BT-Drucksache 17/12399

Menschenrechte älterer Menschen stärken und Erarbeitung einer UN-Konvention fördern

Vom 20. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12399
17. Wahlperiode 20. 02. 2013

Antrag
der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Petra Crone, Dr. h. c. Gernot Erler,
Petra Ernstberger, Martin Gerster, Iris Gleicke, Kerstin Griese, Wolfgang Gunkel,
Dr. Barbara Hendricks, Dr. Bärbel Kofler, Ute Kumpf, Caren Marks, Hilde Mattheis,
Ullrich Meßmer, Thomas Oppermann, Dr. Sascha Raabe, Stefan Rebmann,
Karin Roth (Esslingen), Frank Schwabe, Christoph Strässer, Wolfgang Tiefensee,
Manfred Zöllmer, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Menschenrechte älterer Menschen stärken und Erarbeitung einer UN-Konvention
fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

2050 wird voraussichtlich jeder dritte Bundesbürger bzw. jede dritte Bundesbür-
gerin älter als 60 Jahre sein. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung wird bis
2050 von derzeit 42,9 Jahre auf voraussichtlich 48 Jahre ansteigen. Weltweit
wird sich die Zahl der über 60-Jährigen im gleichen Zeitraum von 810 Millionen
auf über 2 Milliarden erhöhen. Heute leben zwei von drei Personen über 60 Jahre
in Entwicklungsländern. 2050 werden es vier von fünf sein. Damit werden im
Jahr 2050 erstmals mehr ältere Menschen auf der Welt leben als Kinder unter
14 Jahre, wobei sich mit steigendem Lebensalter der Anteil der Frauen erhöht.
Bei den über 80-Jährigen kommen gegenwärtig 100 Frauen auf 61 Männer.

Obgleich die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte
und im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
niedergelegten Rechte für alle Menschen gelten, wurden die Menschenrechte
seit den siebziger Jahren nach Zielgruppen ausdifferenziert. So wurden für die
spezifischen Bedürfnisse von Kindern, Frauen und Menschen mit Behinderung
eigene Konventionen erarbeitet, welche auf die menschenrechtlichen Problem-
lagen der jeweiligen Gruppe eingehen und entsprechende Rechte formulieren.
Für die ältere Generation gibt es keine Konvention. Angesichts älter werdender
Gesellschaften nicht nur in den westlichen Ländern ist eine Konvention für die
Rechte älterer Menschen dringend notwendig.

Einige völkerrechtliche Verträge, wie das Internationale Übereinkommen zum
Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen
und das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen,
verbieten Diskriminierung aufgrund des Alters. Artikel 9 des Internationalen

Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte berührt die Belange
Älterer, indem er ein Recht auf Sozialversicherung formuliert, welche die Al-
tersversorgung betrifft. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Rund 80 Pro-
zent der Weltbevölkerung leben heute ohne eine auch nur annähernd umfas-
sende Absicherung gegen elementare Lebensrisiken. Gerade in Entwicklungs-
ländern sind ältere Menschen, vor allem Frauen und Beschäftigte im informel-
len Sektor, von fehlender sozialer Sicherung besonders betroffen. Um einen

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umfassenden sozialen Basisschutz vor allem in Entwicklungsländern aufzu-
bauen, wurde im Jahr 2011 das Konzept der Internationalen Arbeitsorganisa-
tion (ILO) für einen „Social Protection Floor“ beschlossen. Dieser soziale
Basisschutz sichert unter anderem auch Einkommensgarantien im Alter und
den diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsversorgung ab.

Artikel 25 der 2009 in Kraft getretenen Charta der Grundrechte der Euro-
päischen Union verbürgt „das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und un-
abhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben“. Die
revidierte Fassung der europäischen Sozialcharta aus dem Jahr 1996 formuliert
in Artikel 23 das „Recht älterer Menschen auf sozialen Schutz“. Alter ist eines
von sechs Merkmalen, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
schützt und aufgrund derer kein Mensch diskriminiert werden darf. Insgesamt
jedoch wird in internationalen Menschenrechtsabkommen und nationalen Ge-
setzen den Problemlagen der älteren Generation, wie bestimmte Formen häus-
licher Gewalt, Bevormundung, Altersarmut und altersbedingte Erkrankung,
nicht Rechnung getragen.

Der beratende Ausschuss des UN-Menschenrechtsrates empfahl erstmals im
Jahr 2009 zu prüfen, ob ein spezifischer Menschenrechtsschutz Älterer erfor-
derlich ist. Seit 2010 ist eine von der UN-Generalversammlung eingesetzte Ar-
beitsgruppe mit dieser Aufgabe betraut. In ihrer Sitzung im August 2012 stellte
diese Arbeitsgruppe normative Lücken im Menschenrechtssystem fest. Darauf-
hin regte die Generalversammlung eine legislative Neuregelung zum Schutz
älterer Menschen an. Eine spezifische Menschenrechtskonvention würde die
teilnehmenden Staaten an eindeutige Regeln zur Wahrung der Menschenrechte
Älterer binden und für Rechtsklarheit sorgen. Ferner könnte ein völkerrecht-
licher Vertrag die nationalen Regierungen motivieren, die Situation Älterer mit
Bezug auf die Menschenrechte stärker in den Blick zu nehmen und regelmäßig
zu evaluieren.

