BT-Drucksache 17/12989

Zu Einsatz und Einlagerung des Medikamentes Tamiflu®

Vom 4. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12989
17. Wahlperiode 04. 04. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Inge Höger, Matthias W. Birkwald, Christine Buchholz, Annette
Groth, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Harald Koch, Cornelia Möhring, Niema
Movassat, Yvonne Ploetz und der Fraktion DIE LINKE.

Zu Einsatz und Einlagerung des Medikamentes Tamiflu®

Seit 2009, dem Jahr der sogenannten Schweinegrippe (A/H1N1), gelten die
damals erstellten Pandemiepläne fort. In Deutschland hat sich das Parlament bis-
lang nicht mit den saisonalen und pandemischen Influenza-Impfungen und der
Wirksamkeit von antiviralen Medikamenten speziell des Oseltamivir (Tamiflu®)
befasst, obwohl seit geraumer Zeit auf internationaler Ebene die Evidenzbasis
der Grippewarnungen wissenschaftlich debattiert wird. Die parlamentarische
Diskussion dieser Evidenz ist von erheblicher Bedeutung für die Ressourcen-
allokation im öffentlichen Gesundheitswesen. Sowohl nationale als auch inter-
nationale Pandemiepläne und Empfehlungen der zuständigen Behörden (Robert
Koch-Institut) beinhalten die Vorhaltung von Pandemieimpfstoffen sowie der
staatlichen Bevorratung von Tamiflu® in millionenfachen Dosen. Wie durch
neueste wissenschaftliche Publikationen der Cochrane Collaboration Respira-
tory Group unter der Leitung von Dr. Tom Jefferson und Dr. Peter Doshi umfäng-
lich dokumentiert, gibt es für Tamiflu® aus den der Europäischen Zulassungs-
behörde EMA überlassenen Unterlagen keine stichhaltigen Beweise für eine
Wirksamkeit dieses Medikaments in Bezug auf die Verhinderung der viralen
Infektionsausbreitung oder auf die Verhinderung schwerer Komplikationen
(z. B. Pneumonien). Der Zulassungsbehörde liegen jedoch nur etwa 40 Prozent
der tatsächlichen Studienprotokolle (clinical study reports) vor. Einen Zugang zu
den restlichen, beim Hersteller Roche lagernden Daten wird seit Jahren von den
Forscher/Forscherinnen eingefordert, jedoch von Roche verweigert. Die in wis-
senschaftlichen Zeitschriften zu Tamiflu® veröffentlichten positiven Studiener-
gebnisse stimmen nicht mit den Ergebnissen der unabhängigen Analyse der zu-
gänglichen clinical study reports überein. Die massenhafte Bevorratung mit
Tamiflu® verhalf Roche zu einem spektakulären Umsatzplus von 9,6 Prozent
im Jahr 2009 (vgl. www.focus.de/finanzen/boerse/aktien/schweinegrippe-tamiflu-
spuelt-millionen-in-roche-kassen_aid_445432.html). Damit belegt der Tamiflu®-
Fall exemplarisch, wie medizinische Forschungsergebnisse manipuliert, in me-
dizinischen Publikationen verfälscht dargestellt und durch selektive Veröffentli-
chung nur der positiven Ergebnisse in ihrer Wirksamkeit überschätzt werden
können. Damit wird der evidenzbasierten Medizin die Basis entzogen.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sind der Bundesregierung neue Erkenntnisse zur zweifelhaften antiviralen
Wirksamkeit des Medikamentes Tamiflu® bekannt?

Drucksache 17/12989 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
2. Sehen die nationalen Pandemiepläne weiterhin die Einlagerung von Tami-
flu® im Jahr 2013 und darüber hinaus vor?

3. Wenn ja, welche Kosten entstehen hierfür auf Bundes- und nach Kenntnis
der Bundesregierung auf Landes- und kommunaler Ebene jährlich seit der
Zulassung von Tamiflu®?

4. Wie viele Dosen von Tamiflu® wurden nach Kenntnis der Bundesregierung
bisher in Deutschland vorsorglich eingelagert?

5. Wie viele eingelagerte Dosen von Tamiflu® wurden nach Kenntnis der
Bundesregierung in Deutschland bisher vernichtet?

6. Wie wurde die Einlagerung nach Kenntnis der Bundesregierung finanziert?

7. Wie begründet die Bundesregierung die Notwendigkeit der Einlagerung
von Tamiflu®?

8. Wer war für die Einlagerung von Tamiflu® in der Vergangenheit verant-
wortlich?

9. Wer ist heute für die Einlagerung von Tamiflu® verantwortlich?

10. Welchen Einfluss wird die Bundesregierung nehmen, um im Rahmen der
Vorbereitung der Neuregelung der Clinical trials regulation durch das Euro-
päische Parlament zu verhindern, dass Pandemiepläne auf Grundlage mög-
licherweise unzureichend geprüfter medizinischer Annahmen erstellt wer-
den, und dass erneut ein Medikament, dessen Wirkung zweifelhaft ist, in
hoher Anzahl bevorratet wird?

11. Waren oder sind Personen, die bei Roche angestellt oder nach Kenntnis der
Bundesregierung Auftragnehmer/Auftragnehmerinnen waren, als Berater/
Beraterinnen oder in anderer Funktion in Bundesministerien oder bei der
Bundesregierung beschäftigt oder anderweitig in Gesetzgebungsverfahren
oder Entscheidungen über die Bevorratung mit Medikamenten eingebun-
den (bitte ggf. aufschlüsseln)?

12. Waren oder sind Personen, die bei der Bundesregierung oder deren Bundes-
ministerien angestellt oder in anderen Funktionen beratend tätig waren,
derzeit bei der Firma Roche beschäftigt?

Wenn ja, hat die Bundesregierung dafür eine Genehmigung erteilt?

13. Hat es nach der Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bun-
destages am 31. Januar 2013 Änderungen der Pandemiepläne gegeben?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

14. Wurden die Verträge mit dem Hersteller von Tamiflu®, Roche, zur weiteren
Einlagerung von Tamiflu® gekündigt?

Berlin, den 4. April 2013

Gregor Gysi und Fraktion

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