BT-Drucksache 17/1660

Umsetzung des Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus

Vom 7. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1660
17. Wahlperiode 07. 05. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Jan Korte, Ulla Jelpke, Ulrich Maurer,
Wolfgang Neskovic, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung des Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus

Im Juni 2009 besuchte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen (VN)
zu Rassismus, Githu Muigai, Deutschland und bemängelte bei Politik und Ge-
sellschaft Defizite im Kampf gegen den Alltagsrassismus. So werde in Deutsch-
land immer noch Rassismus mit Rechtsextremismus gleichgesetzt und damit
nicht ausreichend wahrgenommen. Auch die Europäische Kommission gegen
Rassismus und Intoleranz (ECRI) ist darüber beunruhigt, dass infolge der zur-
zeit in Deutschland vorherrschenden engen Auffassung von Rassismus rassis-
tisch motivierte Straftaten vermutlich nicht immer als solche untersucht und ver-
folgt werden, es sei denn, die Täter oder Täterinnen seien deutlich erkennbar
Mitglieder rechtsextremer Gruppen oder Sympathisierende solcher Gruppen so-
wie, dass es kein unabhängiges Untersuchungsverfahren im Fall von Beschwer-
den gegen polizeiliches Fehlverhalten gibt.

Diese Kritikpunkte finden sich auch hinsichtlich des von der Bundesregierung
nach einem langen Vorlauf im Oktober 2008 verabschiedeten Nationalen Ak-
tionsplans der Bundesrepublik Deutschland zur Bekämpfung von Rassismus Ras-
sendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene
Intoleranz (NAPgR), zu dem sie sich auf der Weltkonferenz gegen Rassismus
2001 verpflichtet hatte. Dieser hat viel Kritik auf sich gezogen, insbesondere weil
von verschiedenen mit dem Thema Rassismus befassten Institutionen der kon-
krete Handlungscharakter des vorgelegten Plans vermisst wird und im NAPgR so-
mit keine konkreten, umsetzbaren und messbaren Ziele benannt werden. Weiter
fehlt eine umfassende Bestandsaufnahme zum Thema Rassismus für die Bundes-
republik Deutschland, jenseits der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten.

Die Bundesregierung selbst sieht den NAPgR nicht als abschließendes Doku-
ment, sondern als eine Art „work in progress“ an. Im NAPgR heißt es dazu: „Mit
der Erstellung dieses Nationalen Aktionsplans ist die Arbeit aber nicht abge-
schlossen. Vielmehr werden sich die weiteren Aktivitäten an den getroffenen
Zielsetzungen orientieren und messen lassen müssen. Überdies ist ein solcher
Aktionsplan auch nicht statisch, sondern die einzelnen Maßnahmen bedürfen
der Evaluierung und Nachsteuerung“. Fraglich ist deshalb, wie der NAPgR in-
zwischen weiterentwickelt und mit Leben gefüllt wurde.
In der Sitzung des Anti-Rassismus-Ausschusses (CERD) der Vereinten Na-
tionen wurden am 15. August 2008 unzureichende Maßnahmen der Bundes-
regierung gegen Rassismus bemängelt und in einem Länderbericht zur Bundes-
republik aufgeführt. In ihrer Antwort auf diesbezügliche Fragen der Fraktion
DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 16/10450) versicherte die vormalige Bun-
desregierung, dass sie Empfehlungen und Kritik des VN-Ausschusses „sehr
ernst“ nehme.

Drucksache 17/1660 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche konkreten, sich aus dem NAPgR ergebenden Vorhaben, Initiativen,
Programme etc. hat die Bundesregierung seit der Verabschiedung des NAPgR
angegangen, mit wem arbeitet sie hierbei zusammen, und was ist der aktuelle
Stand dieser Vorhaben?

2. Gibt es eine laufende Evaluierung zur Umsetzung des NAPgR, von wem wird
diese Evaluierung gegebenenfalls durchgeführt, und ab wann rechnet die Bun-
desregierung mit ersten Ergebnissen einer solchen Evaluierung?

