BT-Drucksache 17/14346

Kriterien zur Festlegung von Flugrouten

Vom 1. Juli 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14346
17. Wahlperiode 01. 07. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Stephan Kühn, Daniela Wagner, Tabea Rößner,
Cornelia Behm, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, Harald Ebner,
Bettina Herlitzius, Sven-Christian Kindler, Markus Tressel und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kriterien zur Festlegung von Flugrouten

Die Festlegung der An- und Abflugverfahren an Flughäfen erfolgt nicht im Rah-
men des luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungsverfahrens, sondern in einem
gesonderten gesetzlichen Verfahren, das meist erst Jahre später stattfindet. In
diesem Verfahren werden die Flugrouten durch die DFS Deutsche Flugsiche-
rung GmbH geplant und im Anschluss daran durch das Bundesaufsichtsamt für
Flugsicherung (BAF) per Rechtsverordnung (§ 27a der Luftverkehrs-Ordnung)
festgelegt. Die den Abwägungen des Planfeststellungsverfahrens zugrunde
liegenden Flugrouten haben in diesem Verfahren lediglich vorläufigen prognos-
tischen Charakter. Die Festlegung der Flugrouten kann jedoch erheblich davon
abweichen, da auch zwischenzeitlich eingetretene Veränderungen der Rahmen-
bedingungen berücksichtigt werden (z. B. bauliche Veränderungen wegen höhe-
rer Kapazitäten, Neuerungen in der Navigationstechnik). Eine Beteiligung der
betroffenen Bürgerinnen und Bürger im Verfahren zur Flugroutenfestlegung ist
gesetzlich nicht vorgesehen. Gemäß Luftverkehrsgesetz (LuftVG) müssen bei
der Abwägung und Festlegung der Flugrouten lediglich die Vorschläge und Ein-
wände der Fluglärmkommissionen (§ 32b LuftVG) und des Umweltbundes-
amtes (§ 32 Absatz 4c LuftVG) geprüft werden. Das BAF muss diese aber nicht
berücksichtigen.

Nach welchen Kriterien die Planung und Festlegung der Flugrouten durch DFS
und BAF erfolgt, ist für die Öffentlichkeit intransparent. Die entsprechenden
Vorgaben im Luftverkehrsgesetz sind zum Teil widersprüchlich und basieren
häufig auf unbestimmten Rechtsbegriffen. So gibt das Luftverkehrsgesetz zwar
vor, dass bei der Genehmigung von Flughäfen der Schutz vor Fluglärm ange-
messen berücksichtigt werden muss (§ 6 Absatz 2 LuftVG) und die Bevölkerung
nachts vor „unzumutbarem Lärm“ zu schützen ist (§ 29b LuftVG). Näher kon-
kretisiert werden diese grundsätzlichen Forderungen jedoch nicht. Stattdessen
wird die DFS im Luftverkehrsgesetz an anderer Stelle dazu verpflichtet, dem
reibungslosen Ablauf des Flugverkehrs höhere Bedeutung beizumessen (§ 27c
LuftVG), als dem Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm.
Hinzu kommt, dass die vom BAF per Rechtsverordnung festgelegten Flug-
routen häufig nicht zur Anwendung kommen, da die DFS die Möglichkeit hat,
sogenannte Einzelfreigaben („directs“) zu erteilen, die von den genehmigten
Routen abweichen können und nicht der Abwägung unterliegen. Einzelfrei-
gaben führen zwar nicht per se zu höheren Lärmbelastungen, sondern, ob sie
be- oder entlastend wirken, hängt allein ab von der Besiedlungsstruktur unter-
halb/seitlich der Routen bzw. der direkt frei gegebenen Überflüge. Bei den Ein-

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zelfreigaben existieren jedoch keinerlei Vorgaben für ein lärmreduzierendes
Vorgehen der DFS. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn ein hoher
Anteil der Flüge per Einzelfreigabe erfolgt, weil mögliche zusätzliche Lärmbe-
lastungen durch Direktfreigaben über besiedeltem Gebiet bei der Abwägung
verschiedener Alternativen von Abflugstrecken nicht berücksichtigt werden.

