BT-Drucksache 17/13090

Forschungs- und Innovatiosnförderung des Bundes nachhaltig gestalten - Transparenz und Partizipation der Zivilgesellschaft ausbauen

Vom 16. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13090
17. Wahlperiode 16. 04. 2013

Antrag
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, Ulla
Jelpke, Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma, Halina Wawzyniak und
der Fraktion DIE LINKE.

Forschungs- und Innovationsförderung des Bundes nachhaltig gestalten –
Transparenz und Partizipation der Zivilgesellschaft ausbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Forschungs- und Innovationsförderung des Bundes hat in den vergangenen
Jahren einen starken Aufwuchs erfahren. Insgesamt verausgabte die Bundes-
regierung im Jahr 2011 etwa 17,6 Mrd. Euro für Wissenschaft, Forschung und
Entwicklung. Dieser Aufwuchs fand im Rahmen der Hightech-Strategie mit
dem erklärten Ziel statt, die Technologieführung der deutschen Wirtschaft auf
den wichtigsten Exportmärkten zu sichern. Dementsprechend ist die Förderung
auf Produkte und Technologien fokussiert, die Chancen auf den globalen
Märkten versprechen. Selbst die regierungsnahe und wettbewerbsfreundliche
„Expertenkomission Forschung und Innovation“ kritisierte dies in einem Gut-
achten als Problem: Es liege eine „starke Orientierung an relativ kurzfristigen
kommerziellen Interessen“ (EFI 2008, 56) vor. Sie hält eine Neufassung der
Strategie und eine transparente Evaluierung der Innovations- und Technologie-
förderung des Bundes für notwendig. Doch auch in der Neuauflage der High-
tech-Strategie im Jahr 2010 bleibt die Bundesregierung bei diesem Muster,
Deutschland im internationalen Wettbewerb „um Talente, Technologien und
Marktführerschaft“ ganz vorn zu platzieren.

Diese Ausrichtung der Forschungs- und Technologieförderung lässt sich kaum
mit den Herausforderungen einer Transformation zu mehr ökologischer und
sozialer Nachhaltigkeit in Einklang bringen, vor welchen Wirtschaft und Gesell-
schaft stehen. Das Modell des stetigen Exportwachstums von Technologie-
produkten ist mit der Krise in Europa und den globalen Umwelt- und Klima-
problemen ökologisch und ökonomisch gescheitert. Es verschärft diese Krisen
und trägt kaum etwas zu ihrer Lösung bei. Eine Entwicklung etwa der Schwel-
lenländer Brasilien, China oder Indien nach dem Muster Europas oder Nord-
amerikas lässt sich nicht mit der Einhaltung der bisher angestrebten Klimaziele
umsetzen.

Forschungs- und Innovationspolitik darf sich daher nicht darauf beschränken,

die Wertschöpfung etablierter Industriezweige zu unterstützen. Sie muss dabei
auch Verantwortung und Gestaltungskompetenz für notwendige Transforma-
tionsprozesse übernehmen und entsprechende Impulse für Forschung und Inno-
vationsentwicklung setzen. Gesellschaftliche Veränderungen finden in viel-
schichtigen sozialen, ökonomischen, kulturellen und technischen Prozessen
statt und sind von Auseinandersetzungen zwischen oftmals widerstreitenden

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Interessen geprägt. Um dem Ziel beispielsweise eines nachhaltigen Mobilitäts-
systems näher zu kommen, sind nicht nur technische Detaillösungen zu
fördern. Diese liegen oft sogar bereits vor. Für den notwendigen Transforma-
tionsprozess wird ein sozial robustes Orientierungswissen benötigt, das die tech-
nischen Bausteine erst handhabbar macht und sie den Alltagstest in einer kom-
plexen und pluralen Gesellschaft bestehen lässt.

