BT-Drucksache 17/12850

Effektive Unterstützung und Schutz bei Gewalt gegen Frauen gewährleisten

Vom 20. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12850
17. Wahlperiode 20. 03. 2013

Antrag
der Abgeordneten Monika Lazar, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring, Agnes
Krumwiede, Tabea Rößner, Krista Sager, Ulrich Schneider, Arfst Wagner
(Schleswig) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Effektive Unterstützung und Schutz bei Gewalt gegen Frauen gewährleisten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Ausgestaltung und Finanzierung des Unterstützungsnetzes von gewaltbe-
troffenen Frauen und ihren Kindern ist eine seit Jahrzehnten diskutierte Proble-
matik. Bis heute wurde keine Regelung gefunden, die garantiert, dass jeder von
Gewalt betroffenen Frau bundesweit zeitnah und niedrigschwellig ein Zugang
zu Hilfe ermöglicht werden kann.

Die Bundesregierung hat im Herbst 2012 nach langer Verzögerung einen
Bericht zur Situation der Frauenhäuser und Fachberatungsstellen für gewaltbe-
troffene Frauen und deren Kinder vorgelegt (Bundestagsdrucksache 17/10500).
Auch der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen
gegen Gewalt e. V. (bff) sowie ein Bündnis der Wohlfahrtsverbände haben dies-
bezüglich Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Alle Berichte kommen zu dem
Ergebnis, dass das derzeitige Unterstützungsangebot überwiegend unterfinan-
ziert ist. Es fehlt häufig an Personal bzw. Arbeitszeit, um spezifische Aufgaben-
bereiche anzubieten und umzusetzen. Insbesondere im Kinderbereich der Frauen-
häuser sowie für die Arbeit mit Frauen und Mädchen mit psychischen Erkran-
kungen oder Suchtkrankheiten fehlen die personellen Ressourcen. Frauen und
Mädchen mit Behinderungen sind von Angeboten zum Schutz gegen Gewalt
häufig ausgeschlossen, da diese nicht flächendeckend barrierefrei zur Verfügung
stehen. Die Mitarbeiterinnen gleichen dieses Defizit häufig mit einem hohen
Maß an persönlichen Einsatz aus, ohne dabei selbst Unterstützung in Form
Fortbildungen und Supervision zu erhalten. Das Arbeitsentgelt entspricht in
vielen Fällen nicht dem Aufgabenprofil und den Belastungen am Arbeitsplatz.

Die vorgelegten Berichte müssen jetzt zu einer Reform der Finanzierung führen
und nicht, wie in der Vergangenheit, nur zur Kenntnis genommen und über
Legislaturperioden hinaus verschoben werden. Im Zentrum der Überlegungen
müssen die Unterstützung und der Schutz von gewaltbetroffenen Frauen und
deren Kindern stehen. Die Finanzierung muss dafür verlässlich geregelt wer-
den, anstatt durch die ewig währenden Blockaden innerhalb der Diskussionen

die Neugestaltung und Verbesserung des Unterstützungsnetzes ein weiteres
Mal zu verschieben.

Drucksache 17/12850 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die notwendigen Konsequenzen aus den von ihr und anderen vorgelegten
Berichten zu ziehen und innerhalb einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe darauf
hinzuwirken, dass die Ausgestaltung und Finanzierung des Unterstützungs-
netzes bundesweit bedarfsgerecht geregelt wird;

2. die Bundesländer dabei zu unterstützen, ihre Bedarfsplanung zu verbessern.
Qualitätsstandards müssen gemeinsam mit den Einrichtungen geschaffen,
Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit mit gedacht werden. Durch diese
gemeinsame Qualitätssicherung werden bundesweit vergleichbare Standards
festgelegt und weitere, erforderliche Monitoringprozesse erleichtert. Hierfür
müssen die Mitarbeiterinnen entsprechend ihrer Aufgaben und der Bedarfe
mit Ressourcen ausgestattet und tarifgerecht entlohnt werden. Bisher unzu-
reichend ausgestattete Aufgabenbereiche, wie die Unterstützung und
Betreuung von Kindern der betroffenen Frauen, die Arbeit mit Sucht- und
psychisch erkrankten sowie anderweitig beeinträchtigten Frauen müssen zu-
künftig besser berücksichtigen werden;

3. den anfallende Mehrbedarf durch die Einrichtung des bundesweiten Hilfe-
telefons bei der Reformierung mit zu berücksichtigen.

