BT-Drucksache 17/1490

Sexuelle Gewalt an Schulen und Internaten

Vom 23. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1490
17. Wahlperiode 23. 04. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Dörner, Priska Hinz (Herborn), Ekin Deligöz, Kai Gehring,
Agnes Krumwiede, Tabea Rößner, Winfried Hermann, Viola von Cramon-Taubadel
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sexuelle Gewalt an Schulen und Internaten

Ende Januar 2010 wurden Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugend-
lichen öffentlich, die durch zwei Lehrer in den 1970er- und 1980er-Jahren am
Canisius-Kolleg, einer Jesuiten-Schule in Berlin, begangen wurden. Seitdem
kommen immer mehr Missbrauchsfälle an Schulen und Internaten in kirchlicher,
staatlicher und sonstiger freier Trägerschaft ans Licht, ebenso aus dem Bereich
des Sports. Sexueller Missbrauch ist eine gravierende Tat, die besonders schwer-
wiegende seelische Verletzungen bei den Betroffenen nach sich zieht.

Kinder und Jugendliche verbringen viel Zeit in Bildungs-, Betreuungs- oder
Freizeiteinrichtungen. Als Schutzbefohlene zahlreicher Einrichtungen kommt
ihrem Schutz innerhalb der Einrichtungen besondere Bedeutung zu. Hier ist der
Staat gefragt. Aufklärung der Taten und Verfolgung und Bestrafung der Täter
sind dabei genauso zentrale Handlungsleitlinien wie Prävention, Opferschutz
und Hilfsangebote für die Opfer.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwiefern sieht sich die Bundesregierung in der Verantwortung, für Aufklä-
rung, Schutz und Rehabilitation der Opfer und der Prävention bezüglich des
sexuellen Missbrauchs in schulischen Institutionen zu sorgen?

Welche konkreten Schritte hat/wird die Bundesregierung hier unternehmen?

2. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die Aufklärung der Fälle von
möglichst unabhängigen und externen Personen bzw. Institutionen erfolgt?

3. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wie viele ehemalige Schülerin-
nen und Schüler sich bisher bundesweit gemeldet haben und vom Missbrauch
ihrer Person in schulischen Institutionen berichteten?

Wenn nein, warum nicht?

4. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob spezielle Gruppen (Alter,
Geschlecht, Herkunft etc.) von Schülerinnen und Schülern besonders von se-
xueller Gewalt betroffen waren?
5. In welchen Bundesländern gab es wie viele Opfer in welchen schulischen In-
stitutionen, unter welcher Trägerschaft, in welchem Zeitraum?

6. Wie viele schulische Einrichtungen sind bisher betroffen?

7. Wie viele betroffene Einrichtungen sind in kirchlicher Trägerschaft (bitte
differenzieren in evangelische und katholische oder andere Religionsgemein-
schaft bzw. Schulen in freikirchlicher Trägerschaft)?

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8. Wie viele mutmaßliche Täter sind bisher identifiziert?

9. Liegen der Bundesregierung Informationen vor, wie viele Eltern von den
damals betroffenen Schülerinnen und Schülern von den Missbrauchsvor-
würfen wussten, und warum diese ihren Schutzpflichten nicht nachkamen?

10. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, warum die Miss-
brauchsvorwürfe in dem jeweils konkreten Fall schul- oder heimaufsicht-
lich nicht bekannt wurden?

Wenn nein, warum nicht?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass Missbrauchsvorfälle
in schulischen Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft in einigen Fällen
zwar dienstrechtliche Konsequenzen innerhalb der Einrichtung oder der be-
troffenen Kirche zur Folge hatten, aber keinerlei strafrechtliche Verfolgung
seitens der kirchlichen Träger der Einrichtungen ermöglicht bzw. forciert
wurde?

12. Wie viele der oben beschriebenen Fälle (ohne strafrechtliche Verfolgung
zum Zeitpunkt der Meldung) sind der Bundesregierung bisher bekannt (bitte
aufschlüsseln nach Einrichtung, Träger, Zeitraum und Anzahl der Fälle)?

13. Lassen sich aus vorliegenden Erkenntnissen bereits Rückschlüsse ziehen,
welche personellen oder strukturellen Veränderungen notwendig sind, da-
mit Schul- und Heimaufsicht ihre Aufgabe der Prävention und Verfolgung
von Missbrauch in Einrichtungen besser wahrnehmen können?

14. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung oder hat die Bundesregie-
rung bereits ergriffen, den Betroffenen angemessene Hilfe und Unterstüt-
zung bei der Bewältigung des Missbrauchs zukommen zu lassen?

15. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher ergriffen, damit die
Opfer Gehör bekommen?

16. Inwiefern fließen die Berichte der Opfer in die Beratungen des Runden
Tisches ein?

17. Welche Aufgaben hat der von der Bundesregierung eingerichtete Runde
Tisch gegen Kindesmissbrauch im Unterschied zum Runden Tisch „Heim-
erziehung in den 50er und 60er Jahren“?

18. Welchen rechtlichen Status hat der von der Bundesregierung einberufene
Runde Tisch hinsichtlich der Aufklärung der Taten?

19. Ist eine Zusammenarbeit des Runden Tisches mit den ermittelnden Staats-
anwaltschaften geplant?

Wenn ja, wie soll diese aussehen, und wenn nein, warum nicht?

20. Wie soll der Informationsfluss zwischen den Betroffenen, den schulischen
Einrichtungen, die sie seinerzeit besucht haben, und dem Runden Tisch ge-
währleistet werden?

21. Was sind die Ziele und Aufgaben der Geschäftsstelle der Unabhängigen
Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, und mit
welcher personellen Ressourcenausstattung sollen diese Aufgaben bewäl-
tigt werden?

22. Wie sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle für ihre
Aufgaben ausgebildet?

23. Ist eine Kooperation der unabhängigen Beauftragten mit dem Runden Tisch
geplant?
Wenn ja, wie wird die Zusammenarbeit gewährleistet?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1490

24. Ist die Kooperation der unabhängigen Beauftragten mit den Fachverbänden
bzw. therapeutischen Einrichtungen und den Opferverbänden geplant?

Wenn ja, wie soll diese konkret umgesetzt werden?

25. Ist die Kooperation der unabhängigen Beauftragten mit der bundesweiten
Telefonhotline „Hilfe für Opfer sexuellen Missbrauchs“ der katholischen
Kirche geplant?

Wenn ja, wie soll diese konkret umgesetzt werden?

26. Inwiefern unterscheiden sich die Ziele und Aufgaben der unabhängigen
Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs und die
bundesweite Telefonhotline „Hilfe für Opfer sexuellen Missbrauchs“ der
katholischen Kirche sowie der Arbeit der Beauftragten einzelner evangeli-
scher Landeskirchen und katholischer Bistümer (bitte aufschlüsseln)?

27. Welche zeitlichen Planungen gibt es für den Runden Tisch?

28. Bis wann sollen erste Ergebnisse/Empfehlungen vorliegen?

29. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die Arbeit des Runden Tisches
Einfluss auf die Ausarbeitung des Bundeskinderschutzgesetzes haben wird?

30. Hält die Bundesregierung an ihrem Zeitplan fest, im Herbst diesen Jahres ei-
nen Entwurf des Bundeskinderschutzgesetzes dem Deutschen Bundestag
vorzulegen?

31. Wie schätzt die Bundesregierung die geltende Rechtslage im Hinblick auf
die Möglichkeit ein, dass die Beschuldigten strafrechtlich zur Verantwor-
tung gezogen werden und zugleich den Opfern eine angemessene Entschä-
digung gezahlt werden kann?

32. Sieht die Bundesregierung angesichts der möglichen Verjährung zivilrecht-
licher Ansprüche die Notwendigkeit, den Betroffenen auch für einen lange
zurückliegenden Missbrauch eine Entschädigung zukommen zu lassen?

Wenn ja, über welche Formen denkt die Bundesregierung nach?

33. Beabsichtigt die Bundesregierung einen Entschädigungsfonds einzurichten,
und wie begründet sie dabei ihre Haltung?

34. Welche Maßnahmen und Leistungen, wie beispielsweise die Erstattung der
Kosten für eine angemessene psychologische Behandlung, könnten von
einem solchen Fonds bezahlt werden?

35. In welchem Umfang und auf welcher Rechtsgrundlage sollten auch die Trä-
ger der Einrichtungen, in denen der Missbrauch von Kindern und Jugend-
lichen stattgefunden hat, an den Kosten für den Fonds beteiligt werden?

