BT-Drucksache 17/1376

Opfer des Krieges in Afghanistan

Vom 13. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1376
17. Wahlperiode 13. 04. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Paul Schäfer (Köln), Christine Buchholz, Sevim
Dag˘delen, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Harald
Koch, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Opfer des Krieges in Afghanistan

Im vergangenen Jahr hat sich die Sicherheitslage in weiten Teilen Afghanistans
und im Grenzgebiet zu Pakistan weiter verschlechtert. ISAF geht immer offen-
siver gegen mutmaßliche Aufständische vor. Die Intensivierung der militäri-
schen Operationen auf beiden Seiten führt zwangsläufig zu mehr Opfern in der
Zivilbevölkerung. Über das Ausmaß wird die Öffentlichkeit jedoch kaum infor-
miert. Dies gilt auch für das deutsche Regionalkommando Nord. Auch dort
haben die Kämpfe zugenommen, die Zahl der zivilen Opfer ist deutlich gestie-
gen.

Nicht zuletzt der Bombenangriff bei Kundus im September 2009 wirft drin-
gende Fragen darüber auf, ob deutsche Streitkräfte im Rahmen der ISAF-Mili-
täroperation ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz von Zivil-
personen in bewaffneten Konflikten nachkommen. In der Nacht vom 3. auf den
4. September 2009 wurden auf Befehl eines deutschen Oberst bei einem Bom-
bardement im deutschen Zuständigkeitsbereich (Regional Command North) bei
Kundus bis zu 142 Zivilpersonen getötet. Die umstrittene Informationspolitik
der Bundesregierung nach dem Bombenangriff, die mittlerweile auch Gegen-
stand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist, verstärkt zudem
Zweifel darüber, ob die Bundesregierung umfassend und ehrlich über den Ein-
satz und die zivilen Opfer informiert.

Die Bundesregierung muss die Öffentlichkeit endlich über die Opfer des Krie-
ges in Afghanistan aufklären, Transparenz über die Praxis der Entschädigungen
herstellen und erklären, wie sie, auch im Hinblick auf den angekündigten Stra-
tegiewechsel, die Zivilbevölkerung in Afghanistan schützen will.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Personen wurden in Afghanistan unter Beteiligung deutscher
Einsatzkräfte seit 2002 bei Unfällen verletzt bzw. getötet (bitte jeweils auf-
geschlüsselt nach Jahren, Region und Art des Unfalls und nach Alter und
Geschlecht der Opfer)?

a) Wie viele davon waren mutmaßlich Zivilpersonen?
b) Wie viele davon waren mutmaßlich Angehörige der „regierungsfeind-
lichen Kräfte“?

c) Wie viele davon waren ISAF-Angehörige?

d) Wie viele davon waren Angehörige der afghanischen Sicherheitsbehör-
den?

Drucksache 17/1376 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Wie viele Personen wurden in Afghanistan seit 2002 unter Beteiligung deut-
scher Einsatzkräfte bei Kampfhandlungen bzw. in Gefechtssituationen ver-
letzt bzw. getötet (bitte jeweils aufgeschlüsselt nach Jahren, Region und Art
des Vorfalls und nach Alter und Geschlecht der Opfer)?

a) Wie viele davon waren mutmaßlich Zivilpersonen?

b) Wie viele davon waren mutmaßlich Angehörige der „regierungsfeind-
lichen Kräfte?

c) Wie viele davon waren Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte?

d) Bei wie vielen war eine Zuordnung nicht möglich?

3. Wie viele Personen wurden im Zusammenhang mit so genannten Force
Escalations (Anwendung militärischer Gewalt bei akuter Bedrohung von
Einsatzkräften) seit 2002 in Afghanistan verletzt bzw. getötet (bitte jeweils
aufgeschlüsselt nach Jahren, Region und Art des Vorfalls und nach Alter und
Geschlecht der Opfer)?

a) Wie viele davon waren mutmaßlich Zivilpersonen?

b) Wie viele davon waren mutmaßlich Angehörige der „regierungsfeind-
lichen Kräfte“?

c) Wie viele davon waren Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte?

d) Bei wie vielen war eine Zuordnung nicht möglich?

4. In welchen Situationen in Afghanistan kann nach Ansicht der Bundesregie-
rung von einer akuten Bedrohung von Einsatzkräften ausgegangen werden?

