BT-Drucksache 17/13214

Mögliche Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes an Bombenanschlägen im Rahmen der "Stay-behind"-Organisation der NATO

Vom 23. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13214
17. Wahlperiode 23. 04. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Heike Hänsel,
Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Niema Movassat, Thomas Nord,
Petra Pau, Jan van Aken und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes an Bombenanschlägen im
Rahmen der „Stay-behind“-Organisation der NATO

Im sogenannten Luxemburger Bombenleger-Prozess ist Anfang April ein
Zeuge aufgetreten, der Aussagen zur Beteiligung des Bundesnachrichtendiens-
tes (BND) an der Anschlagserie gemacht hat, die in den 80er-Jahren Luxemburg
in Atem hielt. Der Zeuge, der Historiker ist und früher u. a. als Chefarchivar
des 1. Untersuchungsausschusses der 12. Wahlperiode des Deutschen Bundes-
tages gearbeitet hat, sagte aus, sein Vater, ein im vergangenen Jahr verstorbener
ehemaliger Bundeswehrangehöriger, habe die 18 Anschläge in Luxemburg ein-
gefädelt (junge Welt, 12. April und 13. April 2013). Sein Vater sei neben seiner
Tätigkeit als Hauptmann der Bundeswehr, bei der er Zugriff auf Sprengstoffe
und Waffen gehabt habe, für den BND tätig und Teil der „Stay-behind“-Organi-
sation der NATO gewesen. Er wisse von seinem Vater außerdem, dass dieser im
Auftrag von „Gladio“ bundesweit 50 Waffenlager angelegt habe.

Auch am Anschlag auf das Münchner Oktoberfest sei der Vater beteiligt gewe-
sen: „Er hat die Bombe mitgebaut“, so A. K. im Interview mit der „jungen
Welt“ (13. April 2013). Sein Vater habe die „Anwerbungsgespräche“ für das
Attentat geführt und dabei unter anderem auch den Attentäter Gundolf Köhler
angeworben. Zudem habe sein Vater dem „Allied Clandestine Committee“ der
NATO regelmäßig Bericht erstattet. Der Mann führte aus, er habe noch „erst-
klassiges Geheimdienstmaterial“, das seine Aussagen stütze.

Als Ziel der Gladio-Tätigkeiten wird in der Literatur (Dr. Daniele Ganser
„NATO-Geheimarmeen in Europa“) angegeben, durch Bombenanschläge, die
angeblichen Linksextremisten in die Schuhe geschoben werden sollten (wie
etwa der Anschlag auf den Bahnhof von Bologna im Jahr 1980), einen innen-
politischen Rechtsschwenk in NATO-Staaten zu bewirken bzw. im Vorfeld von
Wahlen einen Sieg linksgerichteter Parteien zu verhindern.

Mit der Thematik haben sich bereits das Europaparlament und parlamentari-
sche Untersuchungsausschüsse zumindest in Italien und Belgien beschäftigt,
die nicht nur die Existenz eines aktiven Gladio-Untergrundes bestätigten,

sondern sich auch über den mangelnden Willen der Regierungen beklagten,
zur Aufklärung der Aktivitäten beizutragen (vgl. z. B. www.senate.be/lexdocs/
S0523/S05231297.pdf). Ein Untersuchungsausschuss des italienischen Parla-
ments stellte, unter anderem mit Blick auf den Bombenanschlag auf den Bahn-
hof von Bologna, fest: „Diese Massaker wurden organisiert oder unterstützt
von Personen in Institutionen des italienischen Staates und von Männern, die

Drucksache 17/13214 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

mit dem amerikanischen Geheimdienst in Verbindung standen“ (www.spiegel.de/
spiegel/print/d-39997525.html).

Sollten die Ausführungen von A. K. zutreffen, wäre dies einer der größten Ge-
heimdienstskandale in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Trifft es zu, dass J. K. als Hauptmann der Bundeswehr unter anderem in der
Stabsabteilung G 4 gearbeitet hat, er dort verantwortlich für logistische Un-
terstützung war und Zugang zu verschiedenen Sprengstoffen, Munition und
Waffen hatte, und wenn nein, wie verhält es sich nach Kenntnis der Bundes-
regierung tatsächlich?

2. Trifft es zu, dass J. K. zugleich für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet
oder Aufgaben für diesen übernommen hat, und wenn ja, welchen Rang
hatte er dort, was war sein Aufgabenbereich, und welche konkreten Tätig-
keiten verrichtete er dabei?

3. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass für Gladio/stay-behind
in Deutschland Waffenlager angelegt waren, und wenn ja,

a) welche Rolle hatten dabei deutsche Behörden und J. K.,

b) welche weiteren Angaben kann die Bundesregierung zu Art, Ausstattung,
Umfang, Lage, Einrichtung, Nutzung und Nutzungsdauer dieser Lager
machen,

c) sind nach Kenntnis der Bundesregierung alle derartigen Lager aufgelöst
(bitte Zeitpunkt der Auflösung mitteilen) oder werden noch welche unter-
halten?

