BT-Drucksache 17/13644

Stromnetzausbau für konventionelle Kraftwerke und europäischen Stromhandel

Vom 23. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13644
17. Wahlperiode 23. 05. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Johanna Voß, Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter,
Werner Dreibus, Andrej Hunko, Sabine Stüber, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Stromnetzausbau für konventionelle Kraftwerke und europäischen Stromhandel

Neben der Integration erneuerbarer Energien werden im Bundesbedarfsplan-
gesetz (BBPlG) der Einspeisebedarf neuer konventioneller Kraftwerke und der
europäische Stromhandel als Haupttreiber des Netzausbaus benannt. Was die
konventionelle Erzeugung anbelangt, hat in Deutschland zuletzt die Kohlever-
stromung stark zugenommen. Laut dem Fraunhofer-Institut für Solare Energie-
systeme ISE (vgl. Süddeutsche Zeitung, 18. April 2013) wurden im ersten Quar-
tal 2013 aus Braunkohle zwei Terawattstunden (TWh) und aus Steinkohle fast
sieben TWh mehr Strom gewonnen als im Vorjahresquartal. Die zusätzliche
Energie wurde im Inland aber nicht benötigt und hat die deutschen Stromexporte
weiter ansteigen lassen. Bis März 2013 sind netto bereits 16 TWh exportiert
worden, im gesamten Jahr 2012 waren es noch 23 TWh, 2011 nur etwa sechs
TWh. Die wachsende regenerative Erzeugung hat die Großhandelspreise an der
deutschen Strombörse sinken lassen und bei niedrigen Brennstoff- und CO2-
Zertifikatspreisen wird deshalb Kohlestrom auch verstärkt fürs Ausland produ-
ziert.

Auch der Netzentwicklungsplan (NEP) 2013 trägt dieser Entwicklung Rechnung.
Er ist eine wichtige Grundlage für den regelmäßig zu prüfenden Anpassungsbe-
darf des BBPlG an aktuelle Entwicklungen. Die Volllaststunden für Braunkohle-
kraftwerke sind hier gemessen an den historischen Daten im Leitszenario B 2023
mit 7 371 Stunden pro Jahr (h/Jahr) hoch angesetzt, im Langfristszenario bis
2033 wurden sie sogar von 4 906 (NEP 2012) auf 7 020 h/Jahr angehoben. Auch
die Volllaststunden von Steinkohlekraftwerken sind signifikant gestiegen, etwa
im Leitszenario B 2023 von 3 953 h/Jahr (NEP 2012) auf 5 839 h/Jahr.

Ein Netzausbau, der neben dem Einbezug der erneuerbaren Energien auch die
uneingeschränkte Einspeisung von Strom aus Kohlekraftwerken ermöglicht,
konterkariert die Ziele der Energiewende. Der Einspeisevorrang der erneuer-
baren Energien bleibt so zwar auf dem Papier bestehen, faktisch kann er aber
umgangen werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Liegen der Bundesregierung Einschätzungen darüber vor, welche Anteile am
gesamten, im BBPlG vorgesehenen Netzausbau jeweils auf die Ziele

a) Integration erneuerbarer Energien,

b) Einbezug neuer konventioneller Kraftwerke und

c) europäischer Stromhandel entfallen?

Drucksache 17/13644 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wenn nein, warum nicht – insbesondere da solche Angaben (ausgedrückt in
Leitungskilometer pro Ausbauziel) auf europäischer Ebene vorliegen (vgl.
Ten-year Network Development Plan 2010–2020, ENTSO-E 2010, S. 15)?

2. Da beim Netzausbau auf europäischer Ebene laut ENTSO-E dem europä-
ischen Stromhandel vor der Integration erneuerbarer Energien und anderer
Ausbauziele Priorität eingeräumt wird, welches der genannten Ziele in Frage
1a, 1b und 1c hat nach Auffassung der Bundesregierung bei dem im BBPlG
vorgesehenen Netzausbau Priorität, und warum?

3. Wie schlägt sich die in Frage 2 angesprochene Priorisierung konkret in der
Ausbauplanung nieder?

4. Welche gesicherte Leistung von regenerativen Erzeugungsanlagen (nach Er-
zeugungsart) wurde dem NEP 2012 und dem NEP 2013 zugrunde gelegt?

