BT-Drucksache 17/12391

Vorschlag der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zur Ausgestaltung der "Solidaritätsklausel"

Vom 18. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12391
17. Wahlperiode 18. 02. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Annette Groth, Ulla Jelpke, Alexander Ulrich,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Vorschlag der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin der Union
für Außen- und Sicherheitspolitik zur Ausgestaltung der „Solidaritätsklausel“

Gemäß Artikel 222 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) soll eine „Solidaritätsklausel“ die Europäische Union (EU) und ihre
Mitgliedstaaten verpflichten, einem Mitgliedstaat im Falle eines großen Scha-
densereignisses „auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines
Hoheitsgebiets zu unterstützen“. Benannt werden im Artikel Terroranschläge,
Naturkatastrophen oder vom Menschen verursachte Katastrophen.

Die Ausgestaltung der „Solidaritätsklausel“ wurde zunächst offengelassen, je-
doch in verschiedenen anderen Papieren besprochen. Das „Stockholmer Pro-
gramm“ fordert etwa, die EU müsse „von Artikel 222 AEUV uneingeschränkt
Gebrauch machen“ (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. C 115 vom 4. Mai
2010, S. 5).

In Artikel 222 Absatz 3 Satz 1 AEUV wird bestimmt, dass die Europäische
Kommission und die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheits-
politik einen Vorschlag zur Ausgestaltung vorlegen, den diese im Dezember
2012 unter dem Titel „Gemeinsamer Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über die Vorkehrungen für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die
Union“ fristgerecht eingereicht haben (Ratsdokument 18124/12). Die Mitglied-
staaten lieferten Beiträge zu einem von der Kommission und dem Europäischen
Auswärtigen Dienst (EAD) erarbeiteten Fragenkatalog und verhandelten in
diversen Ratsgremien über die zukünftige Ausgestaltung. Hierzu gehören laut
dem Ratsdokument 18124/12 das Politische und Sicherheitspolitisches Komitee
(PSK), der Ständige Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich
der inneren Sicherheit (COSI), der Koordinierungsausschuss für den Bereich der
polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sowie der Militär-
ausschuss.

Im November forderte das Europäische Parlament in einer Entschließung mit
dem Titel „EU-Klauseln über die gegenseitige Verteidigung und Solidarität:
politische und operationelle Dimensionen“, „das Potenzial aller einschlägigen
Bestimmungen des Vertrages […] voll auszuschöpfen“ (P7_TA-PROV(2012)

0456). Die Abgeordneten verwiesen gleichzeitig auf die ebenfalls noch nicht
definierte „Klausel über gegenseitige Verteidigung“ nach Artikel 42 Absatz 7
des Vertrags über die Europäische Union – EUV – (sog. Beistandsklausel). Ge-
fordert wird in der Entschließung, dass „keine bedeutenden Gefahren, wie Cyber-
angriffe, Pandemien oder Energieengpässe“ vergessen werden sollten. Die Rede
ist auch von „politisch motivierten Blockaden“, allerdings ohne dass umrissen
würde, was hierunter verstanden wird.

Drucksache 17/12391 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die weitgehende Formulierung des Europäischen Parlaments wird im Vorschlag
der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin der Union für Außen-
und Sicherheitspolitik als Rechtfertigung genommen, die „Solidaritätsklausel“
für Katastrophen und Terroranschläge nicht nur auf dem Gebiet der EU (Land,
Wasser, Luft) anwenden zu wollen. Sie soll auch für Schiffe und Flugzeuge gel-
ten, die sich in internationalen Gewässern bzw. im Luftraum bewegen. Weitere
Anwendungsgebiete seien demnach „kritische Infrastrukturen, beispielsweise
Offshore-Öl- und Gas-Förderanlagen, die der Hoheitsgewalt eines Mitglied-
staats unterstehen“. Botschaften und Konsulate werden zwar nicht genannt, ihre
Einbeziehung liegt aber nahe.

Eine Unterstützung der Mitgliedstaaten gemäß der „Solidaritätsklausel“ soll
nach vorliegendem Entwurf „nur in außergewöhnlichen Umständen und auf
Antrag der Regierung eines Mitgliedstaats“ erfolgen. Mit der Formulierung
„Sie gilt unabhängig davon, ob der Ursprung der Krise innerhalb oder außer-
halb der EU liegt“ wird ihrer uferlosen politischen Instrumentalisierung jedoch
Tür und Tor geöffnet. Explizit wird im Ratsdokument 18124/12 von „militä-
rischer Unterstützung“ gesprochen, deren konkrete Ausformung im Bedarfsfall
zunächst von der Hohen Vertreterin vorgeschlagen werden soll.

