BT-Drucksache 17/11915

Traditionslinien der Bundeswehr

Vom 12. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11915
17. Wahlperiode 12. 12. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Christine
Buchholz, Annette Groth, Andrej Hunko, Petra Pau, Frank Tempel, Katrin Werner
und der Fraktion DIE LINKE.

Traditionslinien der Bundeswehr

Bei einer Feier zum Volkstrauertag auf dem Gelände des Ausbildungszentrums
Munster hat die Bundeswehr nach Informationen des Fernsehmagazins „kon-
traste“ (29. November 2012) Kränze für Wehrmachtsdivisionen abgelegt, „da-
runter auch für berüchtigte Eliteeinheiten“.

Unter den auf diese Weise geehrten Wehrmachtseinheiten ist beispielsweise die
Panzergrenadier-Division Großdeutschland. Diese wurde 1943 durch Umglie-
derungen der Infanterie-Division Großdeutschland aufgestellt, die 1940 an
Massakern an senegalesischen Angehörigen der französischen Armee (tirail-
leurs sénégalais) beteiligt war. Auf „wikipedia“ heißt es dazu: „Am 10. Juni
1940 wurden mindestens 150 Tirailleurs im Raum Erquinvillers auf dem
Marsch nach Montdidier ermordet. Am 19. und 20. Juni 1940 kam es zu einer
Serie von Massakern im Raum Chasselay, bei denen das Regiment und die
SS- Division Totenkopf etwa 100 Tirailleurs und ihre Offiziere ermordeten.“

Eine weitere Einheit, die am Volkstrauertag in Munster von der Bundeswehr
geehrt wurde, ist das Panzerkorps Feldherrnhalle. Dieses wurde im Oktober
1944 vor allem aus SA-Angehörigen zusammengestellt (wikipedia). Das Pan-
zerkorps war in den Kämpfen um Budapest im Winter 1944/1945 beteiligt –
also zu einer Zeit, in der Tausende überlebender Juden in der ungarischen
Hauptstadt von den faschistischen Pfeilkreuzlern ermordet wurden. Jeder Tag,
an dem das Panzerkorps die Pfeilkreuzlerherrschaft verlängerte, verringerte die
Überlebenschancen der verbliebenen jüdischen Bevölkerung.

Nach Angaben eines in dem „kontraste“-Beitrag zu sehenden Veteranen wurde
auf dem Bundeswehrgelände in Munster außerdem das „Treuelied der Waffen-
SS“ gespielt – wozu Bundeswehrsoldaten stramm standen. Außerdem lieferte
das Fernsehmagazin nach Ansicht der Fragesteller weitere Hinweise auf aus
dem Nazi-Reich zurückführende Traditionslinien der Bundeswehr. So sind im-
mer noch Kasernen nach Wehrmachtsoffizieren benannt, denen die wissen-
schaftliche Forschung die Verantwortung für Kriegsverbrechen nachgewiesen
hat (vgl. Bundestagsdrucksache 17/7485 in Verbindung mit Bundestagsdruck-

sache 16/1601).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wer war für die Durchführung der Veranstaltung in Munster sowie für die
Kranzniederlegungen für die einzelnen Wehrmachtseinheiten verantwort-
lich?

Drucksache 17/11915 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Welche Organisationen und Verbände haben an der Veranstaltung teilge-
nommen bzw. wurden durch Teilnehmer repräsentiert, und nach welchen
Kriterien und von wem wurden diese Teilnehmer bzw. Gäste ausgewählt
und eingeladen?

3. Haben sich Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung an der Veran-
staltung beteiligt bzw. waren sie zugegen, und wenn ja, wer genau?

4. Für welche Wehrmachtsdivisionen sind Kränze niedergelegt worden, und
welche Kriterien lagen dabei zugrunde?

a) Welche dieser Kränze wurden von Bundeswehrsoldaten niedergelegt?

b) Wurde zuvor eine Liste der Kränze bzw. der Texte auf den Kranzschlei-
fen angefordert?

5. Hat es zuvor eine Prüfung gegeben, ob einige dieser Wehrmachtsdivisionen
an Kriegsverbrechen beteiligt waren, und wenn ja, wer war gegebenenfalls
für die Durchführung der Prüfung sowie die Bewertung der Ergebnisse ver-
antwortlich, und welche Ergebnisse hat diese Prüfung erbracht?

Wenn es keine Prüfung gegeben hat, warum nicht?

6. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über eine Beteiligung der Pan-
zergrenadier-Division Großdeutschland bzw. ihrer Vorläufer an Kriegsver-
brechen, und wie bewertet sie die Tatsache, dass zu Ehren dieser Einheit
von Bundeswehrsoldaten Kränze niedergelegt werden?

7. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Beteiligung des Panzer-
korps Feldherrnhalle an Kriegsverbrechen, und teilt sie die Einschätzung,
dass es, etwa durch die Rekrutierung vornehmlich unter SA-Angehörigen,
eine besonders stark vom NS-Ungeist infiltrierte Einheit gewesen ist, und
wie bewertet sie die Tatsache, dass zu Ehren dieser Einheit von Bundes-
wehrsoldaten Kränze niedergelegt werden?

8. Sind bei der Volkstrauertagsfeier auch Kränze explizit zu Ehren von Men-
schen niedergelegt worden, die von jenen Wehrmachtseinheiten auf kriegs-
rechtlich illegitime Weise ermordet worden waren?

