BT-Drucksache 17/1922

Mögliche Beeinträchtigung der parlamentarischen Arbeit durch parallele Beschäftigung von Geheimdienstangestellten im parlamentarischen Raum

Vom 3. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1922
17. Wahlperiode 03. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jens Petermann, Frank Tempel,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche Beeinträchtigung der parlamentarischen Arbeit durch parallele
Beschäftigung von Geheimdienstangestellten im parlamentarischen Raum

Die parallele Beschäftigung von Angestellten der Geheimdienste als Mitarbeiter
von Bundestagsabgeordneten bzw. Fraktionen des Deutschen Bundestages stößt
auf gravierende rechtliche und politische Bedenken. Gegenwärtig ist nach Aus-
kunft der Bundesregierung mindestens ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Ver-
fassungsschutz für einen Bundestagsabgeordneten tätig. In der 16. Wahlperiode
war zudem ein Angehöriger des Bundesnachrichtendienstes bei einer Fraktion
des Deutschen Bundestages angestellt (vgl. Antwort der Bundesregierung vom
30. März 2010 auf die Schriftliche Frage 3 der Abgeordneten Ulla Jelpke auf
Bundestagsdrucksache 17/1389).

Am 23. März 2010 hat die „Berliner Zeitung“ berichtet, das Landesamt für Ver-
fassungsschutz Berlin habe in der Vergangenheit einen Mitarbeiter beschäftigt,
der zugleich für einen Bundestagsabgeordneten tätig gewesen war. Hierüber war
der Bundestagsabgeordnete unterrichtet, jedoch weder dessen Abgeordneten-
kollegen noch die Fraktion. Das Landesamt für Verfassungsschutz Berlin sprach
der Zeitung gegenüber von einem „besonderen Einzelfall“, man halte eine „par-
allele Tätigkeit von Mitarbeitern beim Verfassungsschutz und im Parlamentari-
schen Raum (Mitarbeit bei Abgeordneten o. ä.) grundsätzlich für inkompatibel.“

Das deutet darauf hin, dass zumindest dem Landesamt für Verfassungsschutz
Berlin die gravierenden rechtlichen Bedenken bei einer Doppelbeschäftigung
von Geheimdienstmitarbeitern im parlamentarischen Raum bewusst sind. Solche
Bedenken werden nicht geringer, wenn es sich um Beschäftigte von Geheim-
diensten des Bundes handelt. Zwar teilt die Bundesregierung mit, die fraglichen
Personen seien „beurlaubt“ und nähmen „während der Dauer der Beurlaubung
keine Tätigkeiten“ für die Geheimdienste wahr. Es muss jedoch damit gerechnet
werden, dass die Geheimdienstmitarbeiter nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit
beim Geheimdienst, die im Deutschen Bundestag gesammelten Informationen
weitergeben. Das ist umso bedenklicher, wenn sie Zugang zu Geheimunterlagen
hatten. Hier steht zu befürchten, dass die Geheimdienste an Informationen aus
dem innen-, außen- oder verteidigungspolitischen Bereich gelangen, an die sie
im Rahmen ihrer gesetzlichen Tätigkeit nicht gelangen dürften. Auch die recht-

lich gebotenen Trennungen zwischen den Geheimdiensten untereinander und
dem Militär bzw. der Polizei drohen aufgeweicht zu werden, wenn einzelne Ge-
heimdienstmitarbeiter Einsicht in vertrauliche Unterlagen der betreffenden Bun-
destags- oder Untersuchungsausschüsse erlangen.

Zudem droht ein eklatanter Vertrauensbruch die parlamentarische Arbeit der Ab-
geordneten zu beeinträchtigen. Abgeordnete müssen auf die Vertraulichkeit von

Drucksache 17/1922 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Gesprächen mit Mitarbeitern sowohl von Fraktionskollegen als auch der Frak-
tion als Ganzes vertrauen können. Mitarbeiter haben nicht nur Zugang zu einem
Großteil der Dokumente, die über den Tisch der Abgeordneten gehen, sondern
sind häufig auch in vertrauliche Gespräche über politische Vorgänge sowie Ein-
schätzungen der Abgeordneten eingebunden. Wenn damit gerechnet werden
muss, dass solche Informationen nach Beendigung des Mitarbeiterverhältnisses
im Deutschen Bundestag beim Geheimdienst landen, ist die Ausübung des freien
Mandats erheblich beeinträchtigt.

Auch Bürgerinnen und Bürger, die Kontakt zu Mitgliedern des Deutschen Bun-
destages aufnehmen, müssen dies in der Sicherheit tun können, dass sie nicht
ohne es zu wissen mit Mitarbeitern eines Geheimdienstes sprechen. Bei der Frak-
tion DIE LINKE. kommt hinzu, dass sie vom Verfassungsschutz beobachtet
wird, was die mögliche Mitarbeit von Verfassungsschützern im Deutschen Bun-
destag noch problematischer erscheinen lässt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz waren seit des-
sen Gründung zugleich als Mitarbeiter von Abgeordneten des Deutschen
Bundestages bzw. von Fraktionen oder Gruppen des Deutschen Bundestages
beschäftigt (bitte aufteilen nach Legislaturperioden und jeweils angeben, wel-
che Fraktionen/Gruppen betroffen waren bzw. welchen Fraktionen/Gruppen
die betroffenen Abgeordneten angehörten)?

