BT-Drucksache 17/12708

Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei als Wirtschafts- und Finanzermittlungsbehörde

Vom 13. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12708
17. Wahlperiode 13. 03. 2013

Antrag
der Abgeordneten Frank Tempel, Jan Korte, Agnes Alpers, Nicole Gohlke,
Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Jens Petermann, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei als Wirtschafts- und
Finanzermittlungsbehörde

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Gesamtverluste durch Finanz- und Wirtschaftskriminalität einschließ-
lich illegalem Waffenhandel, Subventionsbetrug, Korruption, Geldwäsche
und anderem fügen Wirtschaft und Staat jährlich Schaden in unterschiedlich
bezifferter Milliardenhöhe zu. Je nach Erfassungskriterien und Berech-
nungsgrundlagen reichen die Schadensermittlungen von etwa 4 bis zu etwa
50 Mrd. Euro jährlich. Das Bundeskriminalamt stellt für das Jahr 2011 fest,
dass die von ihm erfasste Wirtschaftskriminalität bei einem Anteil von nur
1,8 Prozent die Hälfte des Schadens verursacht, der durch die in der Polizei-
lichen Kriminalstatistik erfassten Kriminalitätsphänomene entstanden ist.
Das illegal in die Schweiz verbrachte Geldvermögen wird auf 150 Mrd.
Euro geschätzt.

2. Organisation und Ausrichtung der zur Bekämpfung dieser Kriminalität ge-
schaffenen Instrumentarien bei Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Zoll
sind dieser Entwicklung nicht mehr gewachsen. Sie müssen dringend auf die
Höhe der Zeit gebracht, d. h. neu strukturiert und ausgerichtet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Voraussetzungen für eine im
Verantwortungsbereich des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) ange-
siedelte Bundesfinanzpolizei (BFinPol) mit folgenden Merkmalen und Auf-
gaben geschaffen werden:

– Aus der Bundeszollverwaltung wird eine selbstständige, originär polizei-
lich ausgerichtete BFinPol – verfassungsrechtlich eine Polizei mit be-
grenzten Aufgaben – ausgegliedert. Sie hat vor allem die Aufgabe, orga-
nisierte Geldwäsche, Außenwirtschaftskriminalität, Subventionsbetrug,
organisierten Schmuggel (Waffen, geschützte Tiere oder Pflanzen), Ver-

stöße beim Verbraucherschutz (z. B. kontaminierte Lebensmittel) zu be-
kämpfen, also Kriminalitätsformen, die vorrangig im Zusammenhang mit
grenzüberschreitenden Geld-, Wirtschafts-, und Handelsbeziehungen
stattfinden.

– Der dreigliedrige Verwaltungsaufbau des bisherigen Zolls wird zugunsten
einer zweigliedrigen Struktur aufgehoben.

Drucksache 17/12708 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– Die Ermittlungs-, Fahndungs- und Kontrolleinheiten des Zolls werden
gebündelt und erhalten eine einheitliche Führung und Fachaufsicht.

– Für die Vollzugsbeamten der BFinPol gilt das Bundespolizeibeamtenge-
setz, ein eigenes Laufbahnrecht nach den Regelungen des Bundespolizei-
gesetzes wird entwickelt;

2. zu diesem Zweck eine Projektgruppe aus den betroffenen Bundesbehörden,
einschließlich der Personalvertretungen einzurichten, zu der auch Vertrete-
rinnen und Vertreter derjenigen Berufs- und Fachverbände hinzugezogen
werden, die bisher Konzeptionen für eine Neu- oder Umstrukturierung in
diesem Bereich vorgelegt haben;

3. einen Gesetzentwurf vorzulegen, um die rechtlichen und organisatorischen
Voraussetzungen für einen vom Bundestag gewählten und diesem verant-
wortlichen Bundesfinanzpolizeibeauftragten zu schaffen, der die Einhaltung
gesetzlicher Regelungen und bürgerrechtlicher Standards durch die BFinPol
kontrollieren kann. Für die allgemeine Kontrolle dieser neuen Bundespolizei
soll parlamentarisches Kontrollgremien eingerichtet werden;

4. eine Evaluierung der besonderen Befugnisse und Rechtsgrundlagen der
Zollfahndung und des Zollkriminalamts durchzuführen, die Schnittstellen zu
Aufgaben und Abteilungen des Bundeskriminalamts und der Bundespolizei
zu überprüfen und ggf. Doppelzuständigkeiten zugunsten der neuen BFinPol
aufzulösen.