Die „Solidaritätsklausel“ befördert die Verzahnung innerer und äußerer Sicher-
heit, wie sie in vielerlei Hinsicht von zivilen und militärischen EU-Organen be-
trieben wird. Unter dem Deckmantel von „Krisenbewältigungsmaßnahmen“
werden Kapazitäten zur Informationsgewinnung, Lageerfassung und Reaktion
der Europäischen Kommission und des militarisierten Europäischen Auswärti-
gen Dienstes weiter verknüpft.

Überdies wird die Ausgestaltung der „Solidaritätsklausel“ zum Anlass genom-
men, ein permanentes zivil-militärisches Lagezentrum einzurichten. Zwar wird
nicht ausdrücklich festgelegt, ob dieses innerhalb des „EU-Notfallzentrums“
(Schwerpunktzentrum) oder einem anderen „benannten operativen Zentrum“ an-
gesiedelt werden soll. Jedoch versprechen die Kommission und der EAD un-
gefragt, ab dem Jahr 2015 „regelmäßig eine integrierte Gefahren- und Risiko-
abschätzung auf EU-Ebene“ zu verfassen. Einfließen würden „Gefahren- und
Risikoabschätzungen aus verschiedenen Bereichen (z. B. Terrorismus, organi-
sierte Kriminalität, Katastrophenschutz, Gesundheit, Klimawandel und Um-
welt)“. Als Grundlage dienen Informationen und deren Interpretation durch die
Mitgliedstaaten. Mit einer derartigen, zivil-militärischen Einrichtung würde
auch das „EU-Zentrum für Informationsgewinnung und -analyse“ INTCEN
(Intelligence Analysis Centre), das einem EU-Geheimdienst nahekommt, weiter
aufgewertet. Katastrophenschutz und Terrorismusbekämpfung würden weiter
„europäisiert“. Entgegen der vertraglichen Bestimmung des Artikels 222 AEUV
soll die präventive Komponente, zu der die Union alle verfügbaren Mittel mobi-
lisiert, nicht nur auf die Abwendung von Terrorismus beschränkt bleiben, son-
dern jetzt auch auf organisierte Kriminalität, Katastrophenschutz, Gesundheit,
Klimawandel und Umwelt ausgeweitet werden. Damit wird der Kompetenz-
bereich der Kommission und des EAD ausgeweitet.

Die vorgeschlagenen Anwendungsbereiche der „Solidaritätsklausel“ führen
zwar keine politischen Auseinandersetzungen in den etwaigen, anfragenden
Mitgliedstaaten auf. Ihre breite Definition schließt aber nicht aus, dass etwa
massive Generalstreiks, Unruhen, Blockadeaktionen oder Sabotage erfasst
würden. Denn die im Vorschlag der Kommission und der Hohen Vertreterin der
Union für Außen- und Sicherheitspolitik angewandte Definition einer Katas-
trophe umfasst „jede Situation, die schädliche Auswirkungen auf Menschen,
die Umwelt oder Vermögenswerte hat oder haben kann“. Überdies könnte eine
anfragende Regierung einen Akt zivilen Ungehorsams als „Terrorismus“ oder

von Menschen verursachte Katastrophe erklären, wonach die „Solidaritätsklau-
sel“ ebenfalls anzuwenden wäre.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12391

Gemäß Artikel 222 Absatz 2 AEUV und der dem Vertrag angefügten Erklärung 37
wird festgelegt, dass es den zur Solidarität verpflichteten Mitgliedstaaten frei-
steht, die am besten geeigneten Mittel zur Erfüllung ihrer Verpflichtung zu wäh-
len. Die schließliche Anwendung des Artikels 222 AEUV betrifft hauptsächlich
insbesondere die Innenministerien der EU-Mitgliedstaaten. Diese sollen sich
aber im Rat absprechen.

Fraglich ist, wie die „Subsidiaritätsschwelle“ für eine etwaige Unterstützung
bestimmt werden soll, also ab wann ein Eingreifen anderer Mitgliedstaaten
oder von EU-Organen verpflichtend sein soll. Der Aufbau entsprechender
Strukturen auf Ebene der EU, aber auch die angestrebte Ausgestaltung der „So-
lidaritätsklausel“, wirft zudem die Frage auf, in welchem Verhältnis die Eigen-
verantwortung der Mitgliedstaaten für den Aufbau nationaler Krisenreaktions-
strukturen zu den neuen EU-Strukturen stünde. Hierzu gehört die ebenfalls
offene Frage, wer die Kosten einer etwaigen Unterstützung übernehmen würde.

