BT-Drucksache 17/12788

Ausmaß staatlicher und privater Videoüberwachung

Vom 14. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12788
17. Wahlperiode 14. 03. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Jens Petermann,
Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Ausmaß staatlicher und privater Videoüberwachung

Die Überwachung durch Videokameras ist auch in Deutschland eine weitver-
breitete Maßnahme, mit der Straftaten verhindert und aufgeklärt werden sollen.
Jede Videoüberwachung stellt allerdings auch einen Eingriff in die Grundrechte
der von der Überwachung betroffenen Menschen dar.

In den letzten 20 Jahren hat sich die Videoüberwachung (VÜ), beschleunigt
durch den technischen Fortschritt und sinkende Preise, in Deutschland massiv
ausgebreitet. So waren Ende 2012 allein in Bayern mehr als 17 000 Kameras, die
von staatlichen Stellen oder in deren Auftrag betrieben werden, im öffentlichen
Raum installiert – das geht aus einer Aufstellung des Freistaates hervor, die der
„Süddeutschen Zeitung“ im Februar 2013 vorgelegt wurde (www.sueddeutsche.de
vom 27. Februar 2013 „Spähangriff mit 17 000 Kameras“). Dazu kommen die
bislang nicht erfassten privaten und privatwirtschaftlich genutzten Videoüber-
wachungsanlagen. Im Vergleich zum Jahr 2008 stieg die Zahl der staatlichen
Kameras in Bayern laut dem Bericht um 5 500. Weiterhin heißt es, dass von den
17 000 Kameras 4 621 der öffentlichen Sicherheit dienen, 6 455 dem Objekt-
schutz und 1 512 der Überwachung des Verkehrs. Überwacht werden dabei
Bahnhöfe, Kindergärten, Krankenhäuser, Marktplätze, Tankstellen, Volksfeste,
Tiefgaragen, Busse und Bahnen, Hauseingänge, Toilettenanlagen und noch viele
weitere Orte. Für Bayerns Datenschutzbeauftragten Thorsten Petri sei damit ein
Trend erkennbar, dessen Fortsetzung bedenklich wäre. Auf Nachfrage rechtfer-
tigte das Bayerische Staatsministerium des Innern diese Entwicklung damit,
dass die Videoaufzeichnung für Prävention, Fahndung und Tataufklärung ein
unverzichtbares Hilfsmittel darstelle.

In Deutschland gibt es bisher erst wenige Studien, die die tatsächliche Effizienz
der öffentlichen Videoüberwachung als Instrument der Kriminalitätsbekämp-
fung differenziert und umfänglich untersuchen. Anders in Großbritannien, das
als das am stärksten videoüberwachte Land Europas gilt. Hier verfolgen mehr
als vier Millionen Kameras die Bürger auf Schritt und Tritt. Obwohl jede Bür-
gerin und jeder Bürger Londons statistisch betrachtet im Durchschnitt 300 Mal
pro Tag von Kameras erfasst wird, kam schon vor Jahren einem internen Be-
richt der London Metropolitan Police zufolge auf 1 000 Überwachungskameras

in der britischen Hauptstadt lediglich die Aufklärung von nur einer Straftat. Die
geringe Effizienz der VÜ wird vor allem der mangelhaften Auswertung des
Videomaterials zugeschrieben (www.heise.de vom 25. August 2009 „Britischer
Polizeibericht: Videoüberwachung ist ineffizient“).

Dennoch führt hierzulande jede ausufernde Gewalttat immer wieder zu einer
Debatte, die eine verstärkte Videoüberwachung im öffentlichen Raum fordert.
Zuletzt geschehen nach dem vermeintlichen Terroranschlagsversuch am Bonner

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Hauptbahnhof und nach der tödlichen Prügelattacke auf einen Jugendlichen am
Berliner Alexanderplatz. So äußerte sich der Bundesminister des Innern,
Dr. Hans-Peter Friedrich, unmittelbar nach den Vorfällen in Bonn mit den
Worten: „Wir brauchen eine effiziente Videoüberwachung und Videoaufzeich-
nung auf öffentlichen Plätzen und Bahnhöfen“. Mit „verstärkter und verbesser-
ter Videotechnik“ ließen sich „Gewalttäter abschrecken und Straftaten und ge-
plante Anschläge aufklären“ („Deutsche wollen mehr Videoüberwachung“,
www.spiegel.de, 21. Dezember 2012). Um die angebliche Notwendigkeit und
Sinnhaftigkeit der VÜ im öffentlichen Raum zu belegen, ließ der Bundesinnen-
minister durch seine Sprecherin ein paar Zahlen verlautbaren: So seien im Zeit-
raum vom 1. Januar 2011 bis zum 30. April 2012 mittels Videotechnik 3 639
Straftaten entdeckt und davon 1 230 Straftaten aufgeklärt worden („Rot-Grün
gegen mehr Kameras“, www.taz.de, 17. Dezember 2012). Das entspräche im-
merhin fast einem Drittel der entdeckten Vergehen. Bis heute konnte jedoch
nicht einschlägig belegt werden, woher diese Zahlen überhaupt stammen, in
welchem Zusammenhang sie erhoben wurden und in welchem Verhältnis sie zur
Gesamtkriminalität stehen.

