BT-Drucksache 17/2105

Absprachen mit der italienischen Regierung zur Vermeidung von Entschädigungszahlungen an NS-Opfer und Stand der Auseinandersetzung um Entschädigungsfragen

Vom 15. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2105
17. Wahlperiode 15. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Christine Buchholz, Inge Höger, Andrej
Hunko, Harald Koch, Sabine Leidig, Petra Pau, Jens Petermann, Frank Tempel und
der Fraktion DIE LINKE.

Absprachen mit der italienischen Regierung zur Vermeidung von
Entschädigungszahlungen an NS-Opfer und Stand der Auseinandersetzung
um Entschädigungsfragen

Offenbar auf Intervention der Bundesregierung sind die Zwangsvollstreckungs-
verfahren in Italien, mit denen NS-Opfern zu ihrer fälligen Entschädigung ver-
holfen werden sollten, ausgesetzt worden. Ein Dekret des Ministerpräsidenten
Silvio Berlusconi vom 28. April 2010 (Dekret Nr. 63 – D.L. n. 63/2010) hebt
„die Wirksamkeit vollstreckbarer Titel, die gegen einen ausländischen Staat
ergangen sind […] sobald der ausländische Staat […] Klage vor dem Interna-
tionalen Gerichtshof erhebt“, vorläufig auf (Übersetzung des Rechtsanwaltes
Joachim Lau).

Weil die Bundesregierung höchstinstanzliche Urteile italienischer Gerichte zur
Entschädigung nicht anerkennt, hatten die Überlebenden von Wehrmachts- bzw.
SS-Massakern bzw. deren Angehörige Pfändungen deutschen Staatseigentums
erwirkt. Die Kläger stammen hierbei sowohl aus Italien als auch Griechenland
(„Distomo“-Fall). So ist eine Zwangshypothek auf das Grundstück der Villa
Vigoni am Comer See eingetragen. Seit Ende 2009 waren zudem Gelder der
Deutschen Bahn AG (DB AG) gepfändet worden. Nach Angaben des TV-Ma-
gazins „REPORT MAINZ“ betrug die gepfändete Summe in diesem Fall im
April ca. 51 Mio. Euro. Den Fragestellern fielen Informationen zu, denen zu-
folge die Deutsche Bahn AG bereits die Einstellung des Nachtzugs München–
Rom erwogen hat, weil sie aus dem Zugbetrieb keine Gelder mehr erhalte.

Gegen die Urteile der italienischen Justiz hat die Bundesregierung Klage vor
dem Internationalen Gerichtshof (IGH) eingereicht.

Aktuellen Informationen aus dem italienischen Parlament zufolge ging dem
Dekret der italienischen Regierung eine Einflussnahme durch die deutsche
Regierung voraus. Auf der Homepage der Vizevorsitzenden des auswärtigen
Ausschusses in Rom, Fiamma Nirenstein, heißt es, das Dekret folge „einer Ver-
einbarung mit der deutschen Regierung, die Entschädigungen auszusetzen“ („a
seguito di un accordo con il Governo tedesco sospendeva i risarcimenti“).

Sollte diese Information zutreffen, hätte die Bundesregierung einmal mehr be-

wiesen, dass sie ihre Politik der Entschädigungs-Verhinderung engagiert betreibt.
Aus Sicht der Fraktion DIE LINKE. wäre es jedoch vielmehr angezeigt, ein der-
artiges Engagement zugunsten der berechtigen Ansprüche von NS-Opfern zu
zeigen.

Über den Fortgang des Verfahrens vor dem IGH verweigert die Bundesregierung
dem Deutschen Bundestag die Auskunft (vgl. Bundestagsdrucksache 17/709).

Drucksache 17/2105 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wie hochaktuell die Entschädigungsfrage bleibt, zeigt die Entscheidung des
Militärgerichts Verona vom 24. Mai 2010, eine Klage gegen sieben ehemalige
Angehörige des Panzerregiments „Hermann Göring“ zuzulassen. Die Angeklag-
ten sollen am 18. März 1944 an der Ermordung von rund 140 Menschen in der
Provinz Modena beteiligt gewesen sein. Das Gericht hielt fest, im Falle einer
Verurteilung der ehemaligen Wehrmachtssoldaten sei die Bundesrepublik
Deutschland entschädigungspflichtig. Dieser Prozess soll im Oktober 2010 be-
ginnen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was ist der Inhalt der erwähnten Vereinbarung zwischen der deutschen und
der italienischen Regierung, und welche Regierungsstellen haben sie getrof-
fen (bitte den vollen Wortlaut angeben)?

2. Wie gestaltet sich seit Einreichung der Klage vor dem IGH der weitere Kon-
takt zur italienischen Regierung hinsichtlich der Entschädigungsproblema-
tik?

a) Wer hat diese Kontakte angeregt?

b) Welche Gespräche oder sonstige Kommunikation zwischen welchen Re-
gierungsvertretern (bitte gegebenenfalls Referate/Abteilungen/Dienststel-
len angeben) haben diesbezüglich stattgefunden?

c) Was genau war Inhalt dieser Gespräche bzw. der Kommunikation?

d) Wann haben diese stattgefunden?

e) Sind außer der in der Vorbemerkung des Fragestellers angesprochenen
Vereinbarung noch weitere Vereinbarungen zur Entschädigungsproblema-
tik getroffen worden, und wenn ja, welche (bitte gegebenenfalls den Wort-
laut angeben)?