3. Hat sich aus Sicht der Bundesregierung ein Bedarf zur Nachsteuerung des
NAPgR ergeben?

Wenn ja, in welchen Bereichen, und wenn nein, wie begründet die Bundesre-
gierung ihre diesbezügliche Auffassung?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Stellungnahme des Deutschen Instituts
für Menschenrechte vom Januar 2009 zum NAPgR, welche Schlussfolgerun-
gen hat sie daraus gezogen, und hat sie einzelne Anregungen aus dieser Stel-
lungnahme übernommen, und wenn ja, welche (bitte zu den einzelnen Punkten
Stellung nehmen)?

5. Hat die Bundesregierung einzelne Anregungen von Seiten der NGO (Nicht-
regierungsorganisation) aufgenommen, die während der Erarbeitung des
NAPgR von diesen vorgelegt wurden, und wenn ja, welche Anregungen wur-
den aufgenommen, und wenn nein, warum nicht?

6. Ist die Bundesregierung mit den an der Erarbeitung des NAPgR beteiligten
NGO weiterhin im Gespräch, und werden diese für eine Weiterentwicklung
und mögliche Nachsteuerung des NAPgR eingebunden (bitte begründen)?

7. Hat die Bundesregierung eine Priorisierung der im NAPgR formulierten Ziele
und Arbeitsfelder vorgenommen, wie sieht diese Priorisierung aus, und wie be-
gründet sie sich bzw. warum wurde keine solche Priorisierung vorgenommen?

8. Plant die Bundesregierung eine regelmäßige Berichterstattung über die Umset-
zung des NAPgR, in welcher Form soll eine solche Berichterstattung erfolgen,
wann wird der erste Bericht vorliegen, bzw. mit welcher Begründung will die
Bundesregierung auf eine solche Berichterstattung verzichten?

9. In welchem Referat des Bundesministeriums des Innern liegt die Verantwor-
tung für die Umsetzung des NAPgR?

10. In welcher Form hat die Bundesregierung auf die vom Anti-Rassismus-Aus-
schuss der Vereinten Nationen (VN) in der Sitzung vom 15. August 2008 ge-
äußerte Kritik an Deutschland reagiert, und welche Maßnahmen wurden von
Seiten der Bundesregierung ergriffen, um die vom VN-Ausschuss kritisierten
Punkte zu korrigieren (bitte konkret auf die einzelnen Kritikpunkte eingehen)?

11. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Forderung der Europäischen Kommis-
sion gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), rassistische Beweggründe bei
der Begehung gewöhnlicher Straftaten im Strafrecht als erschwerenden Um-
stand zu verankern?

12. Inwieweit will die Bundesregierung die wiederholt von der Europäischen
Kommission gegen Rassismus und Intoleranz und anderen Menschenrechtsor-
ganisationen wie amnesty international getätigte Aufforderung aufgreifen, ein
unabhängiges Untersuchungsverfahren für Fälle behaupteten polizeilichen
Fehlverhaltens vorzusehen?

13. Inwieweit will und wird die Bundesregierung die Forderung des Forum Men-
schenrechte, einem Netzwerk von 52 (Anfang 2010) deutschen Nichtregie-
rungsorganisationen, nach einer besonderen Stelle zur Beobachtung von Ras-

sismus und rassistischer Diskriminierung in Deutschland aufgreifen, wie es
auch ECRI seit Langem fordert?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1660

14. Inwieweit wird die Bundesregierung statistische Methoden zur Datenerfas-
sung entwickeln, so dass Diskriminierungsfälle und rassistisch motivierte
Straftaten systematisch erfasst werden können, und damit den Erfordernissen
der internationalen Staatenberichterstattung entsprochen werden kann?

15. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine fehlende bzw.
mangelhafte Datengrundlage über das Ausmaß von Menschenrechtsverletzun-
gen wie Diskriminierungen und insbesondere Rassismus, den Fehlschluss
begünstigen könnte, es gäbe keine relevante Dimension von Diskriminierung
und Rassismus bzw. das Vorhandensein von Diskriminierung und Rassismus
an sich bestritten wird?

16. Inwieweit hält die Bundesregierung das Fehlen einer Datengrundlage für kon-
traproduktiv?

17. Inwieweit wird die Bundesregierung der Empfehlung des Deutschen Instituts
für Menschenrechte folgen, den Begriff „Rasse“ aus dem Diskriminierungs-
verbot in Artikel 3 des Grundgesetzes zu streichen und durch das Verbot „ras-
sistischer“ Benachteiligung oder Bevorzugung zu ersetzen, um mit dieser
Änderung des Grundgesetzes ein Signal auszusenden, die scheinbare Akzep-
tanz von Rassekonzeptionen zu beenden?

18. In welchem geeigneten Rahmen hat die Bundesregierung – entsprechend ihrer
in der Antwort zu Frage 6 der Bundestagsdrucksache 16/12521 angekündigten
Prüfungen – den 125. Jahrestag der Berliner Afrika-Konferenz begangen?

19. Gibt es

a) einen Beschluss des Reichstages aus dem Jahr 1913 (oder einem anderen
Jahr), nach dem in den damaligen kaiserlich-kolonialen Gebieten geborene
schwarze Kinder deutscher Väter die deutsche Staatsangehörigkeit nicht
erlangen könnten,

b) eine kaiserliche Order von 1906, die „Mischehen“ zwischen Deutschen und
„Togo-Negern“ verbot,

c) andere Gründe, weshalb Deutsche und „Eingeborene“ der damaligen Kolo-
nialgebiete keine rechtswirksame Ehe schließen konnten (etwa die nach § 7
Absatz 3 des damaligen „Schutzgebietsgesetzes“ hierfür notwendige kai-
serliche Verordnung niemals erlassen wurde),

was kann die Bundesregierung zu dieser Thematik allgemein Näheres sagen,
wie bewertet sie die damalige Rechtslage und Praxis, insbesondere in Bezug
auf Togo und insbesondere in Bezug auf den Umstand des hierdurch letztlich
aus rassistischen Gründen verweigerten Erwerbs der deutschen Staatsange-
hörigkeit, und welche Schlussfolgerungen zieht sie hieraus?

20. Ist die Bundesregierung dazu bereit, eine Änderung des Staatsangehörigkeitsge-
setzes vorzunehmen, um Schwarze, die in den damaligen kaiserlich-kolonialen
Gebieten als Kinder deutscher Väter geboren wurden und nur deshalb nicht die
deutsche Staatsangehörigkeit erlangten, weil eine wirksame Eheschließung zwi-
schen Deutschen und „Eingeborenen“ aus rassistischen Gründen faktisch oder
rechtlich unmöglich war, und ihren Nachkommen einen Zugang zur deutschen
Staatsangehörigkeit zu verschaffen – auch, um rassistisches staatliches Unrecht
wirksam und mit Öffentlichkeitswirkung zu beseitigen?

Wenn nein, warum nicht, und wenn ja, wann, in welcher Form und in welchem
Umfang, und was ist der Bundesregierung generell zu dieser Thematik bekannt?

21. Wie steht die Bundesregierung zu der Forderung des Afrika-Rats Berlin-
Brandenburg e.V., des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags e.V., des
Berliner Flüchtlingsrates e.V. und des Vereins Berlin Postkolonial e.V., die vor
dem Hintergrund des Schicksals der Familie Liebl (vgl. zuletzt taz vom

29. April 2010) von der Bundesregierung fordern, die historische Verantwor-
tung für den deutschen Kolonialismus und seine Folgen zu übernehmen und

Drucksache 17/1660 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

entsprechend gesetzgeberisch aktiv zu werden (epd – Evangelischer Presse-
dienst – vom 30. April 2010)?