Wie das Beispiel Niedersachsen zeigt, gehen mit der zunehmenden VÜ des
öffentlichen und privaten Raums dagegen oftmals eklatante Rechtsverstöße
einher. Nach einer Untersuchung des Landesbeauftragten für den Datenschutz
(LfD) in Niedersachsen, in der von Dezember 2008 bis März 2010 Informatio-
nen über die von einem Großteil der Landesbehörden und von 34 Kommunen
eingesetzten Videokameras abgefragt wurden, verstießen niedersächsische
Behörden und Kommunen beim Betrieb von Videokameras in 99 Prozent der
3 345 überprüften Geräte gegen datenschutzrechtliche Vorschriften (Presse-
information des Landesbeauftragten für den Datenschutz Niedersachsen vom
20. April 2010 „Zahlreiche Rechtsverstöße bei der Videoüberwachung“).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Aus welcher Erhebung stammen die von der Sprecherin des Bundesinnen-
ministeriums vorgetragenen Zahlen, und wer hat diese Erhebung wann und
in wessen Auftrag durchgeführt (bitte das einschlägige Dokument der Ant-
wort beifügen)?

2. Welche weiteren Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Effektivität
der öffentlichen Videoüberwachung, und woher stammen diese?

3. Plant die Bundesregierung eine mit der in der Vorbemerkung der Fragesteller
erwähnten niedersächsischen vergleichbare Untersuchung auch für die in
seiner Verantwortung befindlichen VÜ-Anlagen durchführen zu lassen?

Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt?

Wenn nein, warum nicht?

4. Welche Position hat die Bundesregierung zu der Forderung nach der Ein-
führung eines bundesweiten öffentlich einsehbaren Katasters für jede ein-
zelne Videoüberwachungskamera, egal ob ihre Nutzung durch öffentliche
Stellen oder privat erfolgt?

5. Plant die Bundesregierung eine gesetzliche Regelung, wonach zukünftig die
Installation und der Betrieb jeder einzelnen Videokamera erfasst, eine nach-
vollziehbare Begründung für ihren Einsatz und regelmäßige Überprüfung
sowie bei Verstößen auch eine bußgeldbewerte Sanktionierung vorgesehen
ist?

Wenn ja, wann ist damit zu rechnen?
Wenn nein, warum nicht?

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6. Ist der Bundesregierung bekannt, ob auch die anderen Bundesländer wie
Bayern die Installation von Videokameras im öffentlichen Raum statistisch
erfassen?

Wenn ja, welche Bundesländer sind das, und durch wen wird die Erfassung
jeweils durchgeführt?

7. Wie viele durch Bundesbehörden angeordnete bzw. betriebene Kameras
überwachen den gesamtdeutschen öffentlichen Raum, und welche Ziele
werden damit verfolgt (bitte nach Anzahl der Kameras in den Bundes-
ländern und Zweck der Installation aufschlüsseln)?

8. Welche öffentlichen Räume (z. B. Schwimmbäder, Straßen und Plätze,
Schulen, Museen) werden nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutsch-
land besonders mit Videokameras überwacht, und welche belegbaren
Ergebnisse hat diese Überwachung erbracht?

9. Wie viele Bahnhöfe werden nach Kenntnis der Bundesregierung in der
Bundesrepublik Deutschland mit Videokameras überwacht, wie viele da-
von sind mit Aufzeichnungstechnik versehen, und welche Ziele werden mit
der Überwachung verfolgt (bitte nach Bundesländern und Bahnhöfen in
Orten mit weniger und mehr als 50 000 Einwohnern aufschlüsseln)?

10. Werden in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile auch Autobahnen
oder Autobahnabschnitte dauerhaft mit Videokameras überwacht?

Wenn ja,

a) wo und zu welchen einzelnen Zwecken wurde die VÜ jeweils eingerich-
tet,

b) in welchen Fällen ist die VÜ auch zur (automatischen) Identifizierung
von Fahrzeugen geeignet,

c) in wie vielen Fällen davon ist die VÜ ausreichend und frühzeitig für die
Verkehrsteilnehmer gekennzeichnet,

d) durch wen werden diese VÜ-Anlagen jeweils auf welcher gesetzlichen
Grundlage betrieben?