4. Trifft es zu, dass der BND den nach dem Auffliegen eines Waffenlagers im
niedersächsischen Uelzen festgenommenen Forstbeamten H. L. im Gefäng-
nis aufgesucht hatte, und wenn ja, was war Gegenstand und Ziel dieses Be-
suches, und wann fand er statt?

5. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass J. K. an der Beschaf-
fung des Sprengstoffes und anderer Materialien für die Bombe, die beim
Münchner Oktoberfest 1980 gezündet worden war, beteiligt war, und wenn
ja, seit wann hat die Bundesregierung hiervon Kenntnis?

6. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass westliche Geheim-
dienste sich im Marinestützpunkt Den Helder mit Sprengstoffen versorgen
konnten, und inwiefern sowie für welche Zwecke haben welche deutschen
Geheimdienste hiervon Gebrauch gemacht?

7. Welche Angaben kann die Bundesregierung zu Zusammensetzung, Aufga-
ben und Tätigkeit des „Allied Clandestine Committee“ (ACC) der NATO
machen?

a) In welchem Zeitraum existierte das ACC, bzw. existiert es immer noch?

b) Inwieweit waren bzw. sind deutsche Stellen am ACC beteiligt?

c) Gab bzw. gibt es eine politische Kontrolle der Aufgaben des ACC, und
wenn ja, durch welche deutschen Stellen wurde bzw. wird diese wie aus-
geübt?

d) Inwieweit trifft es zu, dass deutsche Stellen dem ACC Bericht erstattet
haben oder noch erstatten, und welche Stellen waren bzw. sind diese ge-
gebenenfalls?

e) Trifft es zu, dass auch J. K. dem ACC Bericht erstattet hat, und wenn ja,

namens welcher Behörde tat er dies, und was war Gegenstand seiner Be-
richte?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13214

8. Inwieweit gab es nach Kenntnis der Bundesregierung eine Befehlskette
zwischen dem Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte Europa Mitte
(AFCENT) von 1983 bis 1987 und J. K.?

9. Inwiefern verfolgt die Bundesregierung den Luxemburger „Bombenleger“-
Prozess, und zu welchen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Rolle offi-
zieller staatlicher Behörden von NATO-Mitgliedsländern ist sie dabei bis-
lang gekommen?

10. Inwiefern sieht sich die Bundesregierung durch die Aussagen des deut-
schen Historikers A. K. im Prozess sowie in der Tageszeitung „junge Welt“
veranlasst, die Vorgänge (ggf. erneut) zu untersuchen, um insbesondere
einer möglichen Beteiligung des BND an den Luxemburger Bombenan-
schlägen und am Münchner Oktoberfest nachzugehen?

Wie geht die Bundesregierung bei der Untersuchung vor, welche Doku-
mente werden untersucht, und welche Personen(gruppen) oder Behörden
anderer Staaten will sie dabei ansprechen?

11. Welche weiteren Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die An-
gaben des J. K. zu überprüfen, und zu welchen Ergebnissen bzw. Erkennt-
nissen ist sie dabei bislang gekommen?

12. Welche Kosten sind durch die deutsche „Stay-behind“-Organisation verur-
sacht worden, und für welche Zwecke (bitte pro Jahr für den Zeitraum der
Existenz der Organisation angeben), und aus welchem Budget wurden die
Kosten entnommen?

13. Wie viele Personen gehörten der deutschen „Stay-behind“-Organisation an
(sowohl insgesamt als auch durchschnittlich), und inwiefern waren diese
auch im Ausland tätig (bitte jeweils Ort, Zeitpunkt und Tätigkeit angeben)?

14. Von wem wurde die deutsche „Stay-behind“-Organisation eingesetzt und
kontrolliert?

15. Mit welcher Intensität hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahr-
zehnten versucht, die „Stay-behind“-Organisation der NATO auszuleuch-
ten?

a) Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um
entsprechend der Entschließung des Europäischen Parlaments vom
22. November 1990, eine vollständige politische und juristische Aufar-
beitung durchzuführen?

b) Welche Anstrengungen hat sie hierbei innerhalb der NATO bzw. gegen-
über einzelnen NATO-Mitgliedsländern unternommen?

c) Welche Schlussfolgerungen zieht sie aus deren Reaktionen?

d) Zu welchen neuen Erkenntnissen ist sie seit 1991 (seit ihrer Antwort auf
die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 12/560) gekommen?

e) Falls sie seither keine neuen Erkenntnisse gewonnen hat, wie erklärt sie
dies?

16. Hat die Bundesregierung Kontakt mit A. K. aufgenommen mit der Bitte,
ihr Materialien zukommen zu lassen, um die Vorwürfe prüfen zu können,
und wenn nein, warum nicht?

17. Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung seit 1990 aus der Auffor-
derung des Europäischen Parlaments vom 22. November 1990 gezogen,
sämtliche militärischen und paramilitärischen Geheimstrukturen aufzu-
lösen?
Berlin, den 23. April 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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