Entsprechen diese Annahmen nach Auffassung der Bundesregierung dem je-
weiligen Stand der Technik bestehender und künftiger Anlagen sowie der
verbesserten Qualität der Wetterprognose?

5. Der Einspeisebedarf von wie vielen neuen Kohlekraftwerken (im Bau oder in
Planung) ist im Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) und im BBPlG be-
rücksichtigt worden?

6. An welchen Standorten befinden sich die berücksichtigten Kohlekraftwerke?

Hält die Bundesregierung die Realisierung aller eingeplanten Kraftwerke für
realistisch?

7. Ist die aktuelle Rechtslage nach Auffassung der Bundesregierung so zu inter-
pretieren, dass Kohle- und Kernkraftwerksbetreiber bei ausreichender Netz-
kapazität einen Anspruch auf uneingeschränkte Einspeisung der von ihnen
erzeugten Energie haben?

Auf welche Regelungen stützt sich diese Einschätzung?

8. Ist die aktuelle Rechtslage nach Auffassung der Bundesregierung so zu inter-
pretieren, dass Kohle- und Atomkraftwerksbetreiber bei netzbedingter Ab-
regelung ihrer Anlagen generell einen Anspruch auf Netzausbau zur Besei-
tigung des Engpasses haben?

a) Wenn ja, wie will die Bundesregierung einen überdimensionierten Netz-
ausbau verhindern, der dann darauf ausgerichtet sein muss, auch bei hoher
regenerativer Erzeugung gleichzeitig den ungedrosselten Weiterbetrieb
aller konventionellen Kraftwerke zu ermöglichen?

Wie ist eine uneingeschränkte Einspeisung von konventionellem Strom
mit den Zielen des Gesetzes für den Vorrang Erneuerbarer Energien
(EEG) vereinbar, dessen Zweck es nach § 1 Absatz 1 EEG u. a. ist, im In-
teresse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der
Energieversorgung zu ermöglichen, die volkswirtschaftlichen Kosten der
Energieversorgung auch durch die Einbeziehung langfristiger externer
Effekte zu verringern und fossile Energieressourcen zu schonen (bitte im
Einzelnen begründen)?

b) Wenn nein, wie verhält sich diese Auffassung zu der Aussage der Übertra-
gungsnetzbetreiber, das Netz so auszubauen, dass eine gleichzeitige hohe
Windeinspeisung und eine hohe Einspeisung aus Kohlekraftwerken er-
möglicht wird (NEP 2013, S. 46)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13644

9. Hat die Bundesregierung Kenntnis von den Einschätzungen von Experten
des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW Berlin), dass
die aktuelle Netzausbauplanung „Standorte mit traditioneller fossiler Kraft-
werksstruktur bevorzugt“, insbesondere die HGÜ-Leitungen (HGÜ = Hoch-
spannungs-Gleichstrom-Übertragung in den Korridoren A und D „nicht für
die Energiewende notwendig sind und deshalb auch nicht weiter verfolgt
werden sollten“ (vgl. Prof. Dr. Christian von Hirschhausen, DIW Wochen-
bericht Nr. 20+21, 2013)?

Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus diesen Einschätzungen (bitte im Einzelnen begründen)?

10. Welchen Anteil hat nach Auffassung der Bundesregierung die zunehmende
Kohleverstromung daran, dass die deutschen CO2-Emissionen 2012 erst-
mals seit 1990 wieder gestiegen sind?

Wie bewertet die Bundesregierung dies?

11. Wie gedenkt die Bundesregierung ihren Beitrag zu den deutschen und euro-
päischen CO2-Minderungszielen für den Fall sicherzustellen, dass sich die
aktuelle Entwicklung fortsetzt, also niedrige Brennstoff- und CO2-Zertifi-
katspreise und das Absinken der Stromgroßhandelspreise infolge der
Zunahme erneuerbarer Energien (bei in der Tendenz stabiler bleibenden
Preisen in den Nachbarländern) die Konkurrenzfähigkeit deutscher Kohle-
kraftwerke weiter erhöhen?

12. Ist die aktuelle Rechtslage nach Auffassung der Bundesregierung so zu in-
terpretieren, dass Kohle- und Atomkraftwerksbetreiber bei netzbedingter
Abregelung ihrer Anlagen infolge eines starken Aufkommens der mit Vor-
rang einzuspeisenden erneuerbaren Energien einen Anspruch auf Entschä-
digung haben, etwa durch Redispatching?