22. Warum fehlt im NAPgR eine nähere Betrachtung der rassistischen Diskrimi-
nierung von nicht-deutschen Staatsangehörigen, obwohl den Nicht-Staatsan-
gehörigen in den Dokumenten von Durban und auch vom ICERD (Internatio-
nal Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination)
hervorgehoben wird, und wie wird dies von der jetzigen Bundesregierung be-
wertet?

23. Warum fehlt im NAPgR eine nähere Betrachtung der indirekten rassistischen
Diskriminierung (eine Benachteiligung kann sich aus der Anwendung formal
gleicher Regelungen auf Menschen in unterschiedlichen Situationen ergeben),
die z. B. Menschen mit Migrationshintergrund betrifft, und wie wird dies von
der jetzigen Bundesregierung bewertet?

24. Weshalb sind im NAPgR die von der UN-Weltkonferenz 2001 empfohlenen
Themenschwerpunkte für einen NAPgR-Kolonialismus, historische Schuld
und Entwicklungszusammenarbeit nicht enthalten, obwohl die vormalige
Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 16/4689 die Auseinandersetzung
mit dem Kolonialismus und dessen Folgen als einen Beitrag zur Bekämpfung
des Rassismus bezeichnet hat, und wie wird dies von der jetzigen Bundesregie-
rung bewertet?

25. Wie ist die Aussage im NAPgR (S. 11), „eine konsequente Politik der Einbin-
dung und Teilhabe auf allen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen
Ebenen“ sei „unverzichtbar“, um „die notwendige Identifikation des Einzelnen
(…) zu ermöglichen“ [im Text fehlt allerdings eine Angabe dazu, womit sich
die Einzelnen identifizieren sollen], damit vereinbar, dass Drittstaatsangehö-
rigen selbst das kommunale Wahlrecht verweigert wird und die Voraussetzun-
gen für Einbürgerungen im Jahr 2007 noch einmal erschwert wurden, und wie
wird dies von der jetzigen Bundesregierung bewertet?

26. Wenn die „Förderung der Integration ein maßgebliches Mittel zur Bekämpfung
solcher [rassistischer, ausländerfeindlicher, rechtsextremistischer] Vorurteile
und eventuell daraus erwachsender Diskriminierungen“ ist (NAPgR, S. 37),

a) wie ist es dann zu erklären, dass die partielle Öffnung des Staatsangehörig-
keitsrechts zum 1. Januar 2000 als ein wesentlicher Schritt in diese Rich-
tung dargestellt (S. 40), im Gegenzug die Verschärfung des Staatsangehö-
rigkeitsrechts durch das Richtlinienumsetzungsgesetz jedoch nicht als eine
Maßnahme kritisiert wird, die der Förderung der Integration und damit der
Bekämpfung von Diskriminierung und Vorurteilen entgegensteht?

b) müssen dann die aktuellen Kürzungen im Integrationskursbereich als Maß-
nahme der Bundesregierung zur Stärkung von rassistischen Vorurteilen und
daraus eventuell erwachsenden Diskriminierungen gesehen werden (bitte
begründen)?

27. Wie verträgt sich die Aussage auf Seite 114 des NAPgR, der „Anreiz zu Ar-
beitsplatzsuche“ im Rahmen der gesetzlichen Altfallregelung solle eine
„Zuwanderung in die Sozialsysteme … vermeiden“, mit dem Anspruch, The-
men der Migration und Integration so zu diskutieren, dass hierdurch keine Vor-
urteile gestärkt werden (bitte begründen), oder ist die Bundesregierung nicht
dieser Auffassung, und wie ist in diesem Zusammenhang zu bewerten, dass
eine entsprechende Passage in dem letzten Entwurf des NAPgR (dort S. 2) kei-
nen Eingang in die Endfassung gefunden hat?

Berlin, den 7. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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