BT-Drucksache 17/1253

"Goldstone-Bericht" über mutmaßliche Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg

Vom 25. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1253
17. Wahlperiode 25. 03. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annette Groth, Jan van Aken, Dr. Diether Dehm, Wolfgang
Gehrcke, Harald Koch, Niema Movassat, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

„Goldstone-Bericht“ über mutmaßliche Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg

Aufgrund der verheerenden Auswirkungen von Zerstörung und Gewalt bei der
Gaza-Offensive „Gegossenes Blei“ vom 27. Dezember 2008 bis 18. Januar 2009
wurde international der Ruf nach unabhängigen Untersuchungen über mögliche
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit laut.

Im Januar 2009 beschloss der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, eine
Untersuchungskommission nach Israel und in die palästinensischen Gebiete zu
entsenden. Diese wurde am 3. April 2009 durch den Vorsitzenden des Men-
schenrechtsrates gegründet. Am 29. September 2009 hat der Leiter der Unter-
suchungskommission, Richard Goldstone, dem Menschenrechtsrat der Verein-
ten Nationen einen 575-seitigen Bericht über mutmaßliche israelische und
palästinensische Kriegsverbrechen im Kontext der Kriegshandlungen vorgelegt.

In Resolution A/64/10 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom
5. November 2009 wurde der „Goldstone-Bericht“ bestätigt. Die Resolution
wurde mit 114 gegen 18 Stimmen und 44 Enthaltungen angenommen. Deutsch-
land hat gegen die Resolution gestimmt.

Die israelische Regierung und die palästinensische Vertretung wurden in dem
Bericht der Kommission aufgefordert, binnen sechs Monaten unabhängige Un-
tersuchungskommissionen einzurichten, die die Vorwürfe untersuchen sollten.
Nach drei Monaten, Ende Januar 2010, sollten Berichte über den Stand der
Untersuchungen an die Vereinten Nationen geleitet werden. Ende Januar 2010
übergab die israelische Regierung einen 45-seitigen Bericht über armee-interne
Untersuchungen. Von der Hamas wurde Anfang Februar 2010 ein 81- seitiger
Bericht an die Vereinten Nationen übergeben. Vom Ständigen Beobachter der
palästinensischen Gebiete bei den Vereinten Nationen wurde ein Schreiben von
Premierminister Salam Fayyad übermittelt, in dem die Einrichtung einer Unter-
suchungskommission im Westjordanland angekündigt wurde. Weder der israe-
lische noch der palästinensische Bericht entsprachen nach Aussagen von inter-
nationalen Menschenrechtsorganisationen den Forderungen des „Goldstone-
Berichtes“ nach unabhängigen, unparteilichen, transparenten und effektiven

Untersuchungen.

Am 26. Februar 2010 wurde die neue Resolution A/64/L/48 der Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen mit 98 gegen 7 Stimmen und 31 Enthaltungen
angenommen. Deutschland hat sich bei der Abstimmung enthalten. Die Reso-
lution bekräftigte die Forderungen der Resolution 10/64 nach unabhängigen
Untersuchungen in Israel und den palästinensischen Gebieten. Der Generalsek-
retär wurde aufgefordert, der Generalversammlung innerhalb von fünf Monaten

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über die Erfüllung der Resolution zu berichten und weiteres Handeln zu er-
wägen, wenn nötig, durch die einschlägigen Organe und Gremien der Vereinten
Nationen, inklusive des Weltsicherheitsrates.

In der Resolution des Europäischen Parlaments vom 10. März 2010 wurden die
einschlägigen Resolutionen der Vereinten Nationen zum „Goldstone-Bericht“
bestätigt und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgefordert, dafür
einzutreten, dass die Empfehlungen des „Goldstone-Berichtes“ umgesetzt wer-
den.

Internationale, israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen
appellieren nach wie vor eindringlich an die internationale Gemeinschaft, sich
für eine adäquate Untersuchung der Vorwürfe einzusetzen. Dies sei den zivilen
Opfern geschuldet, aber auch notwendig, um weiteren Aggressionen vor-
zubeugen und einem Klima der Straflosigkeit in der Region entgegenzuwirken.
Israelische Menschenrechtsorganisationen betonen darüber hinaus das Recht
und die Pflicht der israelischen Gesellschaft, zu erfahren, welche Kriege zu wel-
chen Regeln in ihrem Namen geführt werden.

Im Falle, dass Israel und die palästinensische Seite keine strafrechtlichen Ermitt-
lungen einleiten, die seinen Vorgaben genügen, verweist der „Goldstone-Be-
richt“ auf das Weltrechtsprinzip. Danach könnten Strafverfolger, vor allem aus
Europa, den Bericht als Grundlage für die Eröffnung von Strafverfahren nach
den jeweiligen eigenen Gesetzen benutzen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie begründet die Bundesregierung ihre Ablehnung der Resolution 64/10?

