BT-Drucksache 17/12928

Kenntnisse der Bundesregierung über einen Geheimdienst ehemaliger Angehöriger der SS in der Bundesrepublik

Vom 22. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12928
17. Wahlperiode 22. 03. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Petra Pau, Jens
Petermann, Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE.

Kenntnisse der Bundesregierung über einen Geheimdienst ehemaliger
Angehöriger der SS in der Bundesrepublik Deutschland

Nach „SPIEGEL“-Informationen vom 10. März 2013 haben frühere Angehörige
des Sicherheitsdienstes SD – des Geheimdienstes der SS – noch in den sechziger
Jahren ein enges Netzwerk gebildet, das Verbindungen zu den Geheimdiensten
der Bundesrepublik Deutschland unterhielt und an Sprengstoffanschlägen in
Südtirol beteiligt gewesen sein soll. Dies gehe aus einem „streng geheimen“ Ver-
merk hervor, den die Bundesregierung jetzt freigab. Dem Vermerk zufolge in-
formierte die Spitze des Bundesnachrichtendienstes (BND) bei einer Tagung
1963 Beamte des Kanzleramts über die „regelmäßigen Zusammenkünfte ehema-
liger SD-Leute“, an denen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes mit SS-
Vergangenheit teilnähmen, und die einen „internen Nachrichtendienst“ gebildet
hätten. Zudem gebe es „Querverbindungen“ zum Bundesamt für Verfassungs-
schutz (BfV).

Nach Angaben des BND hätten die Treffen regelmäßig beim ehemaligen SS-
Gruppenführer Wilhelm Harster stattgefunden. Harster, der 1991 87-jährig in
München verstarb, war als Gestapoleiter in Innsbruck und während des Zweiten
Weltkrieges als Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in den Nieder-
landen und in Italien u. a. für die Deportation zehntausender Juden in die Ver-
nichtungslager verantwortlich. Nach Kriegsende musste sich Harster zwar in
zwei NS-Prozessen in den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland
wegen Beihilfe zum Mord an 82 856 holländischen Juden für seine Verbrechen
verantworten, beide Male wurde er jedoch frühzeitig begnadigt und die
Freiheitsstrafen von 12 bzw. 15 Jahren aufgehoben. Nach seiner Haftentlassung
wurde Harster 1956 in Bayern als Regierungsrat bei der Regierung von Ober-
bayern erneut im Staatsdienst beschäftigt. Für seine Nachkriegskarriere im
Bayerischen Innenministerium, wo er am 31. Juli 1963 zum Oberregierungsrat
befördert wurde, hatte sich der „einstige KZ-Lieferant derweil zum Experten für
Gemeindefinanzen emporgearbeitet. Kenntnisreich, liebenswürdig, betriebsam
– wie ehedem erschien Wilhelm Harster als Idealbild eines Beamten.“ (DER
SPIEGEL, Nr. 5, 1967, S. 33). Für die Organisation Gehlen (OG) (und vermut-
lich auch den BND) warb Harster etliche alte Kameraden als Mitarbeiter (vgl.

Koch, Peter-Ferdinand: Die feindlichen Brüder – DDR contra BRD, Bern,
München, Wien 1994, S. 329).

Der BND ging davon aus, dass der Kreis um Harster (SDKH) nicht nur Nach-
richten sammelte, sondern auch Sprengstoff an Südtiroler Separatisten wie den
Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) lieferte, mit dem der BAS zahlreiche
Bombenanschläge verübte. Harsters Stellvertreter in Innsbruck, der später hoher
SD-Offizier in Paris war, wurde nach dem Krieg ebenfalls mehrfach verhaftet

Drucksache 17/12928 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
und wieder freigelassen. 1954 fand er schließlich in der Stuttgarter Dependance
der OG Unterschlupf (vgl. Mary Ellen Reese: Organisation Gehlen. Der kalte
Krieg und der Aufbau des Deutschen Geheimdienstes. Rowohlt, Berlin 1992,
S. 203 ff.) und eine Weiterbeschäftigung beim BND.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchem Zeitraum bestand nach Kenntnis der Bundesregierung der Nach-
richtendienst ehemaliger SD-Mitarbeiter um SS-Gruppenführer Wilhelm
Harster (SDKH)?

2. Wer gehörte nach Kenntnis der Bundesregierung alles zum SDKH?

3. Seit wann wusste wer genau in der damaligen Bundesregierung vom SDKH?

4. Was unternahm die damalige Bundesregierung diesbezüglich zu welchem
Zeitpunkt?

5. War Wilhelm Harster Mitarbeiter der OG und/oder des BND oder mit diesen
in irgendeiner Form der Zusammenarbeit verbunden? Wenn ja, wann und in
welcher Funktion, bzw. in welcher Form der Zusammenarbeit geschah dies?

6. Waren deutsche Stellen in die vorzeitigen Begnadigungen im Fall Harster
involviert, und wenn ja, welche und wann, und in welcher Form geschah
dies aus welchen Gründen?

7. Welche Mitglieder des SDKH waren Mitarbeiter bundesdeutscher Nach-
richtendienste wie der OG, dem BND, dem BfV oder dem MAD (bitte auf-
schlüsseln nach Namen, Nachrichtendienst, Funktion und Zeitraum der
Beschäftigung)?

8. Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung „Querverbindungen“ des
SDKH zum Bundesamt für Verfassungsschutz, und welcher Art waren die
Verbindungen gegebenenfalls?

9. Gab es umgekehrt Erkenntnisse des BfV zu den Aktivitäten des SDKH,
und wenn ja, wie sahen diese Erkenntnisse aus, und zu welchen Maßnah-
men führten sie?

10. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung seit wann über die Aktivitäten
des SDKH?

11. Wann war die Bundesregierung über die eventuell geplanten Sprengstoff-
attentate in Südtirol informiert, und was wurde diesbezüglich unternommen?

12. Inwieweit waren deutsche Sicherheitsbehörden in die Aktivitäten der BAS
und anderer Gruppen, die mit dem SDKH zusammenarbeiteten, involviert
oder darüber informiert?

13. Waren nach Kenntnis der Bundesregierung der SDKH oder einzelne
Mitglieder dieser Struktur an Operationen der OG, des BND oder des BfV
beteiligt? Wenn ja, wann und in welcher Form?

Berlin, den 22. März 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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