BT-Drucksache 17/14679

Beenden der nachrichtendienstlichen Kooperation mit den USA und Großbritannien, unabhängige Überprüfung der derzeitigen Praxis und der internationalen Verträge und Abkommen, die den Datenaustausch regeln

Vom 2. September 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14679
17. Wahlperiode 02. 09. 2013

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Steffen Bockhahn, Ulla Jelpke, Jens Petermann,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Beenden der nachrichtendienstlichen Kooperation mit den USA und
Großbritannien, unabhängige Überprüfung der derzeitigen Praxis und der
internationalen Verträge und Abkommen, die den Datenaustausch regeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Nahezu täglich werden neue Dimensionen des millionenfachen und automa-
tischen Abhörens und Abgreifens von Kommunikationsdaten zu nachrich-
tendienstlichen Zwecken durch die Materialien des Whistleblowers Edward
Snowden öffentlich. Der Skandal um den Missbrauch von Kommunika-
tionsdaten, der Anfang Juni 2013 mit den Stichworten „Prism“ und „Tem-
pora“ offenbar wurde, zeigt den Alltag des nachrichtendienstlichen Zugriffs
auf die alltägliche Kommunikation der Menschen. Dabei spielen nach bishe-
rigen Kenntnissen die Dienste der USA und Großbritanniens zwar eine be-
sonders große, aber keine einzigartige Rolle. Der Bundesnachrichtendienst
(BND) ist wie andere europäische Dienste auch Teil des aufgedeckten Pro-
blems.

2. Erst wenn alle Fakten bekannt sind, kann sinnvoll über Schutzmaßnahmen
gegen Datenmissbrauch geredet und entschieden werden.

3. Die von der Bundesregierung bisher angewandten Aufklärungsmethoden
– Fragebögen an die Regierungen der USA, Großbritannien und einige Tele-
kommunikationsunternehmen, Regierungsgespräche und briefliche Zusiche-
rungen über die Einhaltung von Gesetzen – konnten die aufgeworfenen und
für demokratische Gesellschaften bedrohlichen Fragen nicht ansatzweise
klären.

4. Die geheimen und teilweise mit Druck durchgesetzten Absprachen mit den
Telekommunikationsunternehmen zur Kooperation im In- und Ausland, die
dann wiederum selbst zur Geheimhaltung verpflichtet wurden, sind Anzei-
chen für Allmachtsansprüche der Nachrichtendienste, die weder durch die
vorliegenden Bedrohungsanalysen begründet noch in ihrem Ausmaß mit gel-
tenden Gesetzen gerechtfertigt werden können. Auch in diesem Missbrauch
staatlicher Macht gegenüber Privaten, die zur Kollaboration verpflichtet

werden, droht die Zersetzung demokratisch-rechtsstaatlicher Grundregeln.

5. Der Widerspruch zwischen der wiederholten öffentlichen Erklärung, es sei
nunmehr alles aufgeklärt, und den Schlagzeilen in den nächsten Tagen über
neue, noch umfassendere Abhörmaßnahmen fördert die berechtigte Sorge
um die Gültigkeit von Menschen- und Bürgerrechten in der Europäischen
Union und in den internationalen Beziehungen, besonders zwischen EU und
USA und Großbritannien. Die Bundesregierung sei gegenüber den Nach-

Drucksache 17/14679 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

richtendiensten entweder hilflos oder habe eigene Interessen an der Ver-
schleierung der tatsächlichen Situation – diese Alternative gewinnt zuneh-
mend an Überzeugungskraft. Beide Varianten wären allerdings Symptome
einer schweren Beschädigung der Demokratie.

6. Die schonungslose öffentliche Aufklärung der tatsächlichen Praxis der
Nachrichtendienste, die umfassende Überprüfung der geltenden nationalen
und internationalen Rechtsgrundlagen und die Bereitschaft, die umfassende
Geltung von Menschen- und Bürgerrechten im Bereich der Telekommunika-
tion wiederherzustellen, sind Voraussetzung für eine demokratische Ent-
wicklung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich alle erforderlichen Schritte einzuleiten, um

1. eigenständige, unabhängige, sachverständige Untersuchungen zu der tat-
sächlichen Praxis der nachrichtendienstlichen Zugriffe, einschließlich der
des Bundesnachrichtendienstes auf die Kommunikation europäischer Bürge-
rinnen und Bürger und die damit verbundene Verletzung des Rechts auf in-
formationelle Selbstbestimmung und der Vertraulichkeit und Integration in-
formationstechnischer Systeme einzuleiten und kontinuierlich Parlament
und Öffentlichkeit über die Erkenntnisfortschritte zu informieren;

2. an diesen Prüfungen den Whistleblower Edward Snowden zu beteiligen und
ihm zu diesem Zweck Asyl nach § 22 des Aufenthaltsgesetzes zu gewähren.
Danach sind Visum und Einreise möglich, wenn das Bundesministerium des
Innern zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland
die Aufnahme erklärt hat. Auch dringende humanitäre Gründen können die-
ses Verfahren begründen;

3. die unkontrollierbar geworden Zusammenarbeit der Nachrichtendienste in
Europa und zwischen Europa und den USA einzustellen und als ersten
Schritt dazu die entsprechenden Abkommen und Verträge auszusetzen;

4. sämtliche einschlägigen europäischen, internationalen und deutschen Ver-
träge, Abkommen und Richtlinien einschließlich ihrer einschlägigen Zusatz-
vereinbarungen benutzerfreundlich zu veröffentlichen, die Datenaustausch
und Datenerfassung von und zwischen Nachrichtendiensten regeln, und sofort
zu beenden soweit der grenzüberschreitende Austausch der Dienste betroffen
ist. Dazu zählen insbesondere die Abkommen zur Weitergabe von Fluggast-
daten (PNR), das Bankdatenabkommen EU-USA (SWIFT), die europäische
Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und das Abkommen zum Austausch
von (biometrischen und DNA-)Daten zwischen den Strafverfolgungsbehör-
den und Geheimdiensten der USA und der EU. Dazu gehört auch, die ehemals
mit den Westalliierten getroffenen, geheimen Sonderabsprachen zu veröffent-
lichen und möglicherweise weiterhin geltende Sonderrechte aufzuheben. Dies
gilt auch für mögliche Regelungen im NATO-Truppenstatut;

5. alle Verträge, Absprachen und Vereinbarungen zwischen deutschen, euro-
päischen sowie besonders britischen und US-amerikanischen Telekommuni-
kationsunternehmen insoweit offenzulegen als darin Abhör- und Datenaus-
leitungs- oder Zugriffsmaßnahmen durch die Nachrichtendienst festgelegt
sind, und diese Bestimmungen sofort auszusetzen;

6. alle Gesetze, Richtlinien und Verordnungen auf nationaler und EU-Ebene, in
denen der Datenaustausch von und mit Sicherheitsbehörden geregelt ist,
daraufhin zu prüfen, ob durch die technische Entwicklung wie zum Beispiel
Anwachsen der Speicher- und Analysekapazitäten frühere rechtliche Be-
schränkungen umgangen oder missbraucht werden können und diese dann

sofort zu beenden;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14679

7. die zukünftigen Informationen, einschließlich der dazugehörigen Doku-
mente, nicht weiter nur den geheim tagenden Gremien des Parlaments wei-
terzugeben, sondern sie (parlaments-)öffentlich zur Verfügung zu stellen;

8. sofort die sogenannte Strategische Aufklärung des BND einzustellen und die
dafür eingesetzten Haushaltsmittel entsprechend zu sperren und die bisherige
Praxis unabhängig zu evaluieren.

Berlin, den 2. September 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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