Die „Solidaritätsklausel“ bringt keinen Mehrwert für die Solidarität in echten
Katastrophenfällen wie Umweltkatastrophen oder Naturkatastrophen, für die
bereits die ebenfalls diskutierten „Katastrophenschutzverfahren“ (Artikel 196
AEUV) und die „Vorkehrungen der EU zur Koordinierung in Krisen- und Not-
fällen“ (CCA) vorgesehen sind.

Die „Solidaritätsklausel“ ist ein politisches Instrument, das von der anfragenden
Regierung, anderen Mitgliedstaaten und den Organen der EU gleichsam miss-
braucht werden kann. Im Geiste eines solidarischen Europas ist es aus Sicht der
Fraktion DIE LINKE. zwar richtig und wichtig, gemeinsam auf Schadensereig-
nisse zu reagieren. Der Ausweitung auf politische Auseinandersetzungen und
der Entsendung militärischer Ressourcen erteilt die Fraktion DIE LINKE. eine
Absage.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welchen Mehrwert verspricht sich die Bundesregierung von der Anwen-
dung der „Solidaritätsklausel“ hinsichtlich des ebenfalls auf Ebene der EU
abzustimmenden „Katastrophenschutzverfahrens“ (Artikel 196 AEUV) und
der „Vorkehrungen der EU zur Koordinierung in Krisen- und Notfällen“
(CCA)?

2. Inwiefern verfolgt die Bundesregierung bei der konkreten Umsetzung der
„Solidaritätsklausel“ institutionell-strategische Ziele, wie den Aufbau von
vernetzten Lagezentren von der Europäischen Kommission und des EAD?

3. Kann Artikel 222 AEUV aus Sicht der Bundesregierung eine geeignete
Rechtsgrundlage für die Einrichtung eines neuen, von der Europäischen
Kommission und dem EAD geführten Lagenzentrums der Union sein, wel-
ches nicht nach Artikel 222 Absatz 1 Buchstabe a AEUV auf die Abwen-
dung terroristischer Bedrohungen beschränkt sein soll?

Wenn ja, mit welcher Begründung?

a) Wenn die Bundesregierung die Einrichtung eines solchen Zentrums als
vom Artikel 222 AEUV erfasst betrachtet, welchen Sinn ergibt aus ihrer
Sicht die Differenzierung zwischen „terroristischen Bedrohungen“ und
anderen Katastrophen nach Artikel 222 Absatz 1 AEUV?

b) Welche Aktivitäten und Handlungen kann nach Ansicht der Bundesregie-
rung der auslegungsbedürftige Begriff „terroristische Bedrohungen“ um-
fassen, welche schließt dieser aus, und inwiefern setzt sie sich für eine
explizite Definition und Abgrenzung im Rahmen der Beschlussentwurfs
ein?

Drucksache 17/12391 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Inwiefern bzw. mit welcher Begründung sieht die Bundesregierung den
vorliegenden Vorschlag zur Ausgestaltung der Solidaritätsklausel in Arti-
kel 222 AEUV als verhältnismäßig und angemessen an?

5. Inwiefern sieht die Bundesregierung die nach Auffassung der Fragesteller
mangelnde parlamentarische Kontrolle des EAD, der Kommission und der
vorgesehenen neuen Abteilungen als problematisch bzw. unproblematisch
an, insbesondere angesichts ihrer vorgesehenen entscheidenden Rolle in
krisenhaften Ausnahmesituationen?

6. Welche Organe, Gremien oder sonstigen Institutionen der Europäischen
Union waren an der Ausgestaltung des „Gemeinsamen Vorschlags für ei-
nen Beschluss des Rates über die Vorkehrungen für die Anwendung der
Solidaritätsklausel durch die Union“ beteiligt, und welche Aufgaben haben
das PSK, der COSI, der Koordinierungsausschuss für den Bereich der poli-
zeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sowie der Mili-
tärausschuss nach Kenntnis der Bundesregierung hierfür erbracht?

