BT-Drucksache 17/12241

Kulturelle Bildung in Deutschland als gesamtstaatliche Aufgabe und als Teil eines Gesamtkonzeptes Bildung

Vom 30. Januar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12241
17. Wahlperiode 30. 01. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Schmidt (Aachen), Siegmund Ehrmann, Petra Ernstberger,
Iris Gleicke, Petra Hinz (Essen), Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf,
Christine Lambrecht, Thomas Oppermann, Dr. h. c. Wolfgang Thierse,
Brigitte Zypries, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Kulturelle Bildung in Deutschland als gesamtstaatliche Aufgabe und als Teil
eines Gesamtkonzeptes der Bildung

Die Hauptverantwortung für Bildung und damit auch für kulturelle Bildung
liegt bei den Bundesländern. Sie sind für das Schulwesen und zusammen mit
den Kommunen für Volkshochschulen, Bibliotheken oder Musikschulen ver-
antwortlich.

Gleichwohl fördert die Bundesregierung im Rahmen mehrerer Ressorts ver-
schiedene Programme und Aktivitäten zur kulturellen Bildung. Beteiligt sind
das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Bundesminis-
terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), das Auswärtige
Amt (AA) und der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
(BKM). Die rechtlichen Grundlagen dafür sind sehr unterschiedlich und reichen
vom Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) über die UN-Kinderrechtskonven-
tion bis hin zur gemeinsamen Aufgabe von Bund und Ländern bei der Bildungs-
berichterstattung im Rahmen des „Nationalen Bildungsberichts“. Bereits die
Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages
weist in ihrem Schlussbericht (Bundestagsdrucksache 16/7000, S. 380) darauf
hin, dass die Zuständigkeit mehrerer Ressorts für die kulturelle Bildung sowohl
Vor-, als auch Nachteile mit sich bringe und „Reibungsverluste“ zwischen ver-
schiedenen Ressorts entstehen, wenn „[…] einer nicht immer optimalen Ab-
stimmung zwischen verschiedenen Ressorts […] mitunter mehrere vorhandene
Fördermöglichkeiten […] gegenüberstehen“.

Die Förderprogramme und -mittel auf Bundesebene sind vielfältig und viel-
schichtig und umfassen beispielsweise Programme und Mittel des BKM im
Rahmen des Titels 685 10 „Kulturelle Vermittlung“, das Programm „Agenten“
der aus BKM-Mitteln geförderten Kulturstiftung des Bundes sowie verschie-
dene Aktivitäten des BMFSFJ im Rahmen des Kinder- und Jugendplanes.

Darüber hinaus soll bildungsbenachteiligten Kindern und Jugendlichen der Zu-
gang zu kultureller Bildung im Rahmen der Förderinitiative „Kultur macht stark.

Bündnisse für Bildung“ des BMBF ermöglicht werden. Mit diesem Programm
sollen außerschulische Aktivitäten der kulturellen Bildung gefördert werden. Es
arbeitet mit lokalen „Bündnissen für Bildung“. Bündnisse für Bildung sind eine
Forderung aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, jedoch ist
im Koalitionsvertrag der Bildungsbegriff allgemein gefasst und nicht auf kultu-
relle Bildung bezogen. Ausdrücklich nimmt der Koalitionsvertrag Bezug auf
den Mangel bei den Lese- und Mathematikkompetenzen von Jugendlichen in

Drucksache 17/12241 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Deutschland. Damit würden die Jugendlichen Gefahr laufen, auf dem Aus-
bildungs- und Arbeitsmarkt kaum Chancen zu haben. Dennoch ist nicht fest-
stellbar, dass Bildungsbündnisse in diesem Sinne umgesetzt wurden (siehe
z. B. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. zu Frage 1 auf Bundestagsdrucksache 17/10932).

Der am 22. Juni 2012 veröffentlichte, gemeinsam vom BMBF und der Ständigen
Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland
(KMK) finanzierte vierte nationale Bildungsbericht „Bildung in Deutschland
2012“ hat erstmalig die kulturelle Bildung zum Schwerpunkt. Der Bericht stellt
fest: Kulturelle Bildung ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Er unterstreicht die
Bedeutung der kulturellen Bildung für die „individuelle Identitätsentwicklung“.
Zugleich hebt er die Geltung auch der nonformalen Bildungsangebote (etwa der
kulturellen Jugendbildung, der Vereine und der außerschulischen Kinder- und
Jugendarbeit, siehe Seite 158) gegenüber formalen Angeboten hervor und be-
trachtet beide Formen gleichberechtigt hinsichtlich der Frage, welche Rolle sie
für die kulturelle und musisch-ästhetische Bildung spielen.