Die Gruppe der Älteren ist sehr heterogen und im Vergleich zur jüngeren Be-
völkerung besonders verletzlich. Dies betrifft sowohl ihre wirtschaftlichen, so-
zialen und kulturellen Rechte als auch ihre bürgerlichen und politischen
Rechte. Zahlreiche ältere Menschen weltweit kämpfen mit Altersarmut und de-
ren Begleiterscheinungen. Verursacht wird dies auch durch Diskriminierung am
Arbeitsmarkt, in der Gesundheitsversorgung, in der Bildung und durch soziale
Isolation. Mit steigendem Lebensalter sind Menschen zunehmend von Drittper-
sonen abhängig. Dadurch besteht die Gefahr, dass ihre Grundbedürfnisse nicht
ausreichend befriedigt werden. Im schlimmsten Fall werden Ältere sogar miss-
handelt. Dies kann körperliche (Schlagen, Festhalten oder Festbinden, Verab-
reichung von überdosierten Medikamenten), emotionale (Beschimpfungen,
Drohungen, Beleidigungen, Demütigungen, Einschüchterungen, Isolierung)
oder sexuelle Gewalt sein, aber auch weniger augenfällig in Form von Vernach-
lässigung (Mangelernährung, schlechte medizinische Versorgung) auftreten.
Pflegebedürftige ältere Menschen sind auch der Gefahr des unrechtmäßigen
Freiheitsentzugs ausgesetzt – so, wenn sie gegen ihren Willen in Pflegeeinrich-
tungen eingewiesen oder in ihren Betten fixiert werden. Inadäquate Behand-
lung kann letztlich zum Tod führen. Auch im Hinblick auf Diagnostik und The-
rapie psychischer Erkrankungen sind ältere Menschen häufig benachteiligt. Es
mangelt an Interesse, Wissen und Umsetzungswillen.

Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeeinrichtungen wird oft nicht das
Maß an Privatsphäre zugestanden, das ihnen als Menschenrecht zusteht. Auch
besteht die Gefahr finanzieller Ausbeutung durch Entwendung von Geld oder
Gütern, Unterbindung der Verfügungsmacht oder Nötigung beim Verfassen des
Testaments. Darüber hinaus wird bei der Unterbringung in Alten- und Pflege-

einrichtungen bisweilen das Recht auf Familie nicht ausreichend berücksich-

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tigt, d. h. ein ungestörtes Zusammensein mit dem Partner und den Kindern und
Enkeln ist nicht möglich.

Trotz eingeschränkter Autonomiefähigkeit bleibt der Anspruch der Menschen-
würde und der Autonomie bestehen. Häufig jedoch wird älteren Menschen nicht
ausreichend Zeit zugestanden, Entscheidungen ohne Druck zu treffen, oder sie
werden ohne Not bevormundet. Alzheimer und andere dementielle Erkrankun-
gen erschweren das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen sehr und füh-
ren oft zu Fremdbestimmung und Entmündigung. In vielen Fällen könnte dies
vermieden werden (siehe auch Antrag der SPD-Bundestagsfraktion „Diskrimi-
nierung abbauen – In jedem Alter“, Bundestagsdrucksache 17/11831).

Häufig sind auch im Erwerbsleben Diskriminierungen aufgrund des Alters fest-
zustellen. Ursache hierfür ist die oftmals stereotype Annahme, Ältere würden
weniger effizient arbeiten. Auch beim Zugang zu Informationen werden Men-
schen im dritten und vierten Lebensalter diskriminiert, vor allem wenn Infor-
mationen nur noch im Internet zur Verfügung gestellt werden. Im Bereich der
bürgerlichen und politischen Rechte reichen die Benachteiligungen von nicht
altersgerechtem Zugang zu Wahlurnen über Altersgrenzen bei Ehrenämtern bis
zur politischen Entrechtung durch die Vormundschaft Pflegebedürftiger, zum
Beispiel durch die Kündigung von Parteimitgliedschaften.

Diskriminierung aufgrund des Alters steht in einem wechselseitigen Verhältnis
zu anderen Diskriminierungsmerkmalen wie Geschlecht, Herkunft oder sexuelle
Orientierung. Mit steigendem Alter nimmt vor allem die Ungleichbehandlung
von Frauen zu. Auch in Deutschland sind Frauen einem erhöhten Armutsrisiko
ausgesetzt, insbesondere wenn sie pflegebedürftig sind. Da Frauen – auch
wegen der schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf – im Durchschnitt
weniger verdienen, sind ihre Ersparnisse geringer und ihre Altersbezüge in der
Regel niedriger als die von Männern. In vielen Gesellschaften fehlt es Frauen an
einer angemessenen Unterkunft, da sie bei der Vererbung von Grund und Eigen-
tum gegenüber männlichen Erben benachteiligt werden. Die schlechtere
ökonomische Situation von Frauen und ihr dadurch geringeres gesellschaft-
liches Ansehen lassen sie auch leichter zu Opfern von Gewalt werden.

