BT-Drucksache 17/1505

Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Iran und Umgang mit homosexuellen Flüchtlingen

Vom 23. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1505
17. Wahlperiode 23. 04. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Dr. Barbara Höll, Stefan Liebich,
Raju Sharma und der Fraktion DIE LINKE.

Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Iran und Umgang mit homosexuellen
Flüchtlingen

Im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen vom Juni vergangenen Jahres
kam es im Iran zu einer breiten Protestbewegung. Anlass war unter anderem der
Vorwurf gegen die Führung in Teheran, das Ergebnis der Wahlen manipuliert zu
haben. Das Regime hat darauf mit Repression und Zensur in unterschiedlichsten
Formen reagiert. Wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Proteste
Repressalien erdulden mussten oder sogar verletzt oder getötet wurden, ist nicht
genau bekannt.

Für einzelne Unterstützerinnen und Unterstützer der Proteste im Iran wurde die
Situation so bedrohlich, dass sie sich zur Flucht aus ihrem Land entschieden
haben. Diese Flüchtlinge versuchen unter anderem, über die Türkei in die EU zu
gelangen, um dort Asyl zu beantragen. Daneben gibt es im deutschen Aufent-
haltsrecht die Möglichkeit, Flüchtlinge unmittelbar aus dem Ausland aufzu-
nehmen (§ 22 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG). Derzeit leben 531 Men-
schen in Deutschland, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22
AufenthG sind. Nach einer Meldung von „SPIEGEL ONLINE“ vom 8. März
2010 hat die Bundesregierung von dieser Befugnis Gebrauch gemacht. Zugleich
haben eine Reihe von Menschen, die aus dem Iran geflohen sind und in Deutsch-
land leben, nur eine höchst unsichere Aufenthaltsperspektive in Deutschland und
müssen um Schutz vor Abschiebung kämpfen.

Im Falle Irans ist insbesondere auch von Bedeutung, inwieweit Homosexualität
und eine damit zusammenhängende drohende Verfolgung im Herkunftsland als
„asylrelevant“ angesehen werden. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 15. März 1988 (9 C 278/86) sei dies nur dann der Fall, wenn eine
„unentrinnbare schicksalhafte Festlegung des Sexualtriebes“ vorliege und zu-
dem mit „nicht bloß … besonders strengen, sondern offensichtlich unerträglich
harten“ Strafen zu rechnen sei, die „unangemessen“ seien „zur Ahndung eines
Verstoßes gegen die öffentliche Moral“ und „öffentliche Sittlichkeit“. Es ist be-
reits zweifelhaft, dass das Bundesverwaltungsgericht an dieser Rechtsprechung
angesichts der seitdem gewandelten gesellschaftlichen Einstellungen und der
geänderten rechtlichen Beurteilung gleichgeschlechtlicher Sexualität festhält.

Jedenfalls ist eine solche Einengung des Flüchtlingsschutzes, die auf diskrimi-
nierenden, pseudomoralischen Erwägungen basiert, mit der so genannten Quali-
fikationsrichtlinie und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
unvereinbar, die 2006 bzw. 2009 in Kraft getreten sind. Die Bundesregierung hat
zudem in einer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.) angegeben, dass Homosexualität auch in straf-
rechtlichen Verfahren angewendet wird, um die Angeklagten zu diskreditieren

Drucksache 17/1505 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

(Bundestagsdrucksache 16/13769 zu Frage 4). So kann nur vor dem Hintergrund
einer in den staatlichen Organen allgemein vorherrschenden Homophobie argu-
mentiert werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Um welche Gruppen von Verfolgten oder Einzelpersonen handelt es sich bei
den Flüchtlingen, die die Bundesrepublik Deutschland aufgenommen hat
oder um deren Aufnahme sie sich bemüht?

2. Aus welchem Land wurden oder werden die Flüchtlinge aufgenommen, wenn
sie nicht unmittelbar aus dem Iran aufgenommen wurden oder werden?

3. Wie viele Personen wurden auf Grundlage des § 22 AufenthG in den Jahren
2008 und 2009 aus dem Ausland aufgenommen (bitte nach Herkunftsland und
Land, aus dem heraus die Aufnahme erfolgte, auflisten)?

4. Wie viele anerkannte Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge oder Menschen
mit Abschiebeschutz bzw. subsidiärem Schutzstatus mit iranischer Staatsan-
gehörigkeit halten sich gegenwärtig in Deutschland auf (bitte nach Rechts-
grund des Aufenthalts, Aufenthaltstitel und Geschlecht auflisten)?

5. In wie vielen Fällen wurde seit 2005 ein Widerrufsverfahren gegen eine Aner-
kennung als Asylberechtigtem bzw. Flüchtling oder subsidiär Schutzberech-
tigtem mit iranischer Staatsangehörigkeit durch das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge betrieben, und mit welchen Ergebnissen (bitte nach Jahren
und Aufenthaltsstatus auflisten)?

6. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Praxis des Iran bei der
Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen und anderer körperlicher
Strafen seit 2005 entwickelt?