Die aufgeführten Aktivitäten der einzelnen Ressorts sollen alle mehr oder
weniger dazu beitragen, die kulturelle Bildung zu fördern und zu stärken.
Gleichwohl stellt sich die Frage nach dem übergeordneten Ansatz und Ziel die-
ser einzelnen Bemühungen.

Wir fragen die Bundesregierung

1. Verfolgt die Bundesregierung im Bereich der kulturellen Bildung eine ge-
samtstaatliche Strategie, und wenn ja, wie sieht diese aus?

2. Welche Gründe, Notwendigkeiten und Möglichkeiten sieht die Bundes-
regierung für eine gesamtstaatliche Strategie im Bereich der kulturellen
Bildung?

3. Welche Ressorts der Bundesregierung sind mit welchen Aktivitäten und
Maßnahmen im Bereich der kulturellen Bildung engagiert?

4. Aus welchen Haushaltstiteln der verschiedenen Einzelpläne werden welche
Institutionen, Projekte oder Maßnahmen der kulturellen Bildung durch den
Bund gefördert?

5. Welche Einrichtungen oder Organisationen werden im Bereich der kultu-
rellen Bildung aus den verschiedenen Ressorts dauerhaft gefördert?

6. Gibt es eine institutionalisierte Form der Zusammenarbeit zwischen den
verschiedenen Ressorts im Bereich der kulturellen Bildung, und wenn ja, in
welcher Weise?

7. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages aus ihrem Schluss-
bericht, dass durch die Aufteilung der Aktivitäten der Bundesregierung im
Bereich der kulturellen Bildung auf mehrere Ressorts Reibungsverluste ent-
stehen könnten?

8. Welche der im Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutsch-
land“ des Deutschen Bundestages (Bundestagsdrucksache 16/7000) an den
Bund gerichteten Handlungsempfehlungen sind bislang umgesetzt worden,
welche noch nicht, und warum?

9. Nach welchen Kriterien werden die Institutionen, Projekte und Maßnah-
men ausgewählt, die aus dem Haushalt des BKM aus dem Titel 695 10
„Kulturelle Vermittlung“ gefördert werden?
10. Inwiefern gibt es darüber eine Abstimmung mit den für Bildung zuständi-
gen Bundesländern?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12241

11. Welche Projekte und Maßnahmen der kulturellen Bildung werden von der
Kulturstiftung des Bundes in welchen Regionen und mit welcher Reich-
weite gefördert?

12. Welche Institutionen werden mit welchen Beträgen durch Maßnahmen aus
dem Kinder- und Jugendplan des Bundes gefördert?

13. Wieweit stehen Statistiken für die Reichweite von Maßnahmen zur kultu-
rellen Bildung aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes zur Verfü-
gung, und wie viele Kinder und Jugendliche werden durch die Maßnahmen
aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes erreicht?

14. Welche Länder und Regionen werden durch Maßnahmen der kulturellen
Bildung aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes erreicht?

15. Welche Rolle spielt die Interkultur in den Strategien und Maßnahmen der
Bundesregierung im Bereich der kulturellen Bildung, z. B. in den Projek-
ten, die aus dem Haushalt des BKM finanziert werden, oder im Programm
„Kultur macht stark“ des BMBF?

16. Welche Aktivitäten und Maßnahmen der Bundesregierung im Bereich kul-
tureller Bildung zielen auf interkulturelle Verständigung und interkulturelle
Zusammenarbeit ab?

17. Welche Rolle spielt der demografische Wandel in den Strategien und Maß-
nahmen der Bundesregierung zur kulturellen Bildung?

18. Welchen Stellenwert haben für die Bundesregierung intergenerationelle
Aktivitäten oder Projekte der kulturellen Bildung, d. h. Aktivitäten oder
Projekte, an denen ältere und jüngere Menschen teilnehmen?

19. Welchen Stellenwert hat für die Bundesregierung kulturelle Bildung für Er-
wachsene, und wie drückt sich dieser Stellenwert in den Maßnahmen der
Bundesregierung aus?

20. Welchen Stellenwert hat für die Bundesregierung die gesellschaftliche In-
klusion im Bereich der kulturellen Bildung, und wie drückt sich dieser
Stellenwert in den Maßnahmen der Bundesregierung aus?