Auf welche Regelung stützt sich die Bundesregierung in ihrer Auffassung?

13. Welche Kosten sind den Stromkundinnen und Stromkunden durch Redis-
patch-Maßnahmen in den Jahren 2010, 2011 und 2012 jeweils entstanden
(bitte nach Zahlungen an die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen,
Kohlekraftwerken und Atomkraftwerken aufschlüsseln)?

14. Hat die Bundesregierung Kenntnis von Fällen, in denen die fehlende Dros-
selung konventioneller Kraftwerke (ausgenommen jene, die für die lang-
fristige Systemstabilität notwendig sind) zu einer Gefährdung der Netze
und somit der Versorgungsicherheit in Deutschland geführt hat?

Wenn ja, von welchen Fällen?

Wie will die Bundesregierung Abhilfe schaffen?

15. Welchen Anteil hatte nach Auffassung der Bundesregierung die hohe Ein-
speisung konventioneller Kraftwerke am 23. Februar 2012 an der Netzüber-
lastung in der Regelzone von 50Hertz?

16. Inwiefern haben nach Kenntnis der Bundesregierung die gestiegenen
Stromexporte der vergangenen Jahre zu einer Gefährdung der Netzstabilität
in Deutschland beigetragen?

17. Hat die Bundesregierung Kenntnis von Fällen, in denen spekulatives Ver-
halten von Stromhändlern über Ländergrenzen hinweg zur Gefährdung der
Netzstabilität in Deutschland beigetragen hat?

Wenn ja, von welchen Fällen?

Wie will die Bundesregierung Abhilfe schaffen?

Drucksache 17/13644 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
18. Wie beurteilt die Bundesregierung die Haltung der Bundesnetzagentur, die
einen Zusammenhang zwischen Spekulation und Netzgefährdung sieht
(THE WALL STREET JOURNAL Deutschland, 16. Februar 2012)?

19. Welche Kosten sind den Stromverbraucherinnen und Stromverbrauchern
Anfang Februar 2012 durch den Einsatz hoher Mengen an Regelenergie in-
folge der Unterspeisung des Netzes entstanden?

20. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Umweltexperten (Süddeut-
sche Zeitung, 5. Januar 2013), dass es für eine Korrektur der Prognosefeh-
ler, die am 24. und 25. Dezember 2012 durch eine Überspeisung des Netzes
zu negativen Strompreisen führten, ausreichend Zeit gegeben hätte, statt-
dessen aber die Leistung von Braunkohle- und Atomkraftwerken nicht ge-
drosselt, sondern am ersten Weihnachtsfeiertag sogar noch gesteigert wor-
den sei, was die Netzstabilität zusätzlich gefährdet habe?

Wenn nein, warum nicht?

21. Welche Rolle spielt nach Auffassung der Bundesregierung die fehlende
Drosselung von Kohle- und Atomkraftwerken (ausgenommen jene, die für
die langfristige Systemstabilität notwendig sind) für das Zustandekommen
negativer Strompreise?

22. Welche Kosten sind den Stromverbraucherinnen und Stromverbrauchern in
den Jahren 2010, 2011 und 2012 durch negative Strompreise entstanden?

23. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung Gaskraftwerken, die schnell
regelbar sind und CO2-armen Strom liefern, für das Gelingen der Ener-
giewende bei?

24. Wird nach Auffassung der Bundesregierung die Umsetzung der im BBPlG
festgelegten Netzausbauziele den Einsatz und Bau von Gaskraftwerken in
den Verbrauchszentren im Süden Deutschland weiter zurückdrängen?

a) Wenn ja, warum?

b) Wenn nein, warum nicht, wo doch Gaskraftwerke teurer produzieren als
Kohlekraftwerke und nach der Realisierung der geplanten Netzbauten,
Kohlestrom über beliebig weite Strecken engpassfrei in die Verbrauchs-
zentren geliefert werden kann?

25. Wie viele neue Gaskraftwerke sind mit ihrem Einspeisebedarf im EnLAG
und im BBPlG berücksichtigt worden?

An welchen Standorten befinden sich diese?

Berlin, den 23. Mai 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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