2. Wie viele Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes waren seit dessen Grün-
dung zugleich als Mitarbeiter von Abgeordneten des Deutschen Bundestages
bzw. von Fraktionen oder Gruppen des Deutschen Bundestages beschäftigt
(bitte aufteilen nach Legislaturperioden und jeweils angeben, welche Frak-
tionen/Gruppen betroffen waren bzw. welchen Fraktionen/Gruppen die be-
troffenen Abgeordneten angehörten)?

3. Wie viele Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes waren seit dessen
Gründung zugleich als Mitarbeiter von Abgeordneten des Deutschen Bundes-
tages bzw. von Fraktionen oder Gruppen des Deutschen Bundestages beschäf-
tigt (bitte aufteilen nach Legislaturperioden und jeweils angeben, welche
Fraktionen/Gruppen betroffen waren bzw. welchen Fraktionen/Gruppen die
betroffenen Abgeordneten angehörten)?

4. Wie viele Mitarbeiter des

a) Bundesamtes für Verfassungsschutz,

b) Bundesnachrichtendienstes,

c) Militärischen Abschirmdienstes

waren in der Vergangenheit zugleich als Mitarbeiter von Abgeordneten eines
Landesparlamentes bzw. dessen Fraktionen oder Gruppen beschäftigt (bitte
aufteilen nach Zeiträumen und jeweils das betroffene Parlament nennen sowie
angeben, welche Fraktionen/Gruppen betroffen waren bzw. welchen Fraktio-
nen/Gruppen die betroffenen Abgeordneten angehörten)?

5. Wird die Bundesregierung von den Landesämtern für Verfassungsschutz dar-
über unterrichtet, wenn deren Mitarbeiter Beschäftigungsverhältnisse bei Ab-
geordneten oder Fraktionen des Deutschen Bundestages aufnehmen und be-
enden, und wenn ja, wie viele Mitarbeiter von Landesämtern für Verfassungs-
schutz waren in der Vergangenheit zugleich als Mitarbeiter von Abgeordneten
des Bundestages oder dessen Gruppen/Fraktionen beschäftigt (bitte aufteilen
nach Legislaturperioden und jeweils angeben, welche Fraktionen/Gruppen

betroffen waren bzw. welchen Fraktionen/Gruppen die betroffenen Abgeord-
neten angehörten)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1922

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die rechtliche Problematik bei einer
parallelen Beschäftigung von Geheimdienstmitarbeitern im parlamentari-
schen Raum?

7. Teilt die Bundesregierung hinsichtlich der Geheimdienste des Bundes die
Ansicht, eine parallele Tätigkeit bei einem Geheimdienst und im parlamen-
tarischen Raum sei grundsätzlich inkompatibel, und wenn ja, aus welchen
Gründen, und welche Konsequenzen will sie aus der Tatsache ziehen, dass
dennoch Mitarbeiter von Geheimdiensten als Mitarbeiter von Abgeordneten
bzw. Fraktionen beschäftigt sind bzw. waren?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen auf das Trennungs-
gebot zwischen Geheimdiensten untereinander und zwischen Geheimdiens-
ten und Polizei sowie Bundeswehr, wenn Geheimdienstmitarbeiter während
ihrer Zeit als Beschäftigte im parlamentarischen Raum Kenntnis zu vertrau-
lichen Dokumenten (beispielsweise aus dem Innenausschuss, Verteidigungs-
ausschuss oder Auswärtigen Ausschuss oder aus Untersuchungsausschüs-
sen) erhalten und diese nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit beim Geheim-
dienst verwerten können?

9. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass durch den Einsatz von Ge-
heimdienstmitarbeitern im parlamentarischen Raum nicht ein Klima des
Misstrauens entsteht, das die parlamentarische Arbeit der Abgeordneten be-
einträchtigt?

10. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Sorge der Fragesteller, dass Mitglie-
der des Deutschen Bundestages, die damit rechnen müssen, dass die Inhalte
vermeintlich vertraulicher Gespräche, E-Mails oder sonstiger Kommuni-
kation mit Mitarbeitern anderer Abgeordneter (sei es der eigenen oder einer
anderen Fraktion) oder Angestellten der Fraktion letztendlich bei einem
Geheimdienst landen, in der Ausübung des freien Mandats beeinträchtigt
werden, und welche Maßnahmen will sie ergreifen, um dieser Sorge ent-
gegenzuwirken?

11. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Sorge der Fragesteller, dass Bürge-
rinnen und Bürger vor der Kontaktaufnahme mit Mitgliedern des Deutschen
Bundestages zurückschrecken könnten, weil sie Sorge davor haben, dass
ihre Daten oder Anliegen letztlich bei einem Geheimdienstmitarbeiter lan-
den könnten, zumal wenn sie mit Abgeordneten einer Fraktion Kontakt auf-
nehmen, die bekanntermaßen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, und
wie will sie dem entgegenwirken?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung das Erfordernis einer rechtlichen Klar-
stellung dieser Problematik, und inwiefern hält sie es für geboten, Doppel-
beschäftigungen von Geheimdienstmitarbeitern im parlamentarischen Raum
grundsätzlich zu untersagen (bitte begründen)?

13. Sind Mitarbeiter von Geheimdiensten des Bundes in der Vergangenheit oder
gegenwärtig als Mitarbeiter bei Abgeordneten oder Fraktionen auslän-
discher Parlamente bzw. des Europäischen Parlaments tätig bzw. tätig gewe-
sen, und wenn ja,

a) um wie viele derartige Beschäftigte handelt es sich (bitte Gesamtzahl
nennen sowie Auflistung nach Jahren angeben),

b) in welchen Parlamenten,

c) bei Abgeordneten welcher Fraktionen bzw. Gruppen?

Berlin, den 3. Juni 2010
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.