7. Wie ist die aktuelle Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge in Bezug auf Asylsuchende aus dem Iran, die sich zu einer nicht-
islamischen Religion bekennen?

a) Hat sich nach Ansicht der Bundesregierung im Umgang mit den Baha’i seit
dem Jahr 2005 eher eine Verbesserung oder Verschlechterung der Lage er-
geben, und ist derzeit ein öffentliches Bekenntnis zur Glaubensgemein-
schaft der Baha’i im Iran ohne Angst vor (auch nichtstaatlicher) Verfol-
gung möglich?

b) Wie hat sich nach Ansicht der Bundesregierung der Umgang mit Angehö-
rigen der christlichen Minderheit im Iran seit dem Jahr 2005 die Lage ent-
wickelt, und ist derzeit ein öffentliches Bekenntnis zu einer christlichen
Religion ohne Angst vor (auch nichtstaatlicher) Verfolgung möglich?

c) Wie hat sich nach Ansicht der Bundesregierung der Umgang mit Angehö-
rigen der jüdischen Minderheit im Iran seit dem Jahr 2005 entwickelt, und
ist derzeit ein öffentliches Bekenntnis zum Judentum ohne Angst vor (auch
nichtstaatlicher) Verfolgung möglich?

d) Wie ist insbesondere die Praxis des Bundesamtes in Asylfolgeverfahren,
wenn die Antragstellenden sich erst in Deutschland zu einer nichtislami-
schen Religion bekannt haben, und wie wird die Ernsthaftigkeit des Be-
kenntnisses geprüft?

8. Wie ist die aktuelle Entscheidungspraxis des Bundesamtes in Bezug auf Asyl-
suchende aus dem Iran, die dort wegen ihrer sexuellen Identität Verfolgungs-
maßnahmen erlitten haben oder fürchten?

a) Was ist der Bundesregierung dazu bekannt, wie viele Todesurteile im Zu-

sammenhang mit der (vermeintlichen) Ausübung gleichgeschlechtlicher
Sexualkontakte im Iran in den Jahren seit 2005 verhängt und vollstreckt

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1505

wurden bzw. wie viele Anklagen, Verfahren und Verurteilungen es dies-
bezüglich gab?

b) Was ist der Bundesregierung dazu bekannt, wie viele Anklagen, Verfahren,
Todesurteile oder Verurteilungen zu z. B. körperlichen Strafen (Aus-
peitschen, Stockhiebe, Amputationen u. Ä.) im Iran in den Jahren seit 2005
wegen vermeintlicher Sexualdelikte (Ehebruch u. Ä.) verhängt und voll-
streckt wurden?

c) Wie ist die Entscheidungspraxis des Bundesamtes in Bezug auf Iranerin-
nen und Iraner, die erst unter den Lebensbedingungen in Deutschland eine
nichtheterosexuelle Identität entwickelt haben, und unter welchen genauen
Bedingungen wird dies als schutzbegründender Nachfluchtgrund bzw. Ab-
schiebungshindernis gewertet?

9. Unter welchen Umständen werden homosexuelle Asylsuchende derzeit vom
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als schutzbedürftige Flüchtlinge
bzw. Asylberechtigte anerkannt bzw. wird ihnen subsidiärer Schutz gewährt
(bitte nach dem jeweiligen Flüchtlingsstatus differenziert beantworten)?

a) Welche Änderungen in der Rechtsauffassung und Praxis des Bundesamtes
haben sich diesbezüglich infolge des Inkrafttretens der EU-Qualifi-
kationsrichtlinie und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
bzw. nach Inkrafttreten der Charta der Menschenrechte ergeben?

b) Wie ist der aktuelle Stand der deutschen Rechtsprechung zu dieser Frage?

c) Wird in der Praxis des Bundesamtes bei dieser Frage insbesondere darauf
abgestellt, ob die Homosexualität der Asylsuchenden als „irreversible,
schicksalhafte Prägung“ angesehen wird, und wenn ja, mit welcher Be-
gründung, und inwiefern wird dies im Einzelfall konkret überprüft?

d) Wird in der Praxis des Bundesamtes bei dieser Frage insbesondere darauf
abgestellt, ob die Asylsuchenden nach einer Rückkehr ihre Homosexuali-
tät „im Verborgenen“ leben können bzw. ob ihnen zuzumuten ist, insofern
„Diskretion walten zu lassen“ und sich „bedeckt zu halten“, und wenn ja,
mit welcher Begründung?

e) Inwieweit wird in der Praxis des Bundesamtes ein „coming out“ in
Deutschland als selbstgeschaffener Nachfluchtgrund gewertet (bitte be-
gründen)?

f) Inwieweit wird in der Praxis des Bundesamtes die polizeiliche Verfolgung
und gerichtliche Bestrafung gleichgeschlechtlicher Homosexualität als für
die Frage des Asyl- bzw. Flüchtlingsschutzes irrelevant betrachtet, inso-
fern damit angeblich „lediglich“ eine Verletzung der „öffentlichen Sittlich-
keit und Moral“ geahndet würde, und ab welcher Schwere solcher Bestra-
fungen werden sie dessen ungeachtet als „asylrelevant“ angesehen?

Berlin, den 23. April 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.