4. innerhalb der Verhandlungen mit den Bundesländern zu prüfen, ob eine neue
Regelung

a) über eine Entbürokratisierung der Leistungsansprüche des Zweiten und
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB II, SGB XII) möglich wäre oder
unabhängig von diesen ausgestaltet werden muss;

b) in einem eigenen (Geld-)Leistungsgesetz festgelegt werden sollte;

c) den Betroffenen einen Rechtsanspruch auf Geldleistung für den Zweck des
Aufenthalts in einem Frauenhaus oder einer anderer Schutzeinrichtung
sowie der ambulanten Versorgung einräumen sollte;

d) eine finanzielle Beteiligung durch den Bund nach Artikel 104a Absatz 3
des Grundgesetzes (GG) vorsehen sollte;

e) den denkbaren Anspruch auf Geldleistung von den betroffenen Personen
auf die Einrichtungen abtreten lassen könnte, um somit eine direkte
Finanzierung der Einrichtungen zu ermöglichen.

Berlin, 20. März 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Gewalt gegen Frauen ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches
Problem. Hilfe und Schutz bei Gewaltbetroffenheit ist eine staatliche Verpflich-
tung. Die Finanzierung des Unterstützungsnetzes muss bundeseinheitlich und
bedarfsgerecht geregelt werden.

Die Bedarfsplanung muss durch die Länder erfolgen, da die Bedarfe regional
variieren. Gemeinsame Standards sorgen dabei für Qualität und schaffen die
Voraussetzung für staatliche Finanzierung. Es fehlt derzeit an personellen
Ressourcen in der qualifizierten Unterstützung von Kindern, die zusammen mit

ihren Müttern im Frauenhaus leben sowie bei der Arbeit mit suchterkrankten
und psychisch erkrankten und anderweitig beeinträchtigten Frauen. Bisher wenig

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12850

beachtete Aufgabenfelder wie Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit müssen
zukünftig stärker eingeplant werden. Zusätzlich ist der zu erwartende Mehr-
bedarf durch die Einrichtung des bundesweiten Hilfetelefons zu berücksichtigen.
Regelmäßige Monitoringprozesse müssen einführt werden, um Verbesserungen
und weitere Bedarfe sichtbar zu machen.

Die Finanzierung über Tagessätze hat insbesondere bei kurzen Aufenthalten zu
Problemen geführt. Nicht alle Frauen haben Anspruch auf Leistungen nach
dem SGB II und dem SGB XII und müssen den Tagessatz für den Aufenthalt
im Frauenhaus dann selbst aufbringen. Laut Bewohnerinnenstatistik der Frauen-
hauskoordinierung verfügen während des Frauenhausaufenthalts jedoch nur
etwa 15 Prozent der Frauen über ein eigenes Einkommen (s. hierzu Antwort-
schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dr. Hermann Kues auf die Frage zur
Verschuldung von Frauen in Zusammenhang mit ihrem Aufenthalt im Frauen-
haus vom 27. Dezember 2012). In beiden Fällen ist der bürokratische Aufwand
hoch und verhindert eine sofortige Aufnahme im Frauenhaus, da die Mitarbei-
terinnen in Situationen akuter Notfälle zunächst die Formalien prüfen müssen.

Durch ein eigenes Geldleistungsgesetz könnte den von Gewalt bedrohten
Frauen und deren Kindern ein Rechtsanspruch auf Leistungen zur Finanzierung
des Aufenthalts in einem Frauenhaus und ambulanten Versorgung verschafft
werden. Diese Geldleistungen könnten durch den Bund getragen werden. Nach
Artikel 104a GG können Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von
den Ländern ausgeführt werden, Regelungen in der Weise treffen, dass die
Geldleistungen ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden.

Diese Geldleistungen könnten daran geknüpft sein, dass sie nur zu einem Auf-
enthalt in einem zertifizierten Frauenhaus berechtigen. Die Zertifizierung dient
dem Zweck, die Qualität der Angebote zu garantieren.

Durch die Möglichkeit der Abtretung dieses Anspruchs der Betroffenen an das
jeweilige Frauenhaus könnte dieses die Kosten direkt abrechnen.

Eine einheitliche Finanzierungsform erleichtert auch die Finanzierung in den
Fällen, in denen Frauen zum Schutz ihren Wohnort oder ihr Bundesland verlassen
und führt zu einer Transparenz der Kosten, die durch die bisher uneinheitlichen
Regelungen kaum erhoben werden können. Durch die derzeit vielerorts un-
sichere Finanzierung müssen die Fachstellen viel Zeit aufwenden, um durch auf-
wändige Finanzierungsanträge ihre Arbeit zu sichern. Diese Zeit können sie
nicht für die Arbeit mit den Frauen und Kindern nutzen. Die Mitarbeiterinnen
gleichen die Mängel der derzeitigen Regelungen häufig mit einem hohen Maß an
persönlichen Einsatz aus. Die personellen Ressourcen müssen bedarfsgerecht
aufgestockt und entlohnt werden.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.