2. Wie begründet die Bundesregierung ihr verändertes Abstimmungsverhalten
bei der Resolution A/64/L/48, in der die Resolution 10/64 bestätigt wird und
in den Nummern 2 und 3 die israelische Regierung und die palästinensische
Seite aufgefordert werden, gemäß den Vorgaben des „Goldstone-Berichtes“,
unabhängige, glaubwürdige, internationalen Standards entsprechende Unter-
suchungen, durchzuführen?

3. Wie sollten nach Auffassung der Bundesregierung die Vorwürfe der Kriegs-
verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich unter-
sucht werden, um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen sowie wei-
teren Aggressionen und einem Klima der Straflosigkeit in der Region
entgegenzuwirken?

4. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Untersuchungskommission
der Vereinten Nationen unter der Leitung von Richard Goldstone ihr Mandat
überschritten hat?

Wenn ja, was wäre nach Auffassung der Bundesregierung ihr Mandat gewe-
sen?

5. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der „Goldstone-Bericht“ ten-
denziös ist?

Wenn ja, wie begründet und belegt sie ihre Auffassung?

6. Genügt nach Auffassung der Bundesregierung der bisherige Bericht der
israelischen Regierung über armee-interne Ermittlungen den Forderungen
des „Goldstone-Berichtes“ nach unabhängigen, unparteilichen, transparenten
und effektiven Untersuchungen?

a) Wenn ja, wie wird diese Auffassung von der Bundesregierung begründet?

b) Wenn nein, welche diplomatischen Maßnahmen will die Bundesregierung
gegenüber Israel in bilateralen Beziehungen sowie im Rahmen der Verein-

ten Nationen und der EU ergreifen, um den Forderungen des „Goldstone-
Berichtes“ Nachdruck zu verleihen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1253

7. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über den bzw. die
Berichte der palästinensischen Seite vor, und wie ist der dortige Stand der
Untersuchungen?
a) Erfüllen nach Auffassung der Bundesregierung die ihr bekannten paläs-

tinensischen Berichte die Forderungen des „Goldstone-Berichtes“?
b) Wenn nein, welche diplomatischen Initiativen will die Bundesrepublik

Deutschland gegenüber der palästinensischen Seite in bilateralen Bezie-
hungen sowie im Rahmen der Vereinten Nationen und der EU ergreifen,
um den Forderungen des „Goldstone-Berichtes“ nach unabhängigen,
unparteilichen, transparenten und effektiven Untersuchungen auf paläs-
tinensischer Seite Nachdruck zu verleihen?

8. Trifft es zu, dass die Bundesregierung sich auf bilateraler Ebene bereits für
unabhängige Untersuchungen in Israel und den palästinensischen Gebieten
einsetzt?
Wenn ja, warum unterstützt sie die Forderung nach unabhängigen Unter-
suchungen nicht im Rahmen der Vereinten Nationen, die durch solch eine
Umgehung entwertet würden?

9. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der Empfehlung des
„Goldstone-Berichtes“ an den Weltsicherheitsrat, ein unabhängiges Ex-
pertengremium einzuberufen, um die israelischen und palästinensischen
Untersuchungen zu kontrollieren?

10. Trifft es zu, dass die Bundesregierung es bevorzugt hätte, dass der
„Goldstone-Bericht“ nur vom Menschenrechtsrat behandelt worden wäre
und die einschlägigen Resolutionen keine Verweisung an den Weltsicher-
heitsrat enthalten hätten?
a) Wenn ja, warum?
b) Welche Konsequenzen hätte dies nach Auffassung der Bundesregierung

für die Chancen auf strafrechtliche Verfolgung nach sich gezogen?

11. Welche Chancen sieht die Bundesregierung für eine strafrechtliche Verfol-
gung im Falle, dass sich die israelische und palästinensische Seite weigern,
unabhängige Untersuchungen durchzuführen
a) in den europäischen Nationalstaaten nach dem Weltrechtsprinzip,
b) durch Verweisung des Weltsicherheitsrates an den Internationalen Straf-

gerichtshof,
c) durch direkte Anrufung des Internationalen Strafgerichtshofes durch die

palästinensische Vertretung nach Artikel 12 Absatz 3 des Rom-Statuts?

12. Wie entwickelt sich nach Informationen der Bundesregierung derzeit die
öffentliche Meinung in Israel bezüglich der Durchführung von unabhän-
gigen Untersuchungen entsprechend den Forderungen des „Goldstone Be-
richtes“, und wie bewertet sie die diesbezüglichen Stellungnahmen von
Regierungsmitgliedern und Inhabern öffentlicher Ämter?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung aktuelle Meinungsumfragen in Israel
bezüglich der Glaubwürdigkeit der Aussagen von Soldaten und Soldatinnen
während der Offensive „Gegossenes Blei“?

14. Wie bewertet die Bundesrepublik Deutschland die Chancen auf Wieder-
aufnahme von Friedensverhandlungen, wenn die Vorwürfe der Kriegsver-
brechen nicht strafrechtlich untersucht werden?

Berlin, den 25. März 2010
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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