Berlin, den 13. März 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Wirtschaftskriminalität und Korruption schaden der wirtschaftlichen Leistungs-
fähigkeit, verhindern Einnahmen der öffentlichen Haushalte und reduzieren die
Mittel für öffentliche Investitionen. Sparmaßnahmen, Kürzungen und Streichun-
gen im sozialen Bereich und bei den Kultur- und Bildungsangeboten führen zu
berechtigtem Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in Politik und staat-
liche Maßnahmen, wenn gleichzeitig schwere Wirtschafts- und Finanzkrimina-
lität nicht verfolgt wird. Die systematische Steuerhinterziehung im Ausland, der
Anlagebetrug, der illegale grenzüberschreitende Waffenhandel und die interna-
tional organisierte Geldwäsche werden nicht konsequent genug bekämpft und
spielen seit Jahren bei allen Reformen der Sicherheitsarchitektur und der Polizeien
des Bundes allenfalls auf Nebenbühnen eine Rolle.

Finanzielle Argumente gegen neues Personal und neue Konzeptionen im
Bereich der Finanz- und Wirtschaftskriminalität sind unglaubwürdig angesichts
einer Personalaufstockung um fast 800 Stellen alleine beim Bundeskriminal-
amt, die praktisch ausschließlich zur Bekämpfung des islamistischen Terroris-
mus eingesetzt werden. Das heutige System der Bekämpfung von Finanz- und
Wirtschaftskriminalität in der Bundesrepublik Deutschland hat aber ganz er-
heblichen Reformbedarf. Insbesondere die Bundeszollverwaltung, die für die
Hälfte der Einnahmen der Bundessteuern Verantwortung trägt, entspricht nicht
mehr den Anforderungen globalisierter Finanz- und Warenströme. Die aktuelle
Struktur ist an den Erfordernissen einer originären Finanzverwaltung ausge-
richtet, die sich vorrangig als Dienstleister gegenüber der Wirtschaft versteht

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12708

und polizeiliche Vollzugsaufgaben, wie z. B. die Verfolgung von Wirtschafts-
kriminalität, als nachgeordnete Aufgabe betrachtet.

Die Ermittlungseinheiten der 43 Hauptzollämter sind durch ihre kleinräumige
Aufstellung allzu oft politischer Einflussnahme ausgesetzt. Die Zersplitterung,
unzureichende Vernetzung und regionale Bezogenheit verhindern eine effektive
Durchführung von Vollzugsaufgaben. Die Folge davon ist u. a. eine viel zu ge-
ringe Kontrolldichte zur Verhinderung von illegalen Geldtransfers zum Beispiel
an der Grenze zur Schweiz. Lediglich 0,2 Prozent aller grenzüberschreitenden
Warenlieferungen werden geprüft. Verstöße bleiben unbemerkt, Zolleinnahmen
unterbleiben. Für die Aufklärung bekannter Betrügereien mit Umsatzsteuerrück-
erstattungen bei Scheingeschäften mit vermeintlichen Warenlieferungen fehlen
die Kapazitäten.

Die bisherige Zollverwaltung soll unter Wegfall der aufgeblähten Mittelbehör-
den in eine Bundesfinanzdirektion und eine BFinPol aufgespalten werden. Die
BFinPol wird dem BMF zugeordnet bleiben. Eine auch denkbare Angliederung
an das Bundesministerium des Innern bzw. an die Bundespolizei wird nicht an-
gestrebt, um die Zusammenarbeit mit der Bundesfinanzdirektion zu erhalten
und eine unangemessene Kompetenz- und Befugniserweiterung für die Bundes-
polizei zu vermeiden. Eine Superbehörde soll nicht entstehen. Ein parlamenta-
risch bestellter Bundesfinanzpolizeibeauftragter und ein parlamentarisches Kon-
trollgremium sollen die Einhaltung gesetzlicher Regelungen und bürgerrecht-
licher Standards durch die BFinPol kontrollieren.

Die Mitarbeiter der Bundeszollverwaltung leiden, wie Angestellte und Beamte
anderer Verwaltungen des Bundes und der Länder, unter einer enormen Aufga-
benverdichtung. Es werden immer neue Aufgaben aufgebürdet ohne ent-
sprechende Personalstellen zu schaffen. Beispiele dafür sind die Erhebung der
Luftverkehrs- und der Kraftfahrzeugsteuer. Der Aufbau einer BFinPol muss
deshalb mit einer umfassenden Aufgabenkritik einhergehen. Das Hauptaugen-
merk muss auf der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität erheblichen Aus-
maßes liegen. Vollstreckungsaufgaben für die Bundesagentur für Arbeit, die ge-
setzlichen Krankenkassen und die Berufsgenossenschaften müssen anderweitig
vollzogen werden.

Die Trennung der unterschiedlichen Bereiche der bisherigen Bundeszollver-
waltung soll sich in einer spezialisierten kriminalistischen und fiskalisch orien-
tierten Ausbildung niederschlagen.

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