7. Auf welche Art und Weise war und ist die Bundesregierung am Zustande-
kommen des „Gemeinsamen Vorschlags für einen Beschluss des Rates
über die Vorkehrungen für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch
die Union“ beteiligt?

a) Mit welchen Bundesministerien war die Bundesregierung beteiligt?

b) Welche Beiträge hat die Bundesregierung hierfür im PSK, dem COSI,
dem Koordinierungsausschuss für den Bereich der polizeilichen und
justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sowie dem Militärausschuss
erbracht?

8. Inwiefern trifft es zu, dass für die Ausgestaltung der „Solidaritätsklausel“
eine Gruppe „Friends of the Presidency on crisis coordination arrange-
ments“ bzw. ein vergleichbares Gremium eingerichtet wurde?

a) Wer hatte den Anstoß zur Gründung der Gruppe gegeben, und wer ge-
hört ihr an?

b) Welche konkreten Schritte unternahm die Gruppe zur Ausgestaltung des
„Gemeinsamen Vorschlags für einen Beschluss des Rates über die Vor-
kehrungen für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die
Union“?

9. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Vorschlag
der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin der Union für
Außen- und Sicherheitspolitik, wonach die „Solidaritätsklausel“ nicht nur
auf dem Gebiet der EU (Land, Wasser, Luft) angewendet werden soll?

a) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob die „Solida-
ritätsklausel“ auch auf Schiffen und Flugzeugen gelten soll, die sich in
internationalen Gewässern bzw. Luftraum bewegen?

b) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob die „Solida-
ritätsklausel“ auch für „kritische Infrastrukturen, beispielsweise Off-
shore-Öl- und Gas-Förderanlagen, die der Hoheitsgewalt eines Mitglied-
staats unterstehen“, heranzuziehen wäre?

c) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob die „Solida-
ritätsklausel“ auch für Botschaften und Konsulate anzuwenden wäre?

10. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Entschlie-
ßung des Europäischen Parlaments „EU-Klauseln über die gegenseitige
Verteidigung und Solidarität: politische und operationelle Dimensionen“,

wonach gefordert wird, dass die Ausgestaltung des Artikels 222 „keine be-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12391

deutenden Gefahren, wie Cyberangriffe, Pandemien oder Energieeng-
pässe“ vergessen solle?

a) Wie ist die Haltung der Bundesregierung zur Frage, ob Cyberangriffe,
Pandemien, Versorgungsketten oder Energieengpässe unter den Arti-
kel 222 AEUV fallen würden?

b) Wie ist die Haltung der Bundesregierung zur ebenfalls vom EU-Parla-
ment vorgebrachten Forderung, dass „politisch motivierte Blockaden“
unter den Artikel 222 AEUV fallen sollten, und was wird von der Bun-
desregierung hierunter verstanden (bitte anhand von Beispielen erläu-
tern)?

c) Wie hat sich die Bundesregierung in den oben genannten Gremien und
Abstimmungsprozessen zu den genannten Punkten (Cyberangriffe, Pan-
demien, Versorgungsketten, Energieengpässe, „politisch motivierte Blo-
ckaden“) verhalten?

11. Wie hat sich die Bundesregierung bei der Erarbeitung der „Cybersicher-
heitsstrategie für einen offenen, sicheren und geschützten Cyberraum“
(JOIN(2013) 1 final) vom 7. Februar 2013 positioniert, in der festgehalten
wird, dass ein „besonders schwerer Cybervorfall oder -angriff“ dazu führen
könnte, „dass ein Mitgliedstaat die ‚Solidaritätsklausel‘ (Artikel 222 des
Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) geltend macht“,
die Ausweitung der „Solidaritätsklausel“ auf Cyberstörungen dort also be-
reits festgeschrieben wird?

a) Gibt die Formulierung die Ansicht der Bundesregierung wieder?

b) Von welchen konkreten, denkbaren „besonders schwereren Cybervor-
fällen“ ist in dem Dokument nach Ansicht der Bundesregierung die
Rede?

12. Welche weiteren, in den oben genannten Fragen nicht aufgeführten konkre-
ten Anwendungsgebiete oder Szenarien ergeben sich aus Sicht der Bundes-
regierung für die zukünftige Ausgestaltung der „Solidaritätsklausel“?

a) Wie ist die Haltung der Bundesregierung zur Frage, ob die in Artikel 222
AEUV umrissenen Anwendungsgebiete überhaupt voll auszuschöpfen
sein sollen, welche noch offenen Möglichkeiten sieht sie, und welche
vorgeschlagenen Regelungen gehen für sie über die Beschränkungen des
Artikels hinaus?

b) Wo sieht die Bundesregierung bei der Ausgestaltung der „Solidaritäts-
klausel“ noch Klärungsbedarf, und besteht aus ihrer Sicht die Möglich-
keit, das, dass nach der vorgeschlagenen Definition auch politische De-
monstrationen, legitime Arbeitskämpfe und andere politische Aktions-
formen als von Menschen verursachte Katastrophen angeführt werden
können?

