BT-Drucksache 17/1816

Sudan-Politik der Bundesregierung

Vom 20. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1816

17. Wahlperiode 20. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm, Annette
Groth, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat, Paul Schäfer
(Köln), Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Sudan-Politik der Bundesregierung

Mit dem umfassenden Friedensabkommen (Comprehensive Peace Agreement,
CPA) vom 9. Januar 2005 wurde der langjährige Bürgerkrieg zwischen dem
Nord- und dem Südsudan formal beendet. Am Ende der sechsjährigen Über-
gangsphase wird im Januar 2011 die südsudanesische Bevölkerung in einem
Referendum darüber entscheiden, ob der Süden autonomer Teil eines vereinten
Sudan bleiben oder unabhängig werden soll. Bis heute sind wesentliche Ele-
mente des CPA nicht oder nur unzureichend umgesetzt. Die Konflikte über die
genaue Grenzziehung zwischen dem Nord- und dem Südsudan sind noch unge-
löst; insbesondere die Regionen Blue Nile, Kordofan und Abyei, wo der Groß-
teil der Ölvorkommen Sudans liegt, bleiben Gegenstand von Auseinanderset-
zungen. Auch die Aufteilung der Öleinnahmen ist – trotz Regelungen im CPA –
strittig. Die von massiven und im Norden systematischen Manipulationen be-
gleiteten Wahlen im April 2010 haben zur weiteren Verhärtung der Fronten
geführt. Kurz vor Ablauf der Übergangsphase droht das CPA zu scheitern.

Auch in Darfur ist es zu keinem Durchbruch für einen Friedensprozess gekom-
men. Der am 23. Februar 2010 beschlossene Waffenstillstand zwischen der von
Präsident Omar al-Bashir und der Nationalen Kongresspartei (National Con-
gress Party, NCP) dominierten Regierung und der Bewegung für Gerechtigkeit
und Gleichheit (Justice and Equality Movement, JEM) hat nicht einmal bis zu
den landesweiten Wahlen im April 2010 gehalten. Die anhaltenden bewaffneten
Auseinandersetzungen in Darfur und das drohende Scheitern des CPA könnten
das gesamte Land zurück in den Bürgerkrieg führen.

Die fragile Situation im Sudan ist auch darauf zurückzuführen, dass die Garan-
tiemächte des CPA, zu denen auch Deutschland gehört, die Umsetzung des
Friedensabkommens nicht ausreichend politisch unterstützt haben. Bereits kurz
nach Unterzeichnung des CPA ließ das internationale Interesse massiv nach.
Das für eine friedliche Transformation notwendige zivile Engagement wurde
zugunsten stärkerer Aufmerksamkeit für den Konflikt in Darfur eklatant ver-
nachlässigt. Bis zum heutigen Zeitpunkt hat die Bundesregierung weder eine
politische Strategie noch eine Bilanz ihrer Beteiligung an den internationalen

Militäreinsätzen UNMIS und UNAMID vorgelegt. Initiativen zur zivilen Un-
terstützung der Friedensprozesse im Sudan sind bislang ausgeblieben.

Am 25. März 2010 stimmte der Deutsche Bundestag dem Antrag „Freie und faire
Wahlen im Sudan sicherstellen, den Friedensprozess über das Referendum 2011
hinaus begleiten sowie die humanitäre und menschenrechtliche Situation verbes-

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sern“ (Bundestagsdrucksache 17/1158) der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu (Plenarprotokoll 17/34, S. 3212 D bis 3219 D.
Obwohl die antragstellenden Fraktionen die Notwendigkeit einer politischen
Strategie für den gesamten Sudan betonen, verbleibt der Antrag weitgehend in der
Logik der bisherigen Regierungspolitik. Damit steht zu befürchten, dass ein drin-
gend notwendiger Strategiewechsel in der Sudanpolitik der Bundesregierung
auch künftig ausbleibt und anstelle eines verstärkten zivilen Engagements für die
Friedensprozesse im gesamten Sudan lediglich auf die Fortsetzung der Beteili-
gung an den Militäreinsätzen UNMIS und UNAMID gesetzt wird.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welchen konkreten Maßnahmen und Initiativen ist die Bundesregierung
der Aufforderung des Deutschen Bundestages nachgekommen, „dem Sudan
besonderes Gewicht im Rahmen der deutschen Außen- und Menschenrechts-
politik beizumessen“ (Forderung Nummer 1, Bundestagsdrucksache 17/1158),
und welche weiteren Maßnahmen sind für das laufende Jahr geplant?

2. Welche Schritte hat die Bundesregierung eingeleitet, um den Sudan „zu einem
Schwerpunktland des Ressortkreises und Beirates Zivile Krisenprävention zu
machen“ (Forderung Nummer 2, Bundestagsdrucksache 17/1158), welche
Maßnahmen beinhaltet diese Schwerpunktsetzung, und welche weiteren
Maßnahmen sind für das laufende Jahr geplant?

