BT-Drucksache 17/14579

Abwerbung von Fachkräften aus den Ländern des Südens im Pflege- und Gesundheitsbereich

Vom 16. August 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14579
17. Wahlperiode 16. 08. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Annette Groth, Heike Hänsel, Wolfgang
Gehrcke, Dr. Martina Bunge, Andrej Hunko, Harald Koch, Alexander Ulrich,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Abwerbung von Fachkräften aus den Ländern des Südens im Pflege- und
Gesundheitsbereich

Laut der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gudrun Kopp, wirbt die Bundes-
regierung um Fachkräfte aus Entwicklungsländern. Weil bis 2025 in Deutsch-
land angeblich mehr als 6,5 Millionen Fachkräfte fehlen sollen, versucht die
Bundesregierung, vor allem im Pflege- und Ingenieurbereich Fachkräfte aus
dem Ausland und insbesondere aus den Ländern des Südens abzuwerben (Pres-
semitteilung epd vom 4. Juni 2013). Die negativen Auswirkungen für die Her-
kunftsländer, wenn diese ihre am besten ausgebildeten Personen an Industrie-
staaten wie Deutschland verlieren, sind hinlänglich bekannt. Besonders die
Abwerbung von Gesundheitspersonal unterläuft die bestehenden Bestrebungen
des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ) zum Aufbau von Gesundheitssystemen in Entwicklungsländern und ver-
schärft die globalen Ungleichheiten in der Gesundheitsversorgung.

Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gilt der Versor-
gungszustand in einem Land mit weniger als 2,28 Gesundheitsfachkräften
(Ärzten, Krankenpflegern und Hebammen) pro 1 000 Menschen als kritisch,
und selbst bei diesem Grenzwert sind 20 Prozent der Bevölkerung schon vom
Zugang zum Gesundheitssystem ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu gibt es in
Deutschland 150,7 Gesundheitsfachkräfte pro 1 000 Einwohner (WHO, World
Health Statistics 2013).

Noch in diesem Jahr sollen im Rahmen eines Pilotprojekts 150 chinesische
Altenpflegekräfte nach Deutschland kommen. Doch dies ist erst der Anfang:
Um die Lücke von rund 30 000 fehlenden Pflegekräften zu schließen, sollen die
Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) und die Deutsche Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH Pflege- und Gesundheitskräfte
aus Entwicklungsländern gewinnen. Zum Beispiel zielt das von der GIZ
geführte „Triple Win“-Programm darauf ab, für das BMZ 2 000 qualifizierte
Pflegekräfte aus Vietnam, Indonesien, Indien, Tunesien, Serbien und Albanien
abzuwerben. Der WHO-Verhaltenskodex gegen unethische internationale Ab-

werbung von Gesundheitspersonal rät davon ab, aus Ländern mit einem kri-
tischen Fachkräftemangel (definiert im World Health Report 2006) abzuwerben.
Laut WHO fallen auch Indonesien, Indien und Marokko in die Kategorie der
Länder mit kritischem Fachkräftemangel. Zwar spricht die Bundesregierung in
ihrer globalen Gesundheitsstrategie davon, auf die Abwerbung von Gesund-
heitspersonal aus Ländern mit einem kritischen Versorgungszustand zu verzich-

Drucksache 17/14579 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

ten, doch basiert die verwendete Ausschlussliste auf umstrittenen und veralteten
Daten.

Auf dem Internetportal „Make it in Germany“ wirbt die Bundesregierung zwar
allgemein für eine Beschäftigung in Deutschland, doch auf der für Indonesien
ausgelegten Internetseite werden explizit Gesundheitsfachkräfte angesprochen.
Darüberhinaus führt die GIZ im Auftrag des BMZ ein Pilotprogramm zur An-
werbung von über 100 Vietnamesinnen/Vietnamesen durch, um sie zu Alten-
pflegeinnen/Altenpflegern fortzubilden und in deutschen Pflegeeinrichtungen
und Krankenhäusern einzusetzen. Laut jüngster WHO-Statistiken liegt Vietnam
auch 2013 mit einem Wert von 2,23 Gesundheitsfachkräften pro 1 000 Ein-
wohner unter dem Grenzwert (WHO, World Health Statistics 2013). Auch unter
Berücksichtigung von Binnendisparitäten ist die Gesundheitsversorgung in
Vietnam keinesfalls so gut, dass von dort Gesundheitspersonal abgeworben
werden könnte. In der Nordwestregion gibt es 3,3 Gesundheitsfachkräfte pro
1000 Einwohner, jedoch wird der Grenzwert der WHO von 2,28 im zentralen
Hochland mit 1,69 Gesundheitsfachkräften pro 1 000 Menschen deutlich unter-
schritten. Weiterhin ist davon auszugehen, dass eine Verschärfung der Situation
in Vietnam einen Prozess der Kettenmigration in Gang setzt und medizinisches
Personal aus den Nachbarländern Laos und Kambodscha abzieht, die mit Ge-
sundheitsfachkräften extrem unterversorgt sind und nur über eine Deckung von
einer einzigen Gesundheitsfachkraft für 1 000 Menschen verfügen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welchen Mitteln trägt die Bundesregierung zur Verbesserung der
Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Pflege und anderen so genann-
ten Engpassberufen bei, um mehr Menschen in Deutschland zu motivieren,
sich in diesem Bereich zu qualifizieren und dort zu arbeiten?

2. Welche Aktivitäten und Programme der Bundesregierung dienen der An-
werbung von Gesundheitsfachkräften aus Entwicklungsländern (bitte voll-
ständig auflisten)?

