BT-Drucksache 17/1331

Türkischer Interpol-Haftbefehl gegen kurdischen Schriftsteller in Deutschland

Vom 6. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1331
17. Wahlperiode 06. 04. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz, Inge Höger,
Jens Petermann und der Fraktion DIE LINKE.

Türkischer Interpol-Haftbefehl gegen kurdischen Schriftsteller in Deutschland

Gegen den bei München lebenden kurdischstämmigen Schriftsteller Haydar Isik
besteht seit dem 17. Juni 2008 ein internationaler Haftbefehl. Die türkische
Justiz wirft Haydar Isik vor, dem am 12. April 1995 gegründeten und 1999 auf-
gelösten Kurdistan Parlament im Exil angehört zu haben. Dieses 65-köpfige
Exilparlament sei auf Weisung des Vorsitzenden der verbotenen Arbeiterpartei
Kurdistans PKK, Abdullah Öcalan, gebildet worden, um die Ziele der PKK zu
unterstützen. Begründet wurde der als Urgent gekennzeichnete Auslieferungs-
antrag weiterhin damit, dass Haydar Isik „bis heute als hochrangiges Mitglied
der PKK/KONGRA-GEL-Terrororganisation Aktivitäten entwickle“ (Interpol
Ankara Nr: 107888 GMT 1821 an BKA Wiesbaden).

Haydar Isik lebt seit dem 14. Oktober 1974 in Deutschland. Nach dem Putsch
von 1980 in der Türkei wurde er 1982 von der Militärjunta ausgebürgert und be-
kam im selben Jahr die deutsche Staatsbürgerschaft. Ohne sein Zutun wurde
Haydar Isik später zusätzlich die türkische Staatsbürgerschaft wieder zuerkannt.
In der Türkei, die Haydar Isik nach 1978 nicht mehr betreten hat, wurde er
wegen mehrerer seiner Romane, die das Schicksal der Kurden behandeln, an-
geklagt. In Deutschland endete ein mehr als dreijähriges umfangreiches Ermitt-
lungsverfahren gegen den heute 71-jährigen Haydar Isik als angeblichem „Mit-
glied der Führungsriege von Kongra-Gel in München“ im Januar 2010 mit einer
Einstellung. Die Staatsschutzkammer des Landgerichts München I ließ die An-
klage nicht zur Hauptverhandlung zu, da sie keinen hinreichenden Tatverdacht
feststellen konnte. Haydar Isik habe Spendengelder nicht für die PKK sondern
für soziale Projekte für Frauen und Jugendliche in seiner Geburtsstadt Dersim
gesammelt (Süddeutsche Zeitung, 28. Januar 2010).

Als deutschem Staatsbürger droht Haydar Isik keine Auslieferung, solange er
sich innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Doch im
Ausland kann eine zufällige polizeiliche Personenkontrolle Haydar Isiks zu
seiner Inhaftierung, mehrmonatiger Auslieferungshaft und möglicherweise
seiner Auslieferung führen. So konnte Haydar Isik beispielsweise am 19. No-
vember 2009 nicht an einer von ihm mitorganisierten Konferenz der Fraktion
GUE/NGL im Brüsseler Europaparlament zum Gedenken an die Massaker an

den Dersim-Kurden teilnehmen. Schon eine Personenkontrolle beim Einlass in
das Gebäude des EU-Parlaments hätte zu seiner Festnahme führen können.

Drucksache 17/1331 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung der türkische Interpol-Haftbefehl gegen den Schrift-
steller Haydar Isik bekannt, und wenn ja, wie beurteilt sie die darin enthalte-
nen Vorwürfe?

2. Inwieweit sieht die Bundesregierung bei Auslandsreisen von Haydar Isik die
Gefahr einer Festnahme, Auslieferungshaft oder Auslieferung?

3. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Meinung der Fragesteller, dass der
Interpol-Haftbefehl gegen Haydar Isik eine unzulässige Einschränkung seiner
Bewegungsfreiheit außerhalb Deutschlands darstellt?

4. Welche rechtlichen und politischen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung,
um den Interpol-Haftbefehl gegen Haydar Isik außer Kraft zu setzen?

5. Inwieweit gedenkt die Bundesregierung, bei der türkischen Regierung auf
eine Aussetzung des Interpol-Haftbefehls gegen Haydar Isik zu drängen?

6. Bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung Möglichkeiten zur Aussetzung
von Interpol-Haftbefehlen dritter Staaten für das Gebiet der Europäischen
Union, und wenn ja, welche?

7. Wie viele wegen mutmaßlicher politischer Straftaten ausgestellte Interpol-
Haftbefehle der türkischen Justiz gegen in Deutschland lebende Personen gab
es in den letzten fünf Jahren?

a) Wie viele davon betrafen deutsche Staatsbürger?

b) Wie viele davon betrafen türkische Staatsbürger?

c) Wie viele davon betrafen Bürger dritter Staaten (bitte Staaten einzeln nen-
nen)?

d) In wie vielen Fällen hatten die von der türkischen Justiz Gesuchten in
Deutschland politisches Asyl erhalten?

Berlin, den 1. April 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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