3. Wie hat sich die Bundesregierung zwischen dem 25. März und dem 11. April
2010 dafür eingesetzt, dass „freie und faire Wahlen zum festgelegten Termin
am 11. April 2010 stattfinden können, auch in Darfur“, wie in Forderung
Nummer 3 des Antrags gefordert, und wie hat sie die im o. g. Antrag in For-
derung Nummer 4 benannten erforderlichen Maßnahmen umgesetzt?

4. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass ihre im Vorfeld der Wahlen
ergriffenen Maßnahmen dazu beigetragen haben, dass die Wahlen fair und frei
verlaufen sind?

a) Wenn ja, in welcher Weise?

b) Wenn nein, worauf führt die Bundesregierung dies zurück?

5. Was hat die Bundesregierung im Vorfeld der Wahlen unternommen, um die
verschiedenen Rebellengruppen in Darfur dazu zu bewegen, sich den Waf-
fenstillstandsvereinbarungen zwischen der Regierungspartei NCP und der
JEM anzuschließen (siehe Forderung Nummer 16, Bundestagsdrucksache
17/1158), und wie bewertet sie den Bruch des Waffenstillstands noch vor den
Wahlen am 11. April 2010?

6. Hat die Bundesregierung seit dem 25. März 2010 mit der NCP, der Sudane-
sischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) und anderen sudanesischen
Akteuren Gespräche geführt und die Gesprächspartner zur Umsetzung des
Friedensabkommens aufgefordert, „um den ins Stocken geratenen gesamt-
sudanesischen politischen Friedensprozess unter stärkerer Einbindung der
Zivilgesellschaft fortzusetzen“ (Forderung Nummer 5, Bundestagsdrucksache
17/1158)?

a) Wenn ja, wann, mit wem, und mit welchem Inhalt?

b) Wenn nein, warum nicht, und wann wird sie Gespräche führen?

c) Welche weiteren Initiativen sind geplant?

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7. Hat die Bundesregierung seit dem 25. März 2010 etwas unternommen, um
sich innerhalb der EU und der Vereinten Nationen (VN) und im Dialog mit
der Afrikanischen Union (AU) und Intergovernmental Authority on Deve-
lopment (IGAD) „für die Ausarbeitung einer gesamtsudanesischen Strategie
einzusetzen, die Wege zur politischen Lösung der Darfur-Krise aufzeigt und
die Umsetzung des CPA sicherstellt“ (siehe Forderung Nummer 6, Bundes-
tagsdrucksache 17/1158), und welche Vorschläge hat die Bundesregierung
für eine solche gesamtsudanesische Strategie eingebracht bzw. welche wei-
teren Schritte plant die Bundesregierung in diesem Jahr noch zu unterneh-
men?

8. In welcher Weise hat die Bundesregierung darauf hingewirkt, „dass die in-
ternationale Gemeinschaft den Druck auf die sudanesischen Konfliktpar-
teien erhöht, damit das im CPA niedergelegte Referendum im Januar 2011
planmäßig und ordnungsgemäß stattfinden kann“ (Forderung Nummer 7,
Bundestagsdrucksache 17/1158)?

9. Welche (internationalen) Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregie-
rung geeignet, um politischen Druck gegenüber den sudanesischen Konflikt-
parteien aufzubauen, und welche Maßnahmen sind seitens der Bundesregie-
rung geplant?

10. Hat sich die Bundesregierung, wie in Forderung Nummer 8 des Antrags auf
Bundestagsdrucksache 17/1158 gefordert, für die Einberufung einer Sudan-
Konferenz im Rahmen der VN eingesetzt, und wenn ja, in welcher Weise?

11. Welche sudanesischen und internationalen Akteure sollten nach Auffassung
der Bundesregierung an einer solchen Sudan-Konferenz teilnehmen, und
welche Fragen sollten im Zentrum stehen?

12. Hat sich die Bundesregierung seit dem 25. März 2010 im Rahmen der EU
dafür eingesetzt, „die Rolle des EU-Sonderbeauftragten für den Sudan zu
stärken“ (Forderung Nummer 9, Bundestagsdrucksache 17/1158)?

a) Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

b) Wenn nein, warum nicht?

13. In welcher Weise sollte nach Auffassung der Bundesregierung die Rolle des
EU-Sonderbeauftragten für den Sudan gestärkt werden, welche Aufgaben
sollte er wahrnehmen, und mit welchen Befugnissen, personellen und finan-
ziellen Mitteln sollte er ausgestattet sein?

14. Was zeichnet nach Auffassung der Bundesregierung ein „kohärentes Kon-
zept für den Umgang mit dem Sudan“ aus (siehe Forderung Nummer 10,
Bundestagsdrucksache 17/1158)?

15. Wie hat sich die Bundesregierung im EU-Rahmen für ein derartiges gemein-
sames Konzept für den Umgang mit dem Sudan eingesetzt, bzw. wird dies
noch tun?