3. In welchen Ländern wirbt die Bundesregierung aktiv um Fachkräfte aus dem
Gesundheits- und Pflegebereich?

4. Durch welche Organisationen und Institutionen wirbt die Bundesregierung
um diese Fachkräfte?

5. Würde sich die Bundesregierung verpflichten, Entschädigungszahlungen für
die Kosten der Ausbildung an die Herkunftsländer der abgeworbenen Fach-
kräfte zu leisten oder für die Aufnahme einer entsprechenden internationalen
Vereinbarung in den WHO-Verhaltenskodex einsetzen?

Wenn nein, warum nicht?

6. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass die volkswirtschaft-
lichen Kosten der Abwerbung von Fachkräften für die Herkunftsländer we-
sentlich höher sind als ihr Nutzen?

Wenn nein, warum nicht?

7. Wie schätzt die Bundesregierung die Gefahr ein, dass die Entwicklungslän-
der durch den Verlust ihrer ausgebildeten Fachkräfte in ihrer Entwicklung
gebremst werden?

8. Setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die WHO eine neue Liste der
Länder mit einem kritischen Versorgungszustand auf Basis einer neuen Be-
rechnungsmethode aufstellt, welche auch regionalen Unterschieden der Ver-
sorgung mit Gesundheitspersonal Rechnung trägt?

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9. Gibt es Überlegungen vonseiten der Bundesregierung, gezielt nach
Deutschland geflohene Menschen (Geduldete und Asylbewerberinnen und
Asylbewerber) in den so genannten Engpassberufen auszubilden?

Wenn nein, warum nicht?

10. Wie erklärt es sich die Bundesregierung, dass trotz der EU-Freizügigkeit nur
sehr wenige Pflegekräfte aus Ländern wie Polen, Tschechien, der Slowakei
und Ungarn nach Deutschland kamen und andere europäische Länder be-
vorzugt haben?

11. Für welche Berufsgruppen aus welchen Ländern hat das Bundesministe-
rium für Arbeit und Soziales aufgrund eines Personalmangels im Her-
kunftsland keine Blauen Karten erteilt?

12. Wie viele Fachkräfte wurden bereits insgesamt im Rahmen des „Triple
Win“-Programms von der GIZ aus den Partnerländern durch die Pilot-
vorhaben abgeworben (bitte mit Auflistung nach Ländern und Berufsgrup-
pen)?

13. Wie hoch waren die Kosten für das Programm „Triple Win“ bisher?

14. Wo beginnt für die Bundesregierung aktive Abwerbung im Sinne des
WHO-Verhaltenskodex?

15. Betrachtet die Bundesregierung die Ausschreibungen von Stellen im
Bereich der Humanmedizin auf dem Portal „Make it in Germany“, das über
einen direkten Link von der indonesischsprachigen Titelseite (www.make-
it-in-germany.com/en/landingpages/indonesia/) aus erreicht wird, als aktive
Abwerbemaßnahme?

16. Trifft es zu, dass die GIZ sich im Rahmen der Kampagne „Make it in Ger-
many“ darum bemüht, aus Indonesien Fachkräfte aus dem medizinischen
Bereich abzuwerben?

17. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Indonesien als Land mit
einem kritischen Mangel an Gesundheitsfachkräften im Sinne des WHO-
Kodex gilt (bitte begründen)?

18. Trifft es zu, dass die meisten, wenn nicht alle der durch die GIZ angeworbe-
nen rund 100 Vietnamesinnen/Vietnamesen über eine abgeschlossene Aus-
bildung in der Krankenpflege verfügen?

a) Entspricht die Qualifikation der angeworbenen Vietnamesinnen/Vietna-
mesen in der Krankenpflege einem deutschen Berufsabschluss?

Könnten sie diesen Abschluss in Deutschland anerkennen lassen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wurden sie von der GIZ auf diese Möglichkeit hingewiesen?

b) Wurden bei der Auswahl der Projektteilnehmerinnen und -Teilnehmer
die sozialen Umstände der Personen berücksichtigt?

c) Welche Vorteile ergeben sich für die ausgewählten Teilnehmerinnen/
Teilnehmer gegenüber ihrer vorherigen Situation konkret?

d) Wie bewirbt die GIZ diese vermeintlichen Vorteile vor Ort?

e) Hat die Bundesregierung ihre Verantwortung bei der Information der
Vietnamesinnen/Vietnamesen über deren Status, Qualifikation und ihre
berufliche Möglichkeiten in Deutschland entsprechend Artikel 4.4 des
WHO-Verhaltenskodex gegen die unethische internationale Anwerbung
von Gesundheitspersonal erfüllt?

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f) Wurden die angeworbenen Vietnamesinnen/Vietnamesen darüber infor-
miert, dass sie sich zu einer Ausbildung/Umschulung als Altenpflegerin/
Altenpfleger verpflichten, obgleich die Bundesregierung plant, die Al-
tenpflegeausbildung mit der von ihnen ohnehin schon absolvierten Aus-
bildung als Krankenpfleger zusammenzuführen?

19. Gibt es Pläne zu weiteren bilateralen Abkommen bzw. Vermittlungsab-
sprachen mit Nicht-EU-Staaten, um Gesundheitsfachkräfte für Deutsch-
land zu gewinnen?

20. Stimmt es, dass die Bundesregierung Mitte März 2013 eine Vereinbarung
mit den Philippinen zur Gewinnung von 150 ausgebildeten Pflegekräften
getroffen hat?

Wenn ja, kann sie dieses Abkommen den Fragestellern im Wortlaut zukom-
men lassen?

Berlin, den 16. August 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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