Die Europäische Kommission kritisiert zudem, dass Deutschland die EU-Richt-
linien zur Überprüfung der Umweltverträglichkeit (2011/92/EG) und zum
Schutz von Fauna-Flora-Habitat-Gebieten (92/43/EWG) bei der Festlegung der
Flugrouten nicht anwendet. Sie hat gerade ein Vertragsverletzungsverfahren
gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, da sie die Umsetzung der
beiden Richtlinien im deutschen Luftverkehrsrecht für unzureichend hält
(www.europa.eu „Vertragsverletzungsverfahren wegen Flugrouten: Hinter-
gründe“).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche konkreten materiellen Vorgaben gibt es in den einschlägigen Rege-
lungen, die den Schutz der Menschen vor Lärm zum Ziel haben?

a) In welchen rechtlichen Vorgaben ist konkret geregelt, was unter reduzier-
ter Lärmbelastung der vom Flughafenbetrieb betroffenen Bevölkerung zu
verstehen ist?

b) Wie steht die Bundesregierung zur Verteilung des Fluglärms (Streuung
versus Bündelung)?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Aufgaben- und Verfah-
rensbeschreibung für BAF und DFS im Luftverkehrsrecht klarer spezifiziert
werden müssten, insbesondere mit Bezug auf die gesamthafte Lärmreduzie-
rung im Umfeld des jeweiligen Flughafens und den Schutz der Nachtruhe?

a) Falls ja, welche diesbezüglichen Schritte hält die Bundesregierung für er-
forderlich?

b) Falls nein, wie wird dies begründet?

3. Plant die Bundesregierung zusätzliche rechtliche Vorgaben für die DFS zur
lärmoptimierten Planung der Flugrouten?

a) Falls ja, welche?

b) Falls nein, wie wird dies begründet?

4. Existiert ein konkreter Kriterienkatalog für Kapazität, Sicherheitsanforderun-
gen und Lärmschutz, nach denen die DFS die An- und Abflugverfahren an
Flughäfen plant?

a) Falls ja, wie sieht dieser aus, und ist er öffentlich zugänglich?

b) Falls nein, warum gibt es einen solchen Kriterienkatalog nicht?

5. Existiert ein konkreter Kriterienkatalog für Kapazität, Sicherheitsanforde-
rungen sowie Lärm-, Umwelt- und Naturschutz, nach dem das BAF die An-
und Abflugverfahren an Flughäfen abwägt und festlegt?

a) Falls ja, wie sieht dieser aus, und ist er öffentlich zugänglich?

b) Falls nein, warum gibt es einen solchen Kriterienkatalog nicht?

6. Welche Kriterien und Maßnahmen wendet die DFS bei der Planung der
Flugrouten und der Sicherung des Flugbetriebes an, um den Schutz der Be-
völkerung und der Umwelt angemessen zu berücksichtigen und sie nachts
vor unzumutbarem Fluglärm zu schützen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14346

7. Welche Kriterien und Maßnahmen wendet die DFS im Einzelnen an den
Flughäfen Frankfurt/Main, München, Berlin-Tegel, Köln-Bonn, Düssel-
dorf und Leipzig an, um den Schutz der Bevölkerung und den Schutz der
Umwelt an diesen Standorten angemessen zur berücksichtigen und sie
nachts vor unzumutbarem Fluglärm zu schützen?

8. Welche Kriterien wenden DFS und BAF an, um die Maßgaben der Inter-
nationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) zur Wirtschaftlichkeit und
Effizienz des Flugbetriebs umzusetzen?

In welchem Verhältnis steht dies zur Umsetzung der Vorgaben des nationa-
len Luftverkehrsrechts zum Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm, ins-
besondere nachts?

9. Nach welchen Kriterien und Vorgaben entscheidet das BAF darüber, ob der
Fluglärm an den betroffenen Standorten gestreut oder gebündelt wird?

10. Nach welchen Kriterien erfolgt der Schutz von Hochbetroffenen wie bei-
spielsweise von Kindergärten, Krankenhäusern und Schulen bei der Pla-
nung und Festlegung von Flugrouten?

