BT-Drucksache 17/2003

Einkommensteuerliche Behandlung von Tagespflegepersonen

Vom 8. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2003
17. Wahlperiode 08. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Diana Golze, Katja Kipping und der Fraktion
DIE LINKE.

Einkommensteuerliche Behandlung von Tagespflegepersonen

Seit Ende 2009 vertritt die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Leipzig die Rechtsauf-
fassung, dass die laufenden Geldleistungen aus Tagesmuttertätigkeit, welche
neben der Erstattung des Sachaufwandes die Förderleistung der Tagespflegeper-
son anerkennen soll, als Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit i. S. d. § 18
Absatz 1 Nummer 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu qualifizieren sind.
Damit sind laut ARGE Leipzig diese Geldleistungen in vollem Umfang bei der
Einkommensteuerermittlung zu berücksichtigen und nicht nach § 11 Absatz 4
des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) zu behandeln. Die ARGE Leip-
zig begründet ihre Rechtsauffassung wie folgt:

Unter dem Gesichtspunkt einer verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehand-
lung von Tagespflegepersonen mit Betreuungspersonen in anderen Tagesein-
richtungen (z. B. Kindertagesstätten) sei die Anwendung des § 11 Absatz 4
SGB II auf Personen, welche keine Pflegekinder in ihrer Obhut hätten, sondern
lediglich in Gewinnerzielungsabsicht Kinder stundenweise betreuten, nicht län-
ger für gerechtfertigt. Dies ergebe sich daraus, dass (angestellte) Betreuungsper-
sonen z. B. in Kindertagesstätten sich faktisch nicht von Betreuungspersonen
unterschieden, welche die gleiche Tätigkeit auf selbständiger Basis ausübten,
mit dem Unterschied, dass bei den letztgenannten Personen Zahlungen aus öf-
fentlichen Geldern flössen. Diese Zahlungen seien gleichermaßen wie die zu
versteuernden Einnahmen von privater Seite als steuerpflichtige Betriebsein-
nahmen zu behandeln und im Rahmen der Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit
i. S. d. § 18 Absatz 1 Nummer 1 EStG zu berücksichtigen. Die Gleichbehand-
lung von Pflegeeltern und Tagesmüttern nach § 11 Absatz 4 SGB II stelle sich als
verfehlt dar, da diese beiden Personengruppen unterschiedliche Ziele verfolgten.
Während Pflegekinder vorübergehend oder dauerhaft nicht bei den Herkunfts-
eltern, sondern bei einer anderen Familie (der Pflegefamilie) lebten und betreut
würden, übten Tagesmütter lediglich eine erwerbswirtschaftliche Tätigkeit aus,
welche darauf gerichtet sei, nach verrichteter Arbeitszeit die Kinder wieder in
ihre Familien zurückzuführen. Daher bedürfe § 11 Absatz 4 SGB II einer Aus-
legung. Eine teleologische Auslegung des § 11 Absatz 4 SGB II ergebe, dass
diese Norm auf Tagesmütter nicht anwendbar sei. Während bei Pflegeeltern in
Vollzeitpflege noch der ehrenamtliche sozialbetreuerische Aspekt im Vorder-

grund stehe, gebe es keine Zweifel daran, dass die Tagesmutter-Tätigkeit in ers-
ter Linie ausgeübt werde, um hieraus Einkommen zu erzielen. Beide Einkünfte
würden auch in anderen Rechtsgebieten, wie z. B. dem Steuerrecht und Renten-
versicherungsrecht, aus gutem Grunde erheblich unterschiedlich behandelt. Bei
einer derart weitreichenden Privilegierung der Tagesmutter-Tätigkeit im Be-
reich der Grundsicherung stelle sich zudem die Frage, inwieweit eine Tages-
mutter dann andere Gelegenheiten zur Einnahmenerzielung abschlagen dürfe.

Drucksache 17/2003 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Während Personen, welche Pflegekinder in ihre Obhut nähmen, neben der Kin-
derbetreuung einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnten, sei dies der Tagesmut-
ter gerade verwehrt, da sich bei dieser die Tätigkeit in der Betreuungsfunktion
der Kinder erschöpfe. Pflegeeltern betreuten ihre Pflegekinder wie eigene Kinder
und erführen dadurch i. d. R. eine Doppelbelastung, welcher jede Familie mit
eigenen Kindern ausgesetzt sei. Da es nicht Aufgabe der Grundsicherungsträger
sei, für ausreichende Betreuungsmöglichkeiten im Sinne des Achten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB VIII) zu sorgen, dürfe eine Privilegierung von Tages-
müttern bei der Vermittlung in eine Tätigkeit zur Beendigung des Hilfebedürf-
tigkeit gerade nicht erfolgen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung bekannt, dass zumindest in der ARGE Leipzig, die
Anrechnung des Einkommens von Tagespflegepersonen nach § 23 SGB VIII
nicht nach den im § 11 SGB II Absatz 4 vorgesehenen Sonderregelungen,
sondern nach den allgemeinen Regelungen des § 11 SGB II vorgenommen
wird, und falls ja, seit wann ist diese Praxis der Bundesregierung von welcher
jeweiligen ARGE bekannt (bitte auflisten)?

2. Hält die Bundesregierung die in Frage 1 skizzierte Praxis und die in der Vorbe-
merkung genannte Rechtsauffassung der ARGE Leipzig für rechtmäßig, auch
vor dem Hintergrund, dass in der Weisung der Bundesagentur für Arbeit vom
20. August 2009 die Anrechnung des Einkommens der Tagespflegepersonen
nach dem § 23 SGB VIII eindeutig beschrieben ist (bitte mit Begründung)?

Falls ja, wie und warum hat sich die Auffassung der Bundesregierung zur Ein-
kommensanrechnung von Tagespflegepersonen geändert, und bis wann findet
eine Novellierung des Gesetzes statt?

Falls nein, wie gedenkt die Bundesregierung dafür Sorge zu tragen, dass ein-
deutige Rechtslagen in den ARGEn auch entsprechend umgesetzt werden und
nicht ARGEn ihre eigene Rechtsauffassung in Anwendung bringen?

3. Ist es richtig – wie von der Leiterin des Teams für Selbständige bei der ARGE
Leipzig vorgebracht –, dass die Weisungen der Bundesagentur für Arbeit für
die ARGEn nur empfehlenden, aber keinen bindenden Charakter haben (bitte
mit Begründung)?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Grundsicherungsträger kei-
nerlei Verantwortung dafür tragen, dass ausreichend Betreuungsleistungen
für Kinder zur Verfügung stehen und damit betroffene Mütter wieder einer Er-
werbsarbeit nachgehen können?

Berlin, den 8. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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