Wenn ja, wird um Angaben zu den Einheiten und den entsprechenden Er-
kenntnissen zu Kriegsverbrechen sowie eine Begründung gebeten, warum
für diese Einheiten Kränze niedergelegt worden sind, und wenn nein, wa-
rum nicht?

9. Sind bei der Feier zum Volkstrauertag auch Kränze explizit zu Ehren jener
Angehöriger der geehrten Wehrmachtseinheiten niedergelegt worden, die
aus diesen desertiert sind und deswegen oder wegen anderer widerständi-
scher Handlungen, von der NS-Militärjustiz umgebracht worden waren?

Wenn ja, welche, und wenn nein, warum nicht?

10. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von dem im Filmbeitrag gezeig-
ten Lied, das als „Treuelied der Waffen-SS“ bezeichnet wurde?

a) Inwiefern erfolgt diese Bezeichnung nach Auffassung der Bundesregie-
rung zu Recht?

b) Für den Fall, dass es sich bei dem Lied um eines handelt, das in der SS
besonders beliebt war, welche Konsequenzen, sowohl politischer, dis-
ziplinarrechtlicher als auch strafrechtlicher Art will die Bundesregierung
aus dem Vorfall ziehen?

11. Bei welchen anderen Veranstaltungen wurden zum Volkstrauertag Kränze
von Bundeswehrsoldaten zu Ehren von Wehrmachtseinheiten niedergelegt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11915

a) Um welche Wehrmachtseinheiten handelte es sich dabei, und wo fand
die jeweilige Ehrung statt?

b) Inwieweit und mit welchen Ergebnissen wurde geprüft, ob diese Einhei-
ten Kriegsverbrechen begangen haben?

12. Warum werden Einheiten der Wehrmacht, auch solche, die Kriegsverbrechen
begangen haben, – wie von „kontraste“ berichtet – von der Bundeswehr ge-
ehrt, und welche Richtlinien, Dienstanweisungen und sonstigen Regelungen
gibt es hierfür (auch für die Frage, welche Kranzinschriften bzw. Wehr-
machtseinheiten akzeptiert werden und in welchen Fällen die Kränze von
Bundeswehrsoldaten niedergelegt werden)?

13. Welche Ergebnisse hat die gegenüber „kontraste“ angekündigte eingehende
Überprüfung bislang gebracht?

14. Mit welchen Maßnahmen soll künftig dafür Sorge getragen werden, „dass
der Eindruck einer Traditionslinie zu Verbänden der Wehrmacht bzw. Waf-
fen-SS künftig nicht entstehen kann“, wie das Bundesministerium der Ver-
teidigung nach Angaben von „kontraste“ angekündigt hat (bitte beabsich-
tigte Maßnahmen im Einzelnen darstellen)?

15. Welche Kasernen sind derzeit noch nach Wehrmachtsangehörigen benannt?

16. Welche dieser Wehrmachtsangehörigen haben Widerstand gegen die NS-
Herrschaft bzw. den Angriffskrieg der Wehrmacht geleistet?

17. Inwieweit beabsichtigt die Bundesregierung, die verbleibenden Kasernen,
die nach Wehrmachtsangehörigen benannt sind, umzubenennen?

18. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung

a) über den wissenschaftlichen Kenntnisstand hinsichtlich der Frage, in-
wieweit die in Frage 15 genannten Wehrmachtsangehörigen Verantwor-
tung für Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschheit tra-
gen;

b) über die Frage, welche der in Frage 15 genannten Wehrmachtsangehöri-
gen in Reden und Verlautbarungen die NS-Herrschaft glorifiziert haben;

c) über die Frage, welche der in Frage 15 genannten Wehrmachtsangehöri-
gen nach dem Zweiten Weltkrieg Thesen verbreiteten, die die deutsche
Kriegsschuld oder von der Wehrmacht begangene Kriegsverbrechen
leugneten,

d) und inwieweit beabsichtigt sie, wenigstens solche Namenspatronen ab-
zulegen (bitte begründen)?

19. Wer war dafür verantwortlich, dass Anfang der 1990er-Jahre durch das Bun-
desamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung ein nach Werner
Hahlweg (seit 1933 SS-, seit 1936 NSDAP-Mitglied, ab 1942 Geschichts-
dozent in Berlin, vgl. www.renebetker.de/pdf/werner_hahlweg.pdf) benann-
ter Preis verliehen wurde?

a) Wann werden die Ergebnisse der Überprüfung, ob an der Hahlweg-Stif-
tung und Namensgebung festgehalten werden kann, vorliegen, bzw.
welche Ergebnisse hat die Überprüfung erbracht?

b) Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass seitens der Bundeswehr an-
gesichts des Lebenslaufs von Werner Hahlweg, insbesondere seiner Mit-
gliedschaft in der SS (ab 1933) sowie der NSDAP (seit 1936) sowie sei-
ner Rolle als Geschichtsdozent (seit 1942) keine Einwände gegen die
Namensgebung erfolgt waren, und inwieweit sieht sie die damit doku-

mentierte Bereitschaft, freiwillige SS-Mitglieder zu würdigen, als ein
gravierendes Problem für die Bundeswehr an?

Drucksache 17/11915 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
20. Inwieweit nimmt die Bundesregierung den Prüfvorgang in Sachen Werner
Hahlweg zum Anlass, andere in ihrem Verantwortungsbereich verliehene
Preise zu prüfen?

Welche dieser Preise tragen die Namen von Personen, die sich nach Kennt-
nis der Bundesregierung für die NS-Herrschaft eingesetzt bzw. diese unter-
stützt haben?

Berlin, den 12. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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