BT-Drucksache 17/11931

Gefährdung der beruflichen Existenz von Sinti und Roma durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz

Vom 17. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11931
17. Wahlperiode 17. 12. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Ralph Lenkert, Petra Pau, Jens Petermann,
Dr. Petra Sitte, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Gefährdung der beruflichen Existenz von Sinti und Roma durch das Kreislauf-
wirtschaftsgesetz

Aufgrund des am 1. Juni 2012 in geänderter Fassung in Kraft getretenen Kreis-
laufwirtschaftsgesetzes (KrWG) müssen Schrotthändler und Altkleidersammler
bei jedem Landkreis, in dem sie ihr Gewerbe ausüben wollen, eine Anzeige nach
§ 18 KrWG tätigen. Dabei müssen die gewerblichen Sammler nachweisen, we-
sentlich leistungsfähiger als die Kommune zu sein. Im Falle eines öffentlich-
rechtlichen Interesses können die Kommunen den Sammlern die Sammlungen
bei Privathaushalten untersagen oder unter Auflagen stellen. Bisher gewerblich
tätige Altstoffsammler sollen dabei Bestandsschutz erhalten, soweit sie nach-
weisen können, die im Rahmen der gewerblichen Sammlung eingesammelten
Abfälle immer ordnungsgemäß und schadlos entsorgt zu haben. Die Fraktion
DIE LINKE. begrüßt generell aus ökologischen Gründen und zur Stärkung der
Finanzkraft der Kommunen die Zielrichtung des Gesetzes, der öffentlichen
Hand den Erstzugriff auf Altstoffe zu sichern.

Zu den negativen Folgen des Gesetzes gehören allerdings Klagen von Schrott-
sammlern, dass ihnen aufgrund der Bestimmungen des KrWG beziehungsweise
deren willkürlicher Umsetzung durch einzelne Kommunen die Ausübung ihres
Gewerbes verunmöglicht wird. Besonders betroffen sind nach Kenntnis der
Fragesteller Angehörige der nationalen Minderheit der Sinti und Roma, die tra-
ditionell seit Generationen als Familienbetriebe die Branche beherrschen. Ihre
berufliche Existenz ist nun gefährdet, ihnen droht Erwerbslosigkeit und Abhän-
gigkeit von staatlichen Transferleistungen.

So werden Sammlern durch eine Reihe von Landkreisen gemäß § 18 Absatz 5
KrWG Unterlassungsverfügungen erteilt. Dazu kommen Kostenbescheide, die
für sich genommen bereits eine große finanzielle Belastung der üblicherweise
über kein großes Einkommen verfügenden Sammlerfamilien darstellen. Von Be-
troffenen wie der „Gemeinschaft der Schrotthändler/Altkleidersammler Uffen-
heim und Umgebung“ werden Fälle von offensichtlicher Behördenwillkür ange-
führt. So fordert das Landratsamt im fränkischen Ansbach unter Berufung auf
§ 47 KrWG, dass Alteisensammler ihrem Antrag „Verträge sowie sonstige Be-
scheinigungen oder Urkunden“ beifügen, die das Verwertungsverfahren bis hin

zur Gießerei „vollständig offenlegen“ – „Zwischenhändler eingeschlossen“. Für
kleine Sammelbetriebe ist das eine unüberwindbare Hürde, die zudem in das Ge-
schäftsgeheimnis der Gewerbetreibenden eingreift.

In Böblingen wurde so per Aushang eine regelrechte „Fangprämie“ von 50 Euro
auf die „Erstmeldung über private Sammlungen“ von der Kommune ausgelobt
und damit suggeriert, dass solche Sammlungen grundsätzlich verboten und nicht

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genehmigungsfähig sind. „Unter Verkennung der Rechtslage wird ein gesamter
Berufsstand kriminalisiert“, meint der Präsident der Bundesvereinigung Deut-
scher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen e. V., Heiner Gröger. In
diese Richtung geht auch ein den Fragestellern vorliegendes Schreiben des
Landratsamtes Würzburg an eine Altstoffsammelfirma, die eine gewerbliche
Altmetallsammlung nach § 18 KrWG angezeigt hat. Darin wird der Firma ein
„unangekündigte(s) und – in der Regel von den Betroffenen wohl auch unge-
wollte(s) – Auftauchen bei Gewerbetreibenden und privaten Haushalten zum
Zwecke der Nachfrage nach Altmetallen“ unterstellt und eine bei „sonstigen ge-
werblichen Altmetall-Sammlungen des Öfteren zu beobachtende Begleitkrimi-
nalität“ behauptet. Die Betroffenen sehen darin eine „Diffamierung“. „Gerade
für unsere älteren Familienmitglieder ist dieser Zustand sehr beängstigend und
traurig. Sie mussten miterleben, wie ihnen damals das Reisegewerbe verboten
wurde“, heißt es in einem Schreiben der Gemeinschaft der Schrotthändler/Alt-
kleidersammler Uffenheim und Umgebung an die Fraktion DIE LINKE. vom
5. November 2012. „An Arbeitsstellen, an die sie vermittelt wurden, waren sie
ungewollt. Da sie sich dann nicht mehr selbst ernähren konnten, wurde ihnen
vorgeworfen, dass sie dem Sozialstaat auf der Tasche liegen würden. … Wir
möchten nicht in das soziale Abseits geschoben werden, sondern unsere Exis-
tenz mit unserer eigenen Kraft erhalten.“

