BT-Drucksache 17/13609

Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der Fethullah-Gülen-Bewegung

Vom 16. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13609
17. Wahlperiode 16. 05. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidrun Dittrich, Dr. Rosemarie Hein,
Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der Fethullah-Gülen-Bewegung

In seiner jährlichen Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten nannte das
US-Magazin „TIME“ im April 2013 den aus der Türkei stammenden islamischen
Gelehrten Fethullah Gülen. Sein Laudator, der ehemalige Türkei-Korrespondent
der „The New York Times“, Stephen Kinzer, bezeichnete den pensionierten
Imam als einen der „faszinierendsten religiösen Führer“, der mit seiner „Bot-
schaft der Toleranz Bewunderer in aller Welt“ erreiche und zum „wichtigsten
Anwalt einer Modernisierung der muslimischen Welt“ geworden sei. Fethullah
Gülens Anhänger hätten Schulen in geschätzt 140 Ländern gegründet. Gleich-
zeitig charakterisierte Stephen Kinzer den im selbstgewählten Exil im US-Bun-
destaat Pennsylvania lebenden Fethullah Gülen als „schattenhaften Puppenspie-
ler“, der aufgrund seines immensen Einflusses in seiner türkischen Heimat, wo
seine Schüler Spitzenpositionen in Regierung, Justiz und Polizei errungen
haben, von ebenso vielen Menschen gefürchtet wie geliebt werde (http://time
100.time.com/2013/04/18/time-100/slide/fethullah-gulen/).

Kritikerinnen und Kritiker beschuldigen die Gülen-Bewegung, in der Türkei Jus-
tiz und Polizei unterwandert zu haben. Sie würde ihre Macht zur massenhaften
Inhaftierung von politischen Gegnerinnen und Gegnern einschließlich hoch-
rangiger Militärs, prokurdischer und laizistischer Abgeordneter sowie Gülen-
kritischer Autoren wie der Enthüllungsjournalist Ahmet Sik aufgrund fingierter
Terrorismusanklagen nutzen (www.ndr.de/regional/guelen 115_page-1.html).

Nach außen gibt sich die Gülen-Bewegung tolerant und dialogorientiert. Doch
der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban von der Evangelischen Hochschule in
Berlin fand eine Textstelle in einem Aufsatz von Fethullah Gülen über Religions-
freiheit auf einer französischsprachigen Website Fethullah Gülens, in der dieser
für Apostasie die Todesstrafe befürwortet. „Wer vom Islam abgefallen ist und
dies nicht bereut, der muss mit dem Tode bestraft werden.“ (www.derwesten.de/
politik/aussteiger-fuerchten-die-guelen-bewegung-page2-id7844702.html).

In der am 15. April 2013 gesendeten WDR-Dokumentation „Der lange Arm des
Imam“ von Yüksel Ugurlu und Cornelia Uebel wird deutlich, wie weitreichend
der Einfluss der Gülen-Bewegung auf türkeistämmige Migrantinnen und Mig-
ranten in Deutschland bereits ist. Gerade junge muslimische Eliten würden so
von der Gesellschaft entfremdet, heißt es in der Dokumentation. Aussteigerin-

nen und Aussteiger, die aus Angst vor Repressalien anonym bleiben wollen,
berichteten gegenüber dem Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ und dem
„WDR“ von Sektenstrukturen und Gehirnwäsche in den als Kaderschmieden
der Gülen-Bewegung dienenden Lichthäusern (www.spiegel.de/kultur/tv/wdr-
doku-ueber-den-tuerkischen-prediger-fethullah-guelen-a-894466.html;
www.derwesten.de/politik/aussteiger-fuerchten-die-guelen-bewegung-page2-
id7844702.html).

Drucksache 17/13609 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Am 20. April 2013 fand in Dortmund die Abschlussveranstaltung der Deutsch-
türkischen Kulturolympiade mit 8 000 Besucherinnen und Besuchern statt. Die
Kulturolympiade ist nach Erkenntnissen der Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen eine Veranstaltung der Gülen-Bewegung (www.ekd.
de/ezw/Lexikon_2487.php).

Veranstalter ist „Academy – Verein für Bildungsberatung“ in Frankfurt am
Main, dem über 150 Nachhilfeinstitute bundesweit angehören. Als Medien-
partner trat die World Media AG aus Offenbach auf, die unter anderem die
Europaausgabe der auflagenstärksten türkischen Tageszeitung „Zaman“ heraus-
gibt. Sowohl die Academy als auch die World Media AG sind Unternehmungen,
die dem Netzwerk der sogenannten Hizmet-Bewegung angehören, wie sich die
Gülen-Bewegung selber nennt. Die Schirmherrschaft über die Kulturolympiade
hatte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, übernommen
(www.kulturolympiade.de/).

