BT-Drucksache 17/1572

Ölkatastrophen vermeiden - Raubbau an Mensch und Natur ausschließen

Vom 5. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1572
17. Wahlperiode 05. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn,
Ute Koczy, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Dr. Hermann Ott,
Dorothea Steiner, Cornelia Behm, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Ulrike
Höfken, Dr. Anton Hofreiter, Nicole Maisch, Ingrid Nestle, Friedrich Ostendorff,
Brigitte Pothmer, Markus Tressel, Daniela Wagner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ölkatastrophen vermeiden – Raubbau an Mensch und Natur ausschließen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Zwei Wochen nach der Explosion der Bohrplattform „Deepwater Horizon“ am
20. April 2010 droht der Südküste der USA eine Ölpest mit unabsehbaren Fol-
gen für die Natur, die Fischerei und die Wirtschaft. Bisher sind alle Maßnahmen
zum Verschluss des Öllecks fehlgeschlagen. Aus dem unterseeischen Bohrloch
könnten laut US-Küstenwache täglich bis zu 1,13 Millionen Liter Rohöl aus-
treten. Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Ölteppichs haben bisher keinerlei
Wirkung gezeigt. Derweilen treibt der Ölteppich auf die besonders sensiblen
Küstengebiete am Mississippidelta zu. Befürchtet werden großräumige ökolo-
gische und ökonomische Schäden, deren Beseitigungskosten noch nicht einmal
ansatzweise geschätzt werden können.

Die schwindenden Ölreserven führen zur Förderung unter risikoreicheren und
umweltschädlicheren Bedingungen nicht nur Offshore sondern auch bei Ölsan-
den in Kanada und in Permafrostregionen. Der steigende Ölpreis verleitet zu im-
mer riskanteren Fördermethoden, die unsere Abhängigkeit vom Erdöl zementie-
ren und katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt immer wahrscheinlicher
machen. Die Katastrophe vor Amerikas Küste zeigt, dass die Ausbeutung der
Ölreserven zu einer Hochrisikotechnologie geworden ist.

Erdöl wird nicht nur im Golf vom Mexiko gefördert. Insbesondere auch die afri-
kanische Küste erlebt einen Erdöl-„Boom“, der große Umweltschäden nach sich
ziehen kann. Gerade im gesamten Golf von Guinea wurden in den letzten Jahren
große Ölvorkommen entdeckt. Dort wurde die Ölförderung bereits enorm aus-
geweitet und weitere Ölfelder sollen in den nächsten Jahren erschlossen werden.
Auch die Weltbank bzw. ihre Tochter IFC (Internationale Finanz-Corporation)

beteiligt sich durch Kredite, die Erdölunternehmen gewährt werden, an der Off-
shore-Exploration oder -Förderung, wie z. B. 2009 im Falle des Jubilee-Ölfelds
vor der Küste Ghanas.

Was in Förderländern häufig fehlt, sind verbindliche Standards und Kontrolle.
Doch nur mit Kontrolle und einem konsequenten Kampf gegen Korruption
können das Unfallrisiko richtig eingeschätzt und Unfälle verhindert werden.

Drucksache 17/1572 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Auch bei uns haben wir ein Problem. In der Nordsee stehen mehr als 450 För-
derplattformen, die Erdöl und Erdgas fördern. Dort kam es in der Vergangenheit
immer wieder zu Zwischenfällen, die sowohl Menschenleben forderten als auch
zu Verschmutzungen der Gewässer führten. Bisher sind aufgrund der geringeren
Tiefe und damit der besseren Beherrschbarkeit solcher Unfälle deutlich weniger
Schäden verursacht worden. Die Tendenz in immer schwierigeren Gewässern
und in immer größeren Tiefen Erdöl zu fördern, besteht jedoch auch im Gebiet
der Nordsee und des Nordost-Atlantik. Nicht auszuschließen ist, dass bei einer
vergleichbaren Katastrophe in diesem Meeresgebiet auch die deutsche Küste mit
dem Weltnaturerbe Wattenmeer, mit seinen einmaligen hochsensiblen Lebens-
räumen in Mitleidenschaft gezogen wird.