Der hessische Landesvorsitzende des Verbandes deutscher Sinti und Roma,
Adam Strauß, verweist in diesem Zusammenhang auf das von der Bundesrepu-
blik Deutschland ratifizierte Rahmenabkommen des Europarates zum Schutze
nationaler Minderheiten, das den deutschen Sinti und Roma einen besonderen
Rechtsstatus einräumt. Das beziehe sich auch auf die Schrotthändler, die seit
mehreren Generationen als Familienbetrieb ihr Einkommen erzielen. „Ihre Exis-
tenz ist zu schützen“, so Adam Strauß.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist sich die Bundesregierung der Tatsache bewusst, dass das Gewerbe des
Schrottsammelns traditionell überwiegend von Angehörigen der nationalen
Minderheit der Sinti und Roma (und nach der Definition der Bundesregie-
rung darunter fallender verwandter Minderheiten wie Fahrenden und Jeni-
schen) ausgeübt wird?

2. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass eine größere Zahl von
Angehörigen der nationalen Minderheit der Sinti und Roma durch das KrWG
in ihrer beruflichen Existenz bedroht werden?

3. Wie viele Schrott-, Altkleider und sonstige Altstoffsammlerfirmen mit wie
vielen Beschäftigten gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in der Bun-
desrepublik Deutschland?

a) Bei wie vielen davon handelt es sich um sogenannte fahrende Schrott-
oder Altstoffsammler?

b) Wie viele dieser Betriebe werden nach Kenntnis der Bundesregierung von
Angehörigen der nationalen Minderheit der Sinti und Roma und verwand-
ter Minderheiten geführt?

c) Bei wie vielen dieser Betriebe handelt es sich nach Kenntnis der Bundes-
regierung um Familienbetriebe, die bereits über mehrere Generationen
existieren?

d) Wie viele aus dem Ausland (woher?) stammende Schrott-, Altkleider und
sonstige Altstoffsammlerfirmen mit wie vielen Beschäftigten sind vorüber-
gehend in der Bundesrepublik Deutschland tätig?

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4. Ein wie großer Teil der bislang als Schrottsammler tätigen Firmen fällt nach
Kenntnis der Bundesregierung unter den vom KrWG vorgesehenen Be-
standsschutz?

5. Welche Schwierigkeiten der bislang als Schrottsammler tätigen Firmen sind
der Bundesregierung bekannt, Bestandsschutz nach dem KrWG zu erhalten?

a) Ist der Bundesregierung bekannt, dass aus der Praxis der Klein- und
Kleinstsammlungen häufig Probleme des Nachweises der damaligen
ordnungsgemäßen Verwertung resultieren?

b) Hält die Bundesregierung es für erforderlich, jetzt nachträglich zur Erlan-
gung des Bestandsschutzes Nachweise der bisherigen ordnungsgemäßen
Verwertung von Kleidungs- und Altmetallsammlungen vorzulegen?

Wenn ja, in welcher Form, und wie ist das in Hinsicht auf einfachste Ver-
wertungswege zu rechtfertigen?

c) Welche Anforderungen sieht die Bundesregierung insgesamt als gerecht-
fertigt an, um Bestandsschutz zu erlangen?

6. Welche Klagen von welchen Verbänden – sowohl der Altstoff-, Recycling-
und Entsorgungsbranche als auch der Vereinigungen nationaler Minderhei-
ten wie der Sinti und Roma – bezüglich der Umsetzung des KrWG sind der
Bundesregierung bislang bekannt geworden?

7. Inwieweit haben Gespräche der Bundesregierung mit Vertretern der natio-
nalen Minderheit der Sinti und Roma bezüglich der Folgen des KrWG

a) vor der Verabschiedung des Gesetzes und

b) nach der Verabschiedung des Gesetzes stattgefunden?

