BT-Drucksache 17/13474

Religionsfreiheit im Iran stärken und Menschenrechte der Baha'i wahren

Vom 14. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13474
17. Wahlperiode 14. 05. 2013

Antrag
der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot
Erler, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ute Kumpf, Ullrich Meßmer, Thomas
Oppermann, Christoph Strässer, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion
der SPD

Religionsfreiheit im Iran stärken und Menschenrechte der Baha’i wahren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Iran 2009 haben sich die
Spannungen zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft verfes-
tigt. Gleichzeitig hat sich die menschenrechtliche Situation stark verschlechtert.
Eine der Gruppen, die darunter besonders leidet, ist die Glaubensgemeinschaft
der Baha’i. Allein aufgrund ihrer Religion werden ihnen viele Rechte vorent-
halten; sie sind zahlreichen Diskriminierungen und Repressionen durch die staat-
lichen Behörden ausgesetzt. Systematisch verletzt werden insbesondere
Artikel 18 des Zivilpakts (Recht auf freie Religionsausübung), Artikel 6 des
Zivilpakts (Recht auf Zugang zu Arbeit), Artikel 9 des Zivilpakts (willkürliche
Festnahmen), Artikel 14 des Zivilpakts (Recht auf ein faires Gerichtsverfah-
ren), Artikel 13 des Sozialpakts (Recht auf Bildung) und Artikel 6 des Sozial-
pakts (Recht auf Zugang zu Arbeit).

Die Religionsfreiheit im Iran ist stark eingeschränkt, auch wenn laut Verfas-
sung „anerkannten“ Gruppen, wie Juden, Teile der christlichen Religions-
gemeinschaften und Zoroastrier, zumindest teilweise gesellschaftliche Aner-
kennung, politische Integration und religiöse Rechte zustehen. Der UN-Sonder-
berichterstatter für die Menschenrechtssituation im Iran Dr. Ahmed Shaheed
macht aber in seinem Bericht vom Februar 2013 die dramatische Lage deutlich.
Dort heißt es in Bezug auf die Religionsfreiheit, dass diese „systematisch, fort-
dauernd und unvorstellbar verletzt [werde], einschließlich langer Inhaftierun-
gen, Folter und Hinrichtungen, die teilweise oder ausschließlich mit der Reli-
gionszugehörigkeit der Angeklagten begründet werden.“ Dies betrifft vor allem
Baha’i, aber auch Christen und sunnitische Muslime. Die vehemente Verfol-
gung der Baha’i durch die iranische Regierung ist politisch wie religiös begrün-
det: Zum einen liegen die spirituellen und administrativen Zentren der welt-
weiten Baha’i-Gemeinde im Norden Israels, in Haifa und Akko. Deswegen
wird den Baha’i unterstellt, Spione Israels zu sein. Zum anderen hat sich der

Baha’i-Glaube aus dem schiitischen Islam heraus entwickelt. Daher wird den
Mitgliedern der Gemeinde Apostasie – Abfall vom Islam – vorgeworfen. Dass
die Baha’i kosmopolitisch und demokratisch ausgerichtet und Frauen und Män-
ner gleichberechtigt sind, verstärkt die Ablehnung durch die autoritären Macht-
haber.

Drucksache 17/13474 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag tritt weltweit für das Recht auf Religionsfreiheit ein.
So ist es nur konsequent, dass er mit seinen politischen Möglichkeiten religiöse
Minderheiten im Iran unterstützt und für ihre Menschenrechte eintritt. Die
Glaubensgemeinschaft der Baha’i ist besonders schutzbedürftig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Menschenrechtsverletzungen im Iran bilateral und auf internationaler
Ebene zu thematisieren und sich konsequent für die Freiheit des religiösen
und weltanschaulichen Bekenntnisses einzusetzen;

2. die Arbeit des UN-Sonderberichterstatters für Menschenrechte im Iran
weiterhin zu unterstützen und die iranische Regierung aufzufordern, ihn im
dritten Jahr seines Mandats ins Land reisen zu lassen;

3. die iranische Regierung aufzufordern, den Menschenrechtsdialog mit der
EU wieder aufzunehmen;

4. gemeinsam mit den EU-Partnern gegenüber der iranischen Regierung auf
die völkerrechtliche Verbindlichkeit der ratifizierten UN-Verträge (Zivilpakt
und Sozialpakt) hinzuweisen und mit Blick auf die Baha’i besonders die
Verpflichtung zur Achtung und Umsetzung des Rechts auf Gedanken-,
Gewissens- und Religionsfreiheit, des Rechts auf persönliche Freiheit und
Sicherheit, des Rechts auf einen fairen Prozess und Gleichbehandlung vor
dem Gericht, des Rechts auf Bildung und des Rechts auf Arbeit hervorzuhe-
ben;