13. Nach welcher Maßgabe wären die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, gemäß
der „Solidaritätsklausel“ Unterstützung zu leisten?

a) Wie bewertet die Bundesregierung die Formulierung im vorliegenden
Entwurf „nur in außergewöhnlichen Umständen und auf Antrag der Re-
gierung eines Mitgliedstaats“ als Auslöser des Mechanismus?

b) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob der „Auslö-
ser“ auch in einem „Drittstaat“ liegen könnte?

c) Welche Faktoren kämen nach Ansicht der Bundesregierung und nach
Kenntnis der Bundesregierung der Hohen Vertreterin oder der Kommis-

sion als „Auslöser“ in Betracht?

Drucksache 17/12391 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

d) Wie ist die Haltung der Bundesregierung zur Formulierung „Sie gilt un-
abhängig davon, ob der Ursprung der Krise innerhalb oder außerhalb
der EU liegt“?

14. Welche Mitglieder der Bundesregierung oder welche ihrer politischen Ver-
treter wären imstande oder legitimiert, ein Ersuchen nach Artikel 222 Ab-
satz 2 AEUV zu stellen, und inwiefern müsste ein nationaler Parlaments-
entscheid konstitutiv für eine solche Übertragung staatlicher Souveränität
auf die anderen Mitgliedstaaten und auf die EU sein?

15. Wie ist die Haltung der Bundesregierung zur Frage, ob der Artikel 222
auch hinsichtlich einer proaktiven, präventiven Gefahrenabwehr auszule-
gen wäre?

16. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob der Artikel 222
AEUV weitere gesetzgeberische Verfahren, Richtlinien oder sonstige Maß-
nahmen der EU nach sich ziehen könnte?

17. Welche polizeiliche, militärische oder sonstige Unterstützung käme aus
Sicht der Bundesregierung von deutscher Seite nach einer Auslösung des
Mechanismus nach Artikel 222 AEUV in Betracht?

a) Wie würden die „am besten geeigneten Mittel“ zur Erfüllung ihrer Ver-
pflichtung gewählt?

b) Wie würde dies mit der Hohen Vertreterin abgestimmt, die im Bedarfs-
fall die konkrete Ausformung einer Unterstützung vorschlagen soll?

c) Wie sollen nach Ansicht der Bundesregierung die Kosten für eine derar-
tige Unterstützungspflicht übernommen werden?

d) Inwieweit und in welchen Gremien wurden die oben genannten Fragen
bereits auf Ebene des Bundes oder – nach Kenntnis der Bundesregie-
rung – der Länder erörtert?

18. Inwiefern sollte eine zugesagte Unterstützung nach Artikel 222 AEUV
nach Ansicht der Bundesregierung wieder zurückgenommen werden kön-
nen bzw. eingesetzte Ressourcen wieder zurückgezogen werden können?

19. Wie und von wem würde innerhalb der Bundesregierung über eine Unter-
stützung deutscher Behörden gemäß der „Solidaritätsklausel“ entschieden?

a) Inwieweit bzw. in welchen Fällen hält die Bundesregierung hierfür auch
eine Mitbestimmung des Parlaments für erforderlich?

b) Inwieweit bzw. in welchen Fällen hält die Bundesregierung hierfür auch
eine Mitbestimmung des Parlaments für nicht erforderlich?

20. Welche Stellen sind nach Ansicht der Bundesregierung geeignet, Anfragen
eines Mitgliedstaates zur Solidarität nach Artikel 222 AEUV entgegenzu-
nehmen, und inwiefern sollte diese Stelle nach Ansicht der Bundesregie-
rung auch mit der Informationsgewinnung, Lageerfassung und Reaktion
beauftragt werden?

21. Welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung aus dem Vorschlag, ab
dem Jahr 2015 „regelmäßig eine integrierte Gefahren- und Risikoabschät-
zung auf EU-Ebene“ zu verfassen?

a) Wer soll die Informationen bewerten bzw. diese Berichte abfassen?

b) Welche deutschen Beiträge welcher Behörden kämen hierfür in Be-
tracht?

c) Welche Rolle fiele nach Kenntnis der Bundesregierung diesbezüglich
dem EU-Lagezentrum INTCEN zu, bzw. welche Haltung vertritt sie in

dieser Frage?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/12391

d) Inwieweit würde diese permanente Lagebeurteilung aus Sicht der Bun-
desregierung die Regelungen des Artikels 222 AEUV unterlaufen?

22. Welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung aus dem Vorschlag,
wonach diese regelmäßige „integrierte Gefahren- und Risikoabschätzung
auf EU-Ebene“ über den Bereich des Artikels 222 AEUV hinausgehen und
sogar organisierte Kriminalität, Gesundheit, Klimawandel und Umwelt er-
fassen soll?

a) Welche Haltung hat die Bundesregierung in Abstimmungsprozessen
hierzu vertreten?

b) Welche Haltungen wurden von den anderen Mitgliedstaaten in Abstim-
mungsprozessen hierzu vertreten?

23. Teilt die Bundesregierung die Definition einer Katastrophe als jedes Ereig-
nis, das „schädliche Auswirkungen auf Menschen, die Umwelt oder Ver-
mögenswerte hat oder haben kann“ hinsichtlich eines Auslösemechanis-
mus für den Artikel 222 AEUV?

24. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, wonach der
Vorschlag zum Artikel 222 AEUV auch politische Auseinandersetzungen
in den etwaigen, anfragenden Mitgliedstaaten einschließen könnte, und
wenn nein, warum nicht?

a) Inwieweit wären nach Einschätzung der Bundesregierung auch General-
streiks, Unruhen, Blockadeaktionen oder Sabotage erfasst?

b) Wie würde auf Ebene der EU, aber auch vonseiten der Bundesregierung
bewertet, ob eine anfragende Regierung Akte zivilen Ungehorsams als
„Terrorismus“ oder Katastrophe erklärt, nur um ein Auslösen der „Soli-
daritätsklausel“ zu erzwingen?

25. Könnte es aus Sicht der Bundesregierung zu einer Anwendung der Solida-
ritätsklausel nach Artikel 222 AEUV auf Grundlage eines Ersuchens Grie-
chenlands kommen, wenn die griechischen polizeilichen und militärischen
Kapazitäten (womöglich aufgrund eigener Beteiligung an Streiks) nicht
mehr ausreichen, um gegen Streikende öffentlicher Betriebe einen Regie-
rungserlass durchzusetzen, der sie zur Wiederaufnahme der Arbeit ver-
pflichtet, da sonst das wirtschaftliche oder soziale Leben erschüttert würde
(vgl. www.jungewelt.de/2013/01-26/029.php)?

26. Wie ist die Haltung der Bundesregierung zur Frage, ob zum Eingreifen
nach Artikel 222 AEUV eine „Subsidiaritätsschwelle“ festgelegt werden
soll, und wie hat sie sich in der Ausgestaltung des „Gemeinsamen Vor-
schlags für einen Beschluss des Rates über die Vorkehrungen für die An-
wendung der Solidaritätsklausel durch die Union“ hierzu positioniert?

a) Wie soll nach Ansicht der Bundesregierung die tatsächliche Überforde-
rung eines Mitgliedstaates geprüft werden?

b) Inwiefern könnte diese Bewertung nach Ansicht der Bundesregierung
hinsichtlich der Terrorismusbekämpfung und des Katastrophenschutzes
auf einheitlichen Kriterien aufbauen?

27. Inwiefern und mit welchem Ergebnis haben sich Behörden oder Beauftragte
der Bundesregierung mit der Frage befasst, ob die angestrebte Ausgestal-
tung der „Solidaritätsklausel“ von Mitgliedstaaten zum Anlass genommen
werden könnte, die Eigenverantwortung zum Aufbau nationaler Krisen-
reaktionsstrukturen zu vernachlässigen?

Drucksache 17/12391 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
28. Inwiefern befürchtet die Bundesregierung, dass über den Artikel 222 AEUV
Krisenreaktion und Katastrophenschutz unzulässig „europäisiert“ werden
könnte?

29. Wie wird sich die Bundesregierung hinsichtlich der weiteren Abstimmung
des Vorschlags zur Anwendung der Solidaritätsklausel im Rat der Europä-
ischen Union bzw. gegenüber der Trio-Ratspräsidentschaft verhalten und
positionieren?

Berlin, den 18. Februar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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