Weg vom Öl bedeutet auch weg von der schleichenden Ölverschmutzung beim
Normalbetrieb. Schon heute ist die Nordsee einer permanenten Ölverschmutzung
ausgesetzt. Laut Angaben von Greenpeace gelangen Jahr für Jahr über 10 000
Tonnen Öl im Normalbetrieb in die Nordsee. Dazu kommt nochmals ungefähr
dieselbe Menge, die von Schiffen jährlich illegal in das Meer geleitet wird.

Der einzige Weg, um solche Desaster wie an der US-amerikanischen Küste zu
vermeiden, ist eine Abkehr von der Fixierung auf das Erdöl. Erneuerbare Ener-
gien müssen konsequent gefördert und ihr Einsatz ausgebaut werden. Im Ver-
kehrsbereich müssen die Anstrengungen hin zu alternativen Antrieben und
neuen Verkehrskonzepten deutlich verstärkt werden, um den Weg ins postfossile
Zeitalter beschreiten zu können. Bis dahin ist es dringend erforderlich, die Erd-
ölförderung umwelt- und sozialverträglicher zu gestalten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● mit einer konsequenten Förderpolitik, die Umstellung der Energieversor-
gung, der Wirtschaft und des Verkehrswesen auf erneuerbare Energien und
ökologische Rohstoffe zu unterstützen, um damit die Abhängigkeit Deutsch-
lands vom Öl mittelfristig zu beenden;

● die deutschen Notfallpläne für die Bekämpfung von Ölverschmutzungen im
Gebiet der deutschen Nordsee zu überprüfen und anzupassen sowie die dies-
bezügliche europäische und internationale Zusammenarbeit zu verbessern
und zu verstärken;

● die Suche nach und die Förderung aus Erdölvorkommen in ökologisch sen-
siblen Gebieten in deutschen Hoheitsgewässern und der AWZ (Ausschließ-
liche Wirtschaftszone), einschließlich Nationalpark Wattenmeer, zu beenden;

● keine öffentlichen Gelder für die Suche und die Förderung von Erdöl in Mee-
resgebieten bereitzustellen, und hierfür auch keine Bürgschaften und Investi-
tionsgarantien zu gewähren;

● sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass Weltbank, regionale
Entwicklungsbanken und die Europäische Investitionsbank keine Kredite
mehr an Erdölunternehmen vergeben und stattdessen in erneuerbare Energien
und Energieeffizienz investieren;

● sich auf europäischer und internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass keine
Bohrlizenzen mehr für Tiefen von mehr als 500 Metern erteilt werden;

● sich auf europäischer und internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass
Bohrlizenzen nur erteilt werden bei Einsatz der besten verfügbaren Technik,
die eine ökologische Belastung der Meere verhindert und die Sicherheit der
Beschäftigten gewährleistet. Diese Standards müssen verbindlich und ein-
klagbar sein;
● sich auf internationaler Ebenen dafür einsetzen, dass Bohrlizenzen nur erteilt
und verlängert werden dürfen, wenn eine Technik verwendet wird, die sicher-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1572

stellt, dass praktisch kein Öl über das Abwasser der Pattformen ins Meer ge-
langt;

● sich auf europäischer und internationaler Ebene für strenge Umwelt- und
Sozialstandards bei der Erdölförderung einzusetzen;

● die Haftungsfrage bei Schäden durch die Erdölförderung in deutschen
Hoheitsgewässern und AWZ eindeutig nach dem Verursacherprinzip fest-
zulegen;

● eine Lotsenpflicht für Tanker, in deutschen Hoheitsgewässern, innerhalb
schwieriger Passagen einzuführen.

Berlin, den 4. Mai 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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