5. Wie viele Personen sind nach Einschätzung der Bundesregierung, der NATO
und anderer internationaler Organisationen seit 2002 durch ISAF-Einheiten
in Afghanistan verletzt oder getötet worden (bitte aufgeschlüsselt nach Jah-
ren und Region und nach Alter und Geschlecht der Opfer)?

a) Wie viele davon waren mutmaßlich Angehörige der „regierungsfeind-
lichen Kräfte“?

b) Wie viele davon waren mutmaßlich Zivilpersonen?

c) Wie viele davon waren ISAF-Angehörige?

d) Wie viele davon waren Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte?

e) Bei wie vielen war eine Zuordnung nicht möglich?

6. Wie viele Personen sind nach Einschätzung der Bundesregierung, der NATO
und anderer internationaler Organisationen seit 2002 durch Einheiten der
Afghan National Army, der Afghan National Police oder anderer Sicherheits-
behörden in Afghanistan bei Kampfhandlungen verletzt oder getötet worden
(bitte jeweils aufgeschlüsselt nach Jahren und Region und nach Alter und Ge-
schlecht der Opfer)?

a) Wie viele davon waren mutmaßlich Angehörige der „regierungsfeind-
lichen Kräfte“?

b) Wie viele davon waren mutmaßlich Zivilpersonen?

c) Wie viele davon waren ISAF-Angehörige?

d) Wie viele davon waren Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte?

e) Bei wie vielen war eine Zuordnung nicht möglich?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1376

7. Wie viele Personen sind nach Einschätzung der Bundesregierung, der
NATO und anderer internationaler Organisationen seit 2002 Anschlägen
und Angriffen nichtstaatlicher bewaffneter Gruppierungen in Afghanistan
zum Opfer gefallen und wurden dabei verletzt oder getötet (bitte auf-
geschlüsselt nach Jahren und Region und nach Alter und Geschlecht der
Opfer)?

a) Wie viele davon waren mutmaßlich Angehörige der „regierungsfeind-
lichen Kräfte“?

b) Wie viele davon waren mutmaßlich Zivilpersonen?

c) Wie viele davon waren ISAF-Angehörige?

d) Wie viele davon waren Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte?

e) Bei wie vielen war eine Zuordnung nicht möglich?

8. Wie viele Personen sind nach Einschätzung der Bundesregierung, der
NATO und anderer internationaler Organisationen seit 2002 durch OEF-
oder ISAF-Einheiten in Pakistan verletzt oder getötet worden?

a) Wie viele davon waren mutmaßlich Zivilpersonen?

b) Wie viele davon waren mutmaßlich Angehörige der „regierungsfeind-
lichen Kräfte“ aus Afghanistan?

c) Wie viele davon waren Angehörige der pakistanischen Sicherheitsbehör-
den?

9. Wie viele Personen sind nach Einschätzung der Bundesregierung, nach In-
formationen der NATO und anderer internationaler Organisationen seit
2002 Anschlägen und Angriffen nichtstaatlicher bewaffneter Gruppierun-
gen in Pakistan zum Opfer gefallen und wurden dabei verletzt oder getötet
(bitte jeweils aufgeschlüsselt nach Jahren und Region und nach Alter und
Geschlecht der Opfer)?

a) Wie viele davon waren mutmaßlich Zivilpersonen?

b) Wie viele davon waren Angehörige der pakistanischen Sicherheitsbehör-
den?

c) Wie viele davon waren Angehörige von OEF- oder ISAF-Streitkräften?

10. In wie vielen Fällen wurden Opfern, ihren Angehörigen oder Dritten seit
2002 Entschädigungen in welcher Höhe durch ISAF-Staaten gezahlt

a) für durch Unfälle verletzte oder getötete Personen und für Sachbeschä-
digung (bitte jeweils aufgeschlüsselt nach Jahren und ISAF-Staat und
nach Alter und Geschlecht der Opfer);

b) für bei Kampfhandlungen bzw. in Gefechtssituationen verletzte oder ge-
tötete Personen und verursachte Sachbeschädigungen (bitte jeweils auf-
geschlüsselt nach Jahren und ISAF-Staat)

und aufgrund welcher Bewertung der Umstände?