11. Hat die Bundesregierung im Detail Kenntnis über VÜ-Anlagen, die poten-
tiell dazu in der Lage sind, eine Identifizierung der überwachten Menschen
z. B. anhand biometrischer Merkmale vorzunehmen?

Wenn ja, wo befinden sich diese Anlagen, und aus welchem konkreten
Grund wurden sie jeweils von wem installiert?

Wenn nein, hat die Bundesregierung Kenntnis von entsprechenden Planun-
gen, und wie sehen diese aus?

12. Hat die Bundesregierung im Detail Kenntnis über VÜ-Anlagen, die mit
Verhaltensmustererkennungssystemen verknüpft sind?

Wenn ja, wo befinden sich diese Anlagen, und aus welchem konkreten
Grund wurden sie jeweils von wem installiert?

Wenn nein, hat die Bundesregierung Kenntnis von entsprechenden Planun-
gen, und wie sehen diese aus?

13. Welche Projekte zur Entwicklung der in den Fragen 11 und 12 angespro-
chenen Instrumente oder Programme sowie sonstigen Projekte zur Video-
überwachung und -erkennung werden in welcher Höhe aus welchen For-
schungsprogrammen der Bundesregierung gefördert bzw. finanziert, und
wer ist daran jeweils beteiligt?

14. Welche Kosten entstanden der Bundesregierung durch die öffentliche

Videoüberwachung im gesamtdeutschen Raum in den Jahren 2005 bis 2013,
und welchen Etat sah der jeweilige Bundeshaushalt dafür vor?

Drucksache 17/12788 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
15. Welche Zugriffsmöglichkeiten haben welche Sicherheits- und Ermittlungs-
behörden des Bundes und nach Kenntnis der Bundesregierung der Länder
auf welcher gesetzlichen Grundlage auf die Bilder und Aufzeichnungen
von Kameras im öffentlichen Raum?

16. Hat die Bundesregierung Kenntnis und gegebenenfalls Statistiken darüber,
wie oft welche Sicherheits- und Ermittlungsbehörden des Bundes und der
Länder auf die Bilder und Aufzeichnungen der Videokameras im öffent-
lichen Raum in dem Zeitraum von 2005 bis 2013 zugegriffen haben (wenn
ja, bitte entsprechend aufschlüsseln)?

Wenn nein, warum nicht?

17. Wie viele Ermittlungsverfahren führten nach Kenntnis der Bundesregierung
seit dem 1. Januar 2009 wesentlich oder ausschließlich aufgrund von Bild-
material aus Überwachungskameras zu Anklagen (bitte nach Jahren, Art der
Straftat und Anteil der Erkenntnisse durch VÜ an der Aufklärung – wesent-
lich und ausschließlich – aufschlüsseln)?

18. Wie viele dieser Ermittlungsverfahren endeten nach Kenntnis der Bundes-
regierung mit welchem Strafmaß und mit einer Verurteilung im Sinne der
Anklage (bitte genaue Auflistung)?

19. In wie vielen Fällen werden derzeit Terrorverdächtige, sogenannte Kontakt-
personen, Gefährder und andere in der Anti-Terror-Datei geführte Personen
und in der Rechtsextremismusdatei (RED) erfasste Personen mit Video-
kameras verdeckt überwacht (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

20. In wie vielen Fällen werden derzeit verdeckte Videoüberwachungen im Zu-
sammenhang mit anderen Straftaten durch Sicherheitsbehörden des Bundes
durchgeführt (bitte nach Anzahl, Sicherheitsbehörde und Art der – ver-
muteten – Straftat aufschlüsseln)?

21. Wie viele Personen waren nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem
11. September 2001 bis heute von gezielten Videoüberwachungsmaßnah-
men zur Verhinderung oder Aufdeckung von Straftaten und terroristischen
Aktivitäten durch deutsche Sicherheitsbehörden betroffen (bitte nach An-
zahl, Sicherheitsbehörde und Datum aufschlüsseln)?

22. In wie vielen Fällen führte nach Kenntnis der Bundesregierung die VÜ zur
Verhinderung von Straftaten und zur Aufdeckung terroristischer Aktivitäten,
und um welche Art von Straftaten handelte es sich jeweils dabei?

23. Welche Studien sind nach Ansicht der Bundesregierung geeignet zur Be-
urteilung von Videoüberwachungsmaßnahmen, und hat die Bundesregie-
rung selbst solche Studien zu Auswirkungen, Umfang und Effizienz der
VÜ in Auftrag gegeben?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

24. Welche Forschungsvorhaben hat die Bundesregierung von 1990 bis Ende
2012 finanziell unterstützt (bitte nach Forschungsprojekt, Jahren, Höhe der
Förderung und beteiligten Forschungseinrichtungen und Unternehmen auf-
listen)?

Berlin, den 14. März 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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