BT-Drucksache 17/13798

Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf die Ausschüttungspraxis der Verwertungsgesellschaften

Vom 4. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13798
17. Wahlperiode 04. 06. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Herbert Behrens, Ulla Jelpke,
Dr. Lukrezia Jochimsen, Harald Koch, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma,
Dr. Petra Sitte, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
auf die Ausschüttungspraxis der Verwertungsgesellschaften

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 9. Februar 2012 ein Urteil gefällt
(C-277/10) – sogenanntes Luksan-Urteil –, demzufolge gesetzliche Vergütungs-
ansprüche im europäischen Urheberrecht unverzichtbar sind und dem originären
Rechteinhaber als Teil seiner angemessenen Vergütung verbleiben müssen. Vor
diesem Hintergrund bestehen Zweifel, ob die derzeitige Ausschüttungspraxis der
Verwertungsgesellschaften europarechtskonform ist.

Auch in Deutschland herrscht darüber Streit. Das Landgericht München I hat
am 24. Mai 2012 eine Klage des Urheberrechtlers Martin Vogel gegen die
Verwertungsgesellschaft Wort (VG WORT) zu dessen Gunsten entschieden
(Az. 7 O 28640/11). Für den 25. Juli 2013 wird die Urteilsverkündung in der
zweiten Instanz erwartet. Martin Vogel wehrt sich dagegen, dass die VG WORT
von seinen Vergütungen einen hälftigen Abzug zugunsten von Verlegern vor-
nimmt, die selbst keine originären Rechte in die VG WORT einbringen.

Der Komponist Bruno Kramm hat beim Landgericht Berlin eine ähnliche Klage
gegen die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Ver-
vielfältigungsrechte (GEMA) eingereicht (Az. 16 O 75/13). Dort erhalten die
Musikverlage derzeit 33,33 Prozent der Ausschüttungen für das Aufführungs-
und Senderecht sowie 40 Prozent für das mechanische Vervielfältigungs- und
Verbreitungsrecht. Bruno Kramm möchte erreichen, dass diese Verlagsanteile
zukünftig an die Komponisten und Textdichter fließen, da nur diese Rechte in
die Verwertungsgesellschaft einbrächten.

Die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm e. V. (AG DOK) hat sich vor dem
Oberlandesgericht Dresden (Az. 11 U 1493/12) mit einer AGB-Klage (AGB =
Allgemeine Geschäftsbedingungen) gegen den Mitteldeutschen Rundfunk
(MDR) durchgesetzt. Dem Sender ist untersagt worden, weiterhin die sogenannte
VFF-Klausel in seinen Verträgen zu verwenden, welche den Sendeunternehmen
eine hälftige Beteiligung an den Vergütungen der Produzenten zusprechen. Das
Urteil betrifft mittelbar auch die Ausschüttungspraxis der VFF Verwertungs-

gesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten mbH.

In keinem der genannten Fälle ist die Aufsichtsbehörde, das Deutsche Patent-
und Markenamt (DPMA), bislang tätig geworden. In ihrer Antwort auf die
Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. antwortete die Bundesregierung am
13. September 2012 (Bundestagsdrucksache 17/10686), die Aufsichtsbehörde
prüfe „derzeit“ die möglichen Auswirkungen des erwähnten Luksan-Urteils.

Drucksache 17/13798 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat das DPMA nach Kenntnis der Bundesregierung seine auf Bundestags-
drucksache 17/10686 erwähnte Prüfung der möglichen Auswirkungen des
Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 9. Februar 2012 (C-277/10 –
Luksan-Entscheidung) abgeschlossen?

Falls ja, hat die Bundesregierung Kenntnis davon, wie das DPMA nunmehr
die Praxis der Verwertungsgesellschaften bewertet, von den Zahlungen an
die originären Rechteinhaber pauschale Abzüge zugunsten Dritter vorzuneh-
men?

Falls nein, hat die Bundesregierung Kenntnis davon, wie lange die Prüfung
noch andauern wird?

2. Können Inhaber derivativ erworbener Rechte nach Ansicht der Bundesregie-
rung an Ausschüttungen gesetzlicher Vergütungen, die unionsrechtlich
zwingend den originären Rechteinhabern als Teil ihrer angemessenen Ver-
gütung verbleiben müssen, partizipieren?

Falls ja, auf welcher rechtlichen Grundlage?

Falls nicht, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus im
Hinblick auf die gegenteilige Ausschüttungspraxis der Verwertungsgesell-
schaften?