8. Inwieweit sieht die Bundesregierung Gesetzeslücken und Nachbesserungs-
bedarf beim KrWG?

9. Inwieweit sind der Bundesregierung bürokratische Missbrauchsakte ein-
schließlich eines unverhältnismäßigen Vorgehens gegen fahrende Sammler
durch kommunale Behörden bei der Umsetzung des KrWG bekannt, und
wie gedenkt sie, solche Akte zukünftig zu unterbinden?

10. Inwieweit hält es die Bundesregierung für zulässig und zumutbar, von
Schrottsammlern unter Berufung auf § 47 KrWG „Allgemeine Über-
wachung“ die Offenlegung des kompletten Verwertungsverfahrens ein-
schließlich aller Zwischenhändler bis zur Gießerei als Auflage zu erteilen?

11. Inwieweit hält es die Bundesregierung mit dem KrWG vereinbar, wenn
Kommunen Prämien auf die „Erstmeldung über private Sammlungen“ aus-
setzen und damit suggerieren, dass solche Sammlungen grundsätzlich ver-
boten und nicht genehmigungsfähig sind?

12. Inwieweit hat die Bundesregierung bislang dafür Sorge getragen und ge-
denkt in Zukunft Sorge zu tragen, dass die für die Umsetzung des KrWG
zuständigen Behörden in Kreisen und Kommunen zur Kenntnis nehmen,
dass nicht jede private Sammlung grundsätzlich verboten ist?

13. Inwieweit sieht die Bundesregierung das in §18 Absatz 7 KrWG explizit
niedergelegte rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsprinzip – insbesondere
unter Berücksichtigung der in § 18 Absatz 5 Satz 1 KrWG genannten Mög-
lichkeiten – bei der Erteilung von Unterlassungsverfügungen an fahrende
Schrotthändler durch die Kommunen ausreichend gewahrt?

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14. Hält die Bundesregierung an ihrer im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens
zum KrWG geäußerten Überzeugung fest, wonach Kleinsammlungen öko-
logisch sinnvoll sind und ein wichtiges Serviceangebot für den Bürger dar-
stellen, und wenn nein, was hat zum Umdenken der Bundesregierung ge-
führt?

15. Inwieweit, auf welche Weise und in welcher Ausführlichkeit muss nach
Auffassung der Bundesregierung die Behauptung einer kommunalen Be-
hörde über eine Störung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen
Entsorgungsträgers, des von diesem beauftragten Dritten oder des aufgrund
einer Rechtsverordnung nach § 25 eingerichteten Rücknahmesystems durch
fahrende Händler begründet und nachgewiesen werden?

16. Inwieweit und in welchem Umfang betrifft die Überlassungspflicht nach
§17 KrWG den An- und Verkauf von sortierten Rohstoffen wie Edelmetal-
len (bitte Art und Menge des jeweiligen Rohstoffes benennen)?

17. Hält die Bundesregierung prinzipiell die Weiterexistenz des Berufsstandes
der gewerblichen Schrott- und Altstoffsammler für wünschenswert,

a) und wenn ja, was gedenkt sie zum Schutze dieses Berufsstandes zu un-
ternehmen,

b) und wenn nein, warum nicht?

18. Inwiefern ist der Bundesregierung bekannt, dass die langen Wartezeiten der
Landratsämter nach den Anzeigen von Schrottsammlungen sowie offenbar
vorhandene Unklarheiten der Kommunalbehörden bei der Umsetzung des
KrWG die fahrenden Schrotthändler vor existenzielle Schwierigkeiten stel-
len?

19. Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um bis zur Klärung
möglicher sich als strittig erweisender Punkte bei der Umsetzung des
KrWG, eine Weiterarbeit der fahrenden Schrottsammler zu ermöglichen?

20. Hat die Bundesregierung Kenntnisse über eine von manchen Kommunen
behauptete angebliche Begleitkriminalität bei Schrottsammlungen, und
wenn ja, um welche Straftaten im Einzelnen in welchem Umfang und bei
welchen Sammlern (in- oder ausländische Firmen) handelt es sich dabei?

21. Inwieweit leitet sich nach Meinung der Bundesregierung aus dem Rahmen-
abkommen des Europarates zum Schutze nationaler Minderheiten ein be-
sonderer Schutz von Sinti und Roma auch bezüglich ihrer traditionellen und
seit Generationen ausgeübten beruflichen Tätigkeiten ab?

22. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die berufliche Existenz
von traditionell als Schrottsammlern tätigen Sinti und Roma-Familien zu
schützen?

Berlin, den 17. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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