BT-Drucksache 17/1869

Zur Akzeptanz der sexuellen Vielfalt an Schulen und Berufsschulen

Vom 26. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1869
17. Wahlperiode 26. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Cornelia Möhring, Agnes Alpers, Dr. Dietmar
Bartsch, Dr. Rosemarie Hein, Stefan Liebich, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak und
der Fraktion DIE LINKE.

Zur Akzeptanz der sexuellen Vielfalt an Schulen und Berufsschulen

Die sexuelle Vielfalt in der Gesellschaft wird in der Bundesrepublik Deutsch-
land längst nicht von allen Menschen akzeptiert. Häufig bestimmen Vorurteile
und Diskriminierungen den Alltag von Menschen, die nicht der heterosexuellen
Norm entsprechen. Diskriminierungen gegenüber Kindern und Jugendliche
wirken in besonderer Weise, denn sie treffen Menschen, die sehr verletzbar sind.

In der Schule und in den Berufsschulen lernen Kinder und Jugendliche die Viel-
falt der Gesellschaft im täglichen Umgang kennen. Die sexuelle Entwicklung
und die Pubertät finden im sozialen Umfeld der Schule statt. Das Schulklima ist
ein Gradmesser für den Status quo der Sexualerziehung. Gerade hier muss kon-
statiert werden, dass alle bisherigen Anstrengungen im Ergebnis nicht ausrei-
chend waren, um einen nachhaltigen Effekt zu erzielen (vgl. Jösting, Einarbei-
tungsprozesse männlicher Jugendlicher in die heterosexuelle Ordnung, in: Hart-
mann u. a. (Hrsg.), Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Se-
xualität und Macht, Wiesbaden 2007). Beschimpfungen mit homo- und
transphoben Tenor (wie z. B. „schwule Sau“) gehören zum Umgangston auf den
Schulhöfen und in den Klassenzimmern.

Nach Einschätzungen von Expertinnen und Experten gehören Einschüchterung,
Ächtungen und Ausgrenzung, aber auch körperliche Angriffe zu den Erfahrun-
gen von lesbischen, schwulen, transsexuellen, transgender und intersexuellen
(LSBTI) Jugendlichen (vgl. www.spiegel.de).

Auch den Lehrkräften fehlt es häufig an einer ausreichenden Sensibilität für die
Probleme von LSBTI-Jugendlichen. Im Unterricht aber auch Unterrichtsmate-
rialien werden LSBTI-Lebensweisen verschwiegen (s. Takacs, Social exclusion
of young LGBT People in Europe, Brüssel 2006). Zumeist fehlt die aktive Un-
terstützung durch Lehrerinnen und Lehrer bei einem Coming-Out.

„Als größtes Problem wird genannt, dass viele Schulen sich der Herausforde-
rung schon deshalb nicht stellen, weil sie finden, dass es sich hier um ein ,kleines
Problem‘ handelt, das nur eine Minderheit der Schülerinnen und Schüler be-
trifft“ (Dankmeijer, „Globale Pädagogische Zusammenarbeit für sexuelle Viel-
falt“ in: van Dijk/van Driel (Hrsg.), Sexuelle Vielfalt lernen, Berlin 2008, S. 20).

Zudem zeigen neuere Untersuchungen, dass LSBTI-Jugendliche mit einem
Migrationshintergrund von Diskriminierungen besonderers betroffen sind (vgl.
Doppelt diskriminiert oder gut integriert? LSVD Hrsg., 2010, Köln).

Drucksache 17/1869 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen Bundesländern gibt es Ansprechpartnerinnen und Ansprechpart-
ner (bzw. sind in Planung) an Schulen und Berufsschulen für lesbische,
schwule und transsexuelle Jugendliche (bitte nach Bundesländern auf-
listen)?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Arbeit zur Akzeptanzför-
derung der sexuellen Vielfalt bei Jugendlichen durch Schulverwaltungen
und Bildungsministerien?

3. In welchen Bundesländern gibt es Fortbildungen für Lehrkräfte zum Thema
sexuelle Vielfalt (bitte nach Bundesländern und Art der Fortbildung auf-
listen)?

4. Welche Möglichkeiten der Hilfe und Betreuung erfahren Schülerinnen und
Schüler im Coming-Out an Schulen und Berufsschulen (bitte nach Bundes-
ländern und Art der Hilfe auflisten)?

5. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung diesbezüglich für die
Antisdiskriminierungsstelle des Bundes?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die Darstellung von kulturellen und
sexuellen Lebensweisen in den Unterrichtsmaterialien in den Bundeslän-
dern?

7. Welche spezifischen Materialien zur sexuellen Vielfalt (beispielsweise
herausgegeben durch die Bildungsministerien oder Landesantidiskriminie-
rungsstellen) stehen den Lehrkräfte in den Bundesländern zur Verfügung?

8. In welchen Bundesländern gibt es eigenständige Unterrichtseinheiten an
Schulen (SEK I und SEK II) und Berufsschulen zum Themengebiet sexuelle
Vielfalt (bitte nach Bundesländern auflisten)?

9. Wie schätzt die Bundesregierung die Ausbildung der Lehrkräfte im Hin-
blick auf die sexuelle Vielfalt ein?

10. Inwiefern werden die Schülerinnen und Schüler an Berufsschulen über die
Akzeptanz der sexuellen Vielfalt in den Berufsbereichen informiert?

11. Sieht die Bundesregierung die beschlossenen Maßnahmen zu Stärkung der
sexuellen Vielfalt an Berliner Schulen (vgl. Beschluss des Berliner Ab-
geordnetenhauses „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und sexuelle Viel-
falt“ auf Bundestagsdrucksache 16/2291) als beispielhaft für andere Bundes-
länder an?

Wenn ja, wie unterstützt die Bundesregierung diese oder ähnliche Maßnah-
men in anderen Bundesländern?

12. Wie schätzt die Bundesregierung das Klima gegenüber LSBTI-Jugendlichen
an Schulen und Berufsschulen ein?

13. Ist der Bundesregierung bekannt, dass „schwul“ und „Schwuchtel“ als gän-
gige Schimpfwörter an deutschen Schulen gebraucht werden?

Wie bewertet die Bundesregierung dies?

14. Ist der Bundesregierung bekannt, dass lesbische und schwule Jugendliche
vor einem Coming-Out in der Schule bzw. der Berufsschule zurück-
schrecken aus Angst vor Diskriminierungen?

Wenn ja, welche Gegenmaßnahmen hält die Bundesregierung für geboten?

15. Welche Maßnahmen favorisiert die Bundesregierung um ein Klima der
Akzeptanz der sexuellen Vielfalt an der Schule zu ermöglichen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1869

16. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung eingeleitet, um das von ihr
konstatierte vierfach höhere Selbstmordrisiko bei lesbischen und schwulen
Jugendlichen zu minimieren (Bundestagsdrucksache 16/4818, S. 87)?

17. Welche neueren Daten liegen der Bundesregierung zum Suizidrisiko von
LSBTI-Jugendlichen vor?

Berlin, den 26. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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