In Deutschland hat die Bundesregierung das Engagement für die Menschen-
rechte Älterer bislang der Zivilgesellschaft überlassen. An der Arbeitsgruppe
bei den Vereinten Nationen hat sie sich nicht beteiligt. Dabei könnte Deutsch-
land seine Erfahrungen mit dem AGG einbringen und auf internationaler Ebene
die menschenrechtliche Situation Älterer positiv beeinflussen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf internationaler Ebene für die Stärkung der Menschenrechte älterer
Menschen einzusetzen, indem sie

a) die Wahl Deutschlands in den UN-Menschenrechtsrat nutzt, sich für eine
UN-Konvention über die menschenrechtlichen Bedürfnisse älterer Men-
schen einzusetzen;

b) die Arbeit der UN-Open-ended Working Group on Ageing aktiv und kon-
sequent begleitet und darüber regelmäßig berichtet;

c) die Einsetzung eines UN-Sonderberichterstatters für die Menschenrechte
älterer Menschen verlangt;

d) die betroffene Gruppe der älteren Menschen und ihre zivilgesellschaft-
lichen Interessensverbände – national und international – stärker in die
Verbesserung der menschenrechtlichen Situation der älteren Generation
einbezieht;

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e) die Bedürfnisse älterer Menschen in den Partnerländern in Entwicklungs-
projekten stärker berücksichtigt und sich dafür engagiert, das Potential
älterer Menschen für die zivilgesellschaftliche Entwicklung zu erkennen
und zu stärken;

f) sich für die Umsetzung von Systemen für sozialen Basisschutz (Social
Protection Floors) in den Partnerländern einsetzt, um so Einkommens-
sicherheit und den diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsversor-
gung im Alter zu gewährleisten;

2. die Menschenrechtslage älterer Menschen auf nationaler Ebene effektiv und
nachhaltig zu verbessern, indem sie

g) die seit Amtsantritt der schwarz-gelben Bundesregierung vorgenomme-
nen Kürzungen im Haushalt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
(ADS) zurücknimmt und Maßnahmen für eine verstärkte Bekämpfung
von Altendiskriminierung ergreift;

h) die Einhaltung der auf nationaler Ebene im Grundgesetz und den Regu-
lierungen des einfachen Rechts sowie der völkerrechtlich verbürgten
Menschenrechte im Bereich der Pflege effektiver überwacht. Hierfür
müssen die Heimaufsichtsbehörden, der Medizinische Dienst des Spit-
zenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) und der Medizinische
Dienst der Krankenkassen (MDK) besser als bisher in die Lage versetzt
werden, ihre Kontrollmöglichkeiten zu nutzen und Sanktionsmaßnahmen
anzuwenden;

i) auf die Länder hinwirkt, den ordnungsrechtlichen Teil des Heimrechts
einheitlicher zu gestalten und dabei die Menschenrechte Älterer fest-
zuschreiben;

j) die Kontrollmöglichkeiten der Heimaufsichtsbehörden und der Medizi-
nischen Dienste wissenschaftlich evaluiert und den zivilrechtlichen Teil
des Heimrechts (Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz) hinsichtlich der
menschenrechtlichen Aspekte Älterer überprüft und bezüglich der Ein-
haltung der rechtlichen Vorgaben evaluiert;

k) auf die Länder hinwirkt, dass stets auch unangemeldete Kontrollen von
Heimen erfolgen;

l) sich für eine Stärkung der Bedürfnisse älterer Menschen beim Beauftrag-
ten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten
einsetzt;

m)die Altenberichte der Bundesregierung als wichtiges Monitoringinstru-
ment zur Lage der älteren Menschen in Deutschland regelmäßig um eine
explizite Menschenrechtskomponente ergänzt und dieses Instrument des
Monitorings auch international anregt;

n) das zivilgesellschaftliche Empowerment Älterer fördert, indem Verbände,
Selbsthilfeinstitutionen wie zum Beispiel die Nationale Kontakt- und In-
formationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen
(NAKOS) und Interessensgemeinschaften Älterer – in ihrer Pluralität –
gestärkt werden;

o) auf die Länder hinwirkt, Seniorenbeiräte in den Ländern und Kommunen
nach einheitlichen rechtlichen Grundlagen hinsichtlich der Befugnisse
einzurichten;

p) die Einbringung, Weiterentwicklung und die Implementierungen der
Seniorenmitwirkungsgesetze auf Länderebene aktiv fördert;
q) sich für die Abschaffung diskriminierender Altersgrenzen (Höchstalters-
grenzen) im Ehrenamt und im Kirchengesetz einsetzt;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12399

r) verstärkt die Altersarmut bekämpft und sich für einen gesetzlichen Min-
destlohn, faire Löhne, eine erhöhte Tarifbindung und für die Einbezie-
hung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten bei der Rentenberechnung
einsetzt.

Berlin, den 20. Februar 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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