11. In wie vielen Fällen wurden Opfern, ihren Angehörigen oder Dritten seit
2002 Entschädigungszahlungen verweigert und aufgrund welcher Bewer-
tung der Umstände (bitte unter Angabe der rechtlichen Grundlagen und der
jeweiligen Fälle)?

12. Auf welcher völkerrechtlichen bzw. verfassungsrechtlichen Grundlage ent-
scheidet die Bundesregierung über Entschädigungszahlungen und deren
Höhe?
a) Nach welchen rechtlichen Kriterien wird ermittelt, ob Entschädigungen
gezahlt werden?

Drucksache 17/1376 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) Nach welchen Kriterien wird über die Höhe und die Empfänger der zu
zahlenden Entschädigung entschieden?

13. Gibt es Fälle, aus denen sich eine Rechtspflicht zur Zahlung von Entschädi-
gungen ergibt?

a) Wenn ja, welche sind dies (bitte unter Angabe der rechtlichen Grund-
lagen und der jeweiligen Fälle)?

b) Wenn nicht, bitte mit Begründung, aus welchen jeweiligen Gründen
trotzdem Entschädigungen gezahlt wurden/werden?

14. Wie lauten die so genannten Tactical Directives zur Vermeidung ziviler
Opfer, und wie werden sie innerhalb von ISAF insgesamt und wie im deut-
schen Zuständigkeitsbereich Regionalkommando Nord umgesetzt?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Umsetzung der „Tactical
Directive“ zur Vermeidung von zivilen Opfern, und auf welchen Grund-
lagen gelangt sie zu der Auffassung, dass dadurch zivile Opfer besser oder
schlechter vermieden werden konnten?

16. Werden alle Personen, die unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte verletzt
oder getötet werden, erfasst, und wenn nicht, warum nicht?

17. Welche Verfahren wurden im Rahmen von ISAF vereinbart für die Bewer-
tung und Nachuntersuchung bei sicherheitsrelevanten Vorfällen, insbeson-
dere solchen, bei denen Personen verletzt oder getötet wurden?

18. Anhand welcher Kriterien entscheidet die Bundesregierung darüber, ob Vor-
fälle, bei denen es verletzte bzw. getötete Personen gegeben hat, untersucht
werden, und wie geht sie bei diesen Untersuchungen vor?

19. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit 2002 unternommen, um
eigene belastbare Daten über unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte ver-
letzte oder getötete Personen zu ermitteln?

20. Wie viele zivile Opfer wurden bislang von der NATO Civilian Casualty Cell
in Afghanistan erfasst, und wie verteilen sich diese auf die Regionalkom-
mandos (bitte nach Jahren aufgeschlüsselt und nach Alter und Geschlecht
der Opfer)?

21. In wie vielen Fällen hat die Bundesregierung seit der deutschen Beteiligung
an ISAF eigenständig Untersuchungen über mögliche zivile Opfer bei
ISAF-Operationen durchgeführt, und zu welchen Ergebnissen ist sie ge-
kommen?

22. In wie vielen Fällen hat die Bundesregierung gemeinsam mit der ANA und/
oder dem ISAF-Hauptquartier solche Untersuchungen durchgeführt, und zu
welchen Ergebnissen ist sie gekommen?

23. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass der Verpflichtung aus den Zu-
satzprotokollen zu den Genfer Abkommen vom 12. September 1949 den
Schutz von Zivilpersonen betreffend in vollem Umfang nachgekommen
wird?

24. Wie bewertet die Bundesregierung Kapitel II Artikel 50 Nummer 1 des
I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen, in dem es zur Definition und
Identifikation von Zivilpersonen heißt: „Im Zweifelsfall gilt die betreffende
Person als Zivilperson“?

25. Werden Opfer von „Force Escalations“, Kampfhandlungen, Gefechtssitua-
tionen oder Unfällen, bei denen nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann,
ob es sich um Zivilpersonen handelt, als solche erfasst?
26. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass unter Beteiligung deutscher Ein-
satzkräfte verletzte oder getötete Personen nicht fälschlicherweise als Auf-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/1376

ständische oder „Angehörige der regierungsfeindlichen Kräften“ eingestuft
werden?

27. Anhand welcher Kriterien entscheidet die Bundesregierung darüber, ob sie
eine Person als Zivilperson oder als Aufständischen bzw. „Angehörigen der
regierungsfeindlichen Kräfte“ einstuft?

Berlin, den 13. April 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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