Betei-
ligung des Europäischen Parlaments im Rahmen der gültigen vertraglichen
Kontrollregelungen, insbesondere beim Haushalt des EAD, ist dabei für die
Mitglieder des Deutschen Bundestages selbstverständlich und sollte daher
mit Nachdruck unterstützt werden.

Berlin, den 15. Juni 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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