3. Wie hat sich aus Sicht der Bundesregierung der Rechtsstreit um Zwangsvoll-
streckungsmaßnahmen (insbesondere hinsichtlich der Villa Vigoni und der
DB AG) vor italienischen Gerichten seit Beantwortung der Kleinen Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 17/709 weiterentwickelt (bitte den Inhalt der ent-
sprechenden Gerichtsbeschlüsse zusammenfassen)?

4. Treffen die Informationen zu, denen zufolge die DB AG in einem internen
Mitarbeiterrundschreiben angekündigt bzw. erwogen hat, die Nachtzugver-
bindung München–Rom einzustellen, und wenn ja,

a) welche Rolle haben hierbei Befürchtungen gespielt, dass es keine Fahr-
scheinerstattung aus Italien mehr gebe,

b) zu welchem Zeitpunkt sind derartige Erwägungen erstmals bei den DB AG-
Verantwortlichen angestellt worden,

c) wann haben sie davon Abstand genommen?

5. Auf welche Höhe beliefen sich zuletzt die gepfändeten Gelder der DB AG?

6. Treffen Informationen der Fragesteller zu, dass die Angabe der Bundesregie-
rung auf Bundestagsdrucksache 17/709, derzufolge die Eintragung einer
Sicherungshypothek auf das Grundstück der Villa Vigoni vom Landgericht
Como mit Beschluss vom 14. Dezember 2009 ausgesetzt worden sei, falsch
ist, und es vielmehr richtig ist, dass der von deutscher Seite gestellte Antrag
auf Löschung dieser Hypothek ausgesetzt wurde, die Hypothek selbst also
zum Zeitpunkt der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage vom 11. Fe-
bruar 2010 (Bundestagsdrucksache 17/709) weiterhin eingetragen war, und
wenn ja, wie ist vor diesem Hintergrund die damals erfolgte Antwort der

Bundesregierung zu verstehen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2105

7. Welche juristischen Konsequenzen ergeben sich aus Sicht der Bundesregie-
rung aus dem genannten Dekret, und welche Folgen hat dieses für die be-
reits angeordneten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen?

a) Sind die Pfändungen der DB AG-Gelder und die Zwangshypothek auf
das Grundstück der Villa Vigoni nun „automatisch“ gelöscht oder ledig-
lich ausgesetzt?

b) Beinhaltet das Dekret eine zeitliche Befristung, und wenn ja, zu welchem
Zeitpunkt tritt es außer Kraft, und bedeutet dies, dass die vorgenomme-
nen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen dann wieder in Kraft treten?

8. Inwiefern ist die Bundesregierung in Vorbereitung und Durchführung des
Strafverfahrens wegen mehrfachen Mordes gegen ehemalige Wehr-
machtsangehörige vor dem Militärgericht Verona eingebunden?

a) In welcher Form ist die Bundesregierung von den italienischen Behörden
in die Ermittlungen und die Vorbereitung des Verfahrens eingebunden
bzw. hierüber informiert worden?

b) Inwiefern will die Bundesregierung das Verfahren verfolgen bzw. sich
zeitnah davon informieren lassen?

c) Wird die Bundesregierung einen Beobachter zum anstehenden Verfahren
entsenden?

d) Haben deutsche Justizbehörden die Vorbereitung des Strafverfahrens
unterstützt, und wenn ja, welche Behörden, und in welcher Form?

e) Wo halten sich die Angeklagten derzeit auf?

f) Haben italienische Behörden Auslieferungsanträge gegen in Deutsch-
land lebende Beschuldigte gestellt, und wenn ja, wie ist über diese ent-
schieden worden?

g) Ist die Bundesregierung in Kontakt mit den Klägern getreten, um eine
außergerichtliche Einigung über die von diesen geforderte Entschädi-
gung zu erlangen, oder beabsichtigt sie noch, dies zu tun, beispielsweise
im Falle einer Verurteilung der Angeklagten?

9. Warum verweigert die Bundesregierung bislang der Fraktion DIE LINKE.
auch solche Informationen zum Verlauf des Verfahrens vor dem IGH, die
keine inhaltlichen Einschätzungen oder sonstige, möglicherweise Prozess-
nachteile hervorrufenden, juristische Festlegungen verlangen, sondern sich
auf objektive Vorgänge beschränken, wie etwa die Frage, ob die italienische
Regierung eine Gegenklage eingereicht hat bzw. was deren Gegenstand ist,
und wie beurteilt sie vor diesem Hintergrund die Auskunftsrechte des Par-
laments?

10. Kann die Bundesregierung derzeit absehen, bis wann das IGH-Verfahren
ungefähr abgeschlossen sein wird?

11. Hat die Bundesregierung Rücklagen für den Fall gebildet, dass sie das Ver-
fahren vor dem IGH verliert und den NS-Opfern Entschädigungen gewäh-
ren muss, und wenn ja, in welcher Höhe?

12. Welche Unterstützung lässt die Bundesregierung der im Frühjahr 2009 ge-
bildeten deutsch-italienischen Historikerkommission zukommen (bitte auch
entstehende Kosten angeben), und welche Kenntnis hat sie davon, welche
Unterstützung die italienische Regierung der Kommission zukommen lässt?

Berlin, den 15. Juni 2010
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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