11. Trifft es zu, dass das von der DFS angewandte Planungstool NIROS zur
Berechnung von Fluglärm erhebliche Defizite aufweist,

a) da jeweils nur eine Flugroute mit alternativen Verläufen dieser Flug-
route verglichen werden kann, so dass der Fluglärm, der von anderen
Flugrouten in der Nähe ausgeht, sowie der Fluglärm, der bei der ent-
gegengesetzten Betriebsrichtung entsteht, nicht berücksichtigt werden
kann, und

b) da nur Abflugrouten, aber keine Anflugrouten miteinander verglichen
werden können?

12. Existiert ein konkreter Kriterienkatalog, nach welchem die DFS entschei-
det, dass Einzelfreigaben erforderlich sind, die von den genehmigten Flug-
routen abweichen?

13. Wie ist die von der DFS angewandte Praxis der Einzelfreigaben durch das
Luftverkehrsrecht legitimiert?

14. An welchen Flughäfen in Deutschland erteilt die DFS in welchem Umfang
Einzelfreigaben (bitte in Prozent angeben), und welche Kriterien wendet
sie dabei an?

15. Existiert ein konkreter Kriterienkatalog, welchen das BAF bei der Über-
prüfung von Einzelfreigaben anwendet?

16. Aus welchem Anlass erfolgt die Kontrolle von Einzelfreigaben durch das
BAF, und wie häufig ist dies der Fall?

17. Nach welchen Kriterien und in welchem Umfang überprüft das BAF die
Praxis der Einzelfreigaben durch die DFS?

18. Wie viel Mitarbeiter sind beim BAF derzeit tätig?

Wie viele Mitarbeiter sind zuständig für

a) die Kontrolle der DFS, und

b) die Prüfung der von der DFS geplanten Flugrouten in Bezug auf die Be-
rücksichtigung der Vorgaben zu Sicherheit, Kapazität, Lärm-, Gesund-
heits-, Umwelt- und Naturschutz?

19. Hält die Bundesregierung die personelle Ausstattung des BAF für ausrei-
chend, um dafür Sorge zu tragen, dass die DFS die für sie geltenden Be-

stimmungen und die hohen Sicherheitsstandards einhält?

Drucksache 17/14346 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
20. Wie begründet die Bundesregierung, dass die EU-Richtlinien zur Prüfung
der Umweltverträglichkeit und zum Schutz von Flora-Fauna-Habitat-Ge-
bieten (FFH-Gebiete) bei der Festlegung der Flugrouten nicht angewandt
werden, sondern nur im Rahmen des Planfeststellungsverfahren zum Flug-
hafenbau?

21. Plant die Bundesregierung eine Änderung des Luftverkehrsgesetzes, um zu
gewährleisten, dass bei der Festlegung von Flugrouten die EU-Richtlinien
zur Überprüfung der Umweltverträglichkeit und zum Schutz von FFH-Ge-
bieten angewandt werden müssen?

Falls nicht, wie wird dies begründet?

22. Wie erklärt die Bundesregierung, dass bereits im Planfeststellungsverfah-
ren Flugrouten bei der Abschätzung der vielfältigen Auswirkungen des
Flughafenbetriebes von den zuständigen Landesbehörden berücksichtigt
werden, die Flugrouten jedoch zu einem viel späteren Zeitpunkt in einem
eigenständigen Verfahren von einer Bundesbehörde festgelegt werden?

a) Welcher Vorteil ergibt sich aus der Trennung der beiden Verfahren in
Bezug auf den unterschiedlichen Zeitpunkt, unterschiedliche Zuständig-
keitsverteilungen und die Trennung bei den Schutzgütern?

b) Wie erklärt die Bundesregierung, dass auf Bundesebene bei der Festle-
gung der Flugrouten lärmfachliche Aspekte Berücksichtigung finden
sollen, aber die Schutzgüter Umwelt- und Naturschutz in den einschlä-
gigen rechtlichen Vorgaben nicht erwähnt werden?

23. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Veränderungen des Pro-
gnoseflugplans zwischen Planfeststellungsverfahren und Flugroutenfest-
legung zu keinerlei Veränderungen bei den Auswirkungen auf Mensch,
Umwelt und Natur führen?

a) Falls ja, wie wird dies begründet?

b) Falls nein, wie wird dies im Verfahren zur Festlegung von Flugrouten
angemessen berücksichtigt?

Berlin, den 28. Juni 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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