5. die verfassungsrechtliche Anerkennung der Baha’i als religiöse Minderheit
anzumahnen und die Einstellung der Repressionen und Diskriminierungen
von Baha’i zu fordern;

6. von der iranischen Regierung die Freilassung aller politischen und aus
Gewissensgründen Inhaftierten zu fordern;

7. bei gravierenden Verletzungen der Menschenrechte religiöser und weltan-
schaulicher Minderheiten den iranischen Botschafter einzubestellen;

8. Mitglieder der iranischen Baha’i-Gemeinde als Gruppenverfolgte in
Deutschland aufzunehmen;

9. den Kontakt mit den Vertretern des Nationalen Geistigen Rates der Baha’i in
Deutschland zu verstetigen und sich regelmäßig über die Situation der
Baha’i im Iran zu informieren.

Berlin, den 14. Mai 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

Die Glaubensgemeinschaft der Baha’i wurde 1852 im Iran von Mirza Husayn-
Ali gegründet. Vom Zentrum Iran ausgehend verbreitete sich der Glaube in viele
Länder in Asien, Afrika und dem Nahen Osten. Die aktuellen Angaben zur Größe
der Baha’i-Gemeinde von 2011 belaufen sich auf etwa 0,11 Prozent der Welt-
bevölkerung und somit auf 6 Millionen Gläubige. Davon leben etwa 1 Million in
Indien und 300 000 im Iran. Der Baha’i-Glaube wurzelt im schiitischen Islam.

Die wichtigsten Normen sind Nächstenliebe, Pazifismus und Streben nach Ge-
rechtigkeit und Frieden. Frauen und Männer sind gleichberechtigt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13474

Im Iran treffen mit den Baha’i und dem konservativen islamischen Staat zwei
gegensätzliche Bewegungen aufeinander. Derzeit hat der Iran eine Bevölkerung
von etwa 78,8 Millionen Menschen (Juli 2012), wovon offiziell 98 Prozent
Muslime und 2 Prozent Juden, Christen, Zoroastrier und Baha’i sind. Die Baha’i
sind die größte religiöse Minderheit. Doch gerade im Gründungsland Iran ist ihre
Lage täglich von systematischen Schikanen, Diskriminierung, physischen Über-
griffen, Verhaftung und Ausschluss vom öffentlichen Leben geprägt. Seit den
Wahlen 2009 haben sich unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Be-
dingungen zur Ausübung der Religionsfreiheit dramatisch verschlechtert. Die
US-Kommission für internationale Religionsfreiheit (USCIRF) spricht von einer
„zunehmend brutalen Behandlung“.

Religionsfreiheit ist im Islam nicht nur eine Frage der Umsetzung völkerrecht-
licher Verträge, sondern auch der Interpretation des Korans und der Sunna. Im
Islam zählen alle Glaubensgruppen außerhalb des Islams zu den „Ungläubi-
gen“. Die „Gruppe der Ungläubigen“ wird wiederum in zwei Glaubensgruppen
aufgeteilt. Die eine – Juden, Christen und Zoroastrier – können sich auf Schrif-
ten berufen. Im islamischen Herrschaftsbereich sind die Gläubigen dieser
Schriftreligionen besonders Schutzbefohlene. Die Mitglieder der anderen
Gruppe – zu ihnen zählen die Baha’i – sind keine Schutzbefohlenen, da sie
keine anerkannten Schriften vorweisen können. Dies spiegelt sich auch in der
Verfassung wider, welche die Baha’i nicht als religiöse Minderheit anerkennt.

1983 wurde die Religionsgemeinschaft der Baha’i offiziell verboten. Seitdem
leben die Baha’i täglich in der Angst, dass die iranische Regierung Informa-
tionen über ihre Gemeindemitglieder sammelt und ihre Aktivitäten beobachtet.
Private und geschäftliche Häuser können jederzeit ohne Angabe von Gründen
durchsucht, Computer und Bücher beschlagnahmt und ihre Besitzer willkürlich
verhaftet werden. Seit 2004 wurden 681 Baha’i willkürlich verhaftet. 2012 kam
es besonders in der zweiten Jahreshälfte zu einer Zunahme von Übergriffen auf
Baha’i in der Provinz Semnan und in mehreren weiteren Städten wie Maschad
und Gorgan. Baha’i-geführte Geschäfte waren Ziel von Brandanschlägen und
mutwilligen Zerstörungen. Die Täter blieben in der Regel unbestraft. Laut Be-
richt des UN-Sonderberichterstatters durchsuchten im Februar 2012 iranische
Sicherheitskräfte zahlreiche Baha’i-Häuser in Shiraz und verhafteten 13 Perso-
nen. Das Gleiche ereignete sich im Oktober 2012 in Gorgon, wo 25 Baha’i ver-
haftet wurden. Human Rights Watch und dem Bericht des Sonderberichterstat-
ters zufolge sind aktuell 115 Baha’i wegen der Ausübung ihres Glaubens in-
haftiert. Zudem gibt es 437 offene Gerichtsfälle, bei denen eine Inhaftierung
droht.