16. Was versteht die Bundesregierung unter einem „wirksamen Beitrag zur
Konfliktprävention“, und ist sie der Auffassung, dass die Militärmission
UNMIS einen wirksamen Beitrag zur Konfliktprävention im Sudan leisten
kann (siehe Forderung Nummer 11, Bundestagsdrucksache 17/1158)?

a) Wenn ja, in welcher Weise?

b) Welche zivilen Konfliktpräventionsmaßnahmen ergreift die Bundesregie-
rung bilateral, im Rahmen der EU und den VN (bitte gesondert auflisten)?

c) Welche finanziellen und personellen Ressourcen hat die Bundesregie-
rung bislang für zivile Konfliktprävention bereitgestellt und welche sind

im laufenden Jahr dafür vorgesehen (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren
und Ressorts angeben)?

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d) Welche finanziellen und personellen Ressourcen hat die Bundesregie-
rung bislang für die deutsche Beteiligung an UNMIS bereitgestellt und
welche sind für das laufende Jahr dafür vorgesehen (bitte aufgeschlüsselt
nach Jahren und Ressorts angeben)?

e) Welchen Stellenwert räumt die Bundesregierung UNMIS gegenüber
zivilen Konfliktpräventionsmaßnahmen ein?

17. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass der Polizeiaufbau eine entwick-
lungspolitische Aufgabe ist und aus Mitteln der Entwicklungszusammen-
arbeit finanziert werden sollte, und wie begründet sie diese Auffassung?

18. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, dass die Ausbildung von Polizei-
kräften im Südsudan, die überwiegend einer ethnischen Gruppe angehören,
zu Konflikten führen kann?

a) Wenn ja, welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um poten-
tiellen Konflikten vorzubeugen?

b) Wenn nein, warum nicht?

19. Wie bewertet die Bundesregierung den Stand der Umsetzung des CPA, und
welche Konsequenzen zieht sie daraus für ihr künftiges Engagement zur
Unterstützung des CPA-Prozesses?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den Prozess
und den Ausgang der Wahlen im April 2010, und welche Konsequenzen für
ihr künftiges politisches Handeln – auch im Rahmen der EU und der VN –
zieht sie daraus?

21. Was hat die Bundesregierung seit Unterzeichnung des umfassenden Frie-
densabkommens zwischen der NCP und der Sudanesischen Volksbefrei-
ungsarmee (SPLA) im Januar 2005 unternommen, um eine Einbindung der
anderen Oppositions- und Rebellengruppen sowie der Zivilbevölkerung in
den CPA-Prozess zu erreichen?

22. Welche Unterstützungsmaßnahmen hat das Joint Donor Comittee zur Lö-
sung strittiger Fragen des CPA entwickelt, wie ist der Stand der Umsetzung,
und welchen, auch personellen und finanziellen, Anteil hat die Bundesregie-
rung an der Entwicklung und Umsetzung?

23. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung seit Unterzeichnung des
CPA unternommen, um die Einheit des Sudan für die Zivilbevölkerung im
Süd- und Nordsudan attraktiv zu machen, wie zuletzt in der UN-Sicherheits-
ratsresolution 1919 (2010) erneut gefordert?

24. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass der von ihr unterstützte Auf-
bau staatlicher Strukturen im Südsudan, z. B. in den Bereichen Verwaltung,
Justiz und Polizei, dazu beiträgt, Separationsbestrebungen zu fördern (bitte
begründen)?

25. Wann wird die Bundesregierung das von ihr am 5. Mai 2010 angekündigte
umfassende Konzept für den Sudan den Abgeordneten des Deutschen Bun-
destages vorlegen?

26. Ist die Außenstelle der deutschen Botschaft in Dschuba (Juba) derzeit besetzt,
und wenn nicht, seit wann und aus welchem Grund, und wann wird sie wieder
besetzt?

27. Plant die Bundesregierung, wie unter anderem von Amnesty International,
Oxfam und World Vision gefordert, eine Sonderbeauftragte/einen Sonder-
beauftragten für den Sudan zu benennen?

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a) Wenn ja, wann und mit welchen Aufgaben, Befugnissen und welcher per-
sonellen und finanziellen Ausstattung?

b) Wenn nein, warum hält sie dies nicht für notwendig?

28. Welche bilateralen Entwicklungsprojekte hat die Bundesregierung seit Un-
terzeichnung des CPA im Sudan durchgeführt (bitte aufschlüsseln nach Pro-
jekt, Region, Jahr und Höhe der aufgewendeten Mittel)?

29. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die von ihr geförderten Projekte
der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit im Sinne des „do no harm“-
Ansatzes nicht zur Konfliktverschärfung zwischen dem Nord- und Süd-
sudan bzw. zwischen den unterschiedlichen Kräften im Süden des Landes
beitragen?

30. Inwieweit und durch welche Maßnahmen berücksichtigt die Bundesregie-
rung in ihrem Engagement im Sudan die Umsetzung der UN-Resolution
1325 (2000) zur besonderen Rolle von Frauen in Friedensprozessen?

31. Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung für den Fall einer Sezession
des Südsudan

a) auf diplomatischer und völkerrechtlicher Ebene,

b) in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit,

c) beim Aufbau staatlicher Strukturen, von Verwaltung und Justiz,

d) im Hinblick auf die Zivilgesellschaft,

e) beim Aufbau von Militär und Justiz?

Berlin, den 20. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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