Dieses Verständnis von Forschungs- und Innovationspolitik kommt in den tech-
nologiefixierten Förderprogrammen der Hightech-Strategie zu kurz. So hat bei-
spielsweise der Bund die Entwicklung von Elektroautos mit mehreren Milliar-
den Euro gefördert, ohne dass man die notwendigen umfassenden Lösungs-
ansätze für gravierende Mobilitätsprobleme in Ballungsräumen mit Hilfe dieses
Produktes in den Blick genommen hätte. Von 148 Mitgliedern in den Arbeits-
gemeinschaften der „Nationen Plattform Elektromobilität“ stammen 111 aus
der Industrie und lediglich drei aus den Bereichen Umwelt- und Verbraucher-
schutz oder Verkehrspolitik. Es zeigt sich, dass Forschungsbedarfe für eine
Mobilitätswende in einem solchen einseitig zusammengesetzten Gremium
nicht ermittelt werden. Die Mittel sind daher weitgehend verpufft und haben
sich weder in neuen Produkten noch in alternativen Mobilitätsmodellen reali-
siert. Wenn Forschungs- und Innovationsförderung von gesellschaftspolitischen
Ziel- und Leitvorstellungen flankiert werden soll, müssen die Gremien und
Prozesse, in welchen Forschungsbedarfe und Innovationen beraten, geplant, er-
forscht und umgesetzt werden, für eine demokratische Teilhabe geöffnet wer-
den. Das Fördersystem für Forschung und Innovationen in der Bundesrepublik
Deutschland ist in dieser Hinsicht stark reformbedürftig.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltverände-
rungen (WBGU) empfiehlt hierzu einen neuen Vertrag zwischen Wissenschaft
und Gesellschaft, um die Herausforderungen im Umgang mit dem Klimawan-
del, mit Umweltverschmutzung und wachsender Armut zu bestehen. Darin
sollen stärker Probleme aus der Gesellschaft an die Wissenschaft adressiert
werden, die Lösungen für entsprechende Forschungsfragen mit Hilfe trans-
disziplinärer Methoden erforschen kann. Die Freiheit der Wissenschaft bleibt
dabei für eine offene Erkenntnissuche unberührt. Der WBGU empfiehlt auch,
das neue Förderfeld der Transformationsforschung sowie eine Querschnitts-
förderung sozialer Innovationen einzurichten, um die vielfältigen Bausteine des
sozialen und ökologischen Wandels in die gesellschaftliche Handlungsrealität
bringen zu können. Auch andere, zivilgesellschaftliche Organisationen haben
die Einseitigkeit der derzeitigen Förderpolitik kritisiert und sprechen sich, wie
etwa die deutsche UNESCO-Delegation, der Bund für Umwelt und Natur-
schutz, der Naturschutzbund Deutschland, für ein neues soziales und ökologi-
sches Paradigma in der Forschungs- und Innovationspolitik aus.

Ein neuer Vertrag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft beginnt mit mehr
Transparenz und Partizipation im Fördersystem. Bereits im Stadium strategi-
scher Planungsprozesse muss eine breite Beteiligung unterschiedlicher Akteure
der Zivilgesellschaft angestrebt werden.

Bisher wird das Agendasetting der Forschungsförderung in der Regel in von
der Öffentlichkeit abgeschotteten Gremien im Ministerium unter starker Betei-
ligung der Industrie entworfen. Das gilt gleichermaßen für die „Forschungs-
union Wissenschaft und Wirtschaft“, die „Nationale Plattform Elektromobili-
tät“, den „Bioökonomierat“ oder den früheren „Rat für Innovation und Wachs-
tum“. Deutlich unterrepräsentiert sind Arbeitnehmervertretungen, kleine und
mittlere Unternehmen und öffentliche Einrichtungen. Die Beteiligung gemein-
nütziger zivilgesellschaftlicher Expertise ist bislang eine Randnotiz. Hinzu
kommt, dass Frauen in die Beratungsprozesse und Gremien zu wenig integriert

werden und damit die Genderperspektive in der Forschungs- und Innovations-
förderung kaum Beachtung findet.

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Auch der Deutsche Bundestag, der bisher vor allem im Rahmen seiner Funk-
tion als Haushaltsgesetzgeber agierte, muss zukünftig früher in die strategische
Ausrichtung von Forschungs- und Innovationsförderprogrammen einbezogen
werden. Dies gilt auch für die Ressortforschungseinrichtungen, deren wissen-
schaftliche Tätigkeit als Dienstleister der Bundesregierung einen unmittelbaren
Mehrwert für Prozesse der Transformation bringen kann.