Anfang Mai 2013 jährt sich die Inhaftierung der „Yaran“, der Führungsriege
der Baha’i, zum fünften Mal. Im Frühjahr 2008 wurden die sieben religiösen
Führer der Baha’i-Gemeinde festgenommen und ohne Gerichtsverfahren im
Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert. Im August 2010 wurden sie in einem
grob unfairen Gerichtsverfahren der Spionage für Israel und der Propaganda
gegen den Islam schuldig gesprochen. Sie wurden zu 20 Jahre Haft verurteilt,
die zunächst auf zehn Jahre verringert wurde, aber 2011 wieder auf 20 Jahre an-
gehoben wurde.

Obwohl die iranische Regierung behauptet, dass den Baha’i der Zugang zu
höherer Bildung offensteht, werden die Baha’i de facto vom höheren Bildungs-
system systematisch ausgeschlossen. Baha’i-Mitglieder, denen es trotzdem
gelingt, sich an Universitäten einzuschreiben, werden, sobald ihre religiöse Zu-
gehörigkeit öffentlich wird, exmatrikuliert. Das Bahai Institute for Higher
Education wurde im Mai 2011 für illegal erklärt. 2008, wenige Wochen nach
Schulbeginn, wurden Schulkinder aufgrund ihrer Herkunft aus Baha’i-Familien

vom Schulunterricht ausgeschlossen.

Drucksache 17/13474 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Im öffentlichen Dienst werden den Baha’i bereits seit Ende der Revolution
regelmäßig Stellen verweigert oder gekündigt. Dies geschieht allein aufgrund
ihrer religiösen Zugehörigkeit. Auch werden inoffizielle Listen über Baha’i-
Angehörige geführt. Kündigungen bedeuten den Verlust von Renten- und Pen-
sionsansprüchen, was zu erheblichem ökonomischen Druck führt. Dieser
Druck erhöht sich noch zusätzlich dadurch, dass den Baha’i Geschäftslizenzen
verweigert oder bestehende konfisziert werden. Sie haben außerdem kein
Recht, Eigentum zu (ver-)erben. Auch werden Scheidungen der Baha’i vom
iranischen Zivilrecht nicht anerkannt.

Diese Verdrängung aus dem gesellschaftlichen und politischen Leben soll zum
einen die Präsenz der Glaubensgruppe in der Öffentlichkeit verringern und
somit auch das öffentliche Bewusstsein für die Glaubensrichtung schmälern.
Zum anderen soll auf diese Weise die intellektuelle, philosophische und sozio-
ökonomische Entwicklung der Baha’i-Gemeinde gehemmt oder sogar vollstän-
dig zum Erliegen gebracht werden.

Auch kann die Baha’i-Gemeinde ihren Glauben nicht frei ausüben. Die Verwal-
tung durch einen Nationalen Geistlichen Rat, wie es in den anderen Ländern, in
denen Baha’i-Gemeinden existieren, üblich ist, wird ihnen durch die iranische
Regierung verweigert. Der Bau von eigenen Gebetsstätten oder Schulen ist
ihnen verboten. In den letzten Jahren hat der Vandalismus auf Baha’i-Fried-
höfen zum Beispiel in Teheran, Ghaemshar, Marvdasht, Semna, Sari, Yazd,
Najafabad und Isfahan stark zugenommen. Heilige Stätten werden geschändet
oder zerstört und gemeinschaftliches Eigentum gepfändet oder konfisziert.

Der Iran kann kein moderner islamischer Rechtsstaat werden, solange religiöse
Minderheiten nicht als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger der Gesell-
schaft anerkannt werden. Die fundamentalen Menschenrechtskonventionen, die
auch vom Iran ratifiziert wurden, dürfen nicht durch einseitige religiöse Aus-
legung verzerrt werden. Beim letzten UPR(Universal Periodic Review)-Ver-
fahren 2010 vor dem UN-Menschenrechtsrat zeigte sich die iranische Führung
völlig uneinsichtig und verweigerte die Annahme zahlreicher Empfehlungen
von anderen Staaten hinsichtlich der Situation der Menschenrechte und der
Religionsfreiheit. Der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bezeichnete das Vor-
gehen Teherans als „nationale Kampagne“ gegen die Baha’i und forderte ein
sofortiges Ende der Diskriminierung. Die Schaffung eines Sonderberichterstat-
ters zur Beobachtung der menschenrechtlichen Situation im Iran durch den UN-
Menschenrechtsrat im März 2011 und die jüngste Mandatsverlängerung ist vor
diesem Hintergrund besonders zu begrüßen.

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