Zu Kooperationen zwischen der Bundesregierung und Unternehmungen der
Gülen-Bewegung kommt es auch im Wirtschaftsbereich mit dem Bundesver-
band der Unternehmervereinigungen e. V. (BUV). Der BUV gehört laut der
Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen zur Gülen-Bewegung
(www.ekd.de/ezw/Lexikon_2487.php).

Das vom BUV in Zusammenarbeit mit der Konföderation türkischer Unter-
nehmer und Industrieller (TUSKON) am 13. Dezember 2012 in Istanbul durch-
geführte II. Deutsch-Türkische Energieforum wurde aus Mitteln des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gefördert. Und
der BUV begleitete nach eigenen Angaben vom 10. bis 12. April 2013 eine De-
legationsreise des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie Dr. Philipp
Rösler zum Energieforum in Ankara (http://buv-ev.de/?post_type=buv-event
&p=6241).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit, bei welcher Gelegenheit und in welchem Rahmen hat sich die
Bundesregierung bislang mit der Gülen-Bewegung (Hizmet-Bewegung) be-
fasst?

a) Welche Einschätzungen von Bundesbehörden zur Gülen-Bewegung gibt
es, und wie lauten diese?

b) Inwieweit gab es während der letzten fünf Jahre Kontakte oder Koopera-
tionen zwischen der Bundesregierung und Institutionen oder Personen,
die nach Kenntnis der Bundesregierung der Gülen-Bewegung/Hizmet-
Bewegung angehören?

c) Inwieweit wurden während der letzten fünf Jahre Institutionen, Veranstal-
tungen oder Projekte der Hizmet-Bewegung aus Bundeshaushaltsmitteln
unterstützt (bitte einzeln aufschlüsseln und die Höhe der Förderung an-
geben)?

d) Inwiefern und bei welchen Gelegenheiten haben Oppositionspolitikerin-
nen und -politiker oder Vertreterinnen und Vertreter von Nichtregierungs-
organisationen aus der Türkei sich bislang gegenüber der Bundesregie-
rung kritisch über die Gülen-Bewegung und ihre Rolle in der türkischen
Politik geäußert?

e) Welche kritischen Einschätzungen von Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftlern oder Sektenberatungen zur Gülen-Bewegung sind der Bun-
desregierung bekannt, und teilt sie diese (bitte begründen)?
f) Inwieweit ist der Bundesregierung Kritik der Alevitischen Gemeinde
Deutschland e. V. (AABF) an der Gülen-Bewegung bzw. der Koopera-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13609

tionen von Bundes- und Landespolitikern mit der Gülen-Bewegung be-
kannt, und teilt sie diese (bitte begründen)?

2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass es sich bei der
Deutsch-Türkischen Kulturolympiade um eine Veranstaltung der Gülen-
Bewegung (Hizmet-Bewegung) handelt?

a) Wer hat wann die Bundesregierung bzw. das Auswärtige Amt um die
Übernahme der Schirmherrschaft für die Veranstaltung angefragt, und
von wem wurde die Übernahme der Schirmherrschaft durch die Staats-
ministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, beschlossen?

b) Aufgrund welcher Überlegungen hat die Staatsministerin im Auswärti-
gen Amt, Cornelia Pieper, die Schirmherrschaft über die Deutsch-Tür-
kische Kulturolympiade am 20. April 2013 in Dortmund übernommen?

c) Ist der Bundesregierung Kritik an der Übernahme der Schirmherrschaft
über die Kulturolympiade durch die Staatsministerin Cornelia Pieper zur
Kenntnis gekommen, und wenn ja, wer hat diese Kritik geäußert, und wie
hat die Bundesregierung darauf reagiert?

d) Hätte die Staatsministerin Cornelia Pieper die Schirmherrschaft auch
übernommen, wenn zum Zeitpunkt der Zusage die in der WDR-Reportage
„Der lange Arm des Imam“ vom 15. April 2013 nachgewiesene Haltung
Fethullah Gülens, wonach auf die Apostasie bzw. den Abfall vom islami-
schen Glauben die Todesstrafe stehe, bekannt gewesen wäre?

e) Aus welchem Grund ist die Staatsministerin Cornelia Pieper nicht persön-
lich am 20. April 2013 in Dortmund bei der Kulturolympiade gewesen?

f) Hat die Bundesregierung den Veranstaltern der Kulturolympiade die
Genehmigung zur Verwendung des offiziellen Logos des Auswärtigen
Amts mit dem Namen von Cornelia Pieper auf ihrer Website und anderen
Veröffentlichungen gegeben?

Wenn nein, was gedenkt sie, gegen die Verwendung dieses Logos durch
die Veranstalter der Kulturolympiade zu unternehmen?

