BT-Drucksache 17/13325

Vorgehen der Bundesregierung gegen die WAZ-Mediengruppe wegen Veröffentlichung von Afghanistan-Berichten

Vom 26. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13325
17. Wahlperiode 26. 04. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, Steffen Bockhahn,
Sevim Dag˘delen, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Kathrin Senger-Schäfer, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Vorgehen der Bundesregierung gegen WAZ-Mediengruppe wegen
Veröffentlichung von Afghanistan-Berichten

Im November 2012 hat die „WAZ-Mediengruppe“ auf der Internetseite
http://afghanistan.derwesten-recherche.org/ gescannte Exemplare der Unter-
richtungen des Parlaments (UdP) zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in
Afghanistan veröffentlicht. Diese waren ihr zugespielt worden. Die Dokumente
waren als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichnet.
Man habe auch versucht, über eine Anfrage nach dem Informationsfreiheits-
gesetz (IFG) Einsicht in die Dokumente zu bekommen. Dies sei jedoch mit der
Begründung abgelehnt worden, dass das Leben von Soldatinnen und Soldaten
dadurch gefährdet würde.

Die „WAZ“ begründete die Veröffentlichung mit dem Umstand, dass über die
Lage in Afghanistan in diesen Dokumenten deutlich schonungsloser berichtet
würde als in den öffentlichen Darstellungen. Von einer Friedensmission der
Bundeswehr könne keine Rede mehr sein, obwohl dies immer wieder von der
Regierung behauptet würde.

Auf der Regierungspressekonferenz am 28. November 2012 erklärte der Presse-
sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Stefan Paris, dass diese Daten
„nahezu inhaltsgleich“ auch ins Internet gestellt werden. Unterschiede ergäben
sich, weil andere Streitkräfte der ISAF-Gruppe als Urheber von Informationen
und Lagedarstellungen unkenntlich gemacht würden.

Gut drei Monate später, im März 2013, erreichte die WAZ-Gruppe nach eige-
nen Angaben ein Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung. In die-
sem wurde zur Löschung der Parlamentsunterrichtungen aus dem Onlineauftritt
der WAZ-Gruppe bis zum 27. März 2013 aufgefordert. Anderenfalls würde
gerichtlich gegen die Redaktion vorgegangen. Als Begründung wurde der § 12
Absatz 1 des Urheberrechtsgesetzes angeführt, wonach der Urheber selbst über
das Ob und das Wie der Veröffentlichung eines Werkes entscheiden kann.

Die WAZ-Gruppe hat nicht auf die Aufforderung reagiert und zieht die Gültig-
keit des urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrechtes für öffentlich relevante

Regierungsdokumente in Zweifel. Jeder Mensch habe ein Anrecht, so die
Redaktion in einem Onlineartikel vom 9. April 2013, „in die Papiere der Bun-
desregierung zu schauen“ und sich selbst ein Bild von den Kampfeinsätzen der
Bundeswehr zu machen. Die Redaktion hat die Bundesregierung aufgefordert,
von sich aus alle Parlamentsunterrichtungen öffentlich zu machen. Der Blogger
Markus Beckedahl hat am 9. April 2013 eine Anfrage nach dem Informations-

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freiheitsgesetz an die Bundesregierung auf Herausgabe mehrerer Unterlagen zur
Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und WAZ-Gruppe gestellt.

In einem ähnlichen Fall hat das Auswärtige Amt gegen den Betreiber der Seite
www.familienvisum.de nach dessen Angaben eine Schadensersatzforderung
von 19 000 Euro durchgesetzt. Dieser hatte per IFG angeforderte Botschafts-
berichte über die Situation von Sinti und Roma veröffentlicht.

Diese Auseinandersetzungen finden vor dem Hintergrund eines Grundsatz-
urteiles des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom
10. Januar 2013 statt, das in einer Abwägung zwischen Urheberrechtsansprü-
chen und dem öffentlichen Interesse auf Informationsfreiheit keine eindeutige
und grundsätzliche Entscheidung zugunsten des Urheberschutzes fällte.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann und aus welchem Grund hat die Bundesregierung die WAZ-Medien-
gruppe zur Löschung der fraglichen Unterrichtungen aufgefordert?

2. Warum geschah dies erst mehr als drei Monate nach der Veröffentlichung
der fraglichen Unterlagen?

3. Haben die vom Pressesprecher Stefan Paris am 28. November 2012 in der
Regierungspressekonferenz angesprochenen Partner der ISAF-Truppen auf
eine Löschung der Berichte gedrungen?

4. Ist der Bundesregierung bewusst, dass sich diese Inhalte in der Regel durch
die Spiegelung auf anderen Servern und Ressourcen nach einer solch lan-
gen Frist kaum noch unzugänglich machen lassen?