Das Feld der transdisziplinären Forschung für eine nachhaltige Transformation
der Gesellschaft findet bisher nur in geringem Umfang eine öffentliche Förde-
rung. Hier ist eine Umverteilung von Fördermitteln aus den marktnahen Tech-
nologieförderprogrammen in neue Felder einer gesellschaftsorientierten, nach-
haltigen Wissenschafts- und Innovationsentwicklung notwendig. Der Bund für
Umwelt- und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND) hat vorgeschlagen, 1 Mrd.
Euro aus nicht nachhaltigen Bereichen der Forschungsförderung umzuvertei-
len.

Trans- und interdisziplinäres Arbeiten stellt etablierte Strukturen und Verfahren
des Wissenschaftssystems in Frage. So bieten transdisziplinäre Projekte und
Ansätze jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern heute
kaum Möglichkeiten, Reputation für den weiteren Karriereweg zu erlangen.
Die Publikation in reputationsstarken wissenschaftlichen Zeitschriften und die
Teilnahme an Drittmittelausschreibungen etwa der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft (DFG) oder des European Research Council (ERC) ist vor allem
auf der Grundlage disziplinär orientierter Wissenschaft möglich. Es gilt, die
symbolischen und finanziellen Anreizstrukturen zu verändern, um problem-
orientierter, transdisziplinärer Wissenschaft eine höhere Reputation und eine
bessere Ausstattung zu verschaffen. In diesem Sinne sollten auch die inneren
Strukturen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen modernisiert
werden. Vertikale Hierarchien, wie sie etwa im Lehrstuhlprinzip angelegt sind,
erscheinen nicht mehr zeitgemäß.

Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben ihre Position im Wissen-
schaftssystem durch stetige finanzielle Aufwüchse ausgeweitet und verausgab-
ten im Jahr 2010 etwa 10,4 Mrd. Euro. Die staatliche Seite hat sich in den ver-
gangenen Jahren aus der Detailsteuerung der Institute formal zurückgezogen –
etwa durch das so genannte Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Zugleich besteht
auch in den Lenkungsgremien, Bei- und Aufsichtsräten eine Einseitigkeit zu-
gunsten privater Unternehmen und ihrer Verbände. Wir brauchen auch hier eine
breitere Debatte über die unterschiedlichen Aufgaben und die konkreten
Forschungsmissionen der außeruniversitären Einrichtungen. Die Aufsichtsgre-
mien müssen aus breiteren Kontexten der Gesellschaft heraus besetzt werden.

Das Scheitern mehrerer Großprojekte in Deutschland in jüngster Zeit, das auf
mangelnde Transparenz und gesellschaftliche Beteiligung zurückgeht, ruft auch
nach neuer Sensibilität für eine demokratische Beteiligungskultur bei Weichen-
stellungen in der Forschungs- und Innovationsförderung. Zusätzlich kann der
Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft durch Öffnungsprinzipien
wie Open Access und Open Innovation befördert werden. In diesem Sinne soll-
ten zukünftig auch die tradierten Grenzen zwischen institutionalisierter öffent-
licher Forschung einerseits und großen Bereichen freier Wissenserarbeitung in
zivilgesellschaftlichen Organisationen, freien Forschungsinstituten, Unterneh-
men und Verwaltungen andererseits im Sinne einer problemorientierten Wis-
senschaftsentwicklung überwunden werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ihre Wissenschafts- und Innovationspolitik konsequent auf die großen Zukunfts-
herausforderungen der Gesellschaft einzustellen. Dazu gehören etwa die abseh-

bare Verknappung der natürlichen Ressourcen, der Klimawandel, die soziale

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Spaltung im regionalen und globalen Maßstab, die digitale Revolution und der
demographische Wandel. Im Unterschied zu bisherigen wissenschafts- und
industriegetriebenen Innovationsprogrammen wie der Hightech-Strategie soll
die zukünftige Leitagenda das Ergebnis eines breiten Dialogs von Wissenschaft
und Gesellschaft sein. Die Agendaprozesse sollen transparent gestaltet werden
und zu verbindlichen programmatischen Festlegungen führen. Eine neue Förder-
strategie sollte auf einem ganzheitlichen Ansatz sozialer und ökologischer Nach-
haltigkeit aufbauen, der gesellschaftliche Probleme und Bedarfe in den Mittel-
punkt stellt.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung weiterhin auf,

a) in den Beratungs- und Steuerungsgremien zur Forschungs- und Innovations-
politik den Sachverstand der organisierten gemeinnützigen Zivilgesellschaft
gleichberechtigt mit Wirtschaft und institutioneller Wissenschaft einzubezie-
hen;