36. Wie viele Internate gibt es derzeit in Deutschland (bitte nach staatlicher und
privater Trägerschaft aufschlüsseln)?

37. Ist bei den betroffenen schulischen Einrichtungen die Schulaufsicht oder die
Heimaufsicht zuständig (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

38. Welche institutionsspezifischen Regelungen zum Umgang mit sexueller
Gewalt kamen bei den kirchlichen Einrichtungen zum Tragen?

39. Inwiefern unterscheidet sich die Aufsicht hinsichtlich der Abwehr von
Gefahren für das Kindeswohl bei staatlichen Internaten, bei Internaten in
freier Trägerschaft bzw. bei Ersatz- oder Ergänzungsschulen (bitte nach
Bundesländern aufschlüsseln)?

40. Welche Regelungen zum Kinderschutz in Einrichtungen sieht das Kinder-
und Jugendhilfegesetz (Achtes Buch Sozialgesetzbuch) vor?
41. Wann wurden diese Regelungen zuletzt evaluiert?

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42. Welche Regelungen zum Kinderschutz finden sich in den Regelungen der
jeweils zuständigen Schul- und/oder Heimaufsicht in den einzelnen Län-
dern (bitte einzeln aufführen)?

43. Welche Vorgaben machen die einzelnen Bundesländer hinsichtlich der Eig-
nung des Personals?

44. Welche Regelungen gibt es für das Personal, das mit keinen pädagogischen
Aufgaben betraut ist?

45. Welche gesetzlichen Regelungen gibt es für die Zusammenarbeit von Schul-
aufsicht und Jugendhilfe (Heimaufsicht)?

46. In welchen Bundesländern muss das Personal schulischer Einrichtungen zu-
dem schriftlich erklären, dass es keine polizeilichen Ermittlungen wegen
Kindesmissbrauchs gegen die betreffende Person gibt?

47. Welche rechtlichen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch bun-
desgesetzliche Regelungen – wie etwa ein Bundeskinderschutzgesetz – ein
bundeseinheitliches Niveau an Kinderschutznormen auch im Schulbereich
zu gewährleisten?

48. Beabsichtigt die Bundesregierung eine Evaluierung der bisherigen Regelun-
gen im schulischen Bereich?

49. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über sexuellen Missbrauch in
von ihr geförderten Einrichtungen, speziell in den Eliteschulen des Sports
und in Olympiastützpunkten?

50. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in der Vergangenheit getrof-
fen und plant sie in Zukunft zu treffen, um sexuellen Missbrauch in diesen
Einrichtungen zu verhindern?

51. Inwiefern findet das Thema sexuelle Gewalt in Institutionen in der Neuauf-
lage des Aktionsplans der Bundesregierung zum Schutz von Kindern und
Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung Berücksichtigung?

52. Welche Projekte hat die Bundesregierung seit 2005 mit welchen Beträgen
gefördert, die präventiv gegen sexuelle Gewalt wirken sollen?

53. Von welcher Bedeutung sind nach Auffassung der Bundesregierung „Not-
ruf- oder Sorgentelefone“ für Kinder- und Jugendliche?

54. Von welcher Bedeutung ist es nach Auffassung der Bundesregierung, dass
die Anrufe für die Kinder und Jugendlichen kostenlos sind?

55. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass die Nationale Infoline, Netzwerk
und Anlaufstelle zu sexueller Gewalt an Mädchen und Jungen, kurz:
N.I.N.A. ihre Leistung gebührenpflichtig anbietet (Quelle: www.nina-
info.de, abgerufen am 29. März 2010)?

56. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass die Nummer gegen Kummer
bundesweit und kostenfrei von Festnetz und Handy angeboten wird
(www.nummergegenkummer.de, abgerufen am 29. März 2010)?

57. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Prä-
ventionsprojekten im Bereich sexueller Gewalt an Kindern vor, und wenn
ja, welche?

Inwieweit werden in den Präventionsprojekten geschlechtsspezifische Ar-
beitsansätze verfolgt?

58. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über Ombudsstellen für das
Thema sexuelle Gewalt und deren Wirksamkeit vor, und wenn ja, welche?

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59. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher unternommen, um die
Qualifizierung des Personals, das mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, in
Sachen Kinderschutz zu fördern?

60. Plant die Bundesregierung einen Erfahrungsaustausch mit anderen Ländern,
in denen eine vergleichbare Häufung von sexueller Gewalt in schulischen
Einrichtungen zutage getreten ist (beispielsweise Irland), und wenn ja,
wann, und in welcher Form?

Berlin, den 23. April 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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