3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des DPMA (vgl. Bundestagsdruck-
sache 17/10686), dass bei einer letztinstanzlichen Bestätigung der Entschei-
dung des Urteils des LG München I (Az. 7 O 28640/11) eine werkspezifische
Prüfung und Differenzierung der einzelvertraglichen Rechteeinräumungen
erforderlich wäre, obwohl der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom
9. Februar 2012 (C-277/10 – Luksan-Entscheidung) von unverzichtbaren
Vergütungsansprüchen ausgeht (bitte begründen)?

4. Hat das DPMA nach Kenntnis der Bundesregierung seine auf Bundestags-
drucksache 17/10686 erwähnte Prüfung der Entscheidungen der VG WORT
am Maßstab des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes abgeschlossen, und
zu welchem Ergebnis ist die Aufsichtsbehörde gelangt?

5. Welche Verwertungsgesellschaften haben nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in Reaktion auf das Urteil des LG München I Rückstellungen vorge-
nommen für den Fall, dass das Urteil letztinstanzlich bestätigt wird, und in
welcher Höhe?

6. In welcher Weise ist sichergestellt, dass Urheberinnen und Urheber von
einer Verwertungsgesellschaft ausgeschüttete Beträge zurückerhalten, sollte
sich herausstellen, dass diese unrechtmäßig an andere als die originären
Rechteinhaber ausgeschüttet wurden?

7. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, wie das DPMA die Beteiligung
der Musikverlage an den Ausschüttungen der GEMA für das Aufführungs-
und Senderecht (Verteilungsplan A) sowie für das mechanische Vervielfälti-
gungs- und Verbreitungsrecht (Verteilungsplan B) vor dem Hintergrund der
Klage von Bruno Kramm, des Urteils des LG München im Falle Martin
Vogel sowie des Luksan-Urteils des EuGH bewertet, und falls ja, wie lautet
diese Bewertung?

8. Wird das DPMA nach Kenntnis der Bundesregierung aufgrund des Urteils
des Oberlandesgerichts Dresden (Az. 11 U 1493/12) den Verteilungsplan der
VFF Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten mbH be-
anstanden?
Falls ja, in welcher Hinsicht?

Falls nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13798

9. Ist der Bundesregierung bekannt, warum das DPMA bislang keine Maßnah-
men ergriffen hat, um sicherzustellen, dass zukünftige Ausschüttungen der
Verwertungsgesellschaften europarechtskonform erfolgen, obwohl es nach
§ 19 Absatz 2 Satz 2 des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes (UrhWG) zu
solchen Maßnahmen berechtigt und in diesem Fall nach Auffassung der
Fragesteller sogar verpflichtet wäre?

10. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
daraus, dass die VG WORT sich weigert, auf die Einrede der Verjährung zu
verzichten, wenn Urheber zum jetzigen Zeitpunkt davon absehen, ihre An-
sprüche auf Auszahlung der ihnen nach dem Münchner Urteil zustehenden
Beträge auf juristischem Wege geltend zu machen, nachdem das DPMA
einen möglichen Verjährungsverzicht laut Bundestagsdrucksache 17/10686
auf seine wahrnehmungsrechtliche Gebotenheit hin geprüft hat?

11. In welcher Weise ist nach Ansicht der Bundesregierung sichergestellt, dass
auf der Grundlage des ihr zufolge (vgl. Bundestagsdrucksache 17/10686)
europarechtskonformen § 63a Urheberrechtsgesetz an Inhaber derivativ er-
worbener Rechte erfolgende Ausschüttungen gesetzlicher Vergütungen
dem originären Rechteinhaber als Teil seiner angemessenen Vergütung ver-
bleiben?

12. Wer haftet nach Ansicht der Bundesregierung für einen den Rechteinhabern
durch fehlerhafte Ausschüttungen entstehende finanzielle Nachteile, und in-
wiefern ist für den Fall letztinstanzlicher Entscheidungen sichergestellt, dass
dafür nicht das treuhänderisch verwaltete Geld anderer Wahrnehmungs-
berechtigter herangezogen wird?

13. Ist der Bundesregierung bekannt, aus welchen Mitteln die VG WORT die
Kampagne „Wir geben acht“ finanziert, insbesondere ob dafür treuhände-
risch verwaltete Gelder der Urheber verwendet werden, und falls nicht, ob-
liegt eine Prüfung dieses Sachverhalts nach ihrem Dafürhalten dem
DPMA?

Berlin, den 4. Juni 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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