5. Hat die Bundesregierung Maßnahmen geprüft, die auf den Servern der
WAZ und auf zahlreichen Spiegel-Servern veröffentlichten Inhalte zu
blockieren oder den Zugang auf anderem Wege zu blockieren?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

6. Hat die Bundesregierung den Antrag der WAZ-Gruppe auf Einsicht in die
UdP tatsächlich mit dem Argument abgelehnt, dass diese Einsicht das
Leben deutscher Soldaten gefährden könne?

7. Hat die Veröffentlichung aus heutiger Sicht nachweislich das Leben deut-
scher Soldaten gefährdet?

Wenn ja, worin besteht die Gefährdung genau, wenn die Berichte nach eige-
ner Aussage des Bundesministeriums nahezu deckungsgleich veröffentlicht
werden?

8. Auf welchen konkreten Rechtstatbestand hat sich die Bundesregierung bei
der Ablehnung der Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz der
WAZ-Gruppe berufen?

9. Wird die Bundesregierung, nachdem nun die gestellte Frist zur Löschung
der Unterrichtungen abgelaufen ist, gerichtlich gegen die WAZ-Medien-
gruppe vorgehen?

10. Wird sich die Bundesregierung bei einer Klage auf das Urheberrecht als
entscheidende Rechtsgrundlage beziehen?

11. Wer ist Inhaber der Urheber- und Nutzungsrechte an den fraglichen Unter-
richtungen?

12. Sieht die Bundesregierung es als gerechtfertigt an, die im Urheberrecht
verankerten Persönlichkeitsrechte von Urhebern zur Durchsetzung von Ge-
heimhaltungsrichtlinien der Verwaltung einzusetzen?

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13. Inwieweit halten, wie der Pressesprecher Stefan Paris am 28. November
2012 andeutete, auch andere Truppen der ISAF-Gruppe Urheber- oder Nut-
zungsrechte an den Unterrichtungen des Parlaments zum Afghanistan-Ein-
satz?

14. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung von Seiten Dritter, etwa der
ISAF-Partner, Schritte gegen die WAZ-Gruppe erwogen?

15. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Forderung der
WAZ-Gruppe an die Bundesregierung, zukünftig alle Parlamentsunterrich-
tungen öffentlich zu machen?

16. Wird die Bundesregierung die in der Anfrage von Markus Beckedahl nach
dem Informationsfreiheitsgesetz erbetenen Unterlagen zur Auseinanderset-
zung zwischen Bundesregierung und WAZ-Gruppe herausgeben?

Wenn nein, warum nicht?

17. Hat die Bundesregierung Dritten (beispielsweise Forschungseinrichtungen,
Medienorganisationen, anderen Regierungen, ISAF-Partnern, privaten mili-
tärischen Auftragnehmern) Zugang und/oder Nutzungsrechte an den in den
UdP enthaltenen Texten eingeräumt, und wenn ja, auf welcher vertraglichen
Grundlage?

18. Hält die Bundesregierung an ihrer Aussage fest (Regierungspressekonfe-
renz am 28. November 2012), dass sie die UdP zeitlich ganz knapp versetzt
und nahezu inhaltsgleich als Unterrichtungen der Öffentlichkeit ins Inter-
net stelle?

19. Hält die Bundesregierung an ihrer Aussage auf Bundestagsdrucksache
17/9374, S. 22 fest, dass alle veröffentlichten Inhalte in den Medien/Publi-
kationen des Bundesministeriums der Verteidigung und der Bundeswehr
auf Anfrage und unter Nutzung der Quelle frei nutzbar sind?

20. Wie hoch war der personelle und finanzielle Aufwand des Bundesministe-
riums der Verteidigung bislang bei dem Vorgehen gegen die Veröffent-
lichung der UdP durch die WAZ?

21. Aus welchem Grund wurde dem Betreiber der Seite www.familienvisum.de
eine Veröffentlichung der Botschaftsberichte über die Lage von Sinti und
Roma untersagt?

22. Wie begründet die Bundesregierung den urheberrechtlichen Schaden von
1 000 Euro je Schriftstück, der gegen die Veröffentlichung von Bot-
schaftsberichten über die Lage von Sinti und Roma auf der Seite
www.familienvisum.de geltend gemacht wurde?

23. Gab es weitere Veröffentlichungen von Parlamentsunterrichtungen durch
die WAZ oder andere Medien, gegen die die Bundesregierung vorgegangen
ist, und wenn ja, aus welchem Anlass, mit welchem Aufwand, mit welchem
Ergebnis?

24. Welche Auswirkung hat nach Einschätzung der Bundesregierung das Urteil
des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 10. Januar 2013
(Nr. 36769/08 Ashby Donald gegen Frankreich) auf die Auseinander-
setzungen der Bundesregierung mit der WAZ-Gruppe bzw. der Seite
www.familienvisum.de?

Berlin, den 26. April 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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