3. Für wie zutreffend hält die Bundesregierung nach ihrer Kenntnis die unter
anderem vom Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ und in der WDR-Re-
portage „Der lange Arm des Imam“ genannten Vorwürfe gegen die Gülen-
Bewegung?

a) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse über mögliche Sekten-
strukturen und Gehirnwäschen an jungen Menschen in sogenannten
Lichthäusern der Gülen-Bewegung in Deutschland?

b) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis von möglichen Repressalien
der Gülen-Bewegung gegen Aussteigerinnen und Aussteiger?

c) Für wie zutreffend hält die Bundesregierung den Vorwurf, durch die
Gülen-Bewegung würden junge muslimische Eliten in der Bundesrepu-
blik Deutschland von der Gesellschaft entfremdet?

4. Aus welchem Grund wurde nach Kenntnis der Bundesregierung die für den
25. Juni 2012 im Programm des „WDR“ angekündigte Reportage „Die stille
Armee des Imam“ von Yüksel Ugurlu und Cornelia Uebel damals am ge-
planten Ausstrahlungstag überraschend abgesetzt und erst am 15. April 2013
unter dem neuen Titel „Der lange Arm des Imam“ gesendet (junge welt vom
27. Juni 2012 „Der lange Arm des Imam“)?

a) Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung beim „WDR“ bzw. seinem
Rundfunkrat Beschwerden gegen die geplante Ausstrahlung der Gülen-
kritischen Reportage, die zur Absetzung geführt hatten?
Wenn ja, von wem gingen diese Beschwerden aus?

Drucksache 17/13609 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
b) Aus welchem Grund wurde der Beitrag „Der lange Arm des Imam“
nach Kenntnis der Bundesregierung als „Geheimprojekt“ vorbereitet
(www.noz.de/deutschland-und-welt/kultur/fernsehen/71455852/ein-wdr-
film-als-geheimprojekt-die-story-der-lange-arm-des-imam)?

c) Inwieweit wurde nach Kenntnis der Bundesregierung der ursprüngliche
Beitrag „Die stille Armee des Imam“ überarbeitet, bevor er unter dem
neuen Titel „Der lange Arm des Imam“ gesendet wurde?

d) Inwieweit gab es nach Kenntnis der Bundesregierung gegen die Repor-
tage „Der lange Arm des Imam“ Beschwerden vor oder nach Ausstrah-
lung des Beitrags?

5. Welche Kooperationen zwischen der Bundesregierung und dem BUV gab es
seit Gründung des BUV im Jahr 2010 (bitte Zeitpunkt und Art der Koopera-
tion, beteiligten Regierungsstellen und Höhe der finanziellen Förderung an-
geben)?

a) Für wie zutreffend hält die Bundesregierung die Einschätzung der Evan-
gelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, wonach der BUV zur
Gülen-Bewegung (Hizmet-Bewegung) gehört?

b) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Kritik des für die Türkei
zuständigen Referats beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag
an einer Zusammenarbeit mit dem BUV, und wie reagierte sie darauf?

c) Trifft es zu, dass sich die deutsche Botschaft in Ankara explizit für eine
Zusammenarbeit von deutschen Behörden und Bundesministerien mit
dem BUV einsetzt, und wenn ja, welche Motivation steckt dahinter?

d) Inwieweit hat die Bundesregierung vor einer Zusammenarbeit mit dem
BUV Erkundungen über den weltanschaulichen Hintergrund des Verban-
des und seine tatsächliche Stärke in wirtschaftlicher Hinsicht und bezüg-
lich seiner Mitgliedsverbände eingeholt?

e) Inwieweit sieht die Bundesregierung ein Risiko darin, dass unter einer
Zusammenarbeit mit dem BUV bisherige Kontakte zu schon länger etab-
lierten türkischen bzw. deutsch-türkischen Wirtschaftsverbänden gefähr-
det werden könnten?

f) Inwieweit hat die Bundesregierung dem BUV oder seinen Mitgliedsver-
bänden die Erlaubnis erteilt, Logos und Symbole der Bundesregierung,
ihrer Bundesministerien und von Regierungsmitgliedern auf Websites
oder sonstigen Veröffentlichungen aufzuführen?

6. Welche Kooperationen zwischen der Bundesregierung und der TUSKON
gab es seit Gründung des Verbandes im Jahr 2005 (bitte Zeitpunkt und Art
der Kooperation sowie beteiligten Regierungsstellen angeben)?

7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über personelle, institutionelle
oder ideologische Verbindungen zwischen der Gülen-Bewegung und der
rechtsextremen großen Einheitspartei (Büyük Birlik Partisi – BBP) in der
Türkei bzw. deren auch in der Bundesrepublik Deutschland organisierten
„Verband der türkischen Kulturvereine in Europa“ (Avrupa Türk Birlig˘i,
ATB)?

Berlin, den 16. Mai 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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