b) Forschungsprogramme zukünftig in einem transparenten und partizipativen
Prozess zu entwickeln, der neben Expertenwissen auch geeignete, etwa digi-
tale Formen der Mitsprache der Allgemeinheit einbindet. Programme sollen
die Prioritätensetzung in angemessener Form darlegen und im Entwurfs-
stadium den jeweils zuständigen Fachausschüssen des Deutschen Bundes-
tages zur Beratung vorgelegt werden;

c) die Vergabe von öffentlichen Forschungs- und Innovationsfördermitteln mit
Hilfe von öffentlich einsehbaren, übersichtlichen und aggregierbaren Daten
transparent zu machen. Dazu müssen die entsprechenden Datenbanken wie
foerderkatalog.de und GEPRIS (DFG) nach dem Prinzip von Open Data
erweitert, maschinenlesbar und besser handhabbar gestaltet werden;

d) das Prinzip des Open Access, also die digitale, kostenfreie Zugänglich-
machung und Weitergabe von veröffentlichten Forschungsdaten und Ergeb-
nissen, zum Grundprinzip öffentlicher Forschungsförderung zu machen;

e) gemeinsam mit den Ländern Anreize für Hochschulen und Forschungsein-
richtungen zu setzen, um den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesell-
schaft bei der Entwicklung von Forschungsfragen und zum gegenseitigen
Austausch etwa in Bezug auf Risikotechnologien zu beleben. Hier könnte
etwa das Konzept der Wissenschaftsläden belebt werden;

f) die von Wissenschaft und Zivilgesellschaft angeregten Vorhaben zur Trans-
formationswissenschaft zu unterstützen und als Förderbereich zu begründen.
Das Ziel ist das Erlangen von Wissen über Chancen und Hemmnisse syste-
mischer Veränderungen unserer Gesellschaft zu mehr sozialer und ökologi-
scher Nachhaltigkeit. Dabei geht es um einen transdisziplinären Ansatz aus
Geistes- und Sozial-, Natur- und Technikwissenschaften, dessen Förderung
mit anfänglich 120 Mio. Euro jährlich auszustatten ist. Diese können aus
Technologieförderprogrammen der Hightech-Strategie umgewidmet werden.
Hierbei ist insbesondere die bereits bestehende Landschaft aus Instituten der
sozialökologischen Forschung zu stärken;

g) bei der Förderung von Anwendungswissen Mittel für die anschließende
breitere Erprobung der erforschten Ansätze und Modelle bereitzustellen.
Ziel dabei ist zum einen, sozial robustes Erfahrungswissen zu sammeln und
zum anderen transformatives Wissen wirksam zu machen;

h) die Förderung von sozialen Innovationen und innovativen Dienstleistungen
angesichts der Bedeutung dieses Bereichs für Wirtschaft und Gemeinwesen
deutlich auszubauen;

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i) öffentliche und gemeinnützige Träger sowie zivilgesellschaftliche Organisa-
tionen als Förderpartner in Verbundprojekte verstärkt einzubeziehen. Zu
prüfen ist, inwieweit ein Modell von Forschungs- bzw. Innovationsgutschei-
nen auf Verwaltungen und den freigemeinnützigen Bereich übertragen
werden kann, um auch in diesem Bereich den Bedarf an Forschungsdienst-
leistungen und Innovationsimpulsen zu decken;

j) Strategien der Open Innovation in geeigneten Feldern zum Gegenstand von
Förderausschreibungen zu machen. Dabei sollen Modelle erprobt werden,
um Innovationen unter Einbeziehung von Nutzerinnen und Nutzern, Be-
schäftigten, Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmen zu entwickeln;

k) ein Steuerungsmodell für die außeruniversitäre Forschung zu entwickeln,
das die wissenschaftliche Autonomie der Institute sichert und zugleich
Anreize für den stärkeren Ausbau nachhaltiger und transformatorischer
Forschungsgebiete setzt. Zugleich sollen die Aufsichtsgremien der Einrich-
tungen aus einem breiteren Spektrum zivilgesellschaftlicher Expertise be-
setzt werden;

l) ein ressortübergreifendes Konzept für die Ressortforschung zu erarbeiten,
das die Anforderungen an die Einrichtungen definiert und Nachhaltigkeit zu
einem Maßstab ihrer Weiterentwicklung macht.

Berlin, den 16. April 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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