21. Wie fügt sich das Programm „Kultur macht stark“ in ein Gesamtkonzept
der Bundesregierung zur Verringerung von Bildungsarmut in Deutschland
ein, sofern es ein solches Gesamtkonzept gibt?

22. In welcher Weise wird das Programm „Kultur macht stark“ evaluiert wer-
den, und wird es eine begleitende Forschung dazu geben?

23. An welchen Stellen und inwieweit kann nach Einschätzung der Bundesre-
gierung die kulturelle Bildung im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Ver-
ringerung von Bildungsarmut oder zur Verringerung des Zusammenhangs
zwischen Bildungsstand und sozialer Herkunft beitragen?

24. Auf welche wissenschaftlichen Erkenntnisse aus welchen Studien stützt
sich die Bundesregierung, wenn sie, wie in der Begründung für das Pro-
gramm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ zu lesen (siehe u. a.
Pressemitteilung des BMBF vom 10. Mai 2012), davon ausgeht, dass kultu-
relle Bildung hilft, Nachteile von Kindern und Jugendlichen auszugleichen,
die mit der sozialen Herkunft, das heißt vor allem mit dem Einkommen und
dem Bildungsstand der Eltern zusammenhängen?

25. Wie fügt sich nach Auffassung der Bundesregierung der konzeptionelle
Ansatz des Programms „Kultur macht stark“, der auf benachteiligte Kinder
und Jugendliche als Zielgruppe abzielt, in ein Konzept eines inklusiven
Bildungssystems ein, in dem Kinder und Jugendliche unterschiedlicher so-

zialer Herkunft gemeinsam lernen?

Drucksache 17/12241 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
26. Welche Vorstellung hat die Bundesregierung von einem inklusiven Bil-
dungssystem, und welche wesentlichen (institutionellen) Eigenschaften
und Grundelemente sollte dieses insbesondere im Hinblick auf kulturelle
Bildung enthalten?

27. Wie kann nach Einschätzung der Bundesregierung kulturelle Bildung zu
besseren Mathematik- und Lesekompetenzen beitragen?

28. Kann nach Einschätzung der Bundesregierung durch Lese- und Sprachför-
derung im Rahmen kultureller Bildung der Zusammenhang zwischen so-
zialer Herkunft und Lesekompetenzen, der in Deutschland, den Ergebnis-
sen der PISA-Studien zufolge, im internationalen Vergleich sehr ausge-
prägt ist, überwunden werden (bitte begründen)?

29. Wie kann kulturelle Bildung zur besseren Befähigung von Jugendlichen
beitragen, Bildungsabschlüsse zu erreichen, die ihre Chancen auf dem Ar-
beitsmarkt wesentlich bestimmen?

30. Plant die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass die kulturelle Bil-
dung fester Bestandteil schulischer Aktivitäten wird, und wenn ja, in wel-
cher Form?

31. Warum soll die von der Bundesregierung mit dem „Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b) (Bundestagsdrucksache
17/10956) angestrebte Lockerung des Kooperationsverbotes zwischen
Bund und Ländern nur den Bereich Förderung von Wissenschaft und For-
schung an den Hochschulen umfassen und damit nicht auch die Zusammen-
arbeit im Bildungsbereich?

32. Wie will die Bundesregierung vor dem Hintergrund dieser Beschränkung
durch das Kooperationsverbot die im nationalen Bildungsbericht 2012 in
ihrer Stellungnahme beschriebenen Herausforderungen (Verringerung von
Bildungsarmut, stärkere Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugend-
lichen mit Migrationshintergrund, Steigerung der Qualität von Bildungsan-
geboten) meistern?

33. In welcher Weise werden die Angebote und Leistungen der kulturellen
Bildung zukünftig in der nationalen Bildungsberichterstattung abgebildet?

34. Wird die Bundesregierung im Falle der Fortschreibung der Bildungsbe-
richterstattung die Ausdifferenzierung nonformaler Bildungsangebote im
kulturellen Feld bzw. die Steuerungsstrukturen im Kooperationsfeld Kultur
und Schule genauer untersuchen?

35. Welche Forschungsvorhaben sind geplant, um die Leistungen der kultu-
rellen Bildung für die Bildungsprozesse zu belegen?

36. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung im Bereich Filmbildung vor-
gesehen?

37. Hält sie diese Maßnahmen für ausreichend, um auch der Bedeutung der
Vermittlung des Filmerbes